Kurz kommentiert
Werbung für die Soziale Marktwirtschaft geht anders

Die Bundesvorsitzende der Grünen und Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock als Moses mit Tafeln, auf denen „10 Verbote“ verkündet werden, die von einer zukünftigen, grün geführten Bundesregierung zu erwarten seien. Die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) hat in diesem Juni eine große Kampagne in verschiedenen Print- und Online-Medien geschaltet, um die Soziale Marktwirtschaft zu bewahren. Dass die Kampagne ihr Ziel erreichen und Wahlstimmen in die gewünschte Richtung lenken wird, ist allerdings zweifelhaft. Weniger wegen des Gegensturms in den sozialen Medien, der nicht anders zu erwarten war, sondern weil sich die Initiative offenbar nicht die Mühe machen wollte, in eine ernsthafte Debatte über die selbstpropagierte „Neue“ Soziale Marktwirtschaft einzusteigen.

Die INSM ist eigentlich eine honorige Organisation. Sie bemüht sich, das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft zu erklären und dafür zu werben. Sie ist im Hinblick auf ihre Geldgeber und Unterstützer erfreulich transparent, was bei weitem nicht von jeder Organisation mit gleicher oder gegenteiliger Positionierung gesagt werden kann. Sie hat beeindruckende Persönlichkeiten in ihrem Kuratorium und konnte interessante Ideenbotschafter gewinnen. Vor diesem Hintergrund wundert sich der geneigte Freund der Sozialen Marktwirtschaft nur umso mehr über die aktuelle, arg platt geratene Anzeigenkampagne der Kategorie „Holzhammermethode“. Hat die INSM das wirklich nötig? Hat die Soziale Marktwirtschaft das verdient?

Natürlich lässt sich die Kampagne aufmerksamkeitsökonomisch leicht erklären: im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit eines medial übersättigten Publikums setzt sich die maximale Provokation besser durch. Gerade die eigene Unterstützerklientel freut sich (und öffnet idealerweise auch in der Zukunft ihre Portokassen), wenn mit großem medialen Aplomb einige leicht erzielbare Wahlkampfpunkte eingeheimst werden oder durch die scharfe Zuspitzung und Polarisierung ein gewisser Mobilisierungseffekt, wenn auch vornehmlich beschränkt auf die eigenen Kreise, eintritt.

Der politökonomisch Kundige weiß allerdings auch, dass Wahlen nicht allein mit den Stimmen derjenigen gewonnen werden, die inhaltlich ohnehin überzeugt sind. Vielmehr gilt es, neue (Wechsel-)Wählerinnen und Wähler hinzuzugewinnen. Übertragen auf die Baerbock-Moses-Kampagne ist die Gretchenfrage also, ob durch sie Menschen, die gerade an der Grenze zwischen Markt- und Staatswirtschaft positioniert sind, mit wehenden Fahnen in das „Team Soziale Marktwirtschaft“ wechseln werden. Zweifel sind erlaubt, nicht nur wegen Übertreibungen wie der apostrophierten „Staatsreligion“, die sich einstellen werde, oder dem zwar inhaltlich zumeist richtigen, aber arg oberlehrerhaften, von oben herab formulierten „So geht’s besser“ bzw. „So geht’s (noch) besser“ im Begleittext zur Kampagne.

Die Kampagne provoziert, bevor sie ein schüchternes Debattenangebot macht. Dieses ist jedoch nahezu unsichtbar, denn warum sollte sich jemand, den die Provokation zuvor bereits vergrätzt hat, auf die Homepage der Initiative durchklicken, um sich dort zu informieren, was eigentlich gemeint war? Nein, die Kampagne war und ist nicht auf Kommunikation und argumentativen Austausch mit der anderen Seite ausgelegt – genau hier liegt ihr eigentliches Problem und der Schaden für die Idee der Sozialen Marktwirtschaft.

Denn gerade die Grünen sind in den vergangenen Jahren zu einem Sammelbecken für (links-)liberale Akademiker mit oftmals überdurchschnittlichem Einkommen geworden. In dieser Klientel sollten sich normalerweise viele Menschen finden lassen, die der Sozialen Marktwirtschaft prinzipiell offen gegenüberstehen könnten. Dies setzt allerdings voraus, dass es gelingt, ihnen zu vermitteln, dass ihre Überzeugungen mit freiheitlich-wettbewerblichen Ansätzen vereinbar sind und ihre gesellschafts-, speziell aber auch umweltpolitischen Ziele damit sogar besser erreicht werden können als mit staatlichem Dirigismus.

Es wäre daher mehr als einen Versuch wert, die grüne Wählerschaft mit einer modernen Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft zu überzeugen, die universalistisch, freiheitlich und wettbewerbsorientiert ist, ohne die Schwachen oder die Themen Ökologie und Nachhaltigkeit aus den Augen zu verlieren; die in einer immer heterogeneren und offeneren Gesellschaft inklusiv wirkt, um die gleichberechtigte Teilhabe aller am wirtschaftlichen und politischen Prozess zu ermöglichen – eine zutiefst freiheitlich-liberale Vorstellung. Mit guten Argumenten und einer herausragenden Kommunikationsleistung (also eher nicht dem Holzhammer) ließen sich dabei auch moralisch (und nicht nur effizienzorientiert) der marktliche Wettbewerb oder – etwas weiter gefasst – Liberalismus, Marktwirtschaft und sogar Kapitalismus begründen und rechtfertigen.

Gerade in Corona-Zeiten gab und gibt es zahlreiche marktwirtschaftliche Erfolgsgeschichten, von denen sich berichten ließe und die beispielhaft aufzeigen, wozu der Markt in positiver Weise – auch im Sinne der Erreichung wesentlicher Ziele grüner Wählerinnen und Wähler – in der Lage ist. Im öffentlichen Diskurs, zumindest aber in den sozialen Medien, sind diese jedoch nicht selten umgedichtet und in ein marktfeindliches Narrativ verpackt worden. Ist die Tatsache, dass ein großer deutscher Discounter als erster Corona-Schnelltests im Angebot hatte, allerdings die Nachfrage nicht auf einen Schlag befriedigen konnte, ein Versagen der Marktwirtschaft und unsozial (weil der Discounter mit der Aktion Geld verdient hat)? Nein, natürlich nicht, ganz im Gegenteil sogar. Aber diese Tatsache muss erklärt werden.

Es gäbe viel zu tun, um die Vorzüge der Sozialen Marktwirtschaft – ob alt oder neu – zu preisen und verständlich und überzeugend darzustellen. Unter anderem auch deshalb, weil bedauerlicherweise das Grundverständnis für ökonomische Zusammenhänge in Deutschland nicht sehr ausgeprägt ist. Eine Organisation wie die INSM, die „Impulsgeber für marktwirtschaftliche Reformen, die nachhaltiges Wachstum ermöglichen“ sein möchte, könnte hier viel erreichen – auch und gerade im Hinblick auf grüne Wählerinnen und Wähler. Warum sie meint, ein „faires Miteinander und einen respektvollen Dialog“, so die INSM- Homepage, mit der Baerbock-Moses-Kampagne besonders gut erreichen zu können, bleibt ihr Geheimnis. Den Schaden hat das „über Jahrzehnte bewährte Konzept der Sozialen Marktwirtschaft“, weil es auf plumpe Weise in Verruf gebracht wird, und das ist ausgesprochen bedauerlich.

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