Nachlese zum Equal Care Day
Sollte Care-Arbeit im Familienverband bezahlt werden?

Eine ungleiche Verteilung der Care-Arbeit in Familien ist oftmals Anlaß für die Forderung nach Entlohnung dieser Tätigkeiten. Eine derartige Regelung ist den Familienmitgliedern zu überlassen.

Der Begriff „Care-Arbeit“ beschreibt im wesentlichen die Betreuung, Pflege und Versorgung von Menschen mit dem Zweck, deren Wohlbefinden, Sicherheit und/oder Lebensqualität zu verbessern. In Deutschland zeigt sich, daß Frauen durchschnittlich etwa fünfzig Prozent mehr Care-Arbeit im Familienverband leisten als Männer und daß dieser sog. Gender Care Gap im Alter zwischen 25 und 35 Jahren stark ansteigt (Schäper, Schrenker und Wrohlich 2023).

Aus der Annahme, daß der Care-Arbeit im Familienverband die Anerkennung und Wertschätzung vorenthalten werde, die Verteilung der Care-Arbeit im Familienverband der Gleichberechtigung der Geschlechter im Familienverband widerspreche und zudem Frauen an einer adäquaten Ausübung von bezahlten Berufen hindere, wird häufig die Forderung nach Bezahlung derselben geäußert (z. B. Vorsamer 2020).

Wie ist diese Forderung aus ordnungsökonomischer Sicht zu bewerten?

Eine Familie kann als Korporation im Sinne von James S. Colemans Modell der Ressourcenzusammenlegung interpretiert werden (Coleman 1964; 1974/75; 1979; 1992).

Eine Korporation zeichnet sich dadurch aus, daß deren Mitglieder, die zumindest in bestimmten Bereichen identische Zielsetzungen – etwa in Form des Wunsches nach Kindern oder der Minimierung der individuellen Mietzahlungen durch Zusammenlegung zweier Haushalte – aufweisen, einen Teil oder auch alle der ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen in die Korporation einbringen. Ressourcen im Sinne dieses Ansatzes sind nicht nur materielle Güter, sondern umfassen immaterielle Güter wie Rechte, das Human- und Sozialkapital des jeweiligen Individuums sowie die Erbringung von Arbeitsleistungen. Ressourcen sind also „alle Aspekte menschlicher Lebenssituationen, die unter dem Gesichtspunkt einer zu treffenden Entscheidung einer Bewertung unterliegen“ (Albert 1978, S. 65). Somit kann unter dem Begriff „Ressource“ all das subsumiert werden, „was ein Akteur zur Beeinflussung seiner – physischen und sozialen – Umwelt einsetzen kann“ (Vanberg 1982, S. 11).

Durch den Vorgang des Einbringens der spezifizierten Ressourcen, in dessen Folge die einzelnen Akteure auf die individuelle separate Verfügung über diese Ressourcen verzichten, entsteht ein Pool. Der Zweck der Korporation besteht nun darin, durch eine gemeinsame Disposition über die eingebrachten Ressourcen insgesamt einen höheren Ertrag zu erwirtschaften, als dies beim Handeln gemäß individueller Dispositionen der Ressourcen der Fall wäre. Als Erträge sind in diesem Zusammenhang freilich nicht nur materielle Größen zu verstehen. So kann ein hohes Haushaltseinkommens zwar eine Zielsetzung sein, aber ebenso können die angestrebten Erträge etwa – und dies wird regelmäßig in Familien der Fall sein – im Austausch von Zuneigung, in der Übernahme von Verantwortung und der Verfolgung gemeinsamer Freizeitbeschäftigungen bestehen.

Eine derartige Korporation erfordert die Ausgestaltung der Koordinations- und der Ertragsrechte. So ist zum einen zu klären, wie über den Einsatz des gemeinsamen Ressourcenpools entschieden werden soll (Ausgestaltung der Koordinations- bzw. Dispositionsrechte). Dies bedeutet, daß eine Entscheidungsregel bestimmt werden muß, nach der die Verwendung des Ressourcenpools festgelegt werden kann. Für die Ausgestaltung dieser Regel stehen verschiedene Alternativen zur Verfügung wie etwa die Einstimmigkeitsregel, die Mehrheitsregel oder eben die Delegation der Entscheidung an eine Person. Zum anderen müssen die Ertragsrechte, also die Frage nach der Verteilung der durch den Ressourcenpool erwirtschafteten Überschüsse, spezifiziert werden. Auch hierfür gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten.

In einer expliziten oder impliziten Verfassung der Korporation sollte neben den Koordinations- und Ertragsrechten noch geklärt werden, an welche Voraussetzungen der Eintritt in die Korporation geknüpft ist, welche Ressourcen einzubringen sind und welche Konsequenzen bei Austritt aus der Korporation oder bei Auflösung derselben zu erwarten sind.

Eine Familie zeichnet sich nun dadurch aus, daß zumindest anfänglich mindestens zwei Personen freiwillig beschließen, ihre Ressourcen zusammenzulegen. Für die Lösung der oben aufgeführten Fragestellungen bieten sich unterschiedliche Möglichkeiten an. Im Laufe des Bestehens der Korporation können diese Lösungen stets neu ausgehandelt werden. Neben dem Inhalt dieser Regelungen kann auch deren Verbindlichkeit nach den eigenen Vorstellungen festgelegt werden. So können diese von einer Ehe bis zu einem lockeren unverbindlichen Zusammenleben ohne größere einklagbare Verpflichtungen reichen.

Unterstellt man nun, daß es sich bei den in diesem Setting agierenden Akteuren um freie, rational handelnde Individuen handelt, dann werden sie ihre Dispositionen im Hinblick auf die Ausgestaltung der Korporation in einer Weise treffen, die ihren Vorstellungen entspricht. Natürlich hat der eine Partner hinsichtlich der Eigenschaften und des Verhaltens gegenüber dem anderen einen Informationsnachteil und selbstverständlich erfolgt auch die Bewertung der eingebrachten Ressourcen unter Unsicherheit. Dennoch kann grundsätzlich von einem freiwilligen Austausch ausgegangen werden, von dem sich die Korporationsmitglieder einen Nutzen versprechen. Selbst wenn sich die Ausformung der einzubringenden Ressourcen im Laufe der Zeit ändert, besteht für die Akteure die Möglichkeit, sich einer für sie nicht genehmen Entwicklung der Korporation durch Austritt aus derselben zu entziehen. Die Entscheidung wird determiniert durch die Ausstiegskosten, die je nach getroffener Vereinbarung variieren, sowie durch die Opportunitätskosten, die im Zeitablauf unterschiedlich hoch sein können.

Was heißt das nun für die finanzielle Entlohnung für die im Familienverband auftretende Care-Arbeit? Da sich die Korporation „Familie“ in Mitteleuropa regelmäßig freiwillig konstituiert und aus individualistischer Sicht den Akteuren bei der Spezifikation der einzubringenden Ressourcen sämtliche Freiheitsspielräume zuzubilligen sind, spricht auch nichts gegen eine korporationsspezifische Regelung der Entlohnung im Familienverband auftretender Care-Arbeit. Da es sich aber zum einen um eine gänzlich freiwillige Transaktion der Ressourcen in den Pool handelt, der man sich – auch wenn dabei durchaus erhebliche Kosten auftreten können – wiederum entziehen kann, und da zum anderen die Ausgestaltung der Verfassung dieser Korporation in den Bereich der intimsten Privatsphäre fällt, ist eine etwa durch den Gesetzgeber vorgegebene verbindliche Entlohnung der Care-Arbeit in der Familie abzulehnen. In einer freien Gesellschaft sind derartige Ausgestaltungen gänzlich den Individuen zu überlassen.

Literatur

Albert, H. (1978), Nationalökonomie als sozialwissenschaftliches Erkenntnisprogramm, in: ALBERT, H. (Hrsg.), Ökonometrische Modelle und sozialwissenschaftliche Erkenntnisprogramme, Mannheim, Wien, Zürich, S. 49 – 71.

Coleman, J. S. (1964), Collective Decisions, in: Sociological Inquiry, Vol. 34, S. 166 – 181.

Coleman, J. S. (1991), Grundlagen der Sozialtheorie, Band 1: Handlungen und Handlungssysteme, München.

Coleman, J. S. (1992), Grundlagen der Sozialtheorie, Bd. 2: Körperschaften und die moderne Gesellschaft, München.

Coleman, J. S. (1974/75), Inequality, Sociology, and Moral Philosophy, in: American Journal of Sociology, Vol. 80, S. 739 – 764.

Coleman, J. S. (1979), Macht und Gesellschaftsstruktur, Tübingen.

Coleman, J. S. (1978), Soziale Struktur und Handlungstheorie, in: Blau, P. M. (Hrsg.), Theorie sozialer Strukturen, Ansätze und Probleme, Opladen, S. 76 – 92.

Schäper, C., Schrenker, A., & Wrohlich, K. (2023), Gender Pay Gap und Gender Care Gap steigen bis zur Mitte des Lebens stark an, DIW Wochenbericht Nr. 9/2023, https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.867348.de/23-9-1.pdf (Zugriff 10. März 2024).

Vanberg, V. (1982), Markt und Organisation. Individualistische Sozialtheorie und das Problem korporativen Handelns, Tübingen.

Vorsamer, B. (2020), Auch Care-Arbeit ist Arbeit, https://www.sueddeutsche.de/leben/care-arbeit-bezahlung-1.4823395 (Zugriff 10. März 2024).

Frank Daumann und Florian Follert

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