Die Ökonomisierung des Fußballs schreitet voran (vgl. etwa Follert 2017), die Spieler- und Absatzmärkte sind globalisiert, was inzwischen auch für die Kapitalmärkte gilt, auf denen sich insbesondere europäische Fußballklubs finanzieren (etwa Richau et al. 2021). Die in der Satzung der Deutschen Fußballliga (DFL) verankerte „50+1“-Regel (DFB, 1999, S. 1 f.; siehe auch § 16c Nr. 3 der Satzung des DFB; § 8 Nr. 3 der Satzung des Ligaverbandes; siehe zudem etwa Daumann und Follert 2021) soll bewirken, dass die „Vereinsprägung“ der in eine Kapitalgesellschaft ausgegründeten Lizenzspielerabteilung erhalten bleibt, dass also ein übermäßiger Einfluss von Investoren zu Lasten der eingetragenen Vereine verhindert wird. Die Regel besagt vereinfacht ausgedrückt, dass der Verein mindestens 50% zuzüglich eines Stimmrechtanteils an der ausgegründeten Fußball-Kapitalgesellschaft halten muss. Die Interessen des Vereins als Haupteigentümer werden im Aufsichtsgremium der Kapitalgesellschaft meist durch den Präsidenten des Vereins vertreten. Damit üben auch die Mitglieder des Vereins mittelbar Einfluss auf die Kapitalgesellschaft aus.
Auffällig ist, dass mit zunehmender Kommerzialisierung des Fußballs auch eine Moralisierung zu beobachten ist. Spieler werden von Medien und Politikern zu Vorbildern stilisiert und Fragen abseits der sportlichen Performance werden zu Tagesthemen. Eine besondere Bedeutung scheint – insbesondere in Deutschland – das Verhältnis des Fußballs zu Kapitalgebern und Sponsoren aus Russland oder dem arabischen Raum zu sein. Gerade sorgte die Erfüllung bzw. Verlängerung des Sponsoringvertrags der FC Bayern München AG mit der staatlichen Fluggesellschaft Qatar Airways (Rütten 2021) für Tumulte bei der Jahreshauptversammlung des FC Bayern München e.V.
Die heftige Diskussion um die politischen Aktivitäten des Golfemirats und Menschenrechtsverletzungen war bereits im Zuge der Vergabe der Weltmeisterschaft 2022 intensiv beleuchtet worden. Dass Qatar sich internationale Legitimation durch Aktivitäten im und um den Sport erarbeiten möchte, ist dabei keine Neuigkeit. Seit 1993 wird etwa das ATP-Turnier in der Hauptstadt Doha ausgetragen – der erste Sieger war übrigens Boris Becker. Zahlreiche Fußballprofis lassen seit Jahrzehnten ihre aktive Karriere in Qatar ausklingen – darunter etwa Gabriel Batistuta, Fernando Hierro, Mario Basler oder Stefan Effenberg. Gleichzeitig ist auffällig, dass die Diskussion sich auf den Sport konzentriert. Die Profifußballabteilung des FC Bayern ist eine Aktiengesellschaft, ebenso wie die Deutsche Bank. Während medial intensiv über einen Sponsoringvertrag beim FC Bayern debattiert wird, ist der Staat Qatar über zwei Investmentvehikel Miteigentümer der Deutschen Bank AG, was jedoch offenbar nicht zu übermäßigen Protesten der Kunden führt – zumindest stehen diese weniger im medialen Schlaglicht.
Der vorliegende Beitrag möchte die Debatte aus ökonomischer Sicht betrachten und der Frage nachgehen, wie die emotionalisierte Diskussion aus wissenschaftlicher Perspektive zu bewerten ist. Davon unbenommen bleibt es das unbestreitbare Recht eines jeden Vereinsmitglieds, den FC Bayern München e.V. aufzufordern, entsprechenden Einfluss im Aufsichtsrat der FC Bayern München AG geltend zu machen.
Finanzsituation und sportlicher Wettbewerb
Tatsächlich führt die 50+1-Regel dazu, dass es für einen deutschen Bundesligaklub schwieriger ist, größere Investoren zu gewinnen als beispielsweise für die die Klubs der Premier League. Dies führt dazu, dass die Klubs in Deutschland einen Haupteigentümer haben, der de facto nicht in der Lage ist, neues Kapital bereitzustellen, was insbesondere in Krisensituationen zu Herausforderungen führen kann (etwa Drewes, Daumann und Follert 2021). Zwar kann die 50+1-Regel leicht umgangen werden (Gerspach & Daumann 2016), da sich Gestaltungsformen finden lassen, die Investoren erheblichen Einfluss auf die Geschäftsführung des betroffenen Klubs ermöglichen, trotzdem entfaltet sie eine abschreckende Wirkung. Dies führt freilich zu entsprechenden Nachteilen der Bundesligaklubs bei internationalen Wettbewerben etwa wieder Champions League (etwa Franck 20210).
Verstärkt wird diese Benachteiligung nun dadurch, dass auf bestimmte Sponsoren (hier auf Qatar Airways) verzichtet werden soll. Aus sportökonomischer Sicht wäre dabei zu prüfen, ob ein etwaiger Reputationsverlust durch die vertragliche Bindung an einen derartigen Sponsor (siehe hierzu Daumann & Langer 2003) durch die erzielten Sponsoringeinnahmen überkompensiert wird. Nur dann ist ein derartiges Engagement aus sportökonomischer Sicht auch sinnvoll. Freilich muss man davon ausgehen, dass ein derartiger Geldgeber sicherlich einen vergleichbaren Klub in einer anderen Liga findet, in der man weniger empfindsam auf derartige Sponsoren reagiert und sich dann auch entsprechend verstärken kann. Neben den vertraglich gesicherten Einzahlungen könnte es auch aus moralischer Perspektive als positiv angesehen werden, dass die Präsenz eines Spitzenklubs in der Golfregion einerseits die Sensibilität der Sportwelt für die vielfach kritisierten Vorgänge schärft und andererseits ein mittelbarer Einfluss auf die Bedingungen geltend gemacht werden kann. So kann das geplante Trainingslager des Damenteams des FC Bayern München in Qatar als Event mit Symbolcharakter angesehen werden, das die politische Bedeutung des Sports untermauert (Hamburger Morgenpost 2021). Wägt man hier die Vor- und Nachteile des Sponsoringengagements von Qatar Airways ab, dann scheint aus Sicht des FC Bayern dieser Vertrag ökonomisch vorteilhaft zu sein.
Der Profifußball im Spannungsfeld zwischen Verein und Aktiengesellschaft
Die aktuelle Debatte wirft ein neues Licht auf die Frage, inwiefern die gesellschaftsrechtlichen Strukturen des professionellen Fußballs in Deutschland Herausforderungen mit sich bringen. Der Sachverhalt hat sich dergestalt zugetragen (hierzu etwa Eberwein 2021), dass Vereinsmitglieder auf der Jahreshauptversammlung des FC Bayern München e.V. versucht haben, durch ihre Wortbeiträge das Sponsoringengagement von Qatar Airways zu kippen. Unter dem Gesichtspunkt des normativen Individualismus ist jedem Vereinsmitglied eine gleichwertige Meinung zuzugestehen, d.h., dass sowohl den Gegnern als auch den Befürwortern der Kooperation– es handelt sich dabei nicht um ein illegales Engagement! – das gleiche Recht auf Meinungsäußerung und auf Nutzung der legalen Möglichkeiten, den Abstimmungsprozess in die von ihnen gewünschte Richtung zu lenken, haben. Im Prinzip findet hier nichts anderes statt als eine Entscheidungsfindung, bei der die Entscheider unterschiedliche moralische Positionen einnehmen. Jede dieser moralischen Positionen ist normativ, also basiert auf Werturteilen, die aus wissenschaftlicher Sicht weder falsch noch richtig sind. Insofern wäre jede Entscheidung, die durch eine Abstimmung in der Jahreshauptversammlung bezüglich des Sponsoringengagements von Qatar Airways getroffen würde, unter moralischen Gesichtspunkten zu akzeptieren. Aus gesellschaftsrechtlicher Perspektive ist jedoch auf eine Besonderheit hinzuweisen. Eine Aktiengesellschaft ist grundsätzlich durch die strikte Trennung von Eigentum und Verfügungsgewalt charakterisiert (Berle und Means 1968). Der FC Bayern München e.V. ist mit 75% der Anteile Haupteigentümer der Aktiengesellschaft und wird durch seinen Präsidenten im Aufsichtsrat vertreten. Dies bedeutet jedoch nicht, das der Vorstand als Organ der Aktiengesellschaft de jure weisungsgebunden ist. De facto wird er natürlich bestrebt sein, eine Geschäftspolitik zu verfolgen, die der Zielfunktion des größten Eigentümers entspricht. Dennoch hat er seine unternehmerischen Entscheidungen unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu treffen. Dies kann zu einem Spannungsverhältnis zwischen den Vereinsmitgliedern und den betriebswirtschaftlichen Interessen der Aktiengesellschaft führen. Mittelfristig wird hier aber nur der Dialog zwischen dem Vereinspräsidenten und den Kritikern helfen können, um auch in der Außendarstellung ein geschlossenes Bild abzugeben (Eberwein 2021).
Fazit
Insgesamt kann wohl davon ausgegangen werden, dass der Verzicht auf das Sponsoringengagement von Qatar Airways sich unter sportökonomischen Gesichtspunkten negativ auswirken würde, zumal dieser Carrier „Airline of the Year“ (zu weiteren Auszeichnungen siehe das Airline-Ranking von Skytrax, https://www.stern.de/reise/fernreisen/die-zehn-besten-fluglinien-der-welt—ergebnisse-der-skytrax-umfrage-2021-30785736.html) war. Aus moralischen Gesichtspunkten sind beide Standpunkte vertretbar. Der Demokratie innerhalb des Vereins stehen jedoch auch rechtliche Gegebenheiten der Aktiengesellschaft gegenüber, was zu einem Spannungsverhältnis führen kann. Wie so oft kann der Dialog helfen, eine Kompromisslösung zu finden, die die ökonomischen und moralischen Erwägungen in Einklang bringen kann.
Literatur
Berle, A. A. & Means, G. C. (1968 [1932]), The Modern Corporation and Private Property, rev. ed., New York: Harcourt, Brace.
Daumann, F. & Follert, F., Die 50+1-Regel erneut auf dem Prüfstand. Wirtschaftliche Freiheit – Das ordnungspolitische Journal vom 16.06.2021, http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=29349.
Daumann, F. & Langer, M. (2003). Vermarktung von Sportleistung und Sportveranstaltung. In J. Fritzweiler (Hrsg.), Sport-Marketing und Recht: Vermarktungsrechte, Verträge, Konflikte, Basel: Beck et al.
Drewes, M., Daumann, F. & Follert, F. (2021), Sportökonomische Auswirkungen der COVID-19-Pandemie am Beispiel der Fußball-Bundesligisten. List Forum für Wirtschafts- und Finanzpolitik 46, 345-357.
Eberwein, B.R. (2021), Katar-Debatte: FC Bayern sucht Dialog mit Fans. BR24 vom 27.11.2021, https://www.br.de/nachrichten/sport/katar-debatte-fc-bayern-sucht-dialog-mit-fans,Spz6rMY.
Follert, F. (2018), Ökonomisierung des Fußballs. Das Wirtschaftsstudium 47, 668-670.
Franck, E. (2010), „Zombierennen“ und „Patenonkel“ – Warum deutsche Fußballklubs in der Championsleague regelmäßig den Kürzeren ziehen. Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, Sonderheft 62, 1-13.
Gerspach, P. & Daumann, F. (2016). Kann das Financial-Fair-Play die in es gesetzten Erwartungen erfüllen? Sciamus – Sport und Management, Jg. 7, Nr. 2, S. 34-48.
Hamburger Morgenpost (2021), “Zeichen der Gleichberechtigung“: Bayern-Frauen fliegen nach Katar, MOPO.de vom 9.11.2021, https://www.mopo.de/sport/fussball/zeichen-der-gleichberechtigung-bayern-frauen-fliegen-nach-katar/.
Richau, L., Follert, F., Frenger, M. & Emrich, E. (2021), The impact of investors on transfer fees in the English Premier League: a study of the ownership structures. Corporate Ownership and Control 18, 241-25.
Rütten, J. (2021), FC Bayern München: So viel bringt das kritisierte Qatar-Airways-Sponsoring, Spox, https://www.spox.com/de/sport/fussball/bundesliga/fc-bayern/2111/Artikel/katar-spnsoring-einnahmen-qatar-airways.html.
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Warum es bei der Personalie „Andreas Rettig“ nicht nur um den DFB geht - 21. September 2023 - Profifußball zwischen Sport, Ökonomie und Moral
Einige Anmerkungen zum Qatar Airways-Deal der FC Bayern München AG - 8. Dezember 2021
Zum Eklat auf der Jahreshauptversammlung des Vereins in München – aus Perspektive der Deutschen Welle (DW):
https://www.dw.com/de/turbulente-bayern-mitgliederversammlung/av-59953032
Zudem sehr lesenswert in diesem Kontext sind:
https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/zentralratspraesident-josef-schuster-kritisiert-katar-deal-des-fc-bayern,Sp68Bkf
sowie
https://www.sportschau.de/fussball/bayern-ermittlungen-campus-mindestlohn-100.html
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https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/zentralratspraesident-josef-schuster-kritisiert-katar-deal-des-fc-bayern,Sp68Bkf
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