Der amerikanische „Dealmaker“
Warum läuft Donald Trump handelspolitisch Amok?

„Protektionismus ist wie ein Heizlüfter in einem Iglu. Erst wird es wärmer und behaglicher, dann bricht einem das Dach über dem Kopf zusammen.“ (Daniel Trefler)

Die Welt hat sich auch nach fast zwei Jahren der Präsidentschaft nicht an Donald Trump gewöhnt. Sein Politikstil ist unkonventionell, sein Verhalten rüpelhaft, seine Kommunikation ungewöhnlich. Alte Freunde und enge Verbündete stößt er vor den Kopf, autokratische Präsidenten hofiert er, internationale Verträge kündigt er. Seine tagtäglichen auf Twitter geäußerten Meinungen sind volatiler als die Wechselkurse. Was er heute twittert, ist morgen obsolet und übermorgen wieder anders. Das alles ist aber populistische Folklore. Für bare Münze nehmen muss man das nicht. Ernst nehmen sollte man allerdings seine Leitidee: „America first“. Dabei spielt die Handelspolitik eine wichtige Rolle. Er schreckt einerseits nicht vor protektionistischen Aktivitäten zurück. Da ist er allerdings ganz in der Tradition vieler seiner Vorgänger im Amt. Andererseits hat er im letzten Treffen mit Jean-Claude Juncker, dem Präsidenten der EU-Kommission, völlig überraschend versprochen, gemeinsam am weltweiten Freihandel und einer Reform der WTO zu arbeiten.

Warum handelt Donald Trump so?

Donald Trump regiert in einem zutiefst gespaltenen Land. Die Einkommen sind sehr ungleich verteilt. Im letzten Vierteljahrhundert gewannen einige wenige besonders viel. Die Einkommen der Anderen stagnierten oder gingen sogar real zurück. Auch die eher defensive staatliche Umverteilung konnte die wachsende Ungleichheit nur bedingt verringern. Markt- und Nettoeinkommen haben sich ungleicher entwickelt als anderswo in reichen Ländern. Aber auch die Vermögen sind in den USA sehr ungleich verteilt. Der Gini-Koeffizient liegt bei 0,9. Einige wenige verfügen über den Großteil des Vermögens. Das alles hat die Amerikaner in der Vergangenheit nicht sehr gestört. Der Glaube an eine hohe soziale Mobilität gab ihnen die Hoffnung, dass sie selbst oder zumindest ihre Kinder sozial aufsteigen werden. Diese Hoffnung hat getrogen. Die generativen und inter-generativen Aufstiegschancen sind geringer als in vergleichbaren Ländern. Der amerikanische Traum in den USA ist längst geplatzt, er lebt heute vor allem in den skandinavischen Ländern.

Der Widerstand gegen das Establishment in Washington speist sich aber auch aus dem strukturellen Wandel des Landes. Die ehemals wohlhabende Mittelschicht zählt seit über zwei Jahrzehnten zu den Verlierern. Sie war vor allem im industriellen, gewerkschaftlich stark organisierten Sektor beschäftigt. Es handelt sich vor allem um weiße Männer. Dieser Sektor hat im sektoralen Strukturwandel besonders gelitten. Seit Anfang der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts hat er über ein Drittel der Arbeitsplätze verloren. Im Dienstleistungssektor wurden zwar ausreichend neue Arbeitsplätze geschaffen. Gewinner sind vor allem Frauen, die Verlierer primär männliche Industriearbeiter. Die inter-sektorale Mobilität reicht auch in den USA nicht aus, für einen mehr oder weniger reibungslosen sektoralen Übergang zu sorgen. Die mittelschichtigen, männlichen Verlierer des „rust belt“ haben Donald Trump gewählt. Ihnen hat er im Wahlkampf versprochen, die Zeit zurückzudrehen und die verlorenen Arbeitsplätze wieder zurückzuholen.

Treibt der „rust belt“ die Handelspolitik?

Der amerikanische Präsident ist der Meinung, am Niedergang des industriellen Sektors trage das Ausland eine gehörige Mitschuld. Mit unfairen Handelspraktiken – hohe Einfuhrzölle, nicht-tarifäre Handelshemmnisse, Subventionen –  stehle es haufenweise amerikanische Arbeitsplätze. Die schlimmsten seien die Chinesen, aber auch die Europäer, allen voran die Deutschen, seien nicht viel besser. Das ist, wie vieles bei Donald Trump, zwar nicht ganz falsch. Ein Teil der Arbeitsplatzverluste im industriellen Sektor geht tatsächlich auf das Konto chinesischer Konkurrenten. Empirische Studien des MIT-Ökonomen David Autor sind da für die USA eindeutig. Das ist aber nur der kleinere Teil. Der viel größere geht auf das Konto des technischen Fortschritts. Er ersetzt immer öfter Routinetätigkeiten durch Maschinen. Das trifft vor allem geringqualifizierte Arbeitnehmer, aber auch besser Qualifizierte der alten Mittelschicht bleiben davon nicht verschont. Es waren also weniger die Chinesen als die Roboter, die amerikanische Arbeitsplätze des „rust belt“ eindampften.

Donald Trump begeht allerdings zwei Fehler, wenn er die „Unfairness“ des Auslandes am Defizit der amerikanischen Handelsbilanz misst. Die Handelsbilanz der USA gegenüber der EU ist defizitär, unbestritten. Allerdings weisen die USA einen Überschuss in der Dienstleistungsbilanz auf. Dieser Überschuss wird durch amerikanische Erträge aus Kapitalanlagen in der EU (Primäreinkommen) noch verstärkt. Alles zusammen trägt dazu bei, dass die USA einen leichten Überschuss in der Leistungsbilanz gegenüber der EU haben. Darauf hat der Ifo-Ökonom Gabriel Felbermayr hingewiesen (hier). Dennoch hat Donald Trump einen Punkt. Es ist unbestritten, dass die EU sich im Güterhandel protektionistischer gebärdet als die USA. Der handelsgewichtete Zoll der EU lag 2015 bei 3 %. Die USA sind offener. Ihr Satz liegt bei 2,4 %. Ein wichtiger tarifärer Treiber ist in beiden Ländern der Agrarsektor. Aber auch hier gilt: Die USA sind weit weniger protektionistisch als die EU. Der handelspolitische Unfug von Donald Trump kommt der Politik in Europa und Brüssel gerade recht. Er wird zum Sündenbock, um von eigenem Protektionismus abzulenken.

Auch wenn die USA gegenüber der EU kein Defizit in der Leistungsbilanz aufweisen, weltweit trifft dies nicht zu. Ihr Defizit gegenüber der Welt ist beträchtlich. Dazu tragen der chinesische Staatskapitalismus und „China first“ mit bei. Der chinesische Protektionismus ist sein langem ein Ärgernis, nicht nur für die USA. Auch hier hat Donald Trump einen Punkt. Allerdings entsteht das Defizit in der amerikanischen Leistungsbilanz vor allem in den USA selbst. Es beruht weniger auf unfairen Handelspraktiken des Auslandes. Das ist der zweite Fehler, den Donald Trump in seiner Analyse macht. Die hohen Defizite beruhen zum einen darauf, dass die Ersparnisse in den USA die inländischen Investitionen schon lange nicht mehr finanzieren können. Sie sind zu gering. Daraus erwächst kein politischer Handlungsbedarf, wenn ausländische Kapitalgeber die Lücke schließen. Die jährlichen Leistungsbilanzdefizite sind zum anderen auch das Ergebnis einer hohen staatlichen Verschuldung in den USA. Donald Trump hat sie gerade noch einmal mit einer expansiven US-Haushaltspolitik zur konjunkturellen Unzeit verstärkt. Das amerikanische Leistungsbilanzdefizit ist zu einem erheblichen Teil hausgemacht.

Was will Trump handelspolitisch?

Der amerikanische Präsident irrt, wenn er glaubt, Arbeitsplätze, die im Industriesektor in den letzten Jahrzehnten verloren gingen, mit protektionistischen Mitteln wieder zurückholen zu können. Es mag ja sein, dass in der geschützten Branche der eine oder andere Arbeitsplatz zurückkommt, temporär. Umkehren lässt sich der Strukturwandel aber nicht. Gegen das ökonomische Gesetz hat politische Macht keine Chance (Böhm-Bawerk). Es ist ein grober Fehler zu glauben, Handelskriege lassen sich leicht gewinnen. Man kann sie auch verlieren (hier). In Zeiten, in denen weltweit vor allem Endprodukte gehandelt wurden, waren die Chancen größer, Arbeitsplätze temporär zurückzubringen, wenn man es handelspolitisch geschickt anstellte. Meist ging es aber schief. Die strategische Handelspolitik ist nicht praxistauglich. Aber die Welt hat sich verändert. Heute werden Wertschöpfungsketten weltweit optimiert. Es werden vor allem Zwischenprodukte gehandelt. Die Gefahr ist groß, dass sich der Protektionist sogar kurzfristig selbst schadet. Vollends kontraproduktiv wird Protektionismus, wenn das Ausland mit Vergeltung antwortet. Dann gewinnt niemand, nicht mal kurzfristig. Alle verlieren, die einen mehr, andere weniger.

Donald Trump streut der Welt freihändlerischen Sand in die Augen. Er versuche nur, unfaire Handelspraktiken der Anderen zu eliminieren. Ziel sei weltweiter Freihandel: „No tariffs, no barriers, no subsidies“. Tatsächlich ist ihm an weltweit freiem Handel nicht gelegen. Er denkt zutiefst merkantilistisch. Am liebsten wären ihm als ehemaligem Unternehmer möglichst hohe Leistungsbilanzüberschüsse der USA mit allen Ländern. Da stört allerdings Freihandel. Er will bilaterale Deals, keinen handelspolitischen Multilateralismus. Damit setzt er eine schlechte amerikanische Tradition fort. Die USA sabotieren seit Anfang der 90er Jahre die Doha-Runde und behindern die WTO wo sie können. Die Zeiten, in denen sie das öffentliche Gut „Welthandelsordnung“ quasi im Alleingang produzierten, sind lange vorbei. Als weltwirtschaftlicher Gigant war die Pax Americana für die USA ein lohnendes Geschäft (hier). Heute sind die USA ein schrumpfender Gigant (Jagdish Bhagwati). Als immer noch großer Spieler setzen sie auf bilaterale Vereinbarungen. Ihre wirtschaftliche Macht reicht meist aus, ihren handelspolitischen Willen durchzusetzen. An China und der EU könnte sich Donald Trump aber die Zähne ausbeißen.

Wie sollte man Trump antworten?

Die Ökonomen sind, wie fast immer, uneins, wie die Politik auf die Trump’sche Handelspolitik reagieren sollte. Der Mainstream setzt auf harte Vergeltung, eine liberale Minderheit auf unilaterale Öffnung. Das Kalkül der Vergeltungsaktivisten hat eine spieltheoretische Basis. Sie handeln nach der Maxime „Wie du mir, so ich dir“. Danach bewegt erst die „Strafe“ der Anderen die Protektionisten, sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Das sei aber eine wichtige Voraussetzung für eine Rücknahme protektionistischer Maßnahmen. Die Chinesen und Europäer sind in den Handelskrieg („tit for tat“) mit den USA eingestiegen. Der birgt allerdings die große Gefahr zu eskalieren. Er ist verlustreich, für die einen mehr, für andere weniger. Die Gefahr ist deshalb groß, dass sich die Länder auseinander dividieren lassen. Der vom amerikanischen Botschafter in Deutschland ins Spiel gebrachte „Autodeal“ zeigt, wohin die Reise geht. Dann ist allerdings der Weg für (sektorale) bilaterale Deals frei. Das ist aber das Ziel der USA.

Viele liberale Ökonomen, die auf Freihandel setzen, wollen sich erst gar nicht auf einen Handelskrieg mit den USA einlassen. Sie plädieren dafür, einseitig protektionistisch abzurüsten (hier). Es muss ja nicht gleich gelten: „Null Zölle, null Barrieren, null Subventionen“. Niedrigere Handelshemmnisse täten es für den Anfang auch. Frederic Bastiat, ein französischer Ökonom und Politiker des 19. Jahrhunderts, wies darauf hin, dass es keinen Sinn mache, seine eigenen Hochseehäfen mit Felsbrocken zu blockieren, weil andere Länder nur Felsküsten hätten. Eine unilaterale handelspolitische Abrüstung täte der ökonomischen Effizienz gut, national und international. Die EU und China könnten sich nicht länger hinter hohen protektionistischen Mauern verstecken. Der amerikanische Präsident Donald Trump würde unter Druck gesetzt, seine protektionistischen Maßnahmen zurückzunehmen. Realistisch ist das allerdings nicht. Die Agrarlobbyisten in Berlin und Paris haben schon mal verlauten lassen, dass ein solcher Abbau nicht in Frage käme.

Fazit

Donald Trump, das handelspolitische“ enfant terrible“ hat einen Handelskrieg an mehreren Fronten vom Zaun gebrochen. Vor allem die Handelspolitiken der Chinesen und Europäer sind ihm ein Dorn im Auge. Tatsächlich haben beide handelspolitisch Dreck am Stecken. Sie verstecken sich hinter hohen protektionistischen Mauern. Da hat Donald Trump völlig recht. Es mit einer Strategie der verzögerten amerikanischen Vergeltung auf den chinesischen und europäischen Protektionismus zu versuchen, verspricht aber wenig Erfolg. So hält er den Strukturwandel in den USA nicht auf. Die Arbeitsplätze sind weg und kehren auch nicht wieder. Aber er muss zuhause dringend etwas tun, wenn er von den Verlierern des Strukturwandels wiedergewählt werden will. Er hat sich für die Handelspolitik entschieden; keine glückliche Wahl. Handelspolitisch können die USA und ihre „foes“ das Gesicht nur wahren, wenn beide Seiten protektionistisch abrüsten. Dabei geht multilateral vor plurilateral und bilateral. „TTIP light“ wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung. Donald Trump könnte aber auch zuhause seinem merkantilistischen Fetisch „Leistungsbilanz“ (hier) huldigen, mit mehr inländischen Ersparnissen und weniger staatlicher Verschuldung.

Blog-Beiträge zum Thema:

Norbert Berthold: Kippt Donald Trump das “Geschäftsmodell Deutschland”? Leistungsbilanz, Protektionismus, Transferunion und Populisten

Norbert Berthold: Trumponomics. Angriff auf die Grundfesten der Ökonomie

Norbert Berthold: Die Voodoo-Ökonomie des Donald Trump. Keynesianismus, Protektionismus und antimexikanischer Schutzwall

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert