Bild: Pixabay
Die politischen Leitlinien für die nächste Europäische Kommission (2019-2024) stellen einen Sieg für die Befürworter des sog. „Border Carbon Adjustment“ (BCA) dar. Die designierte Präsidentin der Europäischen Kommission hat erklärt, dass sie „eine CO2-Grenzsteuer einführen wird, um eine Verlagerung von CO2-Emissionen zu vermeiden. Diese sollte voll und ganz den Regeln der Welthandelsorganisation entsprechen“.
Bei der Formulierung ihres Vorschlags kann die Europäische Kommission auf eine beachtliche Anzahl wissenschaftlicher Beiträge setzen, in denen die Notwendigkeit, Durchführbarkeit und WTO-Vereinbarkeit von BCA erläutert wird. Die Beiträge diskutieren die komplexen rechtlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Aspekte des Grenzsteuerausgleichs und kommen zu dem Schluss, dass dieser angesichts der Notwendigkeit zeitiger Maßnahmen zum Schutz des Klimas eingeführt werden sollte.
Im Folgenden möchte ich die Argumente für BCA aus vier Gründen in Frage stellen:
1. Das Konzept des Grenzsteuerausgleichs (BTA) ist für BCAs ungeeignet
Mit Hinweis auf den vom GATT erlaubten Grenzsteuerausgleich wird ausgeführt, dass BCA notwendig sei, um „carbon leakage“ zu vermeiden: ungleichmäßige Klimaanstrengungen verschiedener Länder führten zu Produktions- und Investitionsverlagerungen von Ländern mit ehrgeizigen Klimazielen in Länder mit weniger strengen Anforderungen; BCAs, so wird ausgeführt, wirkten gegen die Verlagerung von CO2-Emissionen und dienten dem Schutz der Wettbewerbsfähigkeit der heimischen energieintensiven Industrien. Die Idee eines Grenzsteuerausgleichs bei CO2 ist verführerisch, sie hat allerdings einen konzeptuellen Makel. Diesem Ausgleich liegt das Konzept der „Handelsneutralität“ zugrunde: die inländische Steuer oder „Belastung“ wird auf Einfuhren erhoben und für Ausfuhren erstattet. Die Erstattung einer inländischen CO2-Grenzsteuer für Exporte steht jedoch im Widerspruch zum Umweltziel der Maßnahme. Bei einer solchen Erstattung würden die strengen inländischen Klimaregeln ad absurdum geführt. Daher schlagen die meisten Kommentatoren vor, aus Umweltgesichtspunkten auf den Ausgleich der Belastung beim Export zu verzichten. Den Ausgleich aber nur beim Import festzulegen, widerspricht dem Konzept der Handelsneutralität mit der Folge, dass BCAs zu einer einseitigen Belastung der Einfuhren führen.
2. Was ist ausgleichfähig?
Ein Grenzsteuerausgleich könnte bei einer inländischen CO2-Steuer noch in Erwägung gezogen werden, wenn diese Steuer sowohl im Inland als auch für Importe erhoben wird, aber selbst in diesem Fall bestehen Zweifel an der GATT-Vereinbarkeit, da das CO2 im Endprodukt nicht enthalten ist. Schwieriger wird es allerdings, wenn die Maßnahme an der Grenze zur Anpassung an das inländische Emissionshandelssystem erfolgt. Die GATT-Regeln erlauben den Ausgleich direkter und indirekter Steuern, sofern sie auf Produkte erhoben werden. Die von der Kommission vorzuschlagende CO2-Grenzsteuer wird vermutlich als die Importkomponente des europäischen Emissionshandelssystems dargestellt. Kann aber der Emissionshandel als Steuer oder Abgabe angesehen werden, die auf Produkte erhoben wird? Grundsätzlich gilt, dass die Kosten für allgemeine Umweltgesetze, also die Kosten zum Beispiel für die Einhaltung von Wasser-, Luft-, Boden- oder Abfall-Regeln, an der Grenze nicht ausgeglichen werden können. Die Kosten dieser Gesetze werden nicht als ‚Abgaben‘ angesehen, die auf Produkte erhoben werden, es sind indirekte Kosten, die bei gesetzestreuer Anwendung anfallen und vom inländischen Hersteller getragen werden müssen. Die europäische Emissionshandelsverordnung ist keine Produktverordnung, sie ist vielmehr eine Verordnung zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen von Anlagen. Sie führt ein „Cap- und Trade-System“ ein: es wird eine Obergrenze für die Gesamtmenge der Treibhaus-gasemissionen für jede Anlage festgelegt. Innerhalb der Obergrenze „erhalten“ oder „kaufen“ Unternehmen Emissionszertifikate, mit denen sie handeln können. Die Verordnung kombiniert also die Aspekte eines typischen Umweltgesetzes mit einem Marktinstrument zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen. Es ist unbestritten, dass die ETS-Verordnung indirekte Auswirkungen auf die Produktionskosten hat, aber das haben alle anderen typischen Umweltvorschriften auch. Ist die Tatsache, dass die ETS-Zertifikate einen Preis oder einen pekuniären Aspekt haben also ausreichend, das ETS-System als eine ‚Steuer‘ oder ‚indirekte Belastung‘ von Produkten anzusehen, die an der Grenze ausgeglichen werden können? Jede Gesetzgebung führt zu einer indirekten Belastung von Produkten, unabhängig ob es sich um Umwelt- oder Sozialgesetze handelt. Beim Emissionshandel kommt noch eine Besonderheit hinzu, die dafürspricht, diese Regelung nicht als Produktgesetzgebung anzusehen. Der Eigentümer der Anlage entscheidet, wie er die ETS-Vorgaben erfüllt. Er kann auf sauberere Technologien umsteigen, mehr ETS-Zertifikate kaufen oder weniger produzieren. Daher variiert die finanzielle Belastung von Anlage zu Anlage und damit von Produkt zu Produkt. Sie kann im Voraus nicht berechnet werden. Wenn aber die indirekten Kosten für ein Produkt einer inländischen Maßnahme nicht im Voraus festgestellt werden können, erscheint es höchst fraglich, einen Grenzsteuerausgleich vorzusehen.
Einige Kommentatoren lösen das Problem, indem sie den Begriff der „indirekten Abgabe auf ein Produkt“ kreativ auslegen oder auf Artikel III:4 des GATT zurückgreifen, um den Grenzausgleich zu rechtfertigen. Ist aber die einzuführende CO2-Grenzsteuer nicht das Pendant zum europäischen Emissionshandel, dann kommt eine Anwendung der GATT Regeln zur Nichtdiskriminierung nicht in Betracht, sie ist vielmehr, unabhängig vom Etikett, ein zusätzlicher Klimazoll. Mir scheint, dass eine CO2-Grenzsteuer in Verbindung mit ETS keine innerstaatliche Produktregelung ist, die an der Grenze angewandt wird, sondern vielmehr eine Grenzmaßnahme, die wie jeder andere zusätzliche Zoll gegen Artikel II GATT verstößt.
3. WTO-Kompatibilität – Die Hürde von GATT Artikel XX
Sollte die CO2-Grenzsteuer gegen die Regeln des GATT verstoßen, dann käme eine Rechtfertigung nach GATT Artikel XX in Betracht. Unabhängig von der Frage, ob die Maßnahme von Artikel XX (b) oder (g) erfasst wird, stellt das „chapeau“ von Artikel XX GATT eine schwer überwindbare Hürde dar. Stellt die CO2-Grenzsteuer in der Praxis nicht vielmehr eine willkürliche und ungerechtfertigte Diskriminierung zwischen Ländern dar, in denen unterschiedliche Bedingungen herrschen? Die Kommission wird bei der Festlegung der CO2-Grenzsteuer Unterscheidungen treffen müssen, die zu ungerechtfertigten Diskriminierungen führen können. Es ist unwahrscheinlich, dass nur die „Klimasünder“, also die Länder, die nicht Vertragsparteien des Übereinkommens von Paris sind, betroffen sein werden. Die ‚Steuer‘ wird wohl auch die Unterzeichner des Übereinkommens von Paris treffen.
Die designierte Präsidentin der Kommission schlägt vor, das System mit einigen exponierten Sektoren zu beginnen und es anschließend auf andere Sektoren auszudehnen. Die Kommission wird höchstwahrscheinlich einen Benchmark für die Treibhausgasemissionen der betroffenen Produkte festlegen, bei dessen Überschreitung die CO2-Grenzsteuer fällig wird. Dieser Benchmark wird wohl dem Durchschnitt der Treibhausgasemissionen bei der Produktion der heimischen vergleichbaren Produkte entsprechen. Ein solcher Durchschnitt mag zwar administrativ zweckmäßig sein, er entspricht aber keineswegs den Realitäten der ETS-Verordnung und betrachtet die Situation im Exportland nicht. Daher muss die Kommission den Exporteuren erlauben darzulegen, dass die Treibhausgasemissionen des spezifischen Produkts unter dem festgelegten Richtwert liegen.
Ungeachtet der komplizierten, praktischen Details der CO2-Grenzsteuer, die schon allein zu einer Bejahung einer Diskriminierung führen könnten, stellt sich die Frage, ob diese ‚Steuer‘ ein unzulässiges Zwangsmittel für andere WTO-Mitglieder darstellt. Die Literatur sieht BCAs nicht als ‚Sanktion‘ an, sondern als ‚Anreiz‘, ähnlich strenge Klimamaßnahmen zu ergreifen. Aber auch hier ist das Etikett unerheblich. Der Appellate Body hat im WTO Shrimps-Fall klargestellt, dass die Aufer-legung einer nationalen Regelung dann unzulässig ist, wenn diese die nationalen Besonderheiten im Exportland nicht berücksichtigt – und hier kommt das Abkommen von Paris ins Spiel.
Das Abkommen von Paris setzt auf eine heterogene und asymmetrische Implementierung, die auf dem „Geist der Zusammenarbeit“ beruht und unterschiedliche nationale Umstände berücksichtigt. Der Position der EU, dass beim Import eine CO2-Grenzsteuer zu entrichten ist, liegt die Ansicht zugrunde, dass die spezifischen Klimavorschriften eines anderen Landes im Vergleich zur EU nicht ausreichend sind. Die Steuer wird aber dann zu einer Zwangsmaßnahme, wenn sie die spezifische Situation, also alle Klimaschutzaktivitäten des anderen Landes und insbesondere die Einhaltung des Paris-Abkommens nicht berücksichtigt. Das GATT erlaubt strenge nationale Umweltregeln, wenn aber das Exportland nachweisen kann, dass der nationale Klimaschutz aus welchen Gründen auch immer den Verpflichtungen aus dem Abkommen von Paris entspricht, dann stellt eine unilaterale CO2-Grenzsteuer eine verbotene Zwangsmaßnahme dar, unabhängig davon, ob das Land die Treibhausgasemissionen des betroffenen Produktes ebenso regelt wie die EU. Das Exportland hat jede Freiheit, bestimmte Industrieemissionen eines bestimmten Produkts anders zu handhaben, als die EU, solange es sich innerhalb des Rahmens von Paris bewegt. Die CO2-Grenzsteuer oder besser gesagt der Klimazoll könnte sich folglich als protektionistische Maßnahme und nicht als Maßnahme zum Schutz des Klimas erweisen.
4. Retorsionen
Die Befürworter halten BCAs potenziell für WTO-kompatibel. Dies ist theoretisch zwar möglich, es ist meines Erachtens aber eher wahrscheinlich, dass die noch vorzuschlagende CO2-Grenzsteuer als WTO-inkompatibel angesehen wird. Um dies zu überprüfen, würden die WTO-Mitglieder normalerweise auf die Streitbeilegung zurückgreifen und das Ergebnis sowie eine weitere Entscheidung über Gegenmaßnahmen abwarten. Leider sind die guten alten Zeiten der WTO vorbei und das Kronjuwel ‚Streitbeilegung‘ hat seinen Glanz verloren. In Zeiten von Handelskriegen und unilateralen Zöllen ist es wahrscheinlich, dass die von der CO2-Grenzsteuer betroffenen Länder Vergeltungsmaßnahmen ergreifen werden. Die EU wird sich daher fragen müssen, ob sie die Vergeltungsmaßnahmen ihrer Handelspartner (USA, China, Indien, Saudi-Arabien und Brasilien, um nur einige zu nennen) in Kauf nimmt. Man fragt sich, ob die bestehenden politischen Instrumente zur Bekämpfung von ‚carbon leakage‘ (z. B. die kostenlose Zuteilung von EHS-Zertifikaten) in Zeiten eines nicht-funktionierenden WTO-Streitbeilegungssystems nicht vorzuziehen sind. Obwohl auch diese Maßnahmen potenziell WTO-inkompatibel (Subventionen) sein können, stellen sie keine harten und provozierenden Grenzmaßnahmen dar.
5. Eine Lösung?
Es reicht nicht mehr aus zu sagen, das Ganze wird nicht funktionieren, andererseits genügt auch die gebetsmühlenhafte Aussage zur WTO-Kompatibilität nicht, denn unsere Politiker wissen sehr wohl, wie schwierig es sein wird, diese Kompatibilität herzustellen. Selbst die ausdrücklichen Befürworter von BCA stellen Bedingungen für eine solche Kompatibilität auf, wie zum Beispiel die Abschaffung der Subventionen für fossile Brennstoffe, die politisch schwer umsetzbar sind.
Es gibt Lösungen, auch wenn sie ebenso problematisch erscheinen wie der Vorschlag für eine CO2-Grenzsteuer. Es ist gewagt, in Zeiten einer schwindenden Unterstützung des Multilateralismus eine multilaterale Lösung vorzuschlagen, mit der einerseits der Klimaschutz erhöht und andererseits die Verlagerung von CO2-Emissionen bekämpft wird. Der Grund für eine multilaterale Lösung liegt aber sowohl in den Regeln der WTO als auch in den Vorschriften des Pariser Übereinkommens. Letzteres erlaubt den Mitgliedern eine heterogene und asymmetrische Implementierung, die WTO sieht es als ungerechtfertigte Diskriminierung an, wenn die besonderen Bedingungen des jeweiligen Landes von der Importmaßnahme nicht berücksichtigt werden. Daher müssten die Unterzeichner von Paris festlegen, unter welchen Umständen, die Gefahr des ‚carbon leakage‘ aus Klimaschutzgründen so groß ist, dass Ausgleichsmaßnahmen gerechtfertigt sind. Diese Bedingungen können nur im Rahmen des Übereinkommens von Paris ausgehandelt werden und dann in der WTO über eine ’waiver‘ durchgesetzt werden.
Der multilaterale Weg mag derzeit wenig überzeugen, er scheint mir aber der einzig gangbare Weg zu sein, um BCAs zu rechtfertigen und um Retorsionen zu verhindern. Wenn die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten ernsthaft den multilateralen Ansatz verteidigen, dann sollten sie wenigstens den Versuch unternehmen, eine multilaterale Lösung für ‚carbon leakage‘ zu suchen und nicht sofort in Unilateralismus verfallen. Es steht darüber hinaus der EU völlig frei, nach einer einfachen steuerlichen Lösung des Problems zu suchen. Mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer um zwei Prozent und der Verpflichtung, die zusätzlichen Einnahmen ausschließlich für Klimaschutzzwecke zu verwenden, hätte die EU keine Probleme mit einem Grenzsteuerausgleich.
- Gastbeitrag
Eine CO2-Grenzsteuer oder ein Klimazoll? - 11. Oktober 2019 - Gastbeitrag
Die CETA Ratifizierung: Eine Achterbahnfahrt
Zur Rolle nationaler Parlamente in der EU-Abkommenspolitik - 28. Januar 2017 - Gastbeitrag
Aufschrei und Wirklichkeit
Was ist dran an den Argumenten der Gegner von TTIP? - 27. Oktober 2016
1. Das Konzept BCA: Wieso würde „… bei einer solchen Erstattung würden die strengen inländischen Klimaregeln ad absurdum geführt.“?
2. Was ist ausgleichfähig? „Daher variiert die finanzielle Belastung von Anlage zu Anlage und damit von Produkt zu Produkt. “ – Ja richtig. und daher muss auch die BCA variieren. Damit dies praktisch umgesetzt werden kann, sollte die Berechnung öffentlich einsehbar sein. Die Berechnung kann recht komplex werden, aber das ist mit modernen IT Systemen kein Problem.
3. WTO-Kompatibilität: „Die Kommission wird höchstwahrscheinlich einen Benchmark für die Treibhausgasemissionen der betroffenen Produkte festlegen, …“ – Besser wäre es wie gesagt, die Berechnung dem Importeur bzw. Exporteur zu überlassen. Dieser kann dann im Einzellfall entscheiden, ob sich eine genau Berechnung lohnt oder ob er einfach etwas mehr zahlt.
Wenn man sich die NZZ Artikel „Der Klimawandel im Detail – Sind wir auf Kurs? Ein Überblick über die Klimaziele “ ansieht, dann dürfte der multilaterale Weg wegen der Verzögerung erheblich teurer werden, als jetzt einen „CAP“ der Klimagasemissionen in einzelnen Länder festzuschreiben und durch einen BCA die anderen Ländern zur Übernahme des CAP zu zwingen.