Die Forderungen der Athleten bei den Olympischen Spielen nach direkter Entlohnung aus den Einnahmen des IOC dürften vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Marktsituation erfolglos bleiben.
Die US-amerikanische Nonprofit-Organisation Pro Publica veröffentlichte am 3. Oktober 2023 Details über die Angaben, die das Internationale Olympische Komitee (IOC) gegenüber der amerikanischen Steuerbehörde (IRS) machte. Dadurch wurden die Vergütungen verschiedener leitender Angestellter des IOC publik. Nach diesen Angaben verdiente bspw. der Generalsekretär des IOC, Christophe De Kepper, im Jahre 2021 einschließlich Boni etc. etwa anderthalb Millionen Dollar. Etwas geringere Vergütungen werden für die anderen leitenden Angestellten des IOC berichtet (Becker & Reinsch 2023).
Diese Vergütungen veranlaßte nun Athleten Deutschland e.V., eine Interessenvertretung der für die Bundesrepublik Deutschland startenden Athleten, nach Angaben der FAZ vom 4. Oktober 2023 (Becker & Reinsch 2023), zum einen eine detaillierte Rechenschaft über die Verwendung der Einnahmen aus den Olympischen Spielen und zum anderen eine finanzielle Beteiligung der etwa 13.000 Sportler an diesen Einnahmen einzufordern: „Wenn das IOC zehn Prozent seiner Umsätze für interne Zwecke und Gehälter verwendet, wäre es nur angebracht, auch Athletinnen und Athleten diesen Anteil in Höhe von fast 800 Millionen US-Dollar direkt und ohne Umwege auszuschütten“ (zitiert nach Becker & Reinsch 2023). Offenbar hat das IOC in der zurückliegenden Olympiade von vier Jahren etwa 7,6 Milliarden Dollar vereinnahmt und davon etwa 90 Prozent an die Verbände des Weltsports weiter gereicht.
Dies wirft die Frage auf, wie eine derartige Forderung der Athleten aus ordnungsökonomischer Sicht zu bewerten ist.
Das IOC ist eine Organisation des Schweizer Rechts und hat es sich insbesondere zur Aufgabe gemacht, die Olympischen Spiele zu organisieren und zu überwachen sowie die Olympische Bewegung weltweit zu fördern. Aus ökonomischer Sicht betreibt das IOC somit in Form der Olympischen Spiele eine Plattform. Als Nutzer dieser Plattform treten verschiedene Gruppierungen auf: Neben den Vor-Ort-Zuschauern sind dies insbesondere die Athleten, Medienunternehmen und andere Unternehmen. Während erstere am Konsum der Unterhaltungsdienstleistung sportlicher Wettkampf vor Ort interessiert sind, stellen die Athleten die Produktionsfaktoren dieses Wettkampfs dar. Durch ihre Leistung wird der Wettkampf interessant und attrahiert daher Zuschauer. Für die Athleten spendet die Teilnahme an diesem Wettkampf einerseits einen direkten Konsumnutzen aus der Teilnahme („Dabei sein ist alles!“) (ideeller Nutzen) und anderseits erhöhen Siege bei dieser Veranstaltung den Marktwert der Athleten (indirekter materieller Nutzen). Dies läßt sich etwa durch bessere Werbeverträge oder Antrittsprämien bei nachfolgenden sportlich eher weniger interessanten Wettbewerben monetarisieren. Vor diesem Hintergrund kann die Teilnahme eines Athleten an den Olympischen Spielen auch als Investition in die eigene Vermarktung interpretiert werden. Sportler agieren hier als „Unternehmer in eigener Sache“ (hierzu etwa Krüger 1972) – Leistung ist eben nicht nur Aktion, sondern auch Präsentation (Gebauer 1972). Medienunternehmen sind daran interessiert, ihren Nachfragern ansprechende Unterhaltungsprodukte anzubieten; sie treten daher als Nachfrager der Medienrechte an den Olympischen Spielen auf. Sonstige Unternehmen haben etwa ein Interesse daran, die Plattform der Olympischen Spiele zu nutzen, um die eigene Bekanntheit zu erhöhen (Sponsoring). Für den Plattformbetreiber lassen sich insbesondere durch die Vor-Ort-Zuschauer, die Medienunternehmen und die Sponsoren Einnahmen erzielen, mit denen u.a. das Management und die Maintainance der Plattform umgesetzt werden können.
Die Athleten als Produktionsfaktor nehmen im Rahmen dieser Plattform zweifelsohne eine zentrale Stelle ein: Ohne ihre Beteiligung als Gesamtheit kann die Plattform ihre Unterhaltungsdienstleistung nicht produzieren. Mit anderen Worten: Die Marktmacht der Athleten in ihrer Gesamtheit ist erheblich. Sofern es sämtlichen Athleten gelänge, sich zu einem Kartell zusammenzuschließen, wäre dieses Kartell sicherlich in der Lage, große Teile der Einnahmen des Plattformbetreibers, also des IOC, zu appropriieren. Nun ist aus der Kartelltheorie hinlänglich bekannt, daß derartige Kartelle über eine Vielzahl von Anbietern kaum stabil sind. So liegt etwa in der Form der Athleten Deutschland e.V. eine Interessenvertretung der deutschen Athleten vor, deren Präferenzen sich möglicherweise von Athleten in anderen Teilen der Welt unterscheiden . Würde nun diese Interessenvertretung androhen, daß sie, sofern ihre Athleten nicht angemessen durch das IOC vergütet würden, den Olympischen Spielen fernbliebe, würden Athleten aus anderen Ländern diese Lücke füllen, da der ideelle und der indirekt monetäre Nutzen der Teilnahme möglicherweise höher bewertet werden. Dies gilt insbesondere für die Topathleten, z.B. die Stars im 100-Meterlauf, deren Erwartungswert größer sein dürfte als jener der von Athleten Deutschland e.V. vertretenen Sportler. Im Prinzip befinden sich die Athleten in einer Gefangenendilemma-Situation, die ohne ein globales und disziplinübergreifendes Übereinkommen mit entsprechender Bindungswirkung für die Athleten nicht aufgelöst werden kann.
Ob nun die Athleten eine Vergütung durchsetzen können, hängt damit also von ihrer Marktmacht und von der Marktmacht des Plattformbetreibers ab. Da der Betreiber weitgehend als monolithischer Nachfrager auftritt, die Organisationsmöglichkeiten der Athleten eher gering sind und die Athleten zudem bei einem Fernbleiben von den Olympischen Spielen erhebliche Nutzeneinbußen zu erwarten hätten, spricht viel dafür, daß die Athleten allenfalls geringe Teile ihrer Forderungen umsetzen können. Anders wäre der Sachverhalt, wenn neben den Olympischen Spiele weitere Plattformbetreiber auftreten würden, die qualitativ vergleichbare Dienstleistungen anböten. Ein Bespiel dafür ist der Fußball, bei dem es der FIFA und auch den Kontinentalverbänden gelungen ist, für den Zuschauer interessante Unterhaltungsdienstleistungen anzubieten, die von den fußballinteressierten Zuschauer deutlich besser angenommen werden als die entsprechenden Wettbewerbe der Olympischen Spiele und bei denen die Athleten – zumindest die siegreichen Mannschaften – durch den Plattformbetreiber monetär entlohnt werden.
Alles in allem ist also davon auszugehen, daß das IOC mit dem Verweis, es gebe schon den größten Teil der Einnahmen an die Verbände und damit indirekt an die Athleten weiter, sich den Ansprüchen der Athleten nach direkten Zahlungen erwehren kann.
Becker, C., & Reinsch, M. (2023), Athleten fordern Aufklärung und direkte Ausschüttung. Zugriff am 9.10.2023 unter: https://www.faz.net/aktuell/sport/sportpolitik/ioc-gehaelter-veroeffentlicht-athleten-fordern-aufklaerung-und-direkte-ausschuettung-19219890.html
Gebauer, G. (1972), ,Leistung‘ als Aktion und Präsentation. Sportwissenschaft 2(2), 182-203
Krüger, A. (1972), Der Leistungssportler als Kleinunternehmer. Leistungssport 2(3), 211-216.
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