Gastbeitrag
Bessere Wirtschaftspolitik durch ökonomische Bildung!

Die deutsche Wirtschaftspolitik ist aktuell nicht nur gefordert, die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie und des Kriegs in der Ukraine zu bekämpfen. Sie muss auch grundlegende Strukturreformen umsetzen, damit die grüne und digitale Transformation gelingt sowie die Folgen des demographischen Wandels bewältigt werden. Obwohl die Handlungsnotwendigkeiten gerade im Hinblick auf den Klimaschutz und die Finanzierung der Sozialversicherungssysteme seit langem bekannt sind und wissenschaftlich fundierte Lösungen vorliegen, ist es der Politik bislang nur unzureichend gelungen, notwendige Reformmaßnahmen umzusetzen – die Rentenpolitik war z. T. langfristig sogar kontraproduktiv. Neben polit-ökonomischen Gründen wird vielfach ein Mangel an wirtschaftlichem Faktenwissen der Wählerschaft für ausbleibende Reformen verantwortlich gemacht. Für eine rationalere Wirtschaftspolitik ist mehr ökonomische Bildung notwendig. Daher sollten insbesondere für jüngere Menschen niedrigschwellige Informationen angeboten werden, etwa in Form von Fakten- und Folgenchecks, Analysen von Wahlprogrammen sowie durch stärkeren Austausch mit der Wissenschaft.

Umfragen zum ökonomischen Faktenwissen zeigen, dass die deutsche Bevölkerung im EU- bzw. OECD-Vergleich nur durchschnittlich gut über wirtschaftspolitisch relevante Themen informiert ist. Zudem weichen die Informationsfehler vielfach in eine Richtung ab. So schätzten die Deutschen 2018 im Durchschnitt, dass die Arbeitslosenquote bei 20 Prozent liegt. Tatsächlich betrug sie lediglich ca. 4 Prozent. Den Vermögensanteil des reichsten Prozents der Deutschen schätzten sie mit 59 Prozent fast doppelt so hoch ein, wie er tatsächlich war (30 Prozent). Insgesamt schätzten die Deutschen die Leistungsfähigkeit des Landes zu schlecht ein. Dies scheint ein fortdauerndes Phänomen zu sein. Die systematische und anhaltende Fehleinschätzung der wirtschaftlichen Lage hat Auswirkungen auf die wirtschaftspolitischen Positionen von Menschen und damit auf praktische Wirtschaftspolitik.

Es lassen sich insbesondere drei Gründe dafür anführen, dass viele Menschen nicht gut über wirtschaftliche Fakten und Zusammenhänge informiert sind: Erstens besteht ein hohes Desinteresse an wirtschaftspolitischen Themen, insbesondere bei jungen Menschen. So sind 59 Prozent von ihnen politisch nicht interessiert und finden Politik nur schwer nachvollziehbar. Zweitens führt ein Mangel an Bildung gemessen an Bildungsjahren, Finanzwissen, Lese- und Mathematikverständnis zu geringerer Informiertheit. Und drittens spielen Art und Umfang des Medienkonsums eine Rolle. Werden vor allem soziale Medien genutzt, kann dies zu einem schlechteren Informationsstand führen, da dort wenig Qualitätskontrolle durch professionelle Journalisten erfolgt und vielfach Plattformen ohne Gegenmeinungen (sog. Echo Chambers) existieren.

Uninformiertheit kann die Meinung der Wählerinnen und Wähler über wirtschaftspolitische Maßnahmen beeinflussen und somit eine Ursache für das Ausbleiben notwendiger struktureller Reformen sein. Umgekehrt ändern Menschen ihre Meinung über bestimmte Reformmaßnahmen, wenn sie besseres Faktenwissen haben. Sind sie z. B. korrekt über die eigene Position in der Einkommensverteilung informiert, unterstützen sie Umverteilung über das Steuer-Transfer-System in geringerem Maße. Auch ändern Menschen ihre Haltung zur Höhe der Staatsausgaben, wenn sie über den tatsächlichen Staatsschuldenstand informiert sind. Eine gut informierte Bevölkerung, die aufgrund ihres Wissens Präferenzen für notwendige strukturelle Reformen hat, kann es auch für politische Entscheidungsträger attraktiv erscheinen lassen, solche Reformen umzusetzen, da sie nicht mit Wahlstimmenentzug rechnen müssen. Gleichzeitig sind gut informierte Wählerinnen und Wähler auch besser in der Lage, Argumente aus dem politischen Raum, der Wissenschaft und von Lobbygruppen einzuordnen.

Da sich Informationsgewohnheiten in der frühen Lebensphase herausbilden, sollte vor allem die ökonomische Bildung jüngerer Menschen verbessert werden. Dabei sollten auch grundlegende methodische Kenntnisse geschult werden, wie die Interpretation von statistischen Daten und die Unterscheidung von Korrelation und Kausalität anhand anschaulicher Beispiele. Dies kann durch einen stärkeren Austausch zwischen Schulen und wirtschaftswissenschaftlichen Forschungseinrichtungen unterstützt werden. Allerdings gilt es dann auch, die Anreize für (Nachwuchs-)Wissenschaftler zu erhöhen, sich am Wissenstransfer in die Öffentlichkeit zu beteiligen, etwa durch die Vergabe von Leistungspunkten in Graduiertenkollegs. Zudem sollte auch die digitale Medienkompetenz gestärkt werden, um verantwortungsvollen Umgang mit Informationen aus dem Internet und das Erkennen von Fake News zu schulen. Für die breite Bevölkerung könnte durch Faktenchecks, das Aufzeigen von Folgewirkungen wirtschaftspolitischer Maßnahmen und die Analyse von Wahlprogrammen die ökonomische Wissensbasis verbreitert werden. Ein Beispiel sind die „Wahlprogramm-Referees“ des niederländischen „Centraal Planbureaus“, die im Vorfeld von Wahlen die Kosten von Maßnahmenvorschlägen berechnen.

Bei alldem ist zu bedenken, dass es für Menschen durchaus rational ist, hinsichtlich (wirtschafts-)politischer Zusammenhänge nicht gut informiert zu sein, da sie wissen, dass ihre Stimme allein nicht ausschlaggebend für den Wahlausgang ist. Allerdings gilt auch, dass die Bevölkerung in Ländern, in denen die Menschen mehr wirtschaftlich relevante Entscheidungen (z. B. Altersvorsorge, Verbraucherfragen) in eigener Verantwortung treffen müssen, besser informiert ist.

Hinweis: Dieser Policy Brief entstand auf Grundlage des ECONWATCH-Meetings „Informationsdefizite als Hindernis rationaler Wirtschaftspolitik“ mit Prof. Dr. Friedrich Heinemann (ZEW Mannheim) und von Ergebnissen einer ZEW-Studie mit Förderung der Strube-Stiftung.

Susanne Cassel und Michael Zibrowius
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