Die Rentenpolitik birgt viel inter-generativen Sprengstoff in sich. Fakt ist: In der Gesetzlichen Rentenversicherung kommen immer weniger Beitragszahler auf einen Rentner. Doch wer trägt die demographischen Lasten? Hinzu kommt, dass die GRV auch viele versicherungsfremde Leistungen finanziert – beispielsweise die Erwerbsminderungsrente, die Mütterrente und womöglich irgendwann auch eine Mindestrente.
Wenn man diese Aufgaben bei der GRV richtig angesiedelt sieht, ist eine teilweise Steuerfinanzierung die logische Konsequenz. Im vergangenen Jahr waren es rund 90 Milliarden Euro. Spätestens im Jahr 2020 könnte die 100-Milliarden-Grenze überschritten werden. Die Ökonomen Gustav A. Horn und Gert G. Wagner sind unterschiedlicher Meinung, ob diese Entwicklung richtig ist.
Pro: Prof. Dr. Gustav Horn
Prof. Dr. Gustav A. Horn ist wissenschaftlicher Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung und Professor an der Universität Duisburg-Essen. Zuvor war er am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin tätig.
Hauptargumente
Die gesetzliche Rentenversicherung ist eine große zivilisatorische Errungenschaft. Schließlich wird durch sie garantiert, dass das soziale Risiko Alter, in dem der Einzelne seinen Lebensunterhalt nur noch schwerlich selbst erwirtschaften kann, bis zu einem gewissen Grad von allen Beschäftigten getragen wird.
Probleme
Das „bis zu einem gewissen Grad“ ist Gegenstand der hier ausgetragenen Kontroverse, denn dieses muss im Lichte aktueller Aufgabenzuweisungen immer wieder neu verhandelt werden. Zu unterscheiden ist dabei zwischen den originären Risiken des Alterns, die durch die Versicherung abgedeckt sein sollen, und sogenannten versicherungsfremden Leistungen, bei denen die Rentenversicherung andere, meist soziale Aufgaben übernimmt. Letztere gilt es durch Steuerzahlungen an die GRV zu finanzieren.
Wider die Argumente der Gegner
Prominente Beispiele sind die Rente für Hinterbliebene, der abschlagsfreie vorzeitige Rententritt und die Rentenansprüche Ostdeutscher von vor der Vereinigung. Volker Meinhardt beziffert die Kosten dieser Leistungen auf mittlerweile über 113 Mrd. €. Der Bund überweist bereits jetzt 64 Mrd. € an die GRV; bleibt eine Differenz von 49 Mrd. €. Genau dieser Betrag wird derzeit von den Beitragszahlern bezahlt, obwohl sie eigentlich nicht das Risiko Alter abdecken, sondern allgemeine soziale Belange adressieren.
Politikvorschläge
Hier ist die gesamte Gesellschaft gefragt und damit die Steuerzahler mit höheren Steuersätzen. Auf diese Weise ließen sich gleichzeitig die Beiträge zur Rentenversicherung um etwa vier Prozentpunkte senken. Das käme insbesondere Niedrigverdienern zu Gute, die keine Steuern zahlen. Eine verstärkte Steuerfinanzierung der Rente wäre somit auch ein Programm gegen Ungleichheit.
Contra: Prof. Dr. Gert G. Wagner
Prof. Dr. Dr. h.c. Gert G. Wagner ist Max Planck Fellow am MPI für Bildungsforschung in Berlin und Senior Fellow am DIW Berlin. Er ist Mitglied im Sachverständigenrat für Verbraucherfragen und Vorsitzender des Sozialbeirats der Bundesregierung. Gert Wagner gibt hier seine persönliche Meinung wieder.
Hauptargumente
Bereits mehr als ein Viertel der GRV-Ausgaben werden durch einen steuerfinanzierten „Bundeszuschuss“ getragen – Tendenz steigend. Damit werden, zumindest idealtypisch, nicht-versicherungsgemäße GRV-Ausgaben finanziert. Sobald das nicht mehr zutreffen würde, wird durch die Steuerfinanzierung das Äquivalenzprinzip ausgehebelt, das demjenigen eine entsprechend höhere Rente garantiert, der im Laufe seines Arbeitslebens mehr Beiträge einzahlt. Nur Umverteilungsmaßnahmen sollten prinzipiell über das Steuersystem laufen.
Probleme
Durch einen höheren Bundeszuschuss werden die Eigentumsrechte der Beitragszahler und künftigen Rentner geschwächt. Während Eingriffe in die Struktur der durch Beiträge erworbenen Rentenanwartschaften nur schwer möglich sind, können steuerfinanzierte Rentenleistungen mit einem Federstrich des Gesetzgebers geändert werden. Angesichts der Bevölkerungsalterung sind eher Kürzungen zu erwarten, statt steuerfinanzierte Erhöhungen.
Wider die Argumente der Gegner
Häufig wird argumentiert, dass die aufgrund der Demographie absehbaren GRV-Finanzierungsprobleme nicht allein den Beitragszahlern aufgebürdet werden sollten. Auch ein steuerfinanzierter Ausbau der Mindestsicherung sei sinnvoll, in dem man Kapital und Maschinen stärker für die Finanzierung heranziehe. Das erste Argument ist schwer zu begründen, beim zweiten gilt, dass die oben beschriebene Nebenwirkung der Schwächung der Eigentumsrechte bedacht werden sollte.
Politikvorschläge
Man sollte eine maßvolle Erhöhung des Bundeszuschusses nicht komplett ausschließen – aber nicht pauschal, sondern um auch Niedrigverdienern eine akzeptable Rente zahlen zu können. Darüber hinaus ist ein massiv höherer Bundeszuschuss polit-ökonomisch nicht im Interesse der Rentner.
Hinweis: Pro & Contra wurde zusammengestellt von Jörg Rieger, Würzburg. Es erschien in Heft 11 (2018) der Fachzeitschrift WiSt.