Im Zusammenhang mit der Finanzmarktkrise haben die Rating-Agenturen Glaubwürdigkeit eingebüsst, wird ihnen doch eine Mitschuld an ihr vorgeworfen. Dennoch und trotz zahlreicher Reformforderungen und –vorschläge verfügen sie nach wie vor über Macht und Einfluss, die kaum gesunken sind. Jene, die ihren Bedeutungsverlust vorhergesagt hatten, sehen sich von den Fakten widerlegt, so zuletzt bei der Bonitäts-Rückstufung Griechenlands. Im Vorfeld der globalen Finanzmarktkrise hätten sie strukturierte Finanzprodukte falsch bewertet, ihnen ein zu geringes Risiko attestiert und so zum Kauf hypothekengesicherter Wertpapiere angeregt, der Wurzel der amerikanischen Immobilienblase, unter deren Folgen die Weltwirtschaft heute noch immer leidet. Zusätzlich hätten sie ihr Ratingurteil erst geändert als es bereits zu spät zum Reagieren war und die Korrekturprozesse auf den Finanzmärkten längst begonnen hatten. Zwei aktuelle Entwicklungen legen es nahe, sich näher mit den Rating-Agenturen zu beschäftigen.
Diskussionen, Klagen, Reformen
Eine Gruppe von Investoren hat in den USA eine Klage gegen Standard & Poor’s und Moody’s eingebracht, die nun zurückgewiesen wurde. Den Rating-Agenturen wurde die irreführende Bewertung von bestimmten hypothekenbesicherten Wertpapieren mit einem Volumen von 96 Mrd. $ vorgeworfen. Sie hatten einen Interessenkonflikt betont, weil die Agenturen diese Forderungen nicht nur mit hohen Bonitätswerten versehen hatten, sondern im Vorfeld die Emittenten auch bei deren Ausgestaltung beraten hätten. Es deutet vieles darauf hin, dass auch weitere anhängige Klagen zu keinem anderen Ergebnis führen werden. Doch nicht nur Klagen wurden eingebracht, sondern zusätzlich wurde eine Intensivierung der bisher nur rudimentären staatlichen Regulierung von Rating-Agenturen gefordert, vorbereitet und kürzlich auch verabschiedet. Am 13. Januar 2010 wurde vom deutschen Bundeskabinett ein Ausführungsgesetz zur EU-Ratingverordnung (Nr. 1060/2009) verabschiedet, die bereits seit Dezember 2009 gilt. Das Ausführungsgesetz soll spätestens im Juni 2010 in Kraft treten. Die Zielsetzungen dieser regulatorischen Reformen bestehen in der Vermeidung von Interessenkonflikten und in der Erhöhung der Transparenz des Bewertungsprozesses von Rating-Agenturen. In Deutschland wird vorerst die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht als Aufsichtsbehörde für Rating-Agenturen tätig sein bevor ab 2011 die dann neu geschaffene europäische Wertpapieraufsichtsbehörde (ESMA) diese Zuständigkeit übernimmt.
Gewinnorientierte Informationsdienstleister
Rating-Agenturen schaffen, standardisieren und publizieren Informationen. In zahlreichen Diskussionen wird nicht beachtet, dass es sich um private – sprich gewinnorientierte – Unternehmen handelt, die die Bonität von Finanzprodukten, Emittenten, Unternehmen, Staaten, Volkswirtschaften einschätzen. Die generierte Information besteht in der Beurteilung, inwieweit der Emittent (Schuldner, Kreditnehmer) in der Lage und rechtlich verpflichtet ist, seinen finanziellen Verpflichtungen aus dem entsprechenden Titel termingerecht und in voller Höhe nachzukommen. Diese Einschätzung wird als statistische Ausfallwahrscheinlichkeit operationalisiert und durch Zeichenkombinationen abgekürzt, vom Triple A bis zum C oder D. Diese Ratingurteile trennen Papiere mit Investitionsqualität von solchen mit spekulativem Charakter. Die Einschätzung beruht auf Bilanzen, historischen Ausfallsraten sowie der Analyse von Erfolgs- und Risikofaktoren. Es geht also um historische Fakten, Prognosen und Interpretationen, deren Zusammenspiel den Inhalt der Ratingmodelle bildet, die zu den gut gehüteten Geheimnissen der Agenturen zählen. Auf dem Markt für Ratingurteile sind die drei großen international tätigen Unternehmen Moody’s, Standard & Poor’s und Fitch tätig. Dazu kommen etwa 150 kleinere, meist spezialisierte, Agenturen.
Informationen: Keine Sicherheit, keine Garantie
Anders als von Anwendern häufig erwartet, liefern Rating-Agenturen Informationen, nicht aber Sicherheit und schon gar keine Garantien. Ihre Funktionen leiten sich aus den typischen Informationsasymmetrien von Finanzmärkten ab: Der Kapitalnehmer kennt sich und seine Bonität besser als der Kapitalgeber. Gelingt es nicht, diese Informationsdefizite abzubauen, kommen für alle Interessenten vorteilhafte Transaktionen nicht zustande oder es werden falsche Emittenten und Produkte ausgewählt oder es kommt zu einer falschen Risikoprämie. Es liegt also nicht nur im Interesse der Investoren, sich Informationen zu beschaffen, sondern vor allem in jenem der Emittenten, ihre Bonität zu signalisieren. Werden solche Signale jedoch von ihnen selbst geschaffen, werden sie mehr als Verkaufsargumente denn als glaubwürdige Bewertungen interpretiert. Also entsteht eine Nachfrage nach den Leistungen unabhängiger Informationsexperten. Deren Funktion besteht im Abbau von Informationsasymmetrien, in der Schaffung von Transparenz. Somit liegt ihr Wirken im Interesse der Finanzmarktakteure und zwar beider Seiten. Ideal funktionierend erhöhen sie die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt. Freilich argumentieren wir hier im strengen Modell, abstrahieren noch von Informationsproblemen der Agenturen selbst und lassen die Anreize für ihre Aktivitäten unberücksichtigt.
Institutionalisierter Einfluss
Rating-Agenturen haben sich zu höchst einflussreichen Institutionen entwickelt, was auf mehrere Ursachen zurückzuführen ist. So ist die Existenz eines Ratings Voraussetzung dafür, dass manche Wertpapiere überhaupt auf den Markt kommen dürfen oder dass sie von Investoren erworben werden dürfen. Anlagevorschriften für institutionelle Investoren setzen nicht nur die Existenz eines Ratings voraus, sondern schreiben auch Mindesturteile fest. Eine Rückstufung von Finanzprodukten oder ihrer Emittenten führt in der Folge zu konzentrierten Verkäufen, die noch dadurch erhöht werden, dass Kündigungsklauseln an Veränderungen der Ratingwerte festgemacht werden. Wie die Erfahrung zeigt wirken Herabstufungen meist als selbsterfüllende Prognosen. Ratingurteile sind eine wesentliche Determinante der Konditionen. Doch auch die Finanzmarktregulierung greift in ihren Eigenkapitalvorschriften auf Ratingurteile zurück. Kurzum: Sie stehen in Gesetzen, Statuten, Verträgen und Regulierungsvorgaben. Dorthin kommen sie immer im gutgemeinten Bestreben, mit mehr Transparenz und der Definition von Mindeststandards auch mehr Sicherheit zu schaffen. Rating-Agenturen sind einflussreich, ja sogar mächtig, weil wir als Personen und als Gesellschaft, ihnen eine großen Stellenwert zugemessen und diesen institutionalisiert haben und weil wir uns nicht selten „blind“ auf sie verlassen, ohne deren Anreize zu berücksichtigen
Anreizprobleme und Interessenkonflikte
Auch Rating-Agenturen sind nicht im Besitz der Weisheit und der Sicherheit über die Zukunft. Auch sie müssen neue Produkte erst einzuschätzen lernen, wie sich gezeigt hat. Eine klassische Anleihe eines einzelnen Emittenten ist einfacher zu bewerten als ein komplex strukturiertes Finanzprodukt. Gewinnorientiert werden sie von den Emittenten beauftragt und bezahlt, deren Interesse an einem guten Rating und an der Vermeidung einer Rückstufung aus den genannten Gründen existenziell, zumindest aber außerordentlich hoch ist. Werden zusätzlich Beratungsleistungen angeboten und sollen Folgeaufträge für Rating und Beratung sichergestellt werden, können Konflikte zwischen einer unabhängigen und objektiven Information einerseits und einzelwirtschaftlichen Interessen andererseits manifest werden. Die Anreize wirken zugunsten letzterer. Dabei gehen sie auf einem oligopolistisch strukturierten Markt kein wirtschaftliches Risiko ein, außer jenem des Reputationsverlustes. Dieser wiegt jedoch gering, wenn alle großen Agenturen daneben liegen. Vor dem Hintergrund dieser Argumentation darf jedoch nicht vergessen werden, dass die Rating-Agenturen weder die Agenten der Investoren, noch jene der Gesellschaft sind. Sie werden von den Emittenten beauftragt und bezahlt.
Die speziellen Anreizstrukturen, denen sich Rating-Agenturen gegenübersehen, führten zu zahlreichen Reformvorschlägen. So wird eine staatliche Agentur gefordert. Doch weshalb sollten staatliche Einrichtungen eine überlegene Informationskompetenz aufweisen, könnten sie tatsächlich neutral bleiben, wie wäre beim Rating der Staatsanleihen vorzugehen und müsste eine staatliche Haftung bei Kreditausfällen vorgesehen werden? Auch die Beauftragung der Agenturen durch die Investoren hat ihre Schwächen: Organisationskosten, Bias zu schlechten Ratings, Trittbrettfahrerprobleme. Werden Rating-Agenturen gezwungen, Haftung für ihre Urteile zu übernehmen, werden sie zu wirtschaftlich involvierten Parteien und verlieren auf diese Weise die Unabhängigkeit. Vor diesem Hintergrund ist es naheliegend, dass die Forderungen nach staatlicher Regulierung lauter werden.
Selbstregulierung
Das gesellschaftliche Interesse an funktionierenden Finanzmärkten sowie die Gefahr des Marktversagens durch Informationsasymmetrien lassen nach der Regulierung von Rating-Agenturen fragen. Seit 2004 unterwerfen sie sich einem rechtlich nicht verbindlichen Verhaltenskodex der internationalen Vereinigung der Wertpapieraufsichtsbehörden. Die abstrakt formulierte Selbstregulierung enthält zahlreiche Interpretationsspielräume und Umgehungsmöglichkeiten wie sie dem soft law eigen sind. Erst mit der EU-Ratingverordnung kam es nun zu einer Vereinbarung von staatlichen Regulierungselementen, die Informationspflichten und Aktivitätsrestriktionen enthalten. So werden in Zukunft hohe Geldbussen verhängt werden, wenn die bewerteten Unternehmen auch beraten werden, wenn trotz Interessenkonflikten ein Rating abgegeben wird, wenn trotz grundlegender Veränderung relevanter Fakten, Annahmen, Methoden oder Modelle kein neues Rating erstellt wird und wenn trotz Fehlens verlässlicher Daten ein Rating abgegeben oder ein bestehendes nicht zurückgezogen wird. Zusätzlich wurde ein Rotationsprinzip für die Ratinganalysten sowie eine jährliche Prüfung durch Wirtschaftsprüfer vorgeschrieben.
Probleme gelöst?
Diese regulatorischen Maßnahmen erinnern an jene, die seinerzeit zur Verbesserung der Anreizstrukturen für die Wirtschaftsprüfung formuliert wurden. Sie lassen Verbesserungen erwarten. Doch können wir uns nun auf Ratingurteile verlassen, haben wir mehr Sicherheit für unsere Investments, bleiben Finanzmarktkrisen Erinnerung? Nein. Informationsasymmetrien sind ein Merkmal von Finanzmärkten. Informationsexperten sind notwendig und hilfreich. Wie auch immer deren Geschäftsmodelle, ihre Anreiz- und Kontrollstrukturen ausgestaltet sind, können sie nicht Sicherheit schaffen, wo es Sicherheit nicht geben kann. Ein Ratingurteil kann immer nur ein Element der Entscheidungsfindung und der Investitionsentscheidung sein. Um mit Informationsdefiziten fertig zu werden, ist unsere Gesellschaft inzwischen sehr weit gegangen, solche gesetzlich vorzuschreiben, um Menschen Schutz vor finanziellen Verlusten zu bieten. Doch wird auf diese Weise Sicherheit suggeriert, die nicht möglich ist. Es führt also kein Weg daran vorbei, sich selbst ein Bild zu machen.
Vielen Dank für diesen ausgeglichenen und informativen Beitrag. Allerdings ist mir etwas noch nicht ganz klar:
„Werden Rating-Agenturen gezwungen, Haftung für ihre Urteile zu übernehmen, werden sie zu wirtschaftlich involvierten Parteien und verlieren auf diese Weise die Unabhängigkeit.“
Sind die Rating-Agenturen nicht schon jetzt wirtschaftlich involvierte Parteien? Wie im Beitrag richtig erwähnt, werden sie von den Emittenten der Papiere die sie bewerten beauftragt und bezahlt. Auch sind die Agenturen gewinnorientierte Wirtschaftsunternehmen. Daher würde ich sie schon jetzt weder als unabhängig (ich dachte genau das hätte die Krise unter anderem gezeigt) noch als nicht wirtschaftlich involviert bezeichnen.
Die Geschichte der Rating-Agenturen wurde mir letztens wie folgt vorgetragen: Zu Beginn finanzierten sich die Agenturen über den Verkauf(!) ihrer Veröffentlichungen. Das heißt, dass sie ihre Analysen an Investoren und Verlage verkauft haben. Zu dieser Zeit bestand ein eher feindliches Verhältnis zwischen Rating-Agenturen und Emittenten welches schließlich dazu führte, dass einige Emittenten die Rating-Agenturen in den USA verklagten. Dank des „First Admentment“, der Pressefreiheit in den USA, wurden die Agenturen freigesprochen. Schließlich war es deren persönliche Meinung/Einschätzung wie sie ein Unternehmen bewerten. Mit der verbesserten Informationslage an den Finanzmärkten sowie dem Internet und Fernsehn wurde die finanzielle Situation von Verlagen und somit auch von den Rating-Agenturen immer schlechter.
Findig, wie man wahrscheinlich bei einer Rating-Agentur sein muss, wurden neue Geschäftsmodelle entwickelt. Die vormals Überprüften wurden nun zu den Geldgebern des Überprüfungssystems. Damit sind wir im Jahr 2010.
Als Lösung liegt meiner Meinung nach nun gerade eine Haftung der Agenturen nahe. Diese Haftung darf allerdings nicht so gestaltet sein, dass sie den Betrieb der Rating-Agenturen zusehr einschränkt. Die Folge wäre ein prinzipiell zu schlechtes Rating, allein aus Selbstschutz der Agenturen. Auch müsste die Hürde für eine Klage relativ hoch gesetzt werden, da sonst eine Klageflut von enttäuschten Investoren drohen könnte.
Das Problem der Finanzierung ist damit allerdings noch nicht gelöst. Eine Idee könnte eine Finanzierung durch die Handelsplätze, an denen die zu bewertenden Papiere gehandelt werden, sein. Immerhin sollten auch diese an einer möglichst hohen Transparenz interessiert sein, da dies den Handel mit Papieren steigern würde.