Wirtschaftspolitik anders ausrichten (14)
Wirtschaftlicher Stillstand und Reformblockaden
Wie eine neue Institution den Wandel vorantreiben könnte

Der Wohlstand in Deutschland – gemessen am Bruttoinlandsprodukt – wächst nicht, sondern nimmt eher ab. Seit 2019 hat sich der Wohlstand kaum verändert und die Wirtschaftsleistung dürfte auch 2025 bestenfalls nur geringfügig zulegen. Alarmierend ist die Entwicklung in der Industrie: Produktionsrückgänge, Investitionszurückhaltung und Standortverlagerungen lassen die Sorge vor einer zunehmenden Deindustrialisierung immer realer werden.

Dabei gäbe es viele wirtschaftspolitisch vernünftige Reformvorschläge, um die Situation zu verbessern und die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Doch sie drohen ungehört zu verhallen – wenig überraschend, denn die politischen Anreizstrukturen stehen Reformen eher entgegen, auch wenn Politiker im Wahlkampf gerne Lippenbekenntnisse zu Reformen abgeben.

Eine neue Institution, eine Art „Advocatus Diaboli“, könnte helfen, Reformblockaden auch nach den Wahlen zu durchbrechen und notwendige Veränderungen anzustoßen.

Reformvorschläge liegen auf dem Tisch

An Ideen für wirtschaftspolitische Reformen mangelt es nicht. Viele Ökonomen haben vernünftige Vorschläge für die Energie-, Steuer- und Umweltpolitik, den Bürokratieabbau, Arbeitsmarkt- und Rentenreformen oder die Verkehrspolitik vorgelegt – unter anderem hier auf Wirtschaftliche Freiheit. Diese Reformansätze folgen in ihrer Grundstruktur den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft – jenem bewährten Modell, das wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mit sozialem Ausgleich und mittlerweile auch Umweltschutz verbindet. Sie sind in der Regel angebotsseitig orientiert, um die anhaltende Strukturkrise zu lösen.

Allgemein stehen drei große Ziele im Zentrum wirtschaftlicher Reformen: Förderung guter materieller Lebensbedingungen, sozialer Ausgleich sowie der Erhalt der Umwelt. Diese Ziele stehen oft in einem Spannungsverhältnis. Bei Reformen kommt es daher darauf an, die Wohlfahrt der Bürger in den Mittelpunkt zu stellen, Kostenwahrheit zu stärken, eher über Preisanreize zu steuern und weitgehend auf Marktmechanismen zu setzen.

So lassen sich beispielsweise umweltpolitische Ziele effizienter über marktwirtschaftliche Mechanismen und Preise erreichen als durch bürokratische Vorgaben. Der bereits bestehende CO2-Preis in Deutschland bietet zusammen mit dem EU-ETS eine effiziente Lenkung hin zu mehr Klimaschutz, ohne die wirtschaftliche Freiheit übermäßig einzuschränken. Das bedeutet jedoch auch, dass zusätzliche regulatorische Eingriffe wie das Gebäudeenergiegesetz weitgehend unnötig und mit Blick auf die Wohlfahrt sogar schädlich sind. Ähnliches gilt im sozialen Bereich, wo Mindestlöhne, Mietpreisregulierungen oder andere staatliche Eingriffe durch ihre Anreizwirkungen oft zu starken Verzerrungen und Wohlfahrtsverlusten führen. Staatliches Engagement zum sozialen Ausgleich funktioniert in der Regel besser durch direkte Geldzahlungen an Betroffene oder über das Steuersystem. Gleichzeitig dürfen die hohen Kosten der Besteuerung sowie die negativen Anreize von Steuern auf Leistung und die wirtschaftliche Dynamik keinesfalls übersehen werden.

Trotz der vergleichsweisen breiten Unterstützung vieler Ökonomen für diese grundlegenden wirtschaftspolitischen Prinzipien scheitert die Umsetzung spezifischer Reformen oft an den politökonomischen Realitäten.

Reformvorschläge verhallen ungehört

Wieso bleiben Reformen, die Deutschland voranbringen würden, so oft aus? Der zentrale Grund liegt in den Anreizstrukturen der Politik. Politische Entscheidungsträger haben selten einen echten Anreiz, tiefgreifende Reformen umzusetzen.

Während des Wahlkampfs werden zwar zahlreiche Versprechungen gegeben, doch nach der Wahl gibt es keine Verpflichtung zur Umsetzung. Zudem müssen Politiker verschiedene Interessen ausbalancieren: Die meisten von ihnen wollen zwar Wohlstand für alle, doch wenigstens ebenso wichtig sind ihnen ihre eigene Partei, ihre eigenen Interessengruppen und ihre eigene Karriere sowie ihr Portemonnaie. Und natürlich sind auch Parteien parteiisch mit Bezug auf ihr Verhalten gegenüber den Bürgern.

Ganz vereinfacht, erfordern Reformen oft kurzfristige, konzentrierte Opfer, während ihre positiven Effekte meist erst mittelfristig sichtbar werden. Der Widerstand von Interessengruppen, die von bestehenden Strukturen profitieren, ist daher vorprogrammiert. Diese Gruppen sind gut organisiert und mobilisieren schnell gegen Veränderungen, während die diffuse Mehrheit der Bürger, die von Reformen profitieren würde, kaum geschlossen auftritt.

Ein weiteres Problem liegt in der Natur des politischen Wettbewerbs. Zwar können Wähler schlechte Regierungsarbeit bestrafen, doch oft fehlen ihnen die Anreize, sich über komplexe wirtschaftspolitische Zusammenhänge ausreichen zu informieren, um gute von eher schlechten Politikvorschlägen zu unterscheiden. Zudem ist der politische Wettbewerb oft nicht stark genug, um positive Reformimpulse zu setzen. Oppositionsparteien üben zwar Kritik, doch sie sind daran interessiert, dass die Regierung scheitert. Das führt dazu, dass Kritik oft destruktiv statt konstruktiv ist und die Opposition mit Bezug auf halbwegs gute Reformvorschlägen ähnlich blank dasteht wie die Regierung selbst.

Daher ist die Hoffnung in der Regel verfehlt, dass es einfach neue Politiker oder neue Parteien in der Regierung bräuchte, um Reformen anzustoßen. Neuer Wein in alten Schläuchen bringt wenig. Vielmehr braucht es institutionelle Verbesserungen, um die Qualität politischer Entscheidungen dauerhaft zu steigern.

Der Advocatus Diaboli als Reformmotor

Konstruktive Kritik an Politik ist ein öffentliches Gut: Sie nutzt der gesamten Gesellschaft, doch die Kosten tragen in erster Linie die Kritiker selbst. Eine institutionelle Lösung könnte daher darin bestehen, eine unabhängige Kritikkommission einzusetzen, die die Aufgabe hat, Reformvorschläge der Regierung zu prüfen, auf Mängel in der Regierungspolitik hinzuweisen und Gegenvorschläge zu präsentieren. Dieses Kritikkommission entspricht einer Art Advocatus Diaboli.

Zwar existieren bereits Organe für institutionalisierte Kritikprozesse, die wichtig und geschätzt sind, wie beispielsweise Rechnungshöfe. Rechnungshöfe dürfen aber leider immer erst im Nachhinein kritisieren, wenn der Schaden durch Regierung oder Verwaltung bereits entstanden ist.

Die Institution eines Advocatus Diaboli hingegen wäre darauf spezialisiert, Politikinitiativen im Vorfeld kritisch zu hinterfragen und Verbesserungsvorschläge für Reformen zu formulieren. Um unabhängig zu sein, müsste dieses Kritikkommission idealerweise vom Volk gewählt werden. Seine Aufgabe wäre es, die stärksten Gegenargumente gegen geplante politische Maßnahmen auszuarbeiten und öffentlich zu machen. Dabei würde es sich klar von Oppositionsparteien unterscheiden, die oft parteitaktische Interessen verfolgen. Entscheidungskompetenz hat die Kritikkommission keine.

Die Wirksamkeit eines solchen Advocatus Diaboli als Kritikorgan beruht auf vier Mechanismen:

  1. Direkte Wirkung auf die Regierung: Die konstruktive Kritik des Advocatus Diaboli kann von der Regierung aufgenommen und in die Gesetzgebung integriert werden.
  2. Informationsverbreitung: Medien und Öffentlichkeit erhalten eine zusätzliche, unabhängige Quelle für fundierte Kritik, was den Druck auf die Regierung für Reformen erhöht.
  3. Bessere Opposition: Andere politische Akteure wie die Opposition können auf Grundlage der Argumente des Advocatus Diaboli qualitativ bessere Alternativen entwickeln.
  4. Präventive Wirkung: Die Regierung würde ihre Politik bereits im Vorfeld besser durchdenken, um es dem Advocatus Diaboli zu erschweren, Kritik zu äußern, sodass die Kritikkommission im Idealfall nur sagen könnte: „Die Regierung schlägt eine halbwegs gute Reform vor.“

So würde eine Kritikkommission dazu beitragen, dass vernünftige ökonomische Reformen eher umgesetzt würden. Tatsächlich gibt es bereits Erfahrungen mit solchen Kritikorganen. Auf Gemeindeebene in der Schweiz können, je nach Kanton, volksgewählte Rechnungs- oder Geschäftsprüfungskommissionen, die mitunter direkt vom Volk gewählt sind, zu Vorschlägen der Regierung an der Gemeindeversammlung und in Urnenabstimmungen im vornherein Kritik üben, konkrete Abänderungsanträge stellen und Abstimmungsempfehlungen zuhanden der Bürger erlassen. Die Erfahrungen mit diesen starken Rechnungsprüfungskommissionen sind positiv.

Doch die entscheidende Frage ist: Warum sollte eine Regierung eine Institution schaffen, die ihr das Leben schwerer macht? Auf den ersten Blick scheint dies gegen die Eigeninteressen von Regierenden zu sprechen. Doch es gibt Konstellationen, in denen die Einführung eines Advocatus Diaboli politisch attraktiv sein könnte. In einer Minderheitsregierung beispielsweise könnte eine Parlamentsmehrheit ein solches Organ einführen, um die Politik der Regierung kritisch zu begleiten und Reformen anzustoßen. Auch eine Regierung mit Parlamentsmehrheit könnte das Vertrauen in die politische Entscheidungsfindung mit einer solchen Kritikkommission stärken – Vertrauen ist ein Wert, der in Zeiten wachsender Politikverdrossenheit nicht zu unterschätzen ist.

Deutschland braucht dringend vernünftige wirtschaftspolitische Reformen. Ein institutionalisierter Advocatus Diaboli könnte helfen, politische Fehlentscheidungen frühzeitig zu identifizieren und Reformvorschläge mit Substanz auf die politische Agenda zu setzen.

Serie „Wirtschaftspolitik neu ausrichten“

Volker Wieland (IMFS): Eine angebotspolitische Reformagenda installieren (Podcast)

Friedrich Heinemann (ZEW): Abgabenlast stärker vom Arbeitseinsatz entkoppeln

Norbert Berthold (JMU): Unternehmer unternehmen lassen

Tobias Just (IREBS): Belastungen für den Wohnungsbau reduzieren

Holger Schäfer (IW): Aktivierenden Sozialstaat wieder beleben

Jan Schnellenbach (BTU): Finanzpolitik stabilitätsorientiert gestalten

Klaus F. Zimmermann (RFW, FU, GLO): Migrationspolitik aus der Sackgasse führen

Markus Brocksiek (BdSt): Bürokratieabbau forcieren – Staatseffizienz erhöhen

Manuel Frondel (RWI): Kehrtwende in der Energiepolitik schaffen

Bernd Raffelhüschen (ALU): Rentenversicherung generationengerecht reformieren

Christoph A. Schaltegger (IWP): Mehr Schweiz wagen (Podcast)

Astrid Rosenschon (IfW): Subventionen radikal kürzen

Michael Heise (HQ Trust): Wachstumskräfte und Arbeitsvolumen steigern

Norbert Berthold (JMU) und Jörn Quitzau (Bergos): Wirtschaftspolitik neu ausrichten

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