In einem Interview fordert Bundesentwicklungsminister, Gerd Müller (CSU) eine stärkere Beteiligung der sog. „Krisengewinner“ an den Kosten der Krise (FAZ.net vom 27. Juni 2020: https://www.faz.net/2.1690/amazon-co-entwicklungsminister-will-krisengewinner-staerker-besteuern-16834895.html). Gegenüber einem bayerischen Radiosender stellte Müller fest (zitiert nach FAZ.net): „Es gibt Krisengewinner unglaublichen Ausmaßes“. Er nennt insbesondere das Handelsunternehmen Amazon. Amazon, dessen online-basiertes Geschäftsmodell in der lock-down Phase durch die zwangsweise Schließung vieler Geschäfte des stationären Handels und durch Ausgangsbeschränkungen begünstigt wurde, konnte eine erhöhte Nachfrage bedienen und erhebliche Umsatzsteigerungen verzeichnen. Abgesehen von einer – in Teilen möglicherweise berechtigen – Kritik am Unternehmen Amazon, offenbaren die Forderungen des CSU-Politikers doch ein erschreckendes Verständnis einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Zunächst kann festgehalten werden, dass man grundsätzlich dankbar sein kann, dass nicht sämtliche Branchen im gleichen Maße von den ökonomischen Folgen der COVID-19-Pandemie betroffen sind. Ferner missachtet die Forderung Müllers auch grundlegende ökonomische und betriebswirtschaftliche Zusammenhänge, was im Folgenden an zwei Aspekten verdeutlicht werden soll.
- Joseph Schumpeter (1964) interpretiert den Unternehmer als Innovator, welcher maßgeblich für die wirtschaftliche Entwicklung verantwortlich ist. Ein Unternehmer muss sich dabei jederzeit flexibel an veränderte Rahmenbedingungen anpassen, was sowohl auf die Geschäftsmodell- als auch auf die Produkt- oder Dienstleistungsebene zutrifft. Tatsächlich gibt es einige Unternehmen, die von der COVID-19-Pandemie profitieren. Allerdings haben zahlreiche Unternehmen ihre Geschäftsmodelle und Produkte nicht in der Krise angepasst, sondern sind bereits zuvor das unternehmerische Risiko eingegangen, Geschäftsmodelle oder Produkte zu etablieren, die von den „konventionellen“ Unternehmen abweichen. Es kann freilich nicht abgestritten werden, dass etwa Microsoft durch die Anwendung Teams ebenso wie das Unternehmen Zoom einen Nutzen daraus ziehen, dass durch die Pandemie rund um den Globus digitale Konferenzen abgehalten werden. Ebenso konnte Amazon die Lücke, die sich durch die „lockdown“-Maßnahmen in vielen Ländern ergab, erfolgreich schließen. Die exemplarisch genannten Unternehmen haben jedoch bereits vor der Krise auf das sprichwörtlich „richtige Pferd“ gesetzt. Wenn hingegen ein Einzelhandelsunternehmen auch im Jahr 2020 noch immer keinen Online-Store eingerichtet hatte, erwischte die COVID-19-Pandemie es mit voller Wucht. Daraus darf nicht die Schlussfolgerung abgeleitet werden, dass Unternehmen, welche durch die Pandemie in eine Krisenlage geraten sind, dies grundsätzlich selbst zu verschulden hätten. Allerdings ist es ebenso verfehlt, die Nutznießer der Krise unter Generalverdacht zu stellen. Es ist eine originär unternehmerische Aufgabe, sein Geschäftsmodell und seine Produkte derart zu gestalten, dass es eine der Komplexität der modernen Gesellschaft entsprechende Flexibilität aufweist und sich auch als krisensicher erweist. Diese Flexibilität reduziert die Unsicherheit und schlägt sich über die Verteilung zukünftiger unsicherer Zahlungsströme auch im Wert des Unternehmens wieder (etwa Olbrich 2002). Selbst wenn Unternehmer erst wegen der Veränderungen durch die Covid-19-Epedemie neue Geschäftsmodelle aufgleisen und damit erfolgreich sind, ist dagegen nichts einzuwenden, da sie sich als findige Unternehmer erweisen. Eben gerade die schnelle Reaktion auf veränderte Rahmenbedingungen zeichnet gerade ein Wirtschaftssystem wie die Marktwirtschaft aus.
- Während zunächst auf einer Metaebene ein kurzer Blick auf die Geschäftsmodelle geworfen wurde, soll nun die Transaktionsbeziehung zwischen einem Konsumenten und einem Unternehmen, welches nach Müller „ein Gewinner“ der Krise ist, betrachtet werden, was am Beispiel Amazon veranschaulicht werden kann. Es gehört zum Grundverständnis der Wirtschaftswissenschaft, dass ein freiwilliger Tausch nach dem Prinzip der Reziprozität (etwa Mauss 1990) zu einem Wohlfahrtsgewinn führt. Begründet wird dies mit den subjektiven Wertvorstellungen der Parteien für ein und dasselbe Gut, was sich aus den individuellen Präferenzen und den unterschiedlichen Möglichkeitsräumen ergibt (zum Subjektivismus etwa Mises 1998; Menger 2007; Olbrich, Rapp und Venitz 2018). Dies gilt auch für die unternehmerischen Sphäre. Der Unternehmer kann seine Produkte oder Dienstleistungen nur dann am Markt absetzen, wenn er die Bedürfnisse der Konsumenten entsprechend befriedigt (Röpke 1942, 162 spricht in diesem Zusammenhang von der „Demokratie der Konsumenten“). Im Speziellen zeigt der Kauf eines Gutes X zu einem Preis Y, dass der Konsument (Käufer) X einen Wert beimisst, der Y übersteigt. Der Wert für X ergibt sich für den Konsumenten im Hinblick auf seine individuelle Opportunität („Bewerten heißt vergleichen“, Moxter 1983, 11 und 123). Durch die Schließung einer Vielzahl von Geschäften wurde der Möglichkeitsraum der Konsumenten sehr eingeengt. Durch sein Geschäftsmodell konnte Amazon diese Nachfrage jedoch größtenteils bedienen. Aufgrund der mangelnden Alternativen stieg c.p. die Zahlungsbereitschaft der Konsumenten. Bei konstantem Preis führt dies c.p. dazu, dass der Konsument einen größeren ökonomischen Vorteil in Form der Differenz zwischen seiner maximalen Zahlungsbereitschaft und dem Preis realisieren konnte. Insofern hat Amazon bereits durch sein Angebot in der COVID-19-Pandemie für positive Wohlfahrtseffekte bei großen Teilen der Bevölkerung gesorgt. Die permanente Forderung, „Konzerne“ stärker „zu beteiligen“, ignoriert dabei weitgehend, dass allein die Bereitstellung derart innovativer Geschäftsmodelle und Produkte, die Bedürfnisse unzähliger Menschen befriedigt.
Die hier vorgenommene stilisierte Betrachtung soll keineswegs den Eindruck erwecken, dass es nicht durchaus diskussionswürdige Aspekte hinsichtlich des Gebarens verschiedener Unternehmen gäbe. Allerdings tragen Forderungen, wie die des Entwicklungsministers wenig zum allgemeinen Verständnis der Aufgaben eines Unternehmens in einer marktwirtschaftlichen Ordnung bei und befeuern eher Stereotypen sowie Vorurteile. Hier wäre eine differenziertere Betrachtung wünschenswert. Zudem sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass freilich auch Krisengewinner entsprechende Ertragsteuern zahlen und somit der Staat einen großen Teil dieses Gewinns abschöpft.
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Und gerade ein Entwicklungsminister sollte Grundkenntnisse über die Funktionsweise der Marktwirtschaft haben.
Aber vielleicht ist diese Forderung in der real existierenden postfaktischen Mediokratie auch schon Bäh.