Ökonomen sind in der Regel für Wettbewerb – selbst die, deren oberstes Ziel die Umverteilung ist. Aber für Nicht-Ökonomen ist “Wettbewerb” kein sympathisches Wort. Die (Links-) Intellektuellen wittern einen Mangel an Gemeinsinn, die Religiösen einen Mangel an Nächstenliebe. Die Wortkomponente “Wett-“ erinnert an Wettbüros und Spekulanten, die sich ohne zu arbeiten bereichern. Eine weitere Assoziation ist “Wettstreit”. Streit ist aber unerwünscht, gewünscht sind Einigkeit und Harmonie. Selbst wer günstigstenfalls an “Wettlauf” oder “Wettkampf” denkt, sieht im Vordergrund den Willen, andere zu besiegen, d. h. sich selbst zu Lasten anderer, die enttäuscht werden, ein Triumphgefühl zu verschaffen. Ein weit verbreiteter Vorwurf: Der Wettbewerb schürt Konkurrenzneid und gegenseitige Missgunst. Kurz, das Wort “Wettbewerb” ist nicht werbewirksam. Bei vielen Ökonomen ist die “déformation professionelle” jedoch so überwältigend, dass sie dafür kein Gespür mehr haben.
Im Englischen ist das Problem geringer: “competition” mit seiner Vorsilbe “com-“ vermittelt den Eindruck eines Miteinanders, der Zusammengehörigkeit – ebenso das “con-“ im französischen “concurrence”.
Wenn Produzenten im Wettbewerb stehen, so bedeutet dies logisch zwingend, dass die Konsumenten zwischen verschiedenen Produzenten wählen können. Wahlfreiheit wird auch von Nicht-Ökonomen als Vorteil betrachtet. Die Anhänger des Wettbewerbs wären daher gut beraten, wenn sie in der Öffentlichkeit möglichst wenig von Wettbewerb und stattdessen möglichst oft von Wahlfreiheit sprechen würden. Es geht dabei um einen Wechsel der Perspektive: von der Perspektive der Produzenten zur Perspektive der Konsumenten. So haben Milton und Rose Friedmann ihr gemeinsames Buch “Free to Choose” genannt, während der junge Friedman in seinem anderen Publikumsbuch, “Capitalism and Freedom”, noch – keine Provokation scheuend – versucht hatte, den Kapitalismus zu rechtfertigen. Auch Margaret Thatcher setzte in ihren Wahlkämpfen auf “Choice”, nicht auf “Competition” oder gar “Capitalism”.
Der Begriff “Wahlfreiheit” oder “Freedom of Choice” hat den Nachteil, dass er dem klassischen Freiheitsbegriff einen weiteren Freiheitsbegriff hinzufügt und damit Verwirrung stiftet. Das klassische Freiheitsziel hat Wilhelm von Humboldt so definiert: “Der Staat enthalte sich aller Sorgfalt für den positiven Wohlstand der Bürger und gehe keinen Schritt weiter, als zu ihrer Sicherheit gegen sich selbst und gegen auswärtige Feinde notwendig ist – zu keinem anderen Endzwecke beschränke er ihre Freiheit”. Wenn sich der Staat in dieser Weise zurückhält, dient das zwar der Wahlfreiheit des einzelnen, aber staatliche Maßnahmen zum Schutz des Wettbewerbs bzw. der Wahlfreiheit können nicht mit Humboldts klassischem Freiheitsziel gerechtfertigt werden. Sie widersprechen ihm sogar, denn zum Beispiel Kartellverbote greifen in die Vertragsfreiheit (der Kartellisten) ein.
Dennoch beruhen das klassische Freiheitsziel und das Ziel der Wahlfreiheit auf einer gemeinsamen Rechtfertigung: auf der uralten – vor allem jüdischen, aber auch römischen – ethischen Maxime, dass man anderen Menschen keinen Schaden zufügen darf (vgl. die zehn Gebote und den Talmud, für die römische Republik: Cicero). Denn wer seine Vertragsfreiheit dazu benutzt, ein Kartell, Monopol oder Monopson zu etablieren, schließt Verträge zu Lasten Dritter – er schadet anderen.
Die Ordoliberalen fordern eine staatliche Wettbewerbspolitik. Sie gehen damit über das klassische Freiheitsziel hinaus und verletzen es – um der Wahlfreiheit willen.