Die EU hat sich für eine Hintertür für den Betrieb von Personenwagen mit E-Fuels ab 2035 entschieden. Das ist richtig – denn Exponenten, die den Einsatz für Technologieoffenheit für ewiggestrig und E-Fuels für nicht zweckmässig halten, übersehen einige wichtige Punkte.
Die EU hat Ende Oktober gerade noch einmal die Kurve gekriegt. Zwar haben sich die EU-Staaten und das Parlament darauf geeinigt, den CO2-Ausstoss der europäischen Neuwagenflotte bis 2035 um 100% – also auf 0 – zu senken. Doch anders als im Juni, als das Parlament noch ein explizites Verbot von Verbrennungsmotoren vorsah, wurde nun der EU-Kommission der Auftrag erteilt, ein Regelwerk für den Einsatz klimaneutraler E-Fuels in neuen Personenwagen ab 2035 zu entwickeln.
Auch soll die jetzt getroffene Entscheidung schon 2026 auf Basis der bis dann erzielten Fortschritte überprüft und nötigenfalls angepasst werden. Solche Fortschritte müssten etwa beim Ausbau der Verteilnetze und Ladeinfrastruktur, aber vor allem auch schlicht beim Versorgungsstand mit erneuerbarem Strom erzielt werden – denn ohne einen genügend grünen Strommix würde sich die Elektromobilität ad absurdum führen.
Wer sich heute noch gegen das Verbrennerverbot wehrt, wird gerne – wie in einem jüngst viral gegangenen Meme – einer gewissen geistigen Beschränktheit bezichtigt. Doch die beiden häufigsten in dieser Sache eingebrachten Argumente verlieren bei einer genaueren Betrachtung an Schlagkraft. Darum ist der jetzt erreichte Kompromiss in Richtung Technologieoffenheit zu begrüssen.
1. «Die meisten europäischen Autohersteller haben den Ausstieg aus der Verbrennungstechnologie ohnehin schon beschlossen – bis 2035 oder sogar schon früher. Ein Verbot tut daher niemandem weh, sondern schafft Planungssicherheit».
Der Beschluss dieser Autohersteller erfolgte nicht aufgrund einer Überlegenheit von Elektroautos, sondern zum einen aus vorauseilendem – und imagewirksamem – Gehorsam gegenüber einem sich abzeichnenden Verbots. Zum anderen vor allem, weil schon die heutige Regulierung den Elektromotor unsachgemäss bevorteilt: Bei der Ermittlung des Flottenverbrauchs eines Autoherstellers fliessen Elektroantriebe durchgehend mit 0 g CO2/km in die Rechnung ein, obwohl die Produktion des verwendeten Stroms keineswegs klimaneutral geschieht: Ein durchschnittliches E-Auto verbraucht inkl. Ladeverluste etwa 20 kWh/100 km. Das entspricht bei einem mittlerem Emissionsfaktor von 231 g/kWh in der EU einem CO2-Ausstoss von 46 g/km.
Der Flottenmix wird aber strikt nach einer End-of-Pipe-Logik beurteilt: Berücksichtigt werden bloss die Schadstoffe, die das Auto am Auspuff verlassen, nicht aber, was das Auto während seines ganzen Lebenszyklus an Emissionen verursacht. Der seit 2021 geltende Flottengrenzwert von 95 g CO2/km entspricht einem Benzinverbrauch von 4,06 Litern/100 km. Schon das ist mit einem Verbrennungsmotor (ausser in einem Kleinstwagen) kaum zu erreichen. Für 2025 ist eine Senkung des Grenzwerts auf 80 g (= 3,42 Liter Benzin) und 2030 auf 40 g (= 1,71 Liter Benzin) vorgesehen. Die Autohersteller werden also faktisch dazu gezwungen, erhebliche Teile ihrer Flotte zu elektrifizieren. Da es sich für die meisten Hersteller ökonomisch nicht lohnt, zweigleisig zu fahren, haben sich diese dazu entschieden, den Verbrennungsmotor gleich ganz zu verbannen.
Die Flotten-Emissionsgrenzwerte sind also alles andere als technologieneutral ausgestaltet und somit ein erheblicher Treiber bei der Elektrifizierung von Personenwagen. Das kann man schlecht finden oder gut. Klar ist aber: Die Behauptung, die Autohersteller würden ohnehin wegen einer generellen Überlegenheit des Elektroautos auf diese Technologie umsteigen, ist nicht haltbar.
2. «Die Herstellung von E-Fuels ist extrem stromintensiv. Egal welche Fortschritte bei diesen Prozessen noch erzielt werden: Ein Elektroauto wird immer energieeffizienter sein als ein E-Fuel-Auto.»
Faktisch ist diese Aussage korrekt: Schon der Wirkungsgrad eines modernen Verbrennungsmotors liegt bei bloss 40%. Und für die Synthetisierung eines E-Fuels muss zuerst mittels Elektrolyse Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff gespalten werden, um letzteren in einem weiteren Verfahren mit Kohlenstoff zu verbinden. Bei beiden Prozessen fallen Umwandlungsverluste an, so dass der Wirkungsgrad von E-Fuels derzeit höchstens bei 15% liegt.
Doch die Frage nach dem Wirkungsgrad könnte sekundär werden, wenn man sich folgende Punkte vor Augen führt: Strom muss ungefähr dort hergestellt werden, wo er verbraucht wird, denn er kann nicht über grosse Distanzen (z.B. von einem Kontinent auf einen anderen) übertragen werden. Zudem muss Strom zeitgleich mit der Produktion auch konsumiert werden, da keine erheblichen Zwischenspeicher existieren. Ein kompletter Umstieg auf Elektromobilität in Europa würde deshalb einen enormen Ausbau von Photovoltaik- und Windkraftanlagen innerhalb des dichtbesiedelten Kontinents bedingen und grosse Herausforderungen bei der Stromversorgungssicherheit schaffen. Zudem weisen PV-Anlagen im nicht allzu sonnigen Europa eine suboptimale Effizienz auf.
E-Fuels können dagegen (genau wie fossile Kohlenwasserstoffe) sehr leicht transportiert und gespeichert werden, und zwar sogar mit der heute schon existierenden Infrastruktur. Das würde es ermöglichen, PV-Anlagen an Standorten mit intensiverer und häufigerer Sonneneinstrahlung und geringen Bevölkerungsdichten zu platzieren (Sahara, Naher Osten, Australien), wobei die E-Fuels auch gleich dort erzeugt und anschliessend (u.a.) nach Europa verschifft würden.
Des Weiteren sind bei einem Ausbau von PV innerhalb von Europa Stromproduktionsüberschüsse im Sommer zu erwarten. Dieser Strom müsste ohnehin (über aufwändig zu schaffende Infrastruktur) zwischengespeichert werden. Es drängt sich geradezu auf, diese Überschüsse zur Erzeugung von E-Fuels zu verwenden.
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Die Frage nach dem Wirkungsgrad der E-Fuel-Verbrenner tritt also in den Hintergrund, wenn man bedenkt, dass der Strombedarf für diese zum einen mit sehr günstiger PV-Produktion auf ansonsten unproduktiven Wüstenflächen und zum anderen mit sommerlichen Überschüssen europäischer Stromproduktion gedeckt werden könnte.
Weitere Gründe für Technologieoffenheit
Es wäre falsch, aus den obigen Repliken zu lesen, mit E-Fuels betriebene Autos seien dem Elektroauto überlegen. Vermutlich sind sie es nicht. Ebenso falsch wäre aber ein explizites Technologieverbot für den Verbrennungsmotor gewesen. Nicht zuletzt hätte ein solches die Forschung im Bereich E-Fuel-Erzeugung – inkl. Forschung zur Abscheidung von Kohlenstoff (an fossilen Kraftwerken) und Rückholung von Kohlenstoff aus der Atmosphäre – ausgebremst.
Damit hätte man dem Klima einen Bärendienst erwiesen: E-Fuels wären in Zukunft in Flugzeugen, Schiffen und womöglich Lastwagen – also überall, wo Elektroantriebe offensichtlich unpraktikabel sind – gefragt. Auch bei einem absoluten Verkaufsverbot von Neuwagen mit Verbrennungsmotor ab 2035 würde in Europa (ganz zu schweigen vom Rest der Welt) bis 2050 eine nennenswerte Zahl von Personenwagen mit Verbrenner in Betrieb sein. Diese so bald wie möglich mit klimaneutralen Treibstoffen zu betanken, wäre ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu netto-null. Ein Verbrennerverbot hätte die Innovationsanreize – trotz der verbleibenden Anwendungsfälle – wegen der deutlich geringeren Marktgrösse reduziert und somit womöglich eine kontraproduktive Wirkung entfaltet.
Beim Gedanken, Strom für E-Fuels im grossen Stile mit PV-Anlagen in der Sahara, im Nahen Osten oder in Australien zu produzieren, schlagen viele instinktiv die Hände über dem Kopf zusammen: Das schafft doch nur neue geopolitische Abhängigkeiten, von denen man sich mit dem Umstieg auf erneuerbare Energien ja erst zu befreien gedenkt! Ja, tut es. Im Gegenzug sei allerdings daran erinnert, dass auch die Elektromobilität derzeit erhebliche geopolitischen Abhängigkeiten schafft: Die Batterie eines Tesla Model 3 wiegt beispielsweise 478 kg. Zur Herstellung werden grosse Mengen an Lithium, Nickel, Kobalt, Graphit und Mangan benötigt. Die Länder mit den grössten Lithium-Reserven sind Chile, Australien, Argentinien und China. Neben den politischen Abhängigkeiten sind auch die ökologischen Bedenken beim Abbau kaum geringer als bei Erdöl, Erdgas und Co. Um einen vollständigen Umstieg auf Elektromobilität in Sachen Ressourcenbedarf also überhaupt politisch und umwelttechnisch verträglich zu gestalten, ist erst noch auf den Durchbruch neuer Batterietechnologien wie Natrium-Ionen, Aluminium-Schwefel oder Feststoff zu hoffen.
All diese Überlegungen zeigen, dass es nicht klug gewesen wäre, den Verbrennungsmotor auf 2035 explizit und ausdrücklich zu verbannen – sogar, wenn sich batteriebetriebene Autos letztlich als die attraktivere Option durchsetzen sollten.
Blog-Beiträge zum Thema:
Pro&Contra
Verbot von Verbrennermotoren?
Prof. Dr. Markus Lienkamp (TUM) contra Prof. Dr. Hans-Werner Sinn (LMU)
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