Stimme aus Amerika (4)US-FinanzpolitikRestriktiv oder anhaltender Stimulus?

Die US-Fiskalpolitik stimuliert die Nachfrage deutlich weniger als in den Jahren 2020–2021, als Regierung und Kongress im Kampf gegen die Pandemie defizitfinanzierte Ausgaben in Höhe von über 5 Billionen US-Dollar genehmigte. Doch die Regierung pumpt weiterhin Geld in die Wirtschaft und setzt Ausgabenanreize. Die Fiskalpolitik bleibt also expansiv.

Viele Haushaltsmittel noch nicht ausgegeben

In den Jahren 2020 und 2021 war die US-Finanzpolitik wegen verschiedener Ausgabenprogramme extrem expansiv. Der überwiegende Teil der Ausgaben, die im „CARES Act“ im März 2020 (2,3 Billionen Dollar), im „Consolidated Appropriations Act“ im Dezember 2021 (0,9 Billionen Dollar) und im „American Rescue Act“ im März 2021 (1,9 Billionen Dollar) bewilligt wurden, sind bereits ausgegeben. Größtenteils geschah dies in Form direkter Transferzahlungen an Haushalte und kleine Unternehmen. Doch ein beträchtlicher Teil der Mittel wurde bisher noch nicht ausgegeben und wird deshalb erst künftig in die Wirtschaft fließen.

Der größte Teil der bisher nicht ausgegebenen Mittel betrifft die Bundeszuschüsse für Bundesstaaten und Gemeinden in Höhe von 500 Milliarden Dollar, die durch den „CARES Act“ und den „American Rescue Act“ bereitgestellt wurden. Die Bundeszuschüsse sollten für Corona-bezogene Gesundheitsausgaben verwendet werden, was so aber nicht eingetreten ist. Aufgrund der kräftigen wirtschaftlichen Erholung stiegen die Steuereinnahmen und es kam zu hohen Überschüssen – genau das Gegenteil dessen, was vorhergesagt worden war. Die Bundesstaaten und Kommunen sparten die Bundeszuschüsse. Sie hielten den Großteil der Finanzmittel in US-Treasuries, deren Volumen von 750 Milliarden Dollar vor der Pandemie auf 1,55 Billionen Dollar im dritten Quartal 2022 angestiegen sind. Dieser Anstieg entspricht über 3 % des BIP.

Der Anstieg der Bestände an US-Staatsanleihen bei Bundesstaaten und Gemeinden resultiert sehr wahrscheinlich nicht aus einem dauerhaft gestiegenen Sparbedürfnis. Stattdessen dürften die überschüssigen Ersparnisse im Laufe der Zeit ausgegeben und in einigen Fällen für Steuersenkungen verwendet werden. Ein Teil wird bereits ausgegeben; so haben einige Staaten Gelder an die Bürger verteilt, um die Belastung durch hohe Energiekosten auszugleichen. Das war nicht das Ziel der COVID-Programme – aber es ist nicht ungewöhnlich und letztlich erwartbar, dass Politiker die Regeln umdeuten. Die nachträgliche Verwendung dieser Mittel wird die Wirtschaft ankurbeln, unabhängig davon, was mit dem Haushaltsdefizit der Bundesregierung geschieht. In gewissem Sinne handelt es sich um die verzögerte Wirkung der fiskalischen Stimuli.

Inflationseffekte

Die gestiegenen Lebenshaltungskosten führen zu um-fangreichen Anpassungen für Sozialversicherungsleistungen. Solche Anpassungen bei Programmen u.a. im Rahmen von Medicare und Medicaid sowie bei staatlichen Renten erhöhen die Ausgaben des Bundes und das verfügbare persönliche Einkommen. Allein die 8,7-prozentige Anpassung der Sozialversicherungsleistungen wird im Jahr 2023 mehr als 100 Milliarden Dollar kosten. Der Inflationsausgleich bei anderen staatlichen Programmen übersteigt diesen Betrag noch. Zwar ist es ein Aus-gleich für die im Jahr 2022 inflationsbedingt gesunkene reale Kaufkraft der Leistungsempfänger, doch wird der gesamte Inflationsausgleich das verfügbare Einkommen im Jahr 2023 um über 1 % des gesamten verfügbaren Einkommens erhöhen.

Die Anpassung gilt nicht nur für die Sozialversicherung, sondern auch für Ruheständler beim Militär, den öffentlichen Dienst, die Veteranenrenten und die Rentner bei der Eisenbahn. Das Congressional Budget Office (CBO) schätzt die Ausgaben der Regierung für zivile und militärische Ruhestandsprogramme auf Bundesebene sowie für die Veteranenprogramme auf 373 Milliarden Dollar im Haushaltsjahr 2022. Bei einer Reihe anderer inflationsindexierter Programme sind die Leistungen an den Anstieg der Lebensmittelkomponente des Verbraucherpreisindex gekoppelt. Die Preise für Lebensmittel sind stärker gestiegen als der umfassende Verbraucherpreisindex.

Auch im Steuersystem werden verschiedene Komponenten und Bestimmungen an die Inflation angepasst. Dadurch werden die Steuererhöhungen begrenzt und für viele Haushalte werden die vom Einkommen einbehaltenen Steuern gesenkt, sodass das nominale Nettoeinkommen steigt.

Schuldenerlass für Studenten

Der Erlass von Studentenschulden (und andere Formen des Schuldenerlasses) erhöhen das verfügbare persönliche Einkommen und fördern damit die Ausgabeneigung. Die Schätzungen zum Volumen des Schuldenerlasses variieren. Doch ein ungefährer Wert liegt bei 400 Milliarden Dollar, was etwa einem Viertel der gesamten ausstehen-den Studentenschulden entspricht.

Ersparnisse der Verbraucher

Die Ersparnisse der privaten Haushalte stiegen 2020 und 2021 sprunghaft an, da die Verbraucher einen beträchtlichen Teil der staatlichen Einkommensbeihilfen sparten, die im Zuge der Pandemie gezahlt wurden. Nach den letzten Transferzahlungen im Rahmen des „American Rescue Plan“ im März 2021 lagen die Ersparnisse der privaten Haushalte schätzungsweise um 2,5 Billionen Dollar über dem Niveau vor der Pandemie. Seitdem geben die Verbraucher einen immer größeren Teil ihres verfügbaren Einkommens aus, was sich in der zuletzt historisch niedrigen Sparquote der privaten Haushalte widerspiegelt. Das Ersparnispolster beträgt jedoch nach wie vor etwa 1,25 Billionen Dollar oder 6,6 % des verfügbaren persönlichen Einkommens. Diese „Überersparnisse“ dürften im Laufe der Zeit aufgebraucht werden, der fiskalische Stimulus wirkt also zeitverzögert nach.

Die Corona-Hilfen der Regierung waren auch für kleine Unternehmen eine beträchtliche Stütze. Obwohl es schwierig ist, diese Transferflüsse genau zu verfolgen, halten die Unternehmen immer noch hohe Barreserven. Sie werden in Zukunft ausgegeben und die Wirtschaft somit ankurbeln.

„Infrastructure and Jobs Act“

Mit dem „Infrastructure and Jobs Act“ aus dem Jahr 2021 wurden Ausgaben in Höhe von 1,2 Billionen Dollar genehmigt. Diese Kostenschätzung basiert auf einer 10-Jahres-Haushaltsprojektion. Wenn die bewilligten Mittel ausgegeben werden, werden sie Wirtschaft und Beschäftigung ankurbeln. Die Ausgaben konzentrieren sich auf Straßen, Brücken, Transportsysteme, den öffentlichen Nahverkehr, Initiativen für Elektrizität und saubere Luft, Stadterneuerung, erweiterten Breitbandzugang, Cybersicherheit und Umweltsanierung.

Im Gegensatz zu den staatlichen Transferzahlungen wer-den praktisch alle Infrastrukturausgaben staatliche Investitionen beinhalten, die direkt BIP-wirksam werden. Die meisten Arbeitsplätze dürften im privaten Sektor geschaffen werden (zusammen mit neuen staatlichen Arbeitsplätzen, die zur Verwaltung der Infrastrukturinitiativen geschaffen werden). Das BIP wird erheblich steigen. Wenn man annimmt, dass die Ausgaben gleichmäßig über zehn Jahre verteilt werden, werden die 120 Milliarden Dollar in den ersten Jahren das BIP um etwa 0,4 % pro Jahr steigern. Wichtig ist, dass die fiskalpolitischen Multiplikatoren von staatlichen Investitionsausgaben erfahrungsgemäß weitaus höher sind als staatliche Transferzahlungen.

Die Ausgaben, die durch den „Infrastructure and Jobs Act“ genehmigt wurden, genau nachzuverfolgen, ist sehr schwierig. Trotz der Regierungsbemühungen um Transparenz und trotz der neuen Regierungsbehörden, die zur Umsetzung und Überwachung der Infrastrukturinitiativen geschaffen wurden, gibt es keine einfache Informationsquelle für die tatsächlichen Ausgaben. Höchstwahrscheinlich wird aus politischen Gründen ein größerer Teil der genehmigten Ausgaben in den ersten Jahren getätigt.

„Inflation Reduction Act“

Der „Inflation Reduction Act“ sieht Steuergutschriften vor, mit denen der Kauf sauberer Energieprodukte (Elektrofahrzeuge, Solarpaneele usw.) subventioniert wird. Er legt Obergrenzen für bestimmte verschreibungspflichtige Medikamente fest, senkt die Kosten für bestimmte Krankenversicherungen, erhebt Mindeststeuern auf Unternehmen und verbessert die Steuererhebung der Steuerbehörde IRS bei vermögenden Privatpersonen. Das CBO schätzt, dass die energie- und klimabezogenen Steuergutschriften die Steuereinnahmen über den 10-jährigen Projektionszeitraum um 391 Milliarden Dollar verringern werden, während die Subventionen für das Gesundheits-wesen 108 Milliarden Dollar kosten werden. Zudem schätzt das CBO, dass diese Kosten durch Einsparungen bei den Arzneimittelpreisen und höhere Steuereinnahmen ausgeglichen werden.

Insgesamt sollten die fiskalischen Maßnahmen die Gesamtnachfrage ankurbeln und die Folgen der strafferen Geldpolitik teilweise abfedern.

Längerfristige Projektionen

Seit der letzten Haushaltsprojektion des CBO im Mai 2022 sind die Inflation und die Zinssätze deutlich stärker nach oben geschnellt als vom CBO prognostiziert. Infolgedessen sind die Haushaltsdefizite und die Staatsverschuldung über die Projektionen des CBO hinaus gestiegen. Die höheren Schulden und Zinskosten werden sich in den längerfristigen Projektionen des CBO noch stärker niederschlagen.

Das CBO war davon ausgegangen, dass die Verbraucherpreisinflation im Jahr 2022 durchschnittlich 6,1 % und im Jahr 2023 3,1 % betragen würde. Stattdessen stiegen die Verbraucherpreise im Jahr 2022 um 8,0 %. Das CBO ging davon aus, dass die Rendite der 3-monatigen Schatzwechsel im Jahr 2022 durchschnittlich 0,9 % und im Jahr 2023 2,0 % betragen werde. Für die 10-jährigen Treasuries wurden durchschnittlich 3,4 % und 2,9 % erwartet. Stattdessen lag der 3-Monats-Schatzwechsel im Jahr 2022 bei durchschnittlich 2,0 % (3,5 % im zweiten Halbjahr 2022) und die 10-jährige Staatsanleihe bei durchschnittlich 3 % (3,5 % im zweiten Halbjahr 2022).

In seinem Bericht vom Mai 2022 schätzt das CBO, dass die Nettozinskosten von 399 Milliarden Dollar im Jahr 2022 (6,8 % der Gesamtausgaben des Bundes und 1,6 % des BIP) innerhalb von zehn Jahren auf 1,19 Billionen Dollar ansteigen und sich damit auf 13,4 % der Gesamtausgaben und 3,3 % des BIP im Jahr 2032 verdoppeln würden. Die Nettozinskosten nehmen in den längerfristigen Projektionen zu und sind zusammen mit der Sozialversicherung, Medicare und Medicaid die Hauptursachen für den Anstieg der Ausgaben und der Schulden. Die aktualisierten Projektionen werden viel höher ausfallen, da die Zinssätze höher sind als prognostiziert. Selbst wenn sich die Zinssätze auf die längerfristigen Projektionen des CBO einpendeln, werden sich die bisher höheren Zinsniveaus verstärkend auswirken und die Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP sowie die Schuldendienstkosten noch weiter in die Höhe treiben.

Die Schuldenquote des Staates hat sich seit der globalen Finanzkrise verdoppelt und wird voraussichtlich weiter drastisch ansteigen. Die Staatsausgaben in Prozent des BIP werden ebenfalls stark anwachsen, was in erster Linie auf höhere Ausgaben für verschiedene Programme (Sozi-alversicherung, Medicare, Medicaid und andere) zurückzuführen ist. Darin spiegeln sich die Alterung der Bevölkerung, höhere reale Kosten für die Gesundheitsversorgung und steigende Nettozinskosten wider. Die höher als erwartete Inflation lässt die Ausgaben für die Sozialversicherung, die Renten und andere an die Inflation gekoppelte Programme erheblich ansteigen. Dieser Anstieg wird sich noch verstärken. Gleichzeitig begrenzen der Rückgang der Reallöhne und die steuerlichen Anpassungen den Anstieg der Steuereinnahmen.

Die Risiken, die sich aus einer hohen und weiter steigenden Verschuldung und Zinslast ergeben, sind weithin bekannt: Risiken finanzieller Instabilität, höhere Zinssätze und Inflation, ausländische Nachfrage nach US-Staatsanleihen, Einschränkungen bei den Ausgaben für staatliche Programme und negative Auswirkungen auf das Wachstum. Die Liste könnte noch verlängert werden. Diese Themen müssen genau untersucht und beobachtet werden. Doch politisch gibt es wenig Interesse, grundlegende Änderungen anzugehen, die erforderlich wären, um die Projektionen für die Schuldenquote zu stabilisieren.

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