In Afrika gibt es jetzt die potenziell größte Freihandelszone der Welt. Doch die Liste der Probleme ist lang. Kann das Abkommen nachhaltig zur wirtschaftlichen Entwicklung des Kontinents beitragen?
Seit dem 7. Juli befindet sich die potenziell größte Freihandelszone der Welt auf dem afrikanischen Kontinent. Im März 2018 beschloss die Afrikanische Union (AU) mit der überwiegenden Mehrheit ihrer Mitglieder die Gründung der African Continental Free Trade Area (AfCFTA), die inzwischen von 54 Staaten unterzeichnet wurde; einzig Eritrea fehlt. Die AfCFTA wurde am vergangenen Wochenende offiziell gestartet, nachdem die notwendige Voraussetzung der Ratifizierung durch 22 afrikanische Staaten bereits im April 20129 erfüllt worden war.
Jedoch wird es noch einige Zeit in Anspruch nehmen, bis die Freihandelszone wirklich implementiert ist. Die AfCFTA enthält Bestimmungen zum Waren- und Dienstleistungsverkehr sowie zur Personenfreizügigkeit. Diese werden momentan in einer ersten Phase ausgehandelt. Gegenstand einer zweiten Verhandlungsphase sind Wettbewerbspolitik, Rechte an geistigem Eigentum und Investitionen. Auch ist das genaue organisatorische Arrangement noch nicht geklärt. Fest steht die Existenz eines Streitbeilegungsmechanismus. Das gesamte Abkommen ist an die WTO angelehnt – was als ein durchaus sinnvoller Schritt zu bewerten ist.
Das vorrangige Ziel der AfCFTA ist die Förderung des innerafrikanischen Handels und der weiteren Industrialisierung Afrikas. Dies ist notwendig, da afrikanische Länder sich in den vergangenen Jahren eher deindustrialisiert haben. Ein sekundäres Ziel ist die Harmonisierung der verschiedenen bestehenden afrikanischen Handelsregelungen und -institutionen, um Handelsströme zu steigern und effektiver zu steuern. Dieses Ziel spiegelt sich in der letztendlichen Absicht wider, einen gemeinsamen afrikanischen Markt und eine kontinentale Zollunion mit 55 Ländern zu schaffen. Kann die AfCFTA diese beiden Ziele erreichen und somit zur wirtschaftlichen Entwicklung des Kontinents beitragen?
Zum Verständnis der potentiellen Probleme ist es wichtig zu verstehen, dass die meisten AU-Mitgliedsstaaten auch Mitglieder in Regionalen Integrationsräumen (Regional Economic Communities – RECs) sind. Bisher ist die Beziehung zwischen AfCFTA und RECs nicht geklärt, und eine solche Klärung erschwert sich dadurch, dass die acht existierenden RECs über unterschiedliche Standards und Verfahren verfügen.
Unabhängig davon sind die Verhandlungen nicht einfach. Bislang konnten die größten Verhandlungsfortschritte im Warenhandel erzielt werden, obwohl Beobachter auch dort etliche Schwierigkeiten sehen.
– Die meisten Länder exportieren Güter des primären Sektors wie Bergbauerzeugnisse und landwirtschaftliche Produkte (Cash crops) und importieren gleichzeitig eine Vielzahl von vorwiegend außerhalb des Kontinents hergestellten Industrie- und Produktionsgütern. Der Privatsektor ist in der Regel relativ schwach und besteht überwiegend aus kleinen und informellen Unternehmen. Infolgedessen wird es vermutlich lange Listen der Produkte, die als „sensibel“ oder „für die Liberalisierung ausgeschlossen“ eingestuft werden können, geben. Da das innerafrikanische Handelsniveau niedrig ist, äußerten einige Vertragsstaaten die Sorge, dass ein Land selbst durch eine kleine Liste an Ausnahmen alle Einfuhren seiner afrikanischen Handelspartner von der Liberalisierung ausschließen könnte. Die angedachte Anti-Konzentrationsklausel würde dies verhindern, indem sie das Land verpflichtet, nicht alle Ausnahmen auf bestimmte Sektoren und Produkte zu konzentrieren. Die Vertragsstaaten scheinen jedoch weiterhin darüber gespalten zu sein, wie die entsprechende Anti-Konzentrationsformel konstruiert werden könnte oder sollte.
– Offen ist zudem die Frage, wie die Liberalisierung mit Blick auf die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) innerhalb der Zollunion ausgestaltet wird.
– Außerdem sind Details von Schutzbestimmungen („safeguard clauses“) noch unklar. Sie beinhalten den möglichen Einsatz von Antidumping-, Ausgleichs- und Schutzmaßnahmen wie etwa Ausgleichszölle.
– Weiterhin bleibt die Frage nach der Wahl der Güterkategorisierung offen, für die die Verhandlungen und die anschließende Liberalisierung gelten. Die Vertragsstaaten implementieren bislang unterschiedliche Versionen des Harmonisierten Systems. Die Antwort auf diese scheinbar technische Frage kann erhebliche praktische Auswirkungen haben.
– Schließlich wäre es für Unternehmen wichtig, bald Klarheit über die Ursprungsregeln zu bekommen; eine enge Definition kann zu hohen Transaktionskosten führen und den Handel weiter einschränken.
Die Verhandlungen zu Dienstleistungen konzentrieren sich auf fünf Sektoren: Finanzen; Telekommunikation, Transport, Tourismus und Unterhaltung. Die „Netzwerkdienstleistungen“ – Finanzen, Telekommunikation und Transport – sind wesentliche Bestandteile von Produktionsprozessen in offenen Volkswirtschaften. Ebenso ist der Zugang zu schneller, qualitativ hochwertiger und erschwinglicher Telekommunikation eine unabdingbare Voraussetzung für die Koordinierung komplexer Lieferketten, auch über Grenzen hinweg, und für ein wirksames Management von Unternehmen im weiteren Sinne.
Da diese Dienstleistungen auf den meisten afrikanischen Märkten nicht in vollem Umfang verfügbar sind und in einigen Fällen wettbewerbsfähiger von ausländischen, einschließlich afrikanischen, Anbietern bezogen werden könnten – sei es durch Direktinvestitionen oder durch grenzüberschreitende Belieferung – liegt es im Interesse der afrikanischen Industrieunternehmen, mehr Wettbewerb in der Bereitstellung von Dienstleistungen sicherzustellen. Die Verhandlungen befinden sich allerdings in einem vergleichsweise frühen Stadium.
Insgesamt kann noch kein Urteil über die Auswirkungen der AfCFTA auf den Marktzugang gefällt werden. Allerdings lässt die Art und Weise, wie sich die Verhandlungen bisher entwickelt haben, darauf schließen, dass die AfCFTA auf absehbare Zeit relativ wenig zum Aufschwung in Afrika beitragen wird. Dennoch sollte das Abkommen als Ausgangspunkt für den Aufbau einer tiefen kontinentalen Wirtschaftsintegration angesehen werden. Es ist zu hoffen, dass die afrikanischen Staats- und Regierungschefs mit der Notwendigkeit dieser Entwicklung übereinstimmen. Es würde sehr helfen, wenn ausländische Partner – allen voran die Europäische Union – die AfCFTA als Chance begriffen, um den Wohlstand in Afrika mit positiven Folgen für Europa in politischer und ökonomischer Hinsicht nachhaltig zu steigern. Das bedeutet aber eine grundsätzliche Abkehr von der bisherigen Mischung aus Protektionismus gegen afrikanische Produkte, Bevormundung afrikanischer Partner und ineffektiver Entwicklungshilfe.
Hinweis: Der Beitrag ist am 12. Juli 2019 auf Wirtschaftswoche-Online erschienen.
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