Target 2 (1)
Das Billionengrab
Was Targetsalden wirklich bedeuten

Auf fast eine Billion Euro ist die sogen. Target2-Forderung der Bundesbank im Europäischen Währungssystem inzwischen gestiegen. Das entspricht etwa der dreifachen Summe des Bundeshaushalts bzw. einem Drittel des deutschen Bruttoinlandsprodukts. Insbesondere Hans-Werner Sinn sieht darin eine unverzinsliche Kreditgewährung an die Südländer, die zudem vermutlich niemals getilgt werden wird. Die Bundesbank selbst und andere Ökonomen halten die Salden dagegen für reine Buchungsvorgänge ohne ökonomische Bedeutung.

Dieser Streit ist ein Armutszeugnis für die deutsche Volkswirtschaftslehre. Denn in Wirklichkeit ist die Sache eigentlich ganz einfach. Die Targetsalden entstehen immer dann, wenn mehr Geld von einem Mitgliedsland des Euroraums in die anderen fließt als umgekehrt. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches und auch nicht schlimm, schließlich haben ja alle mit dem Euro die gleiche Währung. Solange das so bleibt und kein Land ausscheidet, sind die Targetsalden daher tatsächlich reine Buchungsvorgänge, um die man sich eigentlich nicht weiter kümmern müßte. Insoweit ist der Bundesbank also zuzustimmen.

Allerdings: Wenn ein Land aus dem Euro ausscheidet oder die ganze Währungsunion zerbricht, werden die Targetsalden sofort zu einem riesigen Problem. Und weil das so ist, muss man eben schon vorher darauf achten, dass sie nicht zu groß werden. Denn sonst drohen in der Tat enorme Verluste für Länder mit positivem Targetsaldo wie Deutschland, während sich Länder mit negativem Targetsaldo in großem Umfang bereichern könnten. Insofern hat also wiederum Sinn recht. Da die Salden immer höher werden und ein Ausscheiden etwa Italiens keineswegs mehr undenkbar ist, hat die Sache in der Tat Brisanz.

Wo genau liegt das Problem? Man muss sich zunächst klarmachen, dass mit der Schaffung von Geld immer ein Gewinn für den Staat entsteht. Denn Gelddrucken kostet nicht viel, man kann damit also praktisch umsonst einkaufen gehen. Im Euroraum wird dieser Geldschöpfungsgewinn (die sogen. „Seignorage“) brüderlich geteilt. Und zwar geschieht das gemäß den Kapitalanteilen der EZB, welche die einzelnen Länder halten. Deutschland erhält demnach etwa 18% der gemeinsamen Seignorage, Italien rd. 12%. So weit, so gut.

Nun wird das Geld aber im Euroraum gar nicht von der EZB in Umlauf gebracht, sondern in ihrem Auftrag von den nationalen Notenbanken. Bei diesen liegen deshalb auch die entsprechenden Gegenwerte, z.B. Bankschuldverschreibungen oder Staatspapiere.  Wenn also die Banca d‘Italia mehr Geld im Umlauf bringt, als es ihrem Anteil am EZB-Kapital entspricht, hat sie auch entsprechend überproportionale Gegenwerte in ihrer Bilanz. Die Differenz entspricht ihrem (negativen) Targetsaldo, derzeit immerhin 465 Mrd. Euro.  Da die Banca d‘Italia das Geld ja praktisch nur im Auftrag der EZB in Umlauf gebracht hat, gehören ihr die dafür erworbenen Aktiva eigentlich nur zu 12%. Der Targetsaldo zeigt nun nichts Anderes an, als dass sie bei einem Ausscheiden die zu viel in ihrer Bilanz stehenden Aktiva an den Rest der Eurozone zurückgeben müßte! Wenn man das einmal verstanden hat, kann man sich die ganzen Buchungsbeispiele, wer wo was über welche Bankverbindung gekauft hat, eigentlich sparen.

Wie gesagt, solange die Währungsunion intakt bleibt, ist das alles kein Problem. Denn dann erhält Italien ja immer nur 12% des gemeinsamen Gewinns, egal wie viele Assets in ihrer Bilanz stehen. Scheidet Italien aber aus, könnten die Banca d‘Italia auf die Idee kommen, diese einfach zu behalten und auf die Rückübertragung (d.h. ihre Target-Verpflichtung) zu pfeifen. Entsprechende Andeutungen wurden aus der neuen Regierung dort auch schon gemacht.  Nicht nur Deutschland, die gesamte Eurozone wäre dann bestohlen worden. Soweit sollte es natürlich nicht kommen.

Was wäre, wenn stattdessen Deutschland aus dem Euro aussteigen würde? Unser positiver Targetsaldo zeigt an, dass die Bundesbank fast eine Billion Euro weniger an Wertpapieren in ihrer Bilanz hat, als ihr nach dem EZB-Schlüssel eigentlich zustehen. Darum ist der deutsche Targetsaldo, ganz spiegelbildlich zu den italienischen Verbindlichkeiten, eine Ausgleichsforderung an die übrigen Euroländer. Wiederum ist das kein Problem, solange wir im Euro bleiben. Denn dann sind wir sowieso mit 18% an allen Geldschöpfungsgewinnen beteiligt. Deswegen muß der Targetsaldo eigentlich auch gar nicht verzinst werden, obwohl das in den EZB-Statuten sogar so vorgesehen ist.

Aber wenn wir ausscheiden, wäre er vermutlich verloren. Die anderen Zentralbanken werden uns dann kaum auch noch Wertpapiere in Höhe von einer Billion € nachwerfen, obwohl sie das ökonomisch eigentlich müßten. Infolgedessen würde der Bundesbankgewinn und damit der Ausgabenspielraum der Regierung im Austrittsfall entsprechend schrumpfen. Zwar nicht um die volle Billion, sondern nur um die darauf entfallenen Zinsen, das aber für alle Ewigkeit. Bei einem normalen Zinssatz von vielleicht real 2 oder 3% wären das immerhin rd. 20 bis 30 Milliarden Euro (bzw. dann vermutlich neue D-Mark) pro Jahr.

Was kann man tun, um solche Verluste zu vermeiden? Auf eine Änderung der Regeln zu hoffen, wäre vermutlich naiv. Denn die Länder mit den negativen Targetsalden haben die Mehrheit im Zentralbankrat und werden den Teufel tun, sich selbst ins Knie zu schießen. Könnte die Bundesbank nicht einfach selber mehr Geld drucken und damit italienische Unternehmen oder griechische Inseln kaufen?  Das wäre tatsächlich ein Weg, würde aber von den anderen Zentralbanken kaum toleriert und im Ernstfall kopiert werden. Am Ende würden heillose Inflation und ein Zusammenbruch des Euro stehen. Sollte man vielleicht einfach die Nerven behalten und darauf hoffen, dass sich die Targetsalden von selbst zurückbilden? Möglich, aber riskant – genauso gut könnten sie noch weiter steigen. Das ist derzeit sogar wahrscheinlicher, zumal die italienische Regierung keinerlei Anstalten macht, die dafür notwendigen innenpolitischen Reformen anzufassen, im Gegenteil.

Ein raffinierterer Weg wäre die Einführung einer Parallelwährung in Deutschland, ohne sofort aus dem Euro auszusteigen. Auch die Italiener hatten so etwas mit dem „Minibot“ ja kürzlich schon erwogen. Eine „Neue D-Mark“ würde den Euro im inländischen Zahlungsverkehr vermutlich bald verdrängen, und die Eurobestände der Deutschen würden vermehrt im übrigen Währungsgebiet verausgabt werden. Damit sänke automatisch auch der Targetsaldo, und die deutschen Sparer wären zugleich besser vor einer Euro-Inflation geschützt. Zumindest könnte Deutschland mit einer solchen Maßnahme drohen, wenn die anderen Länder keine Anstalten machen sollten, das Target-Problem auf andere Weise zu lösen.

 

 

 

 

 

 

 

13 Antworten auf „Target 2 (1)
Das Billionengrab
Was Targetsalden wirklich bedeuten

  1. Ich finde Ihre Betrachtungsweise sehr interessant und zielführend. Allerdings entstehen die TARGET2-Salden ja nicht nur durch Geldschöpfung für den Kauf von Staats- bzw. Unternehmensanleihen, sondern auch durch Warenlieferungen oder durch die Abwicklung der Transaktionen von Ausländern aus dem Nicht-Euro-Raum über deutsche Banken und damit über die Deutsche Bundesbank.

    Der Bundesverband der deutschen Banken benennt in einer Veröffentlichung aus der Reihe „Wirtschaftspolitik aktuell“ vom 15.02.2018 (siehe: https://bankenverband.de/media/files/WiPak_Target_2.pdf) vier wesentliche Ursachen für das Auseinanderlaufen der TARGET2-Salden seit 2008:

    1. Leistungsbilanzüberschüsse bzw. -defizite von Mitgliedsstaaten der Eurozone
    2. Refinanzierungsprobleme von Banken (z. B. in Italien), die sich nur noch über ihre nationalen Notenbanken refinanzieren können
    3. Kapitalflucht vom Süden in den Norden der Eurozone
    4. Das Anleihenkaufprogramm der EZB („Quantitative Easing“)

    In diversen Veröffentlichungen habe ich gelesen, dass die Spreizung der TARGET2-Salden zwischen 2008 und 2012 eher auf die Ursachen 1&2 zurückzuführen war, während seit 2015 zunehmend die Ursachen 3&4 maßgeblich sind.

    Die mittlerweile 4,5 Billionen auf der Aktivseite der EZB-Bilanz strukturieren sich laut „Geldpolitische Wende und nachhaltige Wirtschaftspolitik im Euroraum“ des Sachverständigenrats vom Juli 2017, Seite 9 (https://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/fileadmin/dateiablage/gutachten/jg201718/jg2017_07_euromakro.pdf), in absteigender Reihenfolge ihres Volumens wie folgt:
    1. Anleihenkaufprogramm der EZB
    2. Gezielt längerfristige Refinanzierungsgeschäfte (GLRG)
    3. Gold- und Währungsreserven
    4. Anleihen von Emittenten aus dem Euroraum
    5. Sonstige Aktiva

    Ich habe am 09.07.2018 einen Blog unter der Überschrift „Die Lebenslügen des Euro“ veröffentlicht inklusive eines Exkurs zum Thema TARGET2, in dem ich versuche, die plausibelsten Argumente der verschiedenen Ökonomen zusammenzuführen: https://kubraconsult.blog/2018/07/09/die-lebensluegen-des-euro/. Vielleicht sind die Ausführungen für Sie von Interesse.

  2. Das sehe ich mir gerne an. Was die Ursachen der Targetsalden betrifft, sind diese in der Tat so vielfältig, wie Sie es beschreiben. Nur: Alle laufen letztlich auf dasselbe hinaus, nämlich einen Geld- (nicht: Kapital-!) Transfer von dem einen Land in ein anderes. Es gibt zu meinem Blogbeitrag übrigens auch ein wissenschaftliches Papier, wo Sie das im Detail nachvollziehen können:

    https://www.wiwi.uni-muenster.de/cawm/sites/cawm/files/cawm/download/Diskussionspapiere/cawm_dp104.pdf

  3. Bisweilen wird angeführt, eine Beschränkung des Target-Systems mit dem Ziel, übermäßige Saldenungleichgewichte zu vermeiden, hätte Störungen im Zahlungsverkehr zwischen den Ländern zur Folge.

    Ein Aspekt, der in der Debatte oft vernachlässigt wird: am TARGET2 System nehmen nicht nur die Notenbanken im Euroraum teil, sondern, auf freiwilliger Basis, auch die Notenbanken aus folgenden 5 nicht-Euro Ländern: Dänemark, Bulgarien, Polen, Kroatien, Rumänien. Die Target Salden dieser Notenbanken dürfen aber nie einen negativen Saldo aufweisen (so erläutert im Monatsbericht Oktober 2011 der Europäischen Zentralbank, Fussnote 2 in Box 4 „Target Balances of National Central Banks in the Euro Area“ ). Es ist aber bisher nicht bekannt, dass der Zahlungsverkehr zwischen beispielsweise Dänemark oder Polen einerseits und der Eurozone andererseits gestört ist. Wie passt das zusammen? Und wenn, wie verschiedentlich behauptet, die Targetsalden reine Buchungstatbestände und realwirtschaftlich gegenstandslos seien, warum verbietet man dann negative Salden dieser Notenbanken?

  4. Sehr geehrter Herr van Suntum,

    Sie schreiben: „Denn in Wirklichkeit ist die Sache eigentlich ganz einfach. Die Targetsalden entstehen immer dann, wenn mehr Geld von einem Mitgliedsland des Euroraums in die anderen fließt als umgekehrt.“

    Ja, das sehe ich genauso. Ich wundere mich allerdings, warum Sie sodann eher Verwirrung stiften, als zur weiteren Klärung beizutragen, indem Sie schreiben:

    „Wo genau liegt das Problem? Man muss sich zunächst klarmachen, dass mit der Schaffung von Geld immer ein Gewinn für den Staat entsteht. Denn Gelddrucken kostet nicht viel, man kann damit also praktisch umsonst einkaufen gehen. Im Euroraum wird dieser Geldschöpfungsgewinn (die sogen. „Seignorage“) brüderlich geteilt.“

    Nein, Herr van Suntum, mit Gelddrucken macht weder der Staat noch die Bundesbank einen Gewinn (von der zu vernachlässigenden Münzgeldseigniorage durch Geldprägung mal abgesehen). Im Gegenteil, das Gelddrucken kostet wiederum Geld und wird als Aufwand in der Bilanz verbucht und schmälert demzufolge den Gewinn der Zentralbank. Die Auslieferung der Banknoten ist wiederum ein weitgehend erfolgsneutraler reiner Passivtausch: Zentralbankgiralgeld an Bargeldumlauf. Wie hier ein Gewinn entstehen soll ist mehr als schleierhaft. Gewinne erzielt die ZB aus ihren gewöhnlichen (und seit 2008 ungewöhnlichen) geldpolitischen Operationen. Da aktuell der Hauptrefinanzierungssatz bei null liegt, bleiben insbesondere die Einlagefazilität sowie die Zinserträge aus den QE-Programmen.

    „Der Targetsaldo zeigt nun nichts Anderes an, als dass sie bei einem Ausscheiden die zu viel in ihrer Bilanz stehenden Aktiva an den Rest der Eurozone zurückgeben müßte! Wenn man das einmal verstanden hat, kann man sich die ganzen Buchungsbeispiele, wer wo was über welche Bankverbindung gekauft hat, eigentlich sparen.“

    Hier stimme ich mit Ihnen völlig überein. In diesem Fall werden aus den TARGET-Salden ganz gewöhnliche Devisenreserven, die sodann einem Wechselkursänderungsrisiko unterliegen, sofern sie nicht in Euro sondern in neuer Lira redenominiert werden. Das müsste sodann verhandelt werden. Rein rechtlich gesehen müsste allerdings auf Eurobasis getilgt werden. Somit gäbe es kein Kursrisiko. Vermutlich müssten aber die Laufzeiten neu verhandelt werden.

    „Scheidet Italien aber aus, könnten die Banca d‘Italia auf die Idee kommen, diese einfach zu behalten und auf die Rückübertragung (d.h. ihre Target-Verpflichtung) zu pfeifen.“

    Das glaube ich eher nicht. Es wäre ein klarer Verstoß gegen jede Rechtsordnung und würde Italien über viel Jahre vom Kapitalmarkt abschneiden. Aber letztlich ganz ausschließen kann man das im Zeitalter des um sich greifenden Trumpismus leider nicht.

    „Ein raffinierterer Weg wäre die Einführung einer Parallelwährung in Deutschland, ohne sofort aus dem Euro auszusteigen.“

    Ein noch einfacherer Weg wären höhere Löhne in Deutschland; insbesondere im unteren Drittel. Denn die realen TARGET-Salden reduzieren sich nur dann, wenn sich auch die deutsche Leistungsbilanz mit den Euroländern umkehrt. Und da ist wiederum nicht nur die deutsche Exportindustrie vor.

    @ anonymous

    Die Salden werden z. B. durch Refinanzierung am Interbankenmarkt ausgeglichen (bei Dänemark sicherlich kein Problem) oder aber durch Übertragung von Wertpapieren. Würde die Bundesbank statt zinsfreier Bunds italienische Anleihen erwerben, dann wären die Salden viel geringer. Dann läge allerdings auch das Ausfallrisiko im Fall der Fälle zu 100 % bei der Bundesbank und nicht nur in Höhe ihres Kapitalanteils.

    Meine Sicht zu TARGET hatte ich vor kurzem hier dargelegt: https://zinsfehler.com/2018/07/30/target-und-kein-ende/

    LG Michael Stöcker

  5. An Herrn van Suntum:
    Mir scheint, dass Sie mit dem Modell in Ihrem Arbeitspapier einen sehr hilfreichen und wesentlichen Beitrag zur Diskussion um die Target-Salden geleistet haben, der helfen kann, die m.E. verfahrene Debatte zwischen den Diskussionsteilnehmern voranzubringen. Allerdings denke ich nicht, dass es die „Wahrheit“ der Target2 Salden erschöpfend behandelt, wie es der Titel Ihres Arbeitspapiers nahelegen mag. Wie jedes gute Modell, blendet es gewisse Aspekte der Realität aus, mit dem Ziel, Klarheit hinsichtlich einiger ausgewählter Aspekte zu erlangen. So nimmt das Modell bespielsweise perfekte Sicherheit an, so dass auch die Geldschöpfungsgewinne der Notenbanken als sicher angesehen werden. Wenn die Besicherung der entsprechenden Zentralbankredite aber als unzulänglich angesehen wird, können hieraus bei einem Ausfall der Sicherheiten zusätzliche Verteilungseffekte erwachsen. Das ist ein Aspekt, den Herr Sinn betont. Dieser Aspekt wird aber, so weit ich das sehe, in Ihrem Modell nicht beleuchtet – das stellt die Zweckmäßigkeit des Modells nicht in Frage, sondern besagt nur, dass es nicht ganze „Warheit“ abbildet.

    An Herrn Ströker:
    Überweisungen im Interbankenmarkt mögen dazu führen, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt die Target-Bilanz der Dänischen Notenbank (DNB) Netto-Forderungen gegenüber der EZB ausweist. Das aber kann sich aber am nächsten Tag wieder ändern, denn die DNB kann nicht garantieren, dass die Transaktionen auf dem Interbankenmarkt alleine zu einem Ausgleich ihres Targetsaldos am Ende des Tages führen. Sie hat aber gegenüber der EZB die Verpflichtung, genau dies zu gewährleisten. Auch der Hinweis, dass eventuelle Nettoverbindlichkeiten durch Übertragung von Wertpapieren besichert werden könnten, passt hier nicht: die Regeln verlangen, dass die Target Bilanzen der nicht-Euro Notenbanken gar keine Nettoverbindlichkeiten aufweisen dürfen – sie verlangen gerade nicht die Besicherung einer eventuell bestehenden Netto-Verbindlichkeit.
    Am Ende des Tages funktioniert es wohl wie in einem Arbeitspapier aus der Schweitzer Notenbank zu den Target Salden kurz erwähnt (siehe R. Auer: „What Drives Target2 Balances? Evidence from a Panel Analysis“, Swiss National Bank Working Papers 2012-15, Seite 4): die DNB muss durch die Bereitstellung eigener Devisenreserven gewährleisten, dass ihre Target Bilanz keine Nettoverbindlichkeit ausweist. Damit können auf Euro lautende Nettoüberweisungen aus Dänemark über das Target2 System nur insoweit getätigt werden, insofern Dänemark über entsprechende auf Euro lautende Devisenreserven verfügt.
    Das Arbeitspapier von Herrn van Suntum legt auch nahe, warum das so sein muss: der Grund ist, dass die DNB nicht an der gemeinschaftlichen Verteilung der Geldschöpfungsgewinne der Notenbanken des Eurosystems teilnimmt – weil sie eben nicht Teil der Systems ist. Daher würden (dauerhafte) Target-Verbindlichkeiten der DNB dazu führen, dass dem Land Dänemark Geldschöpfungsgewinne für die Ermöglichung von auf Euro lautenden Nettoüberweisungen in Euro-Länder zuflössen, und es ist nur recht und billig, genau das zu verhindern. Der Fall der DNB ähnelt dem im Arbeitspapier von Herrn van Suntum diskutierten Fall 6, in dem ein Euro-Land, dessen Targetbilanz eine Nettoverbindlichkeit ausweist, aus dem System austritt, ohne dass es eine Kompensation für seine Nettotargetverbindlichkeit leisten müsste.
    Hingegen führen, wie Herr van Suntum’s Arbeitspapier aufzeigt, im Eurosystem Nettoverbindlichkeitspositionen von Target-Bilanzen im Eurosystem nicht zu Nettotransfers von Geldschöpfungseinnahmen unter der Voraussetzung des Fortbestands des Systems. Denn solange das System besteht, werden alle Geldschöpfungsgewinne im System proportional verteilt – einschließlich jener Geldschöpfungsgewinne, die aus zu Targetverbindlichkeiten führenden Nettoüberweisungen erwachsen. Herr van Suntum zeigt auch auf, dass der faire Ausgleich der Geldschöpfungsgewinne im System auch auf eine andere Weise hergestellt werden kann, nämlich indem Notenbanken, deren Targetsalden Nettotverbindlichkeiten aufweisen, diese verzinsen müssen.
    Würden hingegen die Geldschöpfungsgewinne nicht proportional sondern gemäß ihrer örtlichen Entstehung verteilt, und wenn auch Targetnettoverbindlichkeiten nicht verzinst würden, erwüchse Ländern, deren Targetsalden Nettoverbindlichkeiten aufweisen, ein Vorteil.

  6. Sehr geehrter Herr v.Suntum,
    ihren Ausführungen liegt, meiner Auffassung nach, ein buchhalterischer Fehlschluss zugrunde.
    Einmal deswegen, weil Sie die finanztechnische von der realwirtschaft-lichen Seite trennen. Was meiner Auffassung nach nicht zulässig ist. Denn, wenn Geld die Funktion hat, Tauschakte zu vereinfachen, obwohl es selbst nur ein Schmiermittel ist, um Tauschakte reibungslos abzuwicklen, dann ist eine solche Vorgehensweise der Erläuterung nicht zielführend. Warum? In unseren an den Rest der EU gelieferten Produkten stecken wertvolle Rohstoffe, Arbeitleistungen etc., für die wir im Zusammenhang mit dem Tauschakt keinen angemessenen Gegenwert bekommen, sondern nur eine in Euro ausgedrückte Forderung, die wir nicht sofort realisieren können, weil Beispielsweise die „Kranken“ der Südschiene, nicht die Gegenprodukte liefern können, die wir für unseren Konsum und unsere Produktion benötigen. Tsatziki aus Griechenland reicht eben nicht aus, unsere Forderungen zu begleichen. Papierforderungen also, die an sich während des Tauschvorganges schon gar nicht mehr werthaltig sind, weil sie wegen der realwirtschaftlichen Schwäche der Exportempfänger gar nicht mehr voll oder nur stark abgewertet (Kaufkraftverluste) irgendwann am St. Nimmerleinstag in realen Werten!! beglichen werden können, reine nur noch auf dem Papier stehende Forderungen sind. Überspitzt formuliert
    heißt das:
    Es liegt eine uneinbringliche Forderung vor die, egal nach welcher Rechnungslegungsvorschrift, ob dem guten alten HGB oder den neumodischen Internationalen Rechnungslegungsvorschriften auf 1,-€ Erinnerungswert abzuschreiben wären. Was aber durch die Tricksereien der EZB und der Bundesbank nicht passiert. Denn dann müßten die EZB auf der einen und die Bundesbank , die ja nur noch zu einer Filiale der EZB mutiert ist, auf der anderen Seite, ihre Bilanzen korrigieren, sprich: die Verbindlichkeiten gegenüber der Südschiene nach unten anpassen, oder aber ihr Eigenkapital entsprechend reduzieren, damit das Waageprinzip der Bilanztechnik erhalten bleibt. Damit aber wäre das EK der Bundesbank bei ca. 1 Bio nicht eintreibbarer, oder durch realwirtschaftliche Lieferungen ausgleichbare Target 2 Forderungen, negativ. Die Bundesbank müßte eigentlich Insolvenz anmelden.
    So wie wir Naiivlinge, die wir während unserer Schulzeit so dumm waren, und jenen Schnorrern so manche Mark gaben, damit diese sich davon beim Hausmeister Kakao, Hanuta, Duplo kaufen konnten. Das Geld sahen wir nie wieder, oder, wenn wir Glück hatten, dann so sehr verspätet, dass der Preis eines Duplo von 20,00 auf 25,00 Pfennig gestiegen war. Unter dem Deckmantel der Target 2 Salden passiert jetzt das, was die USA auf der Londoner Schuldenkonferenz 1952 über die Köpfe der Deutschen und Resteuropas festlegten:
    Deutschland zahlt 15 Mrd. US$ Reparationen sofort. Den Rest holen sich die Anspruchsberechtigten sprich: USA und Resteuropa aus der laufenden Produktion. Seitdem wird Deutschland systematisch entreichert. 3 Billionen de facto wertlose US-Dollar. Wer kauft schon die US Steinzeitautos? 3400 Tonnen Gold, die nur noch auf dem Papier existieren, in Wirklichkeit aber der Goldleihe der US Notenbank zum Opfer fielen. Und die Enteicherungszeichen erkennen wir in Deutschland an Schlaglöcherstraßen, maroden Brücken und Wasserstraßen, Schulen, die denen eines Entwicklungslandes gleichen, und, und… Deutschland wird auf diese Weise sytematisch seiner Vermögenswerte beraubt. Die Finanzebene der Targetsalden bildet dies nicht ab. Inflationsausgleich kommt in diesen Salden nicht vor! Und deswegen können sie die Finanzebene nicht von der realwirtschaftlichen Ebene trennen. Achtung Zynismus: „Es wäre klüger, die ganzen hochwertigen Güter den Hartz IV Empfängern vor die Füße zu kippen. Die können auch nicht zahlen, aber die Produkte blieben wenigstens im eigenen Land.“
    Das sie das ELA Problem nicht einmal direkt benennen und nur umschreiben („Nun wird das Geld aber im Euroraum gar nicht …“), auf die damit verbundene Problematik nicht wirklich eingehen, ist ein weiterer Schwachpunkt Ihrer Argumentation. Denn die Instrumente ELA und Target 2 gehören untrennbar zusammen.
    Und: Welche Staats-Unternehmens-Bankanleihen, etc. der Südschiene
    haben denn überhaupt noch einen Wert? Dadurch, dass Draghi jeden Anleiheschrott, entgegen Vertrags-und Satzungsregeln der EZB mittels ELA Geld kaufen läßt, werden die ABS -, CDO und vor allem die CDS Kurse derart manipuliert, dass Man(n) /Frau von strafrechtlicher Relvanz sprechen müßte, genösse dieser ehemalige Goldman-Sachs Bursche nicht Immunität. Politisch folgt er den Weisungen von Merkel, Macron (=Rothschild) und Co. und zögert den Offenbarungseid des Eurosystems künstlich hinaus. Das an sich wäre ja noch vertretbar, wenn das durch ELA erzeugte FIAT Geld auf der realwirtschaftlichen Ebene bei den Produzenten und Dienstleistern ankäme. Tut es aber nicht, weil die Geschäftsbanken, über die die Geldverteilung läuft, mit dem Zentralbankgeld ihre Bilanzen und ihr Schattenbankensystem finanzieren, an den Börsen spekulieren, die Kurse nach oben treiben und die Basel III Kriterien dafür sorgen, dass junge Familien nur noch unter sehr restriktiven Bedingungen einen Hypothekenkredit bekommen.

  7. @ anonymous

    Vielen Dank für Ihre Anmerkungen. Unter Übertragung versteht man im rechtlichen Sinne die eigentumsrechtliche Übereignung einer Sache oder einer Forderung (BGB Buch 2 Abschnitt 5 Übertragung einer Forderung). Die DNB wird eine solche Übertragung natürlich nur dann durchführen, wenn Sie hierfür auch den entsprechenden Betrag erhalten hat. Es findet also in der Tat ein Aktivtausch statt: „TARGET accounts in ECB“ an „Foreign assets“. Und von diesen Foreign Assets hat die DNB satt und reichlich (https://www.nationalbanken.dk/en/pressroom/Pages/2018/08/DNN201802959.aspx), da auch Dänemark seit 1999 eine positive Leistungsbilanz hat; zuletzt über 8 %.

    Die Bundesbank hat übrigens auch einen Vorteil aus den TARGET-Salden; und zwar aus den Einnahmen aus der negativen Einlagefazilität. Und diese fließen sodann über höhere Gewinnausschüttung an den Haushalt.

    LG Michael Stöcker

  8. An Herrn Stöcker,

    ich denke man kann sagen, dass die DNB in der Lage sein mus, ihre Teilnahme am Targetsystem gegebenenfalls mit der Bereitstellung von Euro-Devisen zu unterfüttern – so wie in jedem anderen internationalen Zahlungswesen zwischen Ländern ohne gemeinsame Währung. Das gilt auch für die anderen partizipierenden nicht-Euro Länder, die sich keiner so vorteilhaften Nettoauslandsposition wie Dänemark erfreuen. Bisher scheint der Zahlungsverkehr zwischen diesen Länder und der Eurozone – ganz ohne den Aufbau von großen Targetverbindlichkleiten und -forderungen – funktioniert zu haben.

    Die Bundesbank hat keinen Vorteil aus den (ihr nur im ersten Schritt zufliessenden) Einnahmen aus den Negativzinsen auf die Einlagenfaszilität im Vergleich zu den anderen Notenbanken. Die Einlagenfaszilität ist Teil der gemeinschaftlichen Geldpolitik, und Einnahmen und Verluste, die den Notenbanken hieraus erwachsen, werden gemäß den Kapitalanteilen der nationalen Notenbanken an diese (und damit letztendlich an die Staaten des Eurosystems) verteilt. Mit den Target-Salden hat dies, wie das Modell Herrn van Suntums verdeutlicht, auch nichts zu tun – immer unter der Annahme des Fortbestehens des Systems.

    Indes gibt es Umverteilungseffekte zwischen den Staaten aus den sehr niedrigen (teils negativen) geldpolitischen Zinsätzen: Staaten, deren gesamtwirtschaftliche Vermögensbilanz eine Nettogläubigerposition aufweisen, entgehen damit gesamtwirtschaftlich gesehen Vermögenseinnahmen, wohingegen Staaten, deren gesamtwirtschaftliche Vermögensbilanz negativ ist, profitieren – im Vergleich zu einer Situation, in der die geldpolitischen Zinssätze auf einem – in den Augen mancher: angemesseneren – höheren Niveau wären. Herrn van Suntum’s Modell zeigt das ja auch sehr schön. Das ist sicher keine überraschende Erkenntnis, und das ist auch schon ausschießlich verbal argumentierend (u. a. von Herrn Sinn und Herrn Vaubel) thematisiert worden. Auch beschränken sich die Verteilungseffekte geldpolitischer Maßnahmen nicht nur auf solche zwischen Gläubiger- und Schuldnerstaaten, sondern sie treten natürlich auch zwischen Gläubigern und Schuldnern innerhalb eines Staates auf. In Herrn van Suntums zwei-Generationen-Modell zeigt sich das in den unterschiedlichen Effekten der Änderung des Modellzinssatzes auf den Konsum der jungen und alten Konsumenten.

    Aber eine wichtige Frage in diesem Konext richte ich gerne

    An Herrn van Suntum:

    und das ist auf Ihr o.g. Papier bezogen, nicht auf Ihren obigen Beitrag selbst. Im Papier merken Sie an, dass die sehr niedrigen geldpolitischen Zinssätze die Nettoschuldnerländer des Eurosystems stark begünstigen und somit “ … the whole EMU system turns indeed out as a huge and mostly hidden redistribution machine at the cost of the more solid member countries. This effect should be highlighted much more than before in the public discussion, although it is only weakly connected to the Target balances, as we have seen above“.

    Die Existenz solcher Verteilungseffekte der Geldpolitik ist evident – nur sollte man die Verteilungseffekte wirklich ins Zentrum in der Beurteilung der Geldpolitik der EZB stellen, wie Sie das hier andeuten? Hat nicht jedwede Geldpolitik verteilungspolitische Effekte, und ist Geldpolitik schon alleine deshalb kritikwürdig? Herr Hellwig hat angemerkt, dass es widersprüchlich und für die institutionelle Absicherung der Unabhängigkeit der Geldpolitik auch langfristig riskant erscheint, einerseits die Unabhängigkeit der Geldpolitik zu fordern, sie dann aber ausschließlich an ihren verteilungs- und fiskalpolitischen Implikationen zu messen. Es ist zum einen sicherlich notwendig, sich über das Design des Zahlungssystems im engeren Sinn in einem föderal organisierten Geldwesen Gedanken zu machen, so dass es eine neutrale (bzw. faire) Verteilung der Seignorage im System gewährleistet – und Ihr Modell verhilft da zu interessanten Erkentnnissen, die so in der Diskussion noch nicht aufgetaucht sind (und lässt dabei auch einige andere Fragen aus der Diskussion offen). Was zum anderen jedoch die Effekte der Geldpolitik und ihre verteilungspoilitischen Implikationen angeht: Sollte man die Geldpolitik denn nicht zunächst einmal an ihren originären Aufgaben der Sicherung der Preis- und Finanzmarktstabilität messen? Keineswegs bedeutet das, dass die anderen Aspekte keine Rolle spielen: Legitimerweise ist zu fordern, dass die Notenbank die Mittel in der Verfolgung der ihr übertragenen Aufgaben so einsetzt, dass die kollateralen Implikationen hinsichtlich der Verteilungs- und Fiskalpolitik – für welche die Notenbank kein Mandat beanspruchen kann – möglichst begrenzt bleiben. Insofern sind Modelle, die diese Implikationen thematisieren und die hieraus gewonnenen Einsichten sehr wichtig. Indes scheinen mir Modelle, die wesentlich auf die Analyse der verteilungs- und fiskalpolitischen Auswirkungen geldpolitischer Maßnahmen beschränkt sind, zwar notwendige Einsichten zu vermittlen, jedoch keine hinreichende Basis für die Beurteilung geldpolitischer Maßnahmen zu bieten.

  9. @ anonymous

    Danke für Ihre Richtigstellung zur Gewinnverteilung.

    Zum Thema Umverteilungseffekte: Ein höherer Zinsertrag wäre durchaus gerechtfertigt, wenn es denn tatsächlich auch in diesen Ländern eine höhere Produktivität gäbe. Das bezweifle ich allerdings stark, ohne hierfür konkrete Zahlen vorlegen zu können/wollen. Das höhere Zinsniveau in den Ländern des Südens spiegelte doch eher die niedrigeren Bonitätsstandards bei der Kreditvergabe wieder. Es gab von daher gar nichts zu verteilen, sondern vielmehr zu kompensieren; nämlich das höhere Kreditausfallrisiko. Insofern halte ich die These von Sinn sowie seine Berechnungen auf der Basis historischer Daten für mehr als fragwürdig. Denn die Hauptfunktion des Zinses in einem Kreditgeldsystem ist die Kompensation von Kreditausfällen. Je höher das Kreditausfallrisiko, desto höher die Kreditzinsen. Für die Gläubiger an den Refinanzierungsmärkten bleibt da also in Zeiten homöopathischen Wachstums nicht mehr viel übrig.

    LG Michael Stöcker

  10. Lieber Ulrich van Suntum,

    unterstellen wir mal, die Bankschuldverschreibungen und Staatspapiere, die in der Banka d’Italia lagern, entsprechen den Anforderungen der EZB, haben also mindestens den Wert, für den Geld geschöpft/Kredite vergeben worden ist/sind. Die Schuldner, die Zinsen darauf zahlen müssen, sind überwiegend italienische Geschäftsbanken und Unternehmen. Nun tritt, und das ist Ihre Befürchtung, Italien aus dem Euro aus und führt die Lire wieder ein. Würde die Banka d’Italia darauf bestehen, dass die Schulden ihrer Landsleute in Euro bezahlt werden – ebenso die Zinsen – so wäre die italienische Geschäftswelt nach Einführung der Lire dazu nicht mehr in der Lage, da die neue Währung gegenüber dem Euro stark abwerten würde. Die Banka d’Italia würde also ihrem Klientel zugestehen müssen, dass die Schulden 1:1 in Lire beglichen werden können. Nur so könnte der Übergang zur neuen/alten Währung funktionieren. Sie wollen nun, dass vor einem Austritt Italiens aus dem Euro jene Schuldverschreibungen zur Bundesbank transferiert werden, um dort die positiven Targetsalden zu ersetzen. Toll! Dann sollten Sie außerdem noch fordern, dass die italienischen Geschäftsbanken und Unternehmen gleich mit nach Deutschland verlagert werden. Denn nur so können diese die Zinsen in Euro zahlen, die Sie der Bundesbank zuschustern wollen. Letztere kann dann zusehen, wie sie Zins und Tilgung in Italien eintreibt.

    Mit freundlichen Grüßen nach Münster
    Georg Quaas

  11. Herr Quaas argumentiert m.E. überzeugend, dass die Bedienung von Target-Verbindlichkeiten in der Höhe des derzeitigen Stands der Verbindlichkeiten Italiens nach oder auch (unmittelbar) vor einem hypothetischen Austritt Italiens aus dem Euro unrealistisch ist. Nach der Lektüre von Herrn van Suntums Beitrag (und auch seines Papiers) scheint es mir, dass sich Herr Quaas und Herrn van Suntum hier einig sind.

    Weil eine Bedienung von Target-Verbindlichkeiten nach einem Austritt unrealistisch erscheint, ergibt sich für ein potenziell austrittsbereites Land (PAL) ein Verhandlungspotenzial, das es nutzen kann, um aus der eigenen Binnensicht vorteilhafte Änderungen im instituionellen Design der Währungsunion oder andere Vorteile in einem weiter gefassten europäischen Politikkontext zu erwirken.

    Das zusätzliche Verhandlungspotenzial könnte indes dadurch beschränkt sein, dass die Finanzmärkte eine nicht-Bedienung von Target-Forderungen nach Austritt als Default-Fall interpretieren könnten. Wenn dem so wäre, müsste ein PAL prohibitiv hohe Risikozuschläge für eigene Schuldtitel nach einem Austritt gewärtigen. Es scheint aber aus verschiedenen Gründen unwahrscheinlich, dass eine nicht-Bedienung von Target-Verbindlichkeiten nach einem Austritt aus der Währungsunion von den Finanzmärkten tatsächlich als ein Default interpretiert werden würde, denn es handelt sich bei den Target-Verbindlichkeiten zunächst einmal um Buch-Verbindlichkeiten zwischen Zentralbanken. Obzwar ökonomisch relevant, ist deren schuldrechtlicher Status bestenfalls unklar. Finanzmarktakteure werden den Disput um Target-Verbindlichkeiten nach einem Austritt als einen ausserordentlichen und für die Beurteilung der Risiken von PAL-Schuldtitel irrelevanten Sonderfall ansehen. Ansteigende Risikoprämien nach einem Austritt würden dann sehr wohl die wirtschaftlichen Bedingungen im PAL sowie die Ewartung derer zukünftigen Entwicklung widerspiegeln. Sie würden jedoch kaum eine zusätzliche Komponente aufgrund eines manifesten Defaults enthalten.

    Somit wäre es für ein Targetüberschussland naheliegend, die Implementierung von Mechanismen zur Begrenzung der Höhe der Targetsalden zu fordern. (Grundsätzlich scheint ein solcher Mechanismus möglich zu sein. Beispielsweise partizipieren fünf Nicht-Euro Länder – Bulgarien, Dänemark, Kroatien, Polen, Rumänien an TARGET2 unter der Beschränkung, dass sie keine TARGET-Verbindlichkeiten aufbauen dürfen.) Aber auch wenn hierfür ein ernsthafter politische Wille existierte: warum sollte ein PAL dem zustimmen? Wenn überhaupt könnte derartiges nur gegen (vielleicht erhebliche) Zugeständnisse von einem PAL erwirkt werden – sei es in der Gestaltung der Wirtschafts- und Finanzmarktbeziehungen in der Eurozone oder sei es in anderen europäischen Politikfeldern. Haben sich erst einmal Targetsalden in großer Höhe aufgebaut, ist eine einvernehmliche Reform des Systems kaum mehr möglich. Das ist die Target-Falle, auf die Herr Sinn verweist.

    Ich frage mich allerdings, ob die Drohung, Target-Verbindlichkeiten nach einem Austritt nicht zu bedienen, überhaupt relevant ist, aber der folgende Gedanke hierzu ist bei weitem nicht ausgegoren. Trotzdem stelle ich ihn hier zur Debatte. Nach einem Austritt würde das austretende Land abwerten. Ich nehme an, dass ein Austritt nur aus der Währungsunion nicht jedoch auch aus der Europäischen Union erfolgte. Damit sollten Kapitalverkehrskontrollen nach einem Austritt allenfalls temporären Charakter haben, um die Übergangsturbulenzen eines solchen Szenarios abzumildern. Eine dauerhafte Beschränkung des Kapitalverkehrs wäre wohl mit EU-Recht unvereinbar. Damit sollte es aber den Wirtschaftsakteuren in den in der Währungsunion verbleibenden Ländern möglich sein, nach einer Abwertung reale Vermögenstitel im PAL zu recht günstigen Preisen zu erwerben. Auch Güter aus dem PAL wären dann billig zu haben. Target-Forderungen und Verbindlichkeiten als Forderungen und Verbindlichkeiten in der Zahlungsbilanz stellen das Spiegelbild der vergangenen Kapitalflucht der Privaten aus dem PAL dar. Man kann sie daher zumindest teilweise auch als Ausdruck einer aufgestauten Abwertung ansehen. Wäre dieser Effekt aus der Abwertung des PAL nicht bereits als eine Kompensation für die Target-Forderungen der verbleibenden Länder anzusehen, auch wenn das PAL seine Target-Verbindlichkeiten nicht explizit honorierte?

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