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Nach einer weit verbreiteten Vorstellung, die im Alten Testament ihren Niederschlag gefunden hat und durch die archäologische Forschung gestützt wird, waren die Menschen ursprünglich Jäger und Sammler. Erst vor etwa 10.000 Jahren, mit Beginn der Jungsteinzeit, wurden die ersten Menschen sesshaft und betrieben Ackerbau und Viehzucht. Adam und Eva hatten die Früchte des Gartens Eden gesammelt und verzehrt – auch verbotene. Ihre Söhne, Kain und Abel, wurden Ackerbauern oder und hüteten Schafe. Die Menschen bestellten das Feld “im Schweiße ihres Angesichts” und der Acker “trug Dornen und Disteln”. Ackerbau und Viehzucht kamen einer Strafe gleich. Auch die Archäologen betonen, dass die Sesshaftigkeit nicht nur Vorteile hatte. Zwar stieg die Produktivität und wuchs die Bevölkerung, denn es war nun möglich, mehr Kinder zu ernähren. Aber die Menschen starben früher, waren kleiner und weniger frei.[i] Dafür gibt es Erklärungen. Die kürzere Lebenserwartung wird darauf zurückgeführt, dass der tägliche Umgang mit Haus- und Zuchttieren und das Leben auf engem Raum bei mangelnder Hygiene die Ausbreitung von Krankheiten erleichterte. Besonders ansteckend und für den Menschen gefährlich sind die Krankheiten der Schweine, Rinder, Schafe und Ziegen. Die geringere Körpergröße könnte eine Folge der andersartigen Ernährung sein, oder sie setzte sich in der Evolution durch, weil sie bei der Feldarbeit von Vorteil war. Und die Menschen verloren ihre Freiheit, weil nur starke Herrscher in der Lage sind, Eigentumsrechte an Land, Wasser und Vieh durchzusetzen. Vielleicht wegen dieser Nachteile, wandten sich die Menschen sogar vorübergehend wieder von der Landwirtschaft ab.
Am mächtigsten wurden die Herrscher schließlich dort wo, wie in Ägypten, China und Mesopotamien, Bewässerungsanlagen zu verwalten waren und das Land wie Ägypten von Wüste umgeben und die Abwanderung daher schwierig war. Dass viele dieser Herrscher zu Despoten wurden, zeigen ihre monumentalen und überreich ausgestatteten Grabmäler (bis hin zu den ägyptischen Pyramiden) sowie die zum Teil lebendig mitbegrabene Dienerschaft. Die oft rituellen Grabbeigaben deuten darauf hin, dass die Mächtigen – beraten von erfindungsreichen Schamanen, denen das auskömmliche Amt des Tempelpriesters winkte – Staatsreligionen einführten und durchsetzten, um ihre Legitimation religiös zu begründen und Gehorsam zu finden.[ii]
Die Ansammlung von Menschen auf engstem Raum erlaubten es den Herrschern, Armeen aufzustellen. An die Stelle von Scharmützeln zwischen benachbarten Horden um die Grenzen der Jagdgebiete trat der Großkrieg mit der massenhaften Versklavung oder Opferung der Besiegten. Davon zeugen Knochenfunde und die Kriegsszenen in den künstlerischen Darstellungen jener Zeit. Auch wurden nun die ersten Stadtmauern gebaut.
Die Sesshaftigkeit breitete sich von Südost-Anatolien in alle Erdteile aus – wie die Archäologen betonen, nicht durch Nachahmung (denn diese war ja mit erheblichen Nachteilen verbunden), sondern durch Eroberung[iii] (denn die sesshaften Völker waren aufgrund ihres Bevölkerungswachstums die Stärkeren). In der natürlichen Auslese des Evolutionsprozesses setzt sich die stärkste Gruppe durch, nicht die mit der höchsten Lebensqualität. Man kann auch nicht sagen, dass die Sesshaften aufgrund ihres starken Bevölkerungswachstums darauf angewiesen waren, Eroberungskriege zu führen, denn ihr Produktivitätszuwachs versetzte sie ja in die Lage, mehr Menschen zu ernähren. Wie alle “Volk-ohne-Raum” Theorien beruht auch diese auf einem Denkfehler.
Bieten die Erfahrungen jener Zeitenwende irgendwelche Lehren für unsere Freiheit heute? Sollten wir wieder Jäger und Sammler werden oder wie im kommunistischen Schlaraffenland (Paradies?) von Karl Marx zumindest morgens fischen gehen? Natürlich nicht. Aber die Jungsteinzeit schärft unser Bewusstsein für die Einsicht, dass der sesshafte Staat zur Unfreiheit tendiert: Ein Staat, der stark genug ist, Eigentumsrechte durchzusetzen, ist auch in der Lage, die Bürger im Interesse der Herrschenden zu unterdrücken, wenn nicht besondere Vorkehrungen getroffen werden. In der Geschichte hat es sich als leichter erwiesen, die Anarchie durch einen Rechtsstaat zu ersetzen, als zu verhindern, dass dieser Rechtsstaat in die Unfreiheit abgleitet.
Im Paradies des Alten Testaments ist der Staat kein Thema. Denn Adam und Eva sind Sammler, und solange die Früchte nicht knapp sind, bedarf es auch keiner Eigentumsrechte.
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[i] Vgl. das Buch der Archäologin Brenna Hassett, Built on Bones: 15.000 Years of Urban Life and Death, Bloomsbury Publishing: London 2017. Soweit nicht anders vermerkt, sind auch die folgenden archäologischen Befunde diesem Buch entnommen. Als bekennende Sozialistin beklagt Hassett nich den Verlust an Freiheit, sondern die zunehmende Ungleichheit, die damit verbunden war.
[ii] Meine historische Analyse der Einführung von 31 Staatsreligionen kommt zu dem Ergebnis, dass 18 der Staatsreligionen von Herrschern eingeführt wurden, die ein besonderes Legitimationsdefizit hatten („The Making of State Religion: Political Economy and Historical Evidence“, Critical Research in Religion, 2017, S. 9-33). Der Zusammenhang ist statistisch signifikant. Dass derartige Religionen signifikant häufiger bei sesshaften Völkern als unter Jägern und Sammlern vorkommen, zeigt die Regressionsanalyse von H.C. Peoples und F.W. Marlowe, „Subsistence and the Evolution of Religion“, Human Nature, 2012, S. 253-269.
[iii] Vgl. vor allem Peter Bellwood, First Farmers: The Origins of Agricultural Societies, Blackwell: Oxford 2005.
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Die geignetste Vorkehrung scheint mir die Dezentralisierung politischer Macht zu sein. Im Wettbewerb um Leistungsträger und Investitionen haben die Regierenden sowohl einen Anreiz, Eigentumsrechte zu garantieren, als auch einen Anreiz, den Bürgern möglichst viel Freiheit zu gewähren.