Gendern? Bitte gerne automatisiert!

Einige fordern, eine sogenannte gendergerechte Sprache solle ausnahmslos verwendet werden. Andere stören sich an Gendersternchen oder ähnlichen Ausdrucksformen. An mancher Hochschule, Universität oder manchem Unternehmen gibt es Streitereien über neue Sprachleitfäden. Dabei dürfte es ökonomisch betrachtet im Grunde schon bald nichts mehr zu streiten geben. Zukünftig könnten Texte einfach maschinell und automatisch ge- und entgendert werden.

Präferenzen für Ausdrucksformen

Die Nachfrage nach Schreibstilen als eine Ausdrucksform der Sprache ist divers. Einige Leser von Texten bevorzugen durchwegs die männliche Form, andere Leserinnen und Leser bevorzugen die Nennung beider Geschlechter, für Leser*innen ist das Gendern besonders wichtig. Neben diesen Formen gibt es das Binnen-I (LeserInnen) und manche Lesenden dürften noch weitere Formen des Genderns kennen. Einige erwarten ein Textangebot, in dem konsequent gegendert wird. Andere legen gegenderte Texte weg und beantworten gegenderte Emails erst mit Verzögerung. In einem derartig vielfältigen Markt für sprachliche Ausdrucksformen, der auch laufenden sprachpolitischen Entwicklungen unterliegt, bestehen große Anreize für technische Innovationen.

Bisher bestanden technische Innovationen im Sprachbereich unter anderem in der automatischen Rechtschreibkorrektur, in einem Thesaurus für Synonyme oder in automatischen Übersetzungen aus oder in Fremdsprachen. Dies lag an der bestehenden Zahlungsbereitschaft für derartige Angebote im Markt.

Was technische Unterstützung für das Gendern betrifft, war die Zahlungsbereitschaft bislang sehr gering. Jene, die bereits konsequent in der einen oder anderen Form genderten, waren entweder besonders sprachgewandt – hatten also niedrige Kosten des Genderns – oder sie sie waren persönlich motiviert. Die meisten anderen genderten nicht, weil es ihnen Kosten im breitesten Sinne verursacht.

Automatisch Gendern

Die allgemeine Zahlungsbereitschaft für technische Unterstützung dürfte sich erhöhen, sobald neben Universitäten und Behörden auch Unternehmen für interne und externe Kommunikationszwecke konsequent gegenderte Ausdrucksformen nutzen. Alle Emails, Aussendungen, Berichte, etc. in einem Unternehmen, einer Behörde oder eine Universität immer gemäß jeweils aktuell gültigem Sprachleitfaden zu gendern, ist mit relevanten Kosten verbunden.

Zur Kostenreduktion bieten sich Softwarelösungen an. Dank neuer, technischer Lösungen wird es bald allen viel leichter fallen, Texte in die jeweils gewünschte Form zu bringen: Sternchen, Binnen-I oder Partizip-Konstruktionen werden weitgehend automatisch möglich sein.

Ungegenderten Text in eine gegenderte Form zu bringen ist eine reine Übersetzungsleistung, die deutlich weniger komplex ist als die Übersetzung von einer Sprache in eine Fremdsprache. Da Softwarelösungen bereits jetzt außergewöhnlich gute Übersetzungsleistungen zwischen Sprachen offerieren, sollte die systematische Übersetzung einzelner Wörter im Text wie „Leser“ in „Leser*innen“ eine Trivialität darstellen.

Automatisch Entgendern

Diese potentielle technische Entwicklung muss die Gegnerschaft sogenannter gendergerechter Sprache nicht erschrecken oder verärgern. Erstens wird durch die Möglichkeit des automatischen Genderns niemand in den sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten beschränkt. Ganz im Gegenteil: die sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten werden sogar erweitert, denn die Vielfalt an Möglichkeiten kann durch die Software gut abgebildet werden.

Zweitens wird automatisch gegenderter Text wieder per Software automatisiert entgendert werden können. Dieses Entgendern von Texten ist bereits jetzt mit geringen Programmierkenntnissen gut möglich. So bestehen auch bereits Browsererweiterungen, die gegenderte Sprache weitestgehend richtig in eine maskuline Form bringen – eine Feminisierung ist ebenfalls technisch möglich.

Lesen nach eigenem Geschmack

Derartige Innovationen erlauben es, die Bedürfnisse aller zu befriedigen: Jene die gerne gegenderte Texte produzieren möchten, können dies erleichtert oder gar automatisiert. Jene die Texte in generischer Form (rein männlich oder weiblich) nachfragen, werden diesen nach ihren Wünschen lesen können und das selbst von jenen, die gegendert geschrieben haben. Ökonomisch betrachtet, sollten dann alle Beteiligten zufrieden sein, können sie doch gemäß individueller Präferenz schreiben und lesen.

Zu erwarten ist jedoch, dass Unternehmens- und öffentliche Bürokratien aufgrund der niedrigen Kosten des automatischen Genderns im Laufe der Zeit immer neue, erweiterte Sprachleitfäden erstellen und deren Anwendung fordern. Glücklicherweise bedarf es dann nur einer Erweiterung der Software, um bereits bestehende Text automatisch auf den Sprachleitfaden anzupassen. Es handelte sich sozusagen um ein Update, das in der Lage ist, die jeweils geltende aktuelle Sprachplanung anzuwenden.

Diskriminierungsprobleme ernsthaft angehen

Durch automatisiertes Gendern und Entgendern können wertvolle Ressourcen freigemacht werden. Die vielen Köpfe der politischen Elite sowie der Bildungselite, die enorme Zeit in die Diskussion zum Für und Wider „gendergerechter“ Sprache investiert haben, können sich nun der Lösung anderer, diffiziler gesellschaftlicher Probleme widmen. Dazu gehört mitunter das geschlechtsspezifische Lohngefälle, Unterschiede in der politischen Repräsentation männlicher und weiblicher Präferenzen oder in manchen Entwicklungs- und Schwellenländern das Phänomen relevanter geschlechtsspezifischer Ausbildungsunterschiede. Um diese Probleme anzugehen, reicht nicht allein der Glaube, durch eine Art magischen Vorgang würde über eine „gerechte“ Sprache automatisch eine gerechtere Welt entstehen.

David Stadelmann
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