Gastbeitrag
Die Wahrnehmung wissenschaftlicher Politikberater erfolgt in Lagern

Linke Politiker, so wird behauptet, berufen sich gerne auf Wirtschafts- und Sozial-Wissenschaftler, die Verteilungsfragen bearbeiten, und liberal-konservative Politiker beriefen sich gerne auf marktliberal oder ordnungspolitisch orientierte Ökonomen und Juristen. Freilich sollte wissenschaftliche Politikberatung nicht mit Meinungen und Werturteilen operieren, sondern unvoreingenommen evidenzbasierte Erkenntnisse der Politik und der Öffentlichkeit vermitteln. Das ist aber nicht leicht, da zum einen Politiker und Medien Interesse daran haben können, dass bestimmte Erkenntnisse von den Wissenschaftlern selbst positiv oder negativ bewertet werden. Und auch Wissenschaftler versuchen immer wieder, ihre eigene Meinung zu transportieren: an die Politik und an die Öffentlichkeit. Selbst wenn Wissenschaftler mit reinen Meinungsäußerungen zurückhaltend sind, beruhen ihre Aussagen schlussendlich auf Werturteilen. Sie müssen in ihren Modellen theoretische Annahmen treffen und auch die Auswahl von Forschungsfragen beruht notwendigerweise auf vor-wissenschaftlichen Werturteilen. Deswegen ist es nicht erstaunlich, dass von der Politik Wissenschaftler unterschiedlich gerne gesehen und gehört werden.

In der Berichterstattung über Ökonomen schwingt wiederum des Öfteren eine gewisse Zuordnung in Schemata wie arbeitgeber-arbeitnehmernah oder auch gelegentlich links-marktliberal mit. Dies betrifft insbesondere die Ökonomen, die neben ihrer Forschungstätigkeit auch wissenschaftliche Politikberatung betreiben und sich an der öffentlichen Debatte beteiligen. Aber diese Zuordnung wird nicht oft genug explizit ausgesprochen, um eine belastbare empirische Untersuchung auf Basis zum Beispiel der Medienberichterstattung durchzuführen.

Auch sind öffentlich ausgetragene Grundsatzdebatten zwischen Ökonomen, die eine Zuordnung von Ökonomen in Lager erlauben würden, in Deutschland eher selten. Zu Tage treten sie gelegentlich, wenn es z.B. um den Euro bzw. die Europäischen Zentralbank geht. So warnten am 21. Mai 2018 auf eine Initiative von Dirk Meyer, Thomas Mayer, Gunther Schnabl und Roland Vaubel 154 Wirtschaftsprofessoren in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung davor, die europäische Währungs- und Bankenunion noch weiter zu einer Haftungsunion auszubauen. Der Widerspruch, u.a. von Marcel Fratzscher und Jan Pieter Krahnen ließ nicht lange auf sich warten.

Empirisch gezeigt wurde die Beliebtheit von Gruppen von (Wirtschafts)Wissenschaftlern in der Politik allerdings bislang nicht systematisch – nicht zuletzt, weil die Wissenschaftscommunity kaum Interesse daran hat, sich den Spiegel vorzuhalten und zu erkennen, welchen weltanschaulichen Lagern einzelne Wissenschaftler zugeordnet werden. Mit dem vorliegenden Beitrag wagen wir einen Versuch, uns der Verortung von Ökonomen anhand der Nähe zu ihren Fachkollegen und zu Wissenschaftlern anderer Disziplinen anzunähern indem wir empirisch untersuchen, wie Ökonomen von Entscheidungsträgern in der Politik gesehen werden. Hierbei greifen wir auf die Daten der Umfragen unter Ministerialbeamten und Parlamentariern in den Jahren 2014 bis 2018 zurück, die jährlich für die Erstellung des FAZ-Ökonomen-Rankings durchgeführt wird. Den Ministerialbeamten und Parlamentariern wird die Frage gestellt, welche Ökonomen sie aufgrund deren Rat oder Publikationen am meisten für ihre Arbeit schätzen.  Wir gehen davon aus, dass die Befragten, die bis zu fünf Ökonomen nennen konnten, mit einer höheren Wahrscheinlichkeit solche gemeinsam nennen, bei denen sie eine gewisse Nähe zueinander und wahrscheinlich auch zu sich selbst sehen. Daher werten wir die Umfragedaten netzwerkanalytisch aus und bilden auf dieser Basis Cluster von weltanschaulich als ähnlich eingeschätzten politikberatenden Ökonomen.

Um zu sehen, ob aus Sicht der Politik bestimmte Lager von Wissenschaftlern eine Rolle spielen, analysieren wir, welche Namen Ministerialbeamte und Abgeordnete nennen, die im Rahmen der FAZ-Ökonomenrankings gefragt werden, welche Ökonomen und weitere Wissenschaftler  sie „am meisten für ihre Arbeit schätzen.“ Jeder Befragte darf jeweils fünf Namen nennen und eine Rangfolge bilden, indem Punkte vergeben werden: 5 für den wichtigsten Wissenschaftler, 1 Punkt für den fünft-wichtigsten Wissenschaftler. Der „Score“ für einen Wissenschaftler ergibt sich aus der Summe aller erhaltenen Punkte. Wir werten die Jahre 2014 bis 2018 gemeinsam aus, um eine ausreichend hohe Zahl von Antworten zu haben. Insgesamt haben wir für die analysierten Jahre Angaben von 487  Antwortenden.

Um die Auskunftsbereitschaft nicht zu gefährden, wurden die Beamten und Politiker bewusst nicht nach ihrer politischen Ausrichtung gefragt. Auf Basis einer „empirischen Netzwerkanalyse“ wurde sodann berechnet, welche Namen häufig gemeinsam genannt werden und wer im Zentrum verschiedener Namens-Cluster liegt. Die Abbildung zeigt diese Verbindungen an.

claschabb1

– zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken –

Betrachtet man die Daten genauer, dann zeigen sich lediglich zwei Cluster von Ökonomen, die wirklich oft genannt werden (Tabelle 1).  An der Spitze des Clusters, das Ökonomen enthält, die besonders oft genannt werden und auch die stärksten Verbindungen zu anderen Clustern haben, stehen der aktuelle und der vormalige Präsident des ifo Instituts in München, Clemens Fuest und Hans-Werner Sinn, verbunden mit Ökonomen wie Lars P. Feld, Michael Hüther und Christoph M. Schmidt.

claschabb1

– zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken –

Das zweite Cluster wird von Marcel Fratzscher angeführt, verbunden mit Peter Bofinger, Gustav A. Horn, Claudia Kemfert und Heiner Flassbeck. Vier der fünf Genannten sind oder waren mit dem DIW Berlin verbunden (Flassbeck, Fratzscher, Horn und Kemfert). Interessant mag sein, dass ein fünfter Mitarbeiter des DIW und zugleich einer der Autoren des vorliegenden Beitrags, Gert G. Wagner, nicht zu diesem Cluster gehört, sondern ein „eigenes“ Mini-Cluster anführt, dem aus Sicht der Politik weitere dezidiert empirisch ausgerichtete Ökonomen wie Holger Bonin oder Ludger Wößmann angehören. Dieses Cluster wird im Vergleich zu den beiden Spitzenclustern aber ungleich seltener genannt.

Die dominierenden zwei Netzwerke zeigen unseres Erachtens deutlich, dass es aus Sicht von Ministerialbeamten und Politikern zwei klar getrennte einflussreiche Lager von Ökonomen gibt. Zum einen ein als wirtschafts- und arbeitgebernah anzusehendes „marktliberales“ Lager. Zum anderen ein als staats- und arbeitnehmernahe anzusehendes „linkes“ Lager.

Dass die beiden Spitzen-Cluster für unterschiedliche politische Interessen vereinnahmt werden, kann man noch besser erkennen, wenn man die Nicht-Ökonomen betrachtet, die im Zusammenhang mit diesen Clustern genannt werden (Tabelle 2). Zusammen mit dem Cluster „Fuest“ werden an erster Stelle Staatsrechtler und Politikwissenschaftler wie etwa Udo di Fabio, Paul Kirchof und Herfried Münkler genannt. Während das Cluster „Fratzscher“ stärker zusammen mit Politikwissenschaftlern und Soziologen wie etwa dem Armutsforscher Christoph Butterwege oder der empirisch arbeitenden Soziologin Jutta Allmendinger genannt wird. Allmendinger ist im Übrigen die einzige Nicht-Ökonomin, die in beiden Clustern „Fuest“ und „Fratzscher“ eine Rolle spielt.

claschabb1

– zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken –

Wichtig bleibt an dieser Stelle zu betonen, dass die Ergebnisse lediglich aussagen, wie die genannten Wissenschaftler von Ministerialbeamten und Parlamentariern wahrgenommen werden und nicht wie die Wissenschaftler sich selbst einordnen würden. Mache von ihnen mögen sich ihrer zugewiesenen Rolle bewusst sein, andere weniger oder diese gar ablehnen. Gerade aufgrund der recht eindeutigen Zuordnung aus Sicht der Politik erscheint es jedoch wichtig, dass sich Wissenschaftler bewusst sind, dass ihre Aussagen politisch vereinnahmt werden können. Dies sollten sie in der Kommunikation ihrer Forschungsergebnisse berücksichtigen und in der Forschung selbst den Prinzipen folgen, wie sie z.B. der Verein für Socialpolitik in seinem Ethikkodex festgeschrieben hat. Hierzu gehört die transparente Offenlegung der zugrundeliegenden Annahmen.

Hinweis: Die dargestellten Ergebnisse beziehen sich auf die Umfragen, die in den Jahren 2014 bis 2018 im Zusammenhang mit dem F.A.Z.-Ökonomenranking durchgeführt wurde. Die netzwerkanalytische Auswertung ist ausführlich im aktuellen Heft 4/2019 des „Wirtschaftsdienstes“ dargestellt. Für eine detailliertere Darstellung der empirischen Ergebnisse vgl. W. Schwarzbauer, T. Thomas, G. G. Wagner: Eine Netzwerkanalyse von Ökonomen und Wissenschaftlern anderer Disziplinen auf Basis eines Surveys unter Abgeordneten und Ministerialbeamten, DIW Diskussionspapier, Nr. 1798, Berlin 2019; DICE Ordnungspolitische Perspektiven, Nr. 100, Düsseldorf 2019; oder EcoAustria Research Paper, Nr. 10, Wien 2019.

Wolfgang Schwarzbauer Tobias Thomas und Gert G. Wagner
Letzte Artikel von Wolfgang Schwarzbauer Tobias Thomas und Gert G. Wagner (Alle anzeigen)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert