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Die größte Herausforderung für die Automobilindustrie liegt im Wandel der Antriebstechnologien. Dies liegt aus meiner Sicht u.a. daran, dass dieser Strukturwandel bislang in erster Linie durch staatliche Regulierung und weniger durch Marktkräfte herbeigeführt wird. Zu nennen sind vor allem die CO2-Grenzwerte für neu zugelassene Pkw, die in der EU bis zum Jahr 2030 um 50% gegenüber dem Wert von 2018 sinken müssen. Die Konkurrenz durch recht neue Anbieter im Bereich der Elektromobilität beschleunigt zwar ebenfalls den Umstieg. Die neuen Antriebsformen benötigen in der Regel jedoch noch Subventionen, um nennenswerte Marktanteile zu erzielen. Insofern ist die Automobilindustrie in gewissem Sinne durch Regulierung gezwungen, Fahrzeuge mit Antriebstechnologien auf den Markt zu bringen, die den Großteil der Autokäufer noch nicht ausreichend überzeugen und bei denen nicht klar ist, wann dies der Fall sein wird.
CO2-Regulierung gibt die Richtung vor
Das Auto steht seit Jahrzehnten im Fokus umwelt- und klimapolitischer Regulierung. Zu nennen sind u.a. Steuern auf Kraftstoffe und das Halten von Fahrzeugen (Kfz-Steuer) oder Abgasnormen für Schadstoffemissionen. Aus klimapolitischer Sicht sind die CO2-Grenzwerte für neu zugelassene Pkw besonders bedeutsam. In der EU gelten zwei Zielwerte:
- Bis spätestens 2021 müssen die durchschnittlichen CO2-Emissionen aller neu zugelassenen Pkw in der EU auf 95 g/km sinken. Schon 2020 muss dies für 95% der gesamten Pkw-Neuwagenflotte gelten.
- Bis 2030 müssen die CO2-Grenzwerte um weitere 37,5% gegenüber dem Ziel von 2021 sinken (bei einem Zwischenziel von -15% bis 2025). In absoluter Betrachtung entspricht dies einem Limit von gut 59 g/km – oder einem Verbrauch eines Autos von knapp 2,6 Litern Benzin auf 100 Kilometer.
Ähnliche CO2-Grenzwerte existieren auch in anderen Automärkten, jedoch fallen sie in der EU am strengsten aus. Zum Vergleich: 2018 lag der Flottendurchschnitt in der EU für Pkw bei 120,6 g/km. Für die einzelnen Autohersteller gelten unterschiedliche Grenzwerte.
In den letzten beiden Jahren stiegen die durchschnittlichen Emissionen leicht an – gegen den langfristigen Trend. Das ist u.a. darauf zurückzuführen, dass der Anteil von Dieselautos an den gesamten Pkw-Neuzulassungen im Zuge des Diesel-Skandals, wegen strengerer Regulierung in vielen Ländern sowie der Diskussion um Fahrverbote deutlich gesunken ist. 2015 entfielen in der EU noch 51,5% aller Neuzulassungen auf Diesel-Pkw. Bis 2018 sank dieser Wert auf 35,9% und ist 2019 weiter gesunken. Wegen des niedrigeren CO2-Ausstoßes von Autos mit Dieselmotor wirkte sich dies negativ auf die durchschnittlichen CO2-Emissionen der Neuwagenflotte aus.
Strafzahlungen drohen – Elektroautos senken Flottendurchschnitt
Die EU-Regulierung sieht Strafzahlungen vor, wenn Autohersteller ihren CO2-Grenzwert überschreiten. Dieser beträgt EUR 95 pro Gramm über dem spezifischen Zielwert und ist für jedes Fahrzeug zu zahlen, welches das betreffende Unternehmen verkauft. Es zeichnet sich immer mehr ab, dass die Automobilindustrie den für 2021 vorgesehenen CO2-Grenzwert (95 g/km) verfehlt. Bis dahin müssten die CO2-Emissionen im Flottendurchschnitt um mehr als 21% gegenüber 2018 sinken. Die CO2-Emissionen pro Kilometer müssten also in nur drei Jahren prozentual genauso stark zurückgehen wie im gesamten Zeitraum zwischen 2008 und 2018. Dies erfordert enorme Investitionen in kleinere, aber leistungsfähige Motoren (Downsizing), in die Gewichtsreduktion und natürlich die Elektrifizierung des Antriebsstrangs. Aus heutiger Sicht erscheint es (um es vorsichtig auszudrücken) sehr ambitioniert, die Grenzwerte für 2020/21 einzuhalten, zumindest für den Durchschnitt aller Autohersteller. Einzelne Unternehmen dürften ihre Zielvorgabe durchaus erfüllen.
Anteil der Elektroautos muss in der EU bis 2030 auf über 30% steigen
Das Ziel wäre nur zu erreichen, wenn der Anteil von elektrifizierten Autos an den Pkw-Neuzulassungen bis 2021 deutlich steigt. Das gilt natürlich umso mehr für den viel strengeren Grenzwert des Jahres 2030. Hintergrund: Rein batterieelektrische Autos (BEV) gelten laut Regulierung als emissionsfreie Fahrzeuge. Die CO2-Emissionen, die bei der Stromerzeugung anfallen, bleiben unberücksichtigt. Damit drücken sie den durchschnittlichen Flottenwert nach unten. Auch Plug-in-Hybride (PEHV) verzeichnen – basierend auf dem gültigen Prüfzyklus – niedrige Verbrauchswerte und damit CO2-Emissionen, obwohl sie nur relativ kurze Strecken rein elektrisch zurücklegen können und zum Teil recht hohe Emissionen verursachen, wenn sie mit Verbrennungsmotor angetrieben werden.
Zudem gibt es für die Zielvorgabe von 2020/21 Bonusregelungen für bestimme Autos. Beispielsweise dürfen Pkw, deren CO2-Emissionen laut Prüfzyklus unter 50 g/km liegen, im Jahr 2020 doppelt auf das Flottenziel angerechnet werden (sogenannte „Super-Credits“). Der Anrechnungsfaktor sinkt im Jahr 2021 von 2 auf 1,67 und 2022 auf den Faktor 1,33; danach läuft er aus. Zudem können Autohersteller ihre Flottenemissionen zusammen ausweisen, um so ihre CO2-Vorgaben zu erreichen. Diese Möglichkeit wird bereits genutzt und besteht auch über das Jahr 2021 hinaus. Trotz dieser speziellen Regelungen bleibt das Ziel ambitioniert, sodass in den Jahren 2020/21 ein erster ernsthafter Lackmustest für die Automobilindustrie ansteht.
Es lassen sich verschiedene Szenarien für den künftigen Flottenmix konstruieren, die einen Eindruck vermitteln, mit welchen Marktanteilen der einzelnen Antriebsarten die Zielwerte für 2020/21 und das Jahr 2030 erreicht werden könnten. In Abhängigkeit von den Fortschritten bei Autos mit Verbrennungsmotor sowie dem Verhältnis von BEV zu PHEV müsste deren Anteil an den gesamten Pkw-Neuzulassungen im Jahr 2021 in der Größenordnung von etwa 10 bis 15% liege. Bis 2030 müsste der Marktanteil dann auf ca. 30% bis 50% steigen.
In den ersten drei Quartalen von 2019 lag der Anteil von BEV und PEHV an den gesamten Pkw-Neuzulassungen in der EU erst bei 2,6% (Quelle: ACEA). Dabei entfielen ca. 1,7% auf BEV und der Rest auf PHEV. Gegenüber 2015 (BEV und PHEV: 1,1%) hat sich damit der Anteil dieser Autos an den Neuzulassungen mehr als verdoppelt. Gleichwohl ist die Elektromobilität noch immer ein Nischenphänomen. Dies gilt auch außerhalb Europas: BEV und PHEV zusammen kamen laut Internationaler Energieagentur (IEA) 2018 weltweit zusammen auf einen Markanteil von gut 2%.
Elektroautos kommen bislang nur dort auf einen nennenswerten Marktanteil, wo sie subventioniert werden. Das Paradebeispiel ist Norwegen. Hier gibt es massive Steuererleichterungen für Elektroautos, Vergünstigungen für den Ladestrom und niedrigere Mautsätze sowie andere Privilegien im Straßenverkehr. Ferner wird der Ausbau der Ladeinfrastruktur vom Staat gefördert. Im Ergebnis lag der Anteil von BEV und PHEV an den gesamten Pkw-Neuzulassungen in den ersten drei Quartalen von 2019 bei rd. 56%. Für Norwegen wirken dabei zwei Faktoren vorteilhaft. Zum einen ist das Land, nicht zuletzt dank des Exports von Rohöl und Erdgas, sehr wohlhabend und kann sich derartige Subventionen und Investitionen in die Infrastruktur leichter leisten als weniger wohlhabende Staaten. Zum anderen sorgen die topografischen Verhältnisse gepaart mit der geringen Bevölkerungsdichte in Norwegen dafür, dass die Wasserkraft als CO2-arme sowie recht gut regel- und speicherbare Technologie für den Großteil des norwegischen Strombedarfs sorgt, weshalb hier die Elektromobilität tatsächlich eine gute Klimabilanz aufweist.
Folgen für Produktionsstandort Deutschland: Arbeitsplatzverluste und sinkende Wertschöpfung drohen
In den kommenden Jahren wird die Produktion von Elektroautos in der EU zunehmen. Aktuell rüsten die Hersteller einzelne Fabriken hierfür um. Bislang sind Elektrofahrzeuge auch in der Produktion noch ein Nischenphänomen. Das wird jedoch nicht so bleiben, wenn die CO2-Grenzwerte der EU eingehalten werden sollen. Die Produktionsstruktur sowie die Zahl der Beschäftigten in der Branche werden sich verändern. In BEV werden deutlich weniger Teile und Komponenten verbaut als in Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor. Dieser selbst, das Getriebe sowie der klassische Antriebsstrang sind überflüssig. In allen genannten Bereichen haben deutsche Autohersteller und Zulieferer enorme Kompetenzen und sind im internationalen Wettbewerb führend. Deshalb dürften die deutsche Automobilindustrie und die deutsche Gesamtwirtschaft von dem Wandel stärker betroffen sein als andere EU-Länder.
Mit einem steigenden Anteil von Elektroautos werden diese Teile und Komponenten – ceteris paribus – nicht mehr benötigt. Zugleich dürften die Importe von Batterien zunehmen, sodass der deutsche Außenhandelsüberschuss in der Automobilbranche perspektivisch schrumpfen könnte.
Zudem sind Arbeitsplatzverluste wegen der steigenden Bedeutung der E-Mobilität wahrscheinlich. Hierzu gibt es verschiedene Untersuchungen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) erwartet, dass die Arbeitsplatzverluste in der Automobilproduktion nicht durch zusätzliche Beschäftigung in anderen Sektoren ausgeglichen werden können. Laut dieser Studie gehen bis 2035 netto etwa 114.000 Arbeitsplätze in Deutschland verloren. Natürlich sind solche langfristigen Prognosen mit großen Unsicherheiten verbunden und basieren auf verschiedenen Annahmen. Wichtig für die Fragestellung ist z.B., wie sich der Marktanteil von Elektroautos entwickelt, wo diese gebaut werden und wo die Batterien hergestellt werden.
Evolutionäre Entwicklung hin zur Elektromobilität und Demografie dämpfen negative Beschäftigungseffekte
Zuletzt waren in der deutschen Automobilindustrie (in der statistischen Abgrenzung nach NACE-Code 29) etwa 830.000 Menschen beschäftigt. Ein Verlust von mehr als 100.000 Arbeitsplätzen wäre demnach merklich und für die betroffenen Regionen schmerzlich. Gleichwohl gibt es eine Reihe von Faktoren, die den negativen Beschäftigungseffekt abmildern:
- Der Trend hin zur Elektromobilität stellt eher eine Evolution statt eine Revolution dar. Der Anteil von Elektroautos am weltweiten Pkw-Absatz wird nur langsam steigen, denn in vielen Ländern dürften sie z.B. wegen fehlender staatlicher Förderung und unzureichender Ladeinfrastruktur vorerst nur eine kleine Rolle spielen. Zugleich dürfte die Pkw-Nachfrage tendenziell weiter wachsen. Marktanteilsgewinne von Elektroautos sind daher nicht gleichbedeutend mit einem absoluten Rückgang der Nachfrage nach Autos mit Verbrennungsmotor – im Gegenteil: Der Absatz von Autos, die (auch) mit einem Verbrennungsmotor ausgestattet sind, wird global weiter wachsen. Das schließt PHEV mit ein. Gleichwohl dürfte die durchschnittliche Motorengröße – gemessen am Hubraum – künftig weiter sinken.
- Die demografische Entwicklung sorgt dafür, dass das Erwerbspersonenpotenzial in Deutschland ab der Mitte der 2020er Jahre sinkt. Das Erwerbspersonenpotenzial in Deutschland dürfte selbst bei einem hohen Wanderungssaldo (und ansonsten moderaten Annahmen zur Geburtenhäufigkeit und Lebenserwartung sowie unverändertem Renteneintrittsalter) im Jahr 2035 um etwa 4 Millionen unter dem Niveau von 2019 liegen. Auch in anderen EU-Ländern wird das Erwerbspersonenpotenzial schrumpfen. In Summe dürfte der Fachkräftemangel in einzelnen Regionen und Sektoren zunehmen. Ein Rückgang der Beschäftigung in der Automobilindustrie muss daher nicht zu einer dauerhaft höheren Arbeitslosigkeit führen. Er kann durch eine Nachfrage aus anderen Branchen kompensiert werden, die vom Fachkräftemangel betroffen sind. Dies erfordert freilich Investitionen in die Weiterbildung der Beschäftigten. Angesichts der demografischen Entwicklung kann eine zunehmende Automatisierung in der Produktion ebenfalls etwas gelassener gesehen werden als dies aktuell der Fall ist. Schließlich vollzieht sich der in den verschiedenen Studien erwartete Rückgang der Beschäftigtenzahl in der Automobilindustrie über mehrere Jahre. Daher reduziert allein der in diesem Zeitraum anstehende Renteneintritt der Generation der Babyboomer die Anpassungslasten in den betroffenen Unternehmen und Regionen.
Deutsche Automobilindustrie besser für die „elektromobile“ Zukunft gerüstet als der Automobilstandort Deutschland
Wenn man die öffentliche Debatte zur Elektromobilität verfolgt, kann man den Eindruck gewinnen, dass das Wohl und Wehe des Automobilstandorts Deutschland und der deutschen Automobilindustrie einzig von der Entwicklung dieser Technologie und der Nachfrage nach Elektroautos abhängt. Dies ist in dieser Pauschalität nicht zutreffend. Natürlich werden Elektroautos wichtiger. Und hier tut sich auf der Angebotsseite viel. Allein die deutschen Autohersteller werden bis 2023 laut VDA mehr als 150 Elektroautos im Angebot haben. Die deutschen Unternehmen waren bei der Elektromobilität zwar nicht die schnellsten am Markt. Derzeit liegt ihr Marktanteil am Absatz von Elektrofahrzeugen in vielen wichtigen Automärkten unter dem Anteil im jeweiligen gesamten Pkw-Markt. Es wäre aber nicht das erste Mal, dass die deutsche Automobilindustrie im zweiten Schritt (also in den kommenden Jahren) die „Vorreiter“ überholen und ihren Kunden das beste und vielseitigste Angebot unterbreiten würde. Das von manchen Marktbeobachtern gebetsmühlenhaft wiederholte Narrativ, die deutsche Automobilindustrie habe den Trend hin zur Elektromobilität komplett verschlafen, ist jedenfalls falsch. Erstens handelt es sich bei globalen Marktanteilen unter 3% um ein Nischenphänomen. Zweitens wird dieser Trend primär durch CO2-Regulierung und Subventionen befeuert. Und drittens ist das Rennen um das beste Angebot an Elektroautos kein Sprint, sondern ein Langstreckenlauf.
Bleibt die Frage, wo die deutsche Automobilindustrie ihre Elektroautos künftig baut. Das kann zu einem nennenswerten Teil in Deutschland geschehen, zumal einige Fabriken bereits umgerüstet wurden. Es ist aber kein Selbstläufer. Dafür muss das Gesamtpaket an Standortfaktoren passen. Das technologisch beste Produkt wird nur bedingt erfolgreich sein, wenn es aufgrund von Kostennachteilen des Produktionsstandorts zu teuer ist. Umgekehrt sind die besten Standortbedingungen nicht ausreichend, wenn das Produkt den Kunden nicht überzeugt.
Bezogen auf die Automobilindustrie kann man festhalten: Die Produktpipeline der deutschen Hersteller in Sachen Elektromobilität ist gut gefüllt – spät, aber aus unserer Sicht nicht zu spät. Dagegen hat der Produktionsstandort Deutschland aus Kostensicht gegenüber dem Ausland an Attraktivität eingebüßt; und die Produktionskosten sind für den Markterfolg von Elektrofahrzeugen besonders wichtig. Die Kostennachteile des Standorts können durch das Erzielen von Größenvorteilen, eine hohe Kapazitätsauslastung oder mehr Automatisierung abgemildert werden. Hier verfügen die deutschen Unternehmen über jahrzehntelange Erfahrung gerade an ihren heimischen Standorten.
Unter dem Strich lässt sich aber festhalten, dass die deutsche Automobilindustrie aus heutiger Sicht besser für die elektromobile Zukunft gerüstet ist als der Automobilstandort Deutschland. Die Unternehmen können recht flexibel auf regional unterschiedliche Entwicklungen der Nachfrage nach Elektroautos reagieren, z.B. Elektroautos für den chinesischen Markt in China produzieren. Bei den Standortfaktoren auf der Kostenseite (Löhne, Steuern, Strompreise etc.) zeichnet sich dagegen keine wesentliche Trendwende ab.
Hinweis: Die Langfassung des Beitrages mit vielen weiteren interessanten Details finden Sie hier.
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