Gastbeitrag
Warum die Soziale Marktwirtschaft ins Grundgesetz gehört

Wir sollten Kevin Kühnert dankbar sein. Sein Vorstoß zur Verstaatlichung von Unternehmen und für Enteignungen von Grund und Boden zeigt deutlich, was alles im Rahmen der Verfassung möglich ist. Denn Kühnert kann sich dabei auf das Grundgesetz berufen, das in Art. 15 ausdrücklich solche Schritte erlaubt. Dagegen steht von Marktwirtschaft darin kein Wort – das wäre vor 70 Jahren im Parlamentarischen Rat wohl auch nicht durchsetzbar gewesen. Man wollte sich nicht festlegen zwischen Sozialismus und Marktwirtschaft und hat die Verfassung entsprechend unbestimmt gelassen. Die Soziale Marktwirtschaft ist deswegen derzeit nicht viel mehr als eine Tradition. Sie könnte jederzeit durch ein sozialistisches Wirtschaftssystem a la DDR ersetzt werden – mit einfacher Mehrheit des Bundestages.

Inzwischen haben wir aber reichlich praktische Erfahrungen mit beiden Wirtschaftsordnungen gemacht. Die historische Bilanz geht dabei eindeutig zugunsten der Sozialen Marktwirtschaft aus. Während Osteuropa unter der sozialistischen Knute in Armut und Unfreiheit geriet, erblühten in Westdeutschland Wohlstand und Freiheit. Selbst die Finanzkrise hat Deutschland viel besser überstanden als praktisch alle anderen Industrieländer. Dank guter sozialer Absicherung und kluger Instrumente wie Kurzarbeit und Kündigungsschutz war unser Arbeitsmarkt davon nur wenig betroffen – ganz anders als in den viel kapitalistischeren USA, wo die Krise im Übrigen auch entstanden war.

Trotz ihres unbestreitbaren Erfolges hat die Zustimmung zur Sozialen Marktwirtschaft in den letzten Jahren stark gelitten. Nur noch eine Minderheit der Bürger hält sie für die beste Wirtschaftsordnung, während alte Sozialismusutopien wieder Auferstehung feiern. Auch die Politik regiert immer direkter in die wirtschaftlichen Entscheidungen hinein: Mindestlöhne, Höchstmieten, massive Planwirtschaft im Umweltschutz und neuerdings sogar Enteignungen – nichts ist mehr tabu. Damit aber erodieren die Grundprinzipien der Marktwirtschaft, der wir alle unseren Wohlstand und nicht zuletzt auch unsere Freiheit verdanken. Deshalb gehört die Marktwirtschaft ins Grundgesetz, so wie sie heute schon in einigen Landesverfassungen und in den Europäischen Verträgen verankert ist. Auch im deutsch-deutschen Einigungsvertrag wurde sie ausdrücklich und mit guten Gründen aufgenommen.

Dieser Vorschlag wird inzwischen von über 40 Ökonomen in einer von mir gegründeten Initiative unterstützt, unter ihnen so prominente Namen wie Hans-Werner Sinn, Gabriel Felbermayr, Roland Berger, Hermann Simon und Jürgen Stark, um nur einige zu nennen. Konkret schlagen wir vor, den bisherigen Artikel 15 durch einen einzigen schlichten Satz zu ersetzen: „Bund, Länder und Kommunen sind in ihren wirtschaftspolitisch relevanten Entscheidungen und Maßnahmen grundsätzlich den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft verpflichtet.“ Damit wäre Kevin Kühnert nicht automatisch ein Verfassungsfeind, er dürfte natürlich weiter für eine andere Wirtschaftsordnung werben. Aber er könnte diese nicht mehr mit einfacher Mehrheit durchsetzen.

Es gibt Gegner unseres Vorschlags durchaus auch im liberalen Lager. Ihre Argumente sind respektabel, aber teilweise widersprüchlich und am Ende wenig überzeugend. Zum einen wird behauptet, die Soziale Marktwirtschaft sei durch die Grundrechte des Eigentums und der freien Entfaltung der Persönlichkeit indirekt ohnehin bereits im Grundgesetz verankert. Ihre ausdrückliche Erwähnung sei also unnötig. Andere bemängeln, die Festlegung auf nur ein Wirtschaftssystem sei undemokratisch und illiberal. Ein drittes Argument lautet, der Begriff Soziale Marktwirtschaft sei rechtlich zu unbestimmt und letztlich beliebig interpretierbar, möglicherwiese sogar im sozialistischen Sinne. Dann aber hätte man mit der Einfügung ins Grundgesetz ein Eigentor geschossen.

Offensichtlich passen diese Argumente nicht recht zueinander. Wenn Marktwirtschaft z.B. wirklich nur ein „Wieselwort“ wäre, würde sie ja die Wahl zwischen verschiedenen Wirtschaftsordnungen nicht einengen. So ist es aber nicht, denn Marktwirtschaft ist durch die auf Walter Eucken zurückgehenden Prinzipien viel genauer definiert als mancher andere Begriff im unserer Verfassung. Keineswegs alle Fundamente einer Marktwirtschaft sind aber bisher explizit im Grundgesetz enthalten, es fehlen z.B. knappheitsbestimmte Preise, stabile Währung, individuelle Haftung und Vertragsfreiheit.  Selbst das Eigentumsrecht wird in Art 14 und 15 so stark relativiert, dass es in der Praxis bis zur Unkenntlichkeit ausgehöhlt werden kann. So etwa beim vermieteten Wohnraum, wo die wesentlichen Eigentumsrechte inzwischen faktisch auf den Mieter übertragen wurden, während der Vermieter weiterhin alle Kosten und Pflichten hat. Das ist in einer demokratischen Gesellschaft nicht überraschend, denn es gibt viel mehr Mieter als Vermieter unter den Wählern. Langfristig führt eine solche Politik aber in die staatliche Wohnungsbewirtschaftung und damit in eine permanente Mangelwirtschaft.

Es ist gerade die Aufgabe einer Verfassung, solche populistischen und langfristig schädlichen Entscheidungen der Tagespolitik zumindest zu erschweren. Deshalb kann sie auch nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit verändert werden, und darum haben wir ein Bundesverfassungsgericht, das den Politikern notfalls auf die Finger klopft. Die Versuchung, zugunsten kurzfristiger Wahlerfolge gegen bewährte Grundsätze zu verstoßen, ist nämlich immer gegeben. Wir brauchen deshalb Verfassungsschranken, um ein einigermaßen nachhaltiges Regieren politisch überhaupt zu ermöglichen. Diesem Zweck dienen z.B. auch Fiskalregeln wie Art. 115 und Art. 109 und der 1994 mit Art. 20a eingefügte Umweltschutz im Grundgesetz. Und das ist auch die Begründung zur Einfügung wirtschaftspolitischer Grundsätze in die Verfassung, deren Nicht-Beachtung nach aller historischer Erfahrung langfristig beträchtlichen Schaden anzurichten droht.

Die Soziale Marktwirtschaft ist wie kein anderer Begriff dazu geeignet. Sie schließt einerseits Extreme wie eine neue DDR-Wirtschaft oder „Turbokapitalismus“ sicher aus. Andererseits ist sie aber flexibel genug, um ein hohes Maß von sozialem Ausgleich und staatlicher Einflußnahme zu erlauben. Selbst der „demokratische Sozialismus“, so wie er im Hamburger Programm der SPD verankert wurde, ist mit ihr vereinbar. Ein radikaler Systemwechsel im Sinne von Kühnert wäre es dagegen sicher nicht. Ihn im Grundgesetz auszuschließen, ist gerade nicht illiberal, im Gegenteil. Denn aller Erfahrung nach bleibt nach dem Verlust der wirtschaftlichen Freiheit auch die politische Freiheit nicht mehr lange erhalten.

Blog-Beiträge zum Thema:

Charles B. Blankart: 70 Jahre Grundgesetz

Renate Ohr: Gehört die Wirtschaftsordnung in die Verfassung?

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