Richtungsweisend
Warum es bei der Personalie „Andreas Rettig“ nicht nur um den DFB geht

Die Ernennung Andreas Rettigs zum Geschäftsführer Sport des Deutschen Fußballbunds ist eine Richtungsentscheidung, die sich auch auf die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Fußballs auswirken könnte.

Beim Deutschen Fußballbund (DFB) überschlagen sich derzeit die Ereignisse. Nach der Entlassung des Teamchefs, Hansi Flick, am 10. September, wurde am 15. September bekannt, dass die vakante Position des „Geschäftsführers Sport“ durch Andreas Rettig besetzt wird. Am 17. September traten die beiden Management-Schwergewichte, Karl-Heinz Rummenigge und Oliver Mintzlaff aus der „Task Force“ des DFB zurück, die nach dem WM-Ausscheiden in Qatar einberufen wurde (https://www.faz.net/aktuell/sport/fussball/andreas-rettig-berufung-rummenigge-und-mintzlaff-verlassen-dfb-taskforce-19180680.html). Dass die Task Force über Monate hinweg als zahnloser Tiger ohne Handlungs- und Entscheidungskompetenz auftrat und es ihr daher an Effektivität fehlte, ist ein nachvollziehbares Argument. Die Ernennung Rettigs dürfte den Rückzug der beiden genannten Akteure indes deutlich beschleunigt haben. Andreas Rettig, ehemaliger Bundesliga-Manager in Freiburg, Köln, Augsburg und St. Pauli sowie Geschäftsführer der Deutschen Fußballliga (DFL), gilt als Kritiker einer sog. Ökonomisierung und Kommerzialisierung des Fußballs. In der Vergangenheit äußerte sich Rettig beispielsweise kritisch zum Einfluss privater Investoren in der englischen Premier League sowie zur Transferpolitik des FC Bayern München oder zur Weltmeisterschaft in Qatar (vgl. Takac 2020; Schmid 2023). Zudem scheint er eher die Anliegen der kleineren Profiklubs als die der großen Vereine zu vertreten (Walther 2023). Insofern dürfte die Entscheidung richtungsweisend für die mittelfristige Entwicklung des deutschen Profifußballs sein. Besonders interessant ist hierbei auch die Rolle des neuen starken Manns beim DFB, Hans-Joachim Watzke.

Die Kapitalausstattung und die Möglichkeiten der Beschaffung von Kapital determinieren die Investitionsmöglichkeiten eines Unternehmens. Die Investitionsmöglichkeiten haben wiederum Einfluss auf den unternehmerischen Erfolg. Auch für Fußballunternehmen gilt, dass Klubs mit entsprechenden finanziellen Ressourcen in der Lage sind, Spieler zu kaufen, deren Humankapital knapp ist und die somit einen hohen Preis haben (vgl. etwa Richau et al. 2021). Die Investitionsmöglichkeiten wirken sich früher oder später auch auf den sportlichen Erfolg aus. „Geld schießt eben doch Tore.“ (Frick 2005). Franck (2010) weist darauf hin, dass die Klubverfassung und somit die Verteilung der Verfügungsrechte einen erheblichen Einfluss auf die Kapitalbeschaffung und somit auf die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Klubs hat.

Freilich können aus dem Ranglisteneffekt in einer Liga, der sich darin äußert, dass die Verstärkung eines Klubs gleichzeitig die Schwächung der anderen Klubs der Liga nach sich zieht, erhebliche Anreize zur Überinvestition resultieren (Stichwort: Rattenrennen; Akerlof 1976). Dieses Phänomen, das sich insbesondere in einer Verpflichtung „teurer“ Spieler niederschlägt, kann durch einen einfacheren Zugang zum Kapitalmarkt – im Prinzip findet eine Parallelverschiebung der Budgetgeraden statt – befeuert werden (Daumann 2023). Sicherlich kann dieser Sachverhalt als Folge eines ungehinderten Zugangs zum Kapitalmarkt thematisiert und problematisiert werden, allerdings konnte die mit dem Rattenrennen verbundene Konsequenz, dass Klubs während der laufenden Spielzeit insolvent gehen, bislang weitgehend erfolgreich durch das Lizenzierungsverfahren verhindert werden. Insofern erscheint es nur folgerichtig, die „Käuflichkeit des sportlichen Erfolgs“ (Franck 2010, S. 3) auch als gegebenen Rahmen zu interpretieren, in dem sich die aktuell am Markt agierenden Klubs bewegen.

Befürworter einer Aufhebung der sog. 50+1-Regel, die es privaten Investoren grundsätzlich untersagt, die Stimmrechtsmehrheit an einer Fußballkapitalgesellschaft zu erwerben, argumentieren, dass deutsche Klubs im internationalen Wettbewerb um wertvolle Spieler und schlussendlich auch in sportlicher Hinsicht benachteiligt sind. Eine Öffnung der Liga für private Investoren könne daher einen Schub für den Fußballstandort Deutschland bedeuten, sodass internationale Erfolge nicht nur erfreuliche Einzelleistungen darstellten, sondern sich die Wettbewerbschancen für eine größere Zahl deutscher Klubs erhöhte. Zugleich dürfte sich der Spannungsgrad innerhalb der Liga erhöhen, da ähnlich wie in der Premier League nun Klubs, die bislang als eher schwach galten, durch potente Investoren in die Leistungsspitze geführt werden können und die Position der bisherigen Spitzenclubs gefährden. Ansatzweise werden diese Möglichkeiten auch in der Bundesliga durch die nicht ganz unbedeutenden Erfolge von TSG Hoffenheim und RB Leipzig deutlich.

Andreas Rettig setzt sich eher für eine Verschärfung der 50+1-Regelung ein und fordert gar, dass Klubs wie Leipzig, Wolfsburg oder Leverkusen aus der Bundesliga ausgegliedert werden (o. V. o. J.). Über die Motive kann an dieser Stelle nur spekuliert werden, möglicherweise sind sie rein ideologischer Natur. Anders dürfte sich die Interessenlage bei Hans-Joachim Watzke darstellen, der zugleich Geschäftsführer der Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA ist. Im Gegensatz zu Rummenigge und Mintzlaff befürwortet auch Watzke den Erhalt der 50+1-Regel. Für Watzke sei die „Abschaffung der 50+1-Regel […] ein Tabu“ (https://www.spox.com/de/sport/fussball/bundesliga/2207/News/watzke-50-plus-1-abschaffung-dagegen.html). Hingegen zeigte sich der FC Bayern München, z.B. vorgetragen durch seinen damaligen Vorstandsvorsitzenden, Oliver Kahn, „im Ringen um mehr Attraktivität und Wettbewerb für Investoren“ offen für die Aufhebung der Regelung (https://sport.sky.de/fussball/artikel/bundesliga-abschaffung-der-50-1-regel-fuer-watzke-ein-tabu/12663449/34090). Aus Sicht von Borussia Dortmund erscheint dies als nachvollziehbar, da der Platz auf dem nationalen Treppchen und der Ausbau des sportlichen und wirtschaftlichen Vorsprungs vor anderen deutschen Klubs möglicherweise das prioritäre Ziel im Vergleich zu einer Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Bundesliga und des deutschen Fußballs insgesamt ist.

Freilich wird sich Rettig in seiner neuen Funktion um Ausgleich und Diplomatie bemühen (vgl. Schmid 2023), allerdings dürfte die Entscheidung auch die Position Watzkes innerhalb des deutschen Fußballs stärken, was durch die Reaktionen Rummenigges und Mintzlaff offenkundig wird. Somit dürfte um die Personalie „Andreas Rettig“ ein Machtkampf um die grundlegende Richtung des deutschen Profifußballs entbrannt sein, aus dem das Lager der 50+1-Befürworter zumindest vorläufig als Sieger hervorgegangen ist.

Quellen:

Akerlof, G. (1976). The economics of caste and of the rat race and other woeful tales. The Quarterly Journal of Economics, 90(4), 599–617.

Daumann, F. (2023). Grundlagen der Sportökonomie (4. Aufl.). München: UVK.

Franck, E. (2010). „Zombierennen“ und „Patenonkel“ – Warum deutsche Fußballklubs in der Champions League regelmäßig den Kürzeren ziehen. Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, Sonderheft 62, 1-13.

Frick, B. (2005). “…und Geld schießt eben doch Tore: Die Voraussetzungen sportlichen und wirtschaftlichen Erfolges in der Fußball-Bundesliga. Sportwissenschaft, 35(3), 250–270.

o. V. (o. J.). Rettig fordert Investoren-Liga, verfügbar unter: https://www.sport1.de/news/fussball/2-bundesliga/2017/09/50-1-regel-st-paulis-andreas-rettig-fordert-investoren-liga (zuletzt abgereufen am 19.09.2023).

Richau, L., Follert, F., Frenger, M. & Emrich, E. (2021). The impact of investors on transfer fees in the English Premier League: A study of the ownership structures. Corporate Ownership & Control 18(3), 241–256.

Schmid, S. (2023). Andreas Rettig: Meinungsstarker Hoeneß-Antagonist mit einer Menge Arbeit vor der Brust, Frankfurter Rundschau, verfügbar unter: https://www.fr.de/sport/fussball/andreas-rettig-meinungsstark-hoeness-antagonist-arbeit-dfb-geschaeftsfuehrer-streit-zr-92523940.html (zuletzt abgerufen 17.09.2023).

Takac, M. (2020). „Goldene Steaks, einfliegende Friseure und Protz“: Rettig kritisiert Profifußball – und Salihamidzic, Frankfurter Rundschau, verfügbar unter: https://www.fr.de/sport/fussball/fc-bayern-andreas-rettig-coronavirus-hasan-salihamidzic-transfer-verwundert-kritik-zr-13747677.html (zuletzt abgerufen 17.09.2023).

Walther, R. (2023). DFB-Knall: Matthäus äußert Watzke-Verdacht, Sport-Bild, verfügbar unter: https://sportbild.bild.de/fussball/2023/fussball/dfb-knall-lothar-matthaeus-aeussert-verdacht-zu-hans-joachim-watzke-85447526.sport.html (zuletzt abgerufen 19.09.2023).

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