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Ein wichtiges Thema der EZB-Strategieüberprüfung ist die Kommunikation der Notenbank. Es gibt zahlreiche Vorschläge, wie und wem gegenüber die EZB ihre Politik verständlicher machen sollte. Aber die EZB wird nur erfolgreich kommunizieren, wenn sie nicht nur redet, sondern auch zuhört, und letzteres spielt in den bisherigen Vorschlägen zu Unrecht eine untergeordnete Rolle: Systematisch zu erfassen, welche Erwartungen und Einschätzungen Unternehmen und Haushalte zu Inflation und anderen Größen haben, dürfte für die praktische Geldpolitik von erheblicher Bedeutung sein.
Besser kommunizieren
Ein Kernanliegen der neuen EZB-Präsidentin Lagarde ist es, die EZB-Politik nicht nur für die Finanzmärkte verständlich zu gestalten, sondern auch für die breite Öffentlichkeit, da sonst das Vertrauen in die Geldpolitik schwinden würde. Schon jetzt, kurz nach dem offiziellen Beginn der Strategieüberprüfung, gibt es eine ganze Reihe von Vorschlägen zur EZB-Kommunikation, sowohl von EZB-Ratsmitgliedern wie auch von außerhalb.
Zwei Punkte fallen hierbei auf: Erstens herrscht keine Einigkeit, wie sich die EZB äußern sollte, um das Verständnis für ihre Politik zu erhöhen, d.h. die Vorschläge widersprechen sich teilweise. Zweitens besteht eine erfolgreiche Kommunikation aus Reden UND Zuhören. Die EZB sollte also nicht nur ihr Vorgehen verständlich erläutern, sondern sich vorab(!) informiert haben, welche Erwartungen Unternehmen und Haushalten zu Inflation und anderen Größen haben. Leider gibt es zu Letzterem kaum Vorschläge, also insbesondere wie die EZB die Einschätzung der breiten Öffentlichkeit systematisch und objektiv erfassen könnte. Hier stecken die Bemühungen noch in den Kinderschuhen.
EZB-Sprache, schwere Sprache
Eine erfolgreiche, verständliche Kommunikation der EZB mit der breiten Öffentlichkeit ist wichtig. Erstens erhöht sie die Glaubwürdigkeit der Notenbank und schafft größeres Vertrauen, was die Wirksamkeit der Geldpolitik steigern dürfte. Zweitens hat sich in der Zeit hoher Inflationsraten gezeigt, dass politisch unabhängige Notenbanken besser in der Lage sind, Preisstabilität zu sichern. Wegen ihrer Unabhängigkeit sind Notenbanken aber verpflichtet, Rechenschaft über ihr Tun abzulegen – und sie sollten dies natürlich in verständlicher Form tun.
Verständlich zu kommunizieren, ist den großen Notenbanken nur bedingt gelungen (Bei der EZB kommt erschwerend hinzu, dass sie dies in den 16 Amtssprachen im Euroraum tun muss.) 2015 war beispielsweise die belgische Notenbank in einer empirischen Untersuchung zu dem Schluss gekommen, dass im Schnitt etwa 14 Jahre Ausbildung notwendig seien, um den Text der „Einleitenden Bemerkungen“ der EZB-Pressekonferenz zu verstehen (Abbildung 1)1. In den USA und Japan sind die Größenordnungen der Studie zufolge vergleichbar.
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Die Bank von England hat in einer Anfang des Jahres veröffentlichten Untersuchung resümiert, dass die Kommunikation der meisten Zentralbanken in einer solchen Sprache abgefasst ist, dass nur von etwa 10% der Bevölkerung erwartet werden kann, dass sie sie lesen und verstehen kann.
Untersucht man mit den gleichen Methoden Reden von Politikern, so ergeben sich häufige bessere Werte, die Reden sind also verständlicher. Folglich wird der EZB empfohlen, an einer einfacheren, verständlichen Sprache zu arbeiten – und die Notenbank hat wiederholt signalisiert, dass sie dazu bereit ist.
Ob dies die EZB entscheidend voranbringt, ist allerdings umstritten. So empfehlen die Autoren einer im Auftrag des Europäischen Parlaments veröffentlichten Analyse zur EZB-Kommunikation, die EZB sollte nicht versuchen, mit jeder geldpolitischen Entscheidung eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, sondern sich primär an Medien und Finanzmärkte richten. Lediglich „strategische“ Entscheidungen sollten genauer erläutert werden. Der Grund sei, dass es für die überwältigende Mehrheit der breiten Öffentlichkeit rational sei zu entscheiden, uninformiert zu bleiben, da die Kosten für die Aufbereitung von Informationen über die Geldpolitik den potenziellen Nutzen übersteigen. Salopp gesagt bringt es „Otto Normalverbraucher“ wenig, wenn er verstanden hat, warum die EZB beispielsweise den Einlagesatz nochmals um 10 Basispunkte gesenkt oder das monatliche Kaufvolumen um 10 Mrd Euro erhöht hat – selbst wenn dies in verständlicher Sprache erläutert wurde.
Einigkeit demonstrieren – oder nicht?
Immer wieder wird gefordert, die Aussagen einzelner Mitglieder des EZB-Rates sollten so weit wie möglich an der offiziellen Position der EZB angeglichen werden, um unnötige Unsicherheit zu vermeiden.
Diese Sichtweise wird allerdings nicht von jedem geteilt. So wird beispielsweise gefordert, die EZB solle in den Protokollen zu ihren Ratssitzungen mitteilen, welches Ratsmitglied welche Meinung vertreten hat und wie jeder einzelne abgestimmt hat. Argumentiert wird, dass ein solches Signal der Öffnung Vertrauen schafft und auch dazu beiträgt, dass einzelne Positionen besser begründet werden. Interessant an diesem Vorschlag ist, dass er im EZB-Rat sowohl von dem Falken Holzmann als auch von der Taube Visco unterstützt wird.
Ehrlicher kommunizieren
Daneben gibt es noch eine Reihe von Vorschlägen, die EZB solle ehrlicher und umfassender informieren, wie zum Beispiel:
- Die EZB solle der Öffentlichkeit klar mitteilen, dass sie unter erheblicher Unsicherheit arbeitet, sodass Abweichungen von ihren geldpolitischen Zielen nicht zu einem Vertrauensverlust führt.
- Da die Inflationsrate seit 2009 meist unter dem EZB-Zielwert gelegen hat, sei es um so wichtiger, dass die Notenbank detailliert erläutert, warum sie ihr Ziel trotz erheblicher Anstrengungen nicht erreicht hat. Mehr Transparenz in dieser Hinsicht sei unerlässlich, um die Glaubwürdigkeit der EZB zu wahren.
- Die neuen Aufgaben, die die EZB in den letzten zehn Jahren übernommen hat, erschweren die Abgrenzung des Mandats der EZB in diesen Bereichen, z. B. die Trennung von Geld- und Aufsichtsfunktionen. Die Klärung der Wechselwirkungen zwischen Aufsichtstätigkeit und Geldpolitik sei von wesentlicher Bedeutung.
Zuhören!
Die genannten Vorschläge haben vermutlich einen wahren Kern, wir befürchten aber, dass sie die EZB keinen entscheidenden Schritt voranbringen.
Unsere Kritik ist grundsätzlicher: Erfolgreich ist Kommunikation nur dann, wenn nicht nur verständlicher geredet, sondern auch genau zugehört wird. Die bisherigen Vorschläge konzentrieren sich aber überwiegend auf die eine Seite, also wie, in welchem Umfang, zu welchen Themen und in welchen Foren sich die EZB äußern sollte.
Das Thema „Zuhören“ ist unseres Erachtens zu stark an den Rand gedrängt. Zugegeben, EZB-Präsidentin Lagarde hat deutlich betont, wie wichtig es ihr ist, dass in der Strategieüberprüfung auch die Ansicht der Öffentlichkeit gehört werden soll. So begrüßenswert es ist, dass sich die EZB auf diese Weise anekdotisch informiert, im Zentrum sollte eine systematische Erfassung der Erwartungen von Unternehmen und privaten Haushalten stehen. Schließlich bestimmen diese Einschätzungen, ob Unternehmen mehr oder weniger investieren und Haushalte mehr oder weniger konsumieren oder sparen.
Systematisch zu erfassen, welche Erwartungen und Einschätzungen Unternehmen und Haushalte zu Inflation und anderen Größen haben, dürfte für die praktische Geldpolitik von erheblicher Bedeutung sein.
Um dies genauer zu erläutern, müssen wir allerdings etwas weiter ausholen. Die EZB selber hat immer wieder hervorgehoben, dass der deutliche Rückgang der marktbasierten Inflationserwartungen ein sehr wichtiger Grund war, ab 2015 in großem Umfang Staatsanleihen zu kaufen. In letzter Zeit hat die Skepsis allerdings zugenommen, dass sie auch in Zukunft auf diesen Indikator schauen sollte.
Erstens sollten Notenbanken beachten, dass sie mit ihren Äußerungen Marktpreise beeinflussen, sodass sie weniger auf die Signale hören sollten, die von denselben Märkten ausgehen. Andernfalls könnten sie sich in einer Echokammer wiederfinden und auf Marktsignale reagieren, die nur ein Echo ihrer eigenen Verlautbarungen sind. („echo chamber effect“, BIZ 2017)
Zweitens ist es wenig wahrscheinlich, dass sich Sozialpartner, Unternehmen und Haushalte bei der Lohn- und Preissetzung an den marktbasierten Inflationserwartungen orientieren, weil diese viel zu volatil sind, also häufig revidiert werden. Markterwartungen und die von Unternehmen und Haushalten dürften sich mithin unterscheiden. (Coeure 2019)
Insgesamt erscheint es also sinnvoll, dass sich die EZB bei ihren geldpolitischen Entscheidungen nicht an den marktbasierten Inflationserwartungen orientiert, sondern an den Erwartungen von Unternehmen und Haushalten. Die EZB sollte zuhören, um zu erfahren, wie der Privatsektor die Lage einschätzt.
Leider sind Daten zu den Erwartungen von Unternehmen und Haushalten rar gesät (Coeure 2019), mit wenigen Ausnahmen. So hat die Bundesbank im Dezember 2019 die Ergebnisse einer Pilotstudie über die Erwartungen privater Haushalte in Deutschland veröffentlicht. Ein Ergebnis war, dass eine deutliche Mehrheit der Befragten über die kommenden 12 Monate Inflationsraten zwischen 0% und 3% erwartet, wobei der Median exakt bei 2% lag (Abbildung 2). Die marktbasierten Inflationserwartungen lagen dagegen im letzten Jahr zum Teil deutlich tiefer als 2014/15, als die EZB ihr Anleihenkaufprogramm startete. Sie haben also im Gegensatz zu den Erwartungen der privaten Haushalte eine erneute Lockerung der Geldpolitik signalisiert.
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Um tatsächlich in der geldpolitischen Analyse verwendet zu werden, bedarf es aber einer viel zuverlässigeren Datenbasis über die Erwartungen von Unternehmen und privaten Haushalten. Zurzeit existiert diese nicht, obwohl einige (ehemalige) EZB-Ratsmtglieder (Coeure, de Guindos, Villeroy, Weidmann) den Aufbau einer solchen Datenbasis begrüßen würden. Mit der Schaffung einer Datenbasis würde das Problem gemindert werden, dass allein der Wille zu einer verständlicheren Kommunikation nicht zwangsläufig zum Erfolg führt, wie exemplarisch EZB-Präsidentin Lagardes Auftritt vor dem Europäischen Parlament in der letzten Woche gezeigt hat. Lagarde betont stets, wie wichtig ihr die Kommunikation sowie die Rechenschaftspflicht der Zentralbank gegenüber der Öffentlichkeit ist. Bei ihrem Auftritt waren jedoch nur dreißig oder vierzig der insgesamt 705 Abgeordneten anwesend, und die Frankfurter Allgemeine Zeitung beschrieb die Diskussion wie folgt:
„Fast alle anwesenden Abgeordneten leierten [in ihren Ein- bis Zweiminutenreden] ihre jeweiligen Themen herunter, vom „Gelddrucken“ der EZB und von der angeblichen Abschaffung des Bargeldes über die von Facebook & Co. emittierten Kryptowährungen bis zum überhitzten irischen Immobilienmarkt. Aus Zeitgründen ging Lagarde auf die meisten Interventionen in ihren Schlussbemerkungen gar nicht ein. Zuhören war beiden Seiten in dieser Debatte nicht besonders wichtig. Kommunikation auch nicht.“
Offenbar hängt eine erfolgreiche Kommunikation auch von der Tagesform und dem Willen aller Beteiligten sowie vom verfügbaren zeitlichen Rahmen ab. Solche Probleme treten bei der systematischen Erfassung der Erwartungen des privaten Sektors nicht auf, da sie immer gleich zuverlässig sein dürften.
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1 Der Flesch-Kincaid-Grade-Level-Index versucht, die Lesbarkeit auszudrücken in der Anzahl der Schuljahre, die ein Leser absolviert haben muss, um den Text zu verstehen. Die Berechnung basiert auf der durchschnittlichen Satzlänge und der durchschnittlichen Silbenanzahl pro Wort eines Textes.
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