Wohnungsknappheit, Immobilienfinanzierung und das Regulierungssystem nicht kommunizierender RöhrenParalleles Bremsen und Beschleunigen von Wohnimmobilienprojekten durch staatliche Institutionen

Was waren das für Zeiten!

Im November 2021, also vor etwas mehr als einem Jahr, war der Finanzstabilitätsbericht der Deutschen Bundesbank nicht zuletzt durch die Sorge eines überhitzten Immobilienmarktes geprägt (https://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=30146). Vermutete Preisübertreibungen zwischen 10% und 30% drohten angeblich die Werthaltigkeit von Kreditsicherheiten zu überschätzen und geneigte Leser konnten den Eindruck gewinnen, dass wir uns kurz vor einem German Subprime befanden.

Eingedenk der zumindest hierzulande geltenden Beleihungsgrenzen erschien dies zwar überaus erklärungsbedürftig, aber wie sich bald zeigen sollte, war die gesamte Aktion wohl Teil eines europäischen Abstimmungsprozesses. Bereits am 1.12.2021 gab das European Systemic Risk Board (ESRB) eine Empfehlung betreffend die Anfälligkeiten im kommerziellen Immobiliensektor des europäischen Wirtschaftsraums heraus und tags darauf jeweils eine Empfehlung betreffend die mittelfristigen Anfälligkeiten des Wohnimmobiliensektors Österreichs bzw. Deutschlands (alle herunterzuladen unter https://www.esrb.europa.eu/mppa/recommendations/html/index.en.html). Noch im gleichen Monat avisierte der Vorstand der österreichischen Finanzmarktaufsicht (FMA) Helmut Ettl eine Verschärfung der Mindeststandards für die Vergabe von Wohnkrediten (https://orf.at/stories/3240471/). Im Januar 2022 folgte in Deutschland die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) mit der Ankündigung erweiterter Eigenmittelunterlegungen, speziell eines Systemrisikopuffers für den Wohnimmobiliensektor, und in Österreich wurden im Februar die geplanten Vergabeänderungen konkretisiert (https://orf.at/stories/3247123/). Darin werden keine höhere Eigenkapitalunterlegung gefordert, sondern Grenzwerte hinsichtlich der Verhältnisse der Kreditnehmer einschließlich großzügiger Ausnahmeregelungen definiert. Die finale österreichische Vorgabe ist seit 1.8.2022, die deutsche seit 1.2.2023 voll umzusetzen.

Parallel zu alledem hatte die neue Ampelkoalition in Berlin den Bau von jährlich 400.000 Wohnungen als klares Ziel definiert, was über die gesamte Legislaturperiode 1,6 Millionen neuer Wohnungen bedeutet – dies wiederum im Angesicht der hohen sowie angesichts verschiedener Knappheiten im Baubereich noch weiter steigenden Preise und damit ohne entsprechende Förderungen offensichtlich nicht erreichen! Das bedeutete zugleich, dass in Deutschland Bremsen durch die BaFin mit Beschleunigen durch die neue Regierung koexistieren sollten – eine ärgerliche Paradoxie, die in einer aus heutiger Sicht überaus prosperierend wirkenden Zeit indessen keine große Aufmerksamkeit erregte: Man konnte sie sich wohl, wie so manches Andere auch, damals einfach leisten.

 Zeitenwende

Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine kam es dann aber am 24.2.2022 nicht nur im Verteidigungsbereich zur viel beschworenen Zeitenwende. Die bereits durch verschiedene Engpässe der Wertschöpfungskette bei Rohstoffen und Vorprodukten aufgetretenen Preissteigerungen wurden durch mittel- oder unmittelbare Kriegsfolgen vervielfacht. Das mitunter bemühte Bild vom Ketchupflaschen-Effekt einer der Geldschwemme stark verzögert folgenden, aber dann schlagartig ausbrechenden Inflation fand vor unser aller Augen statt – es hatte nur eines Zündfunkens à la Putin bedurft, um die ganze MMT spektakulär in die Luft fliegen zu lassen.

Durch die einzelnen Notenbanken unterschiedlich moderiert schlugen diese Verhältnisse natürlich auf das Zinsniveau am Kapitalmarkt durch. Man wird lange in die Vergangenheit zurückschauen müssen, um vergleichbare Zinssteigerungen binnen derart kurzer Zeit zu finden. Erst in den letzten Wochen verdichteten sich die Hinweise, dass die Inflation ihren Höhepunkt überschritten hat und der Gipfel im Zinserhöhungszyklus der Notenbanken absehbar ist. Allerdings gibt es auch andere Aspekte für die Zinsentwicklung, und Prognosen sind nicht erst seit Mark Twain besonders unsicher, wenn sie sich auf die Zukunft beziehen.

Für den Immobiliensektor und seine Finanzierung kam, was in der Marktwirtschaft kommen musste: Gestiegene Preise/Zinsen führten zu einem deutlichen Rückgang im Neugeschäft. Es vergeht mittlerweile kaum ein Tag, an dem die Situation nicht anhand drastischer Zahlen in den Medien ausgebreitet wird. „Der große Baustopp“ (Handelsblatt vom 10.2.2022, S. 46 f.) oder „Vergabe von Bau-Krediten bricht massiv ein“ (https://www.n-tv.de/wirtschaft/Vergabe-von-Bau-Krediten-bricht-massiv-ein-article23895262.html) sind nur zwei exemplarische Überschriften einschlägiger Berichte. Damit sind die propagierten Ziele der Ampelkoalition betreffend neue Wohnungen von ihrer Realisierung ungefähr genauso weit entfernt wie Alaska von Feuerland und niemand fragt mehr nach Überhitzungserscheinungen, sondern der Chor der Rufer nach Erleichterungen und zusätzlichen staatlichen Hilfen für den Wohnungsbau wird immer lauter. Es fehlt eigentlich nur noch die Forderung nach einem weiteren „Sondervermögen“!

Was heißt das für die nächste Zeit?

Bei alledem wird zumeist übersehen, dass die Preise der Bestandsimmobilien zwar mittlerweile auch leicht fallen, aber von einer vergleichbaren Erosion wie beim Neugeschäft keine Rede sein kann. Grundpfandrechtliche Besicherungen im Rahmen der seit langem geltenden Vorgaben dürften jedenfalls nur in extremen Ausnahmefällen von dieser Entwicklung tangiert sein. Der Präsident des Verbands deutscher Pfandbriefbanken Jens Tolkmitt erwartet auch für die nächsten Quartale nur moderate Rückgänge und zeigt sich generell optimistisch:

„Die insgesamt gesunden Rahmenbedingungen des deutschen Immobilienmarktes sollten dazu beitragen, dass er die aktuelle Preiskorrekturphase gut verkraftet.“ 

(https://www.pfandbrief.de/site/de/vdp/Presse/News/pressemitteilungen/20230110_Index_q4_2022.html)

Nicht nur angesichts dessen wäre es angezeigt, statt teure Subventionen anzustoßen lieber auch im Finanzierungssektor Hindernisse zurückzunehmen, die von Anbeginn überaus problematisch waren. Hierzulande scheint die Ampel dafür noch auf Rot zu stehen. BaFin-Präsident Mark Branson sagte in einem Interview mit dem bemerkenswerten Titel „BaFin-Chef Branson: Finanzaufsicht ist mutiger geworden“ am 1.8.2022:

„Die Wohn- und Gewerbeimmobilienmärkte haben eine enorme Entwicklung hinter sich. Die entsprechenden Kreditportfolien sind so groß, dass wir wachsam sein müssen. Hier haben wir Systemrisikopuffer aktiviert, um die Widerstandskraft der Bankenbranche zu erhöhen.“

(https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/RedenInterviews/re_220801_interview_dpa_p.html)

Im November hieß es dann in einer weiteren Publikation der BaFin:

„Branson betonte, dass er vor diesem Hintergrund derzeit keinen Bedarf sehe, den antizyklischen Kapitalpuffer und den sektoralen Systemrisikopuffer für mit Wohnimmobilien besicherte Kredite zu reduzieren oder zurückzunehmen. Die BaFin hatte die beiden Puffer im Frühjahr 2022 eingeführt. Eine angebotsseitige Kreditklemme gebe es derzeit nicht. Zudem erhöhe das Maßnahmenpaket die Kapitalanforderungen um rund 22 Mrd. Euro. „Das entspricht – Stand Anfang 2022 – nur 0,25 Prozent der aggregierten Bilanzsumme der Institute – und nicht viel mehr als zehn Prozent des vorhandenen Überschusskapitals. Das freie Kapital im deutschen System schätzen wir auch nach der Puffererhöhung auf mehr als 150 Mrd. Euro. Das reicht aus, um die Wirtschaft anzukurbeln – wenn die Nachfrage da wäre“, betonte Branson.“

(https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Meldung/2022/meldung_2022_11_14_EuroFinanceWeek_P.html)

Das ist mindestens in zweierlei Hinsicht bemerkenswert:

  • Zum einen fragt man sich natürlich sofort, warum Herr Branson eine Einschränkung aufrechterhalten will, die angeblich nichts einschränkt und seit ihrer Einführung noch nie etwas eingeschränkt hat. Waren die beiden Puffer und insbesondere der Systemrisikopuffer für die Finanzierung von Wohnimmobilien nur ein Fake, weil die BaFin auf die Empfehlung des ESRB reagieren musste, aber die deutschen Beleihungsvorgaben besser kannte als die meisten Experten in diesem Gremium (vgl. zur Organisation des ESRB https://www.esrb.europa.eu/about/orga/html/index.de.html) und daher keinen effektiven (!) Handlungsbedarf sah?
  • Zum anderen geht es nicht nur darum, genug Eigenkapital als quantitative Bedingung für Kreditausreichungen aufzuweisen, sondern auch darum, welche Konsequenzen eine höhere Eigenkapitalunterlegung für den Zins von Wohnimmobilienfinanzierungen hat. Mag dies theoretisch erst dann relevant erscheinen, wenn das „freie“ Kapital aufgebraucht ist, wird in der Praxis dieser Zustand (mit zunehmender Nähe in zunehmendem Ausmaß) bereits antizipiert und folglich wirkt der Systemrisikopuffer auf die Konditionenkalkulation der Banken wesentlich früher. Hinzu kommt, dass die Durchschnittsangabe die Verteilung freien Eigenkapitals bei Banken nur sehr unzureichend wiedergibt, denn die Streuung zwischen den Instituten ist gerade auch wegen der unterschiedlichen Entwicklung der regionalen Immobilienmärkte überaus groß. Da die Höhe der Finanzierungskosten für Bauprojekte erhebliche Bedeutung hat, dürfte der Systemrisikopuffer also zumindest in Teilen Deutschlands durchaus wirken. Eine „angebotsseitige Kreditklemme“ über die Kapazität der ausreichbaren Kredite braucht es dafür nicht!

Nun sind die BaFin-Zitate unbestreitbar nicht mehr tagesaktuell. Wo stehen wir also heute? Vielleicht hilft ja ein Blick über die Grenze: Während die Österreichische Nationalbank die dortigen Vergaberegeln für Immobilienkredite ebenfalls im November 2022 noch verteidigte (https://www.handelsblatt.com/finanzen/immobilien/immobilien-oesterreichs-notenbank-haelt-an-schaerferen-regeln-fuer-immo-kredite-fest/28824088.html), hat das Finanzmarktstabilitätsgremium in seiner Sitzung am 13.2.2023 eine „Weiterentwicklung“ der bisherigen Verordnung durch zusätzliche Ausnahmen zum 1.4.2023 empfohlen (https://www.fmsg.at/publikationen/presseaussendungen/2023/35te-sitzung.html).  Das mag weniger sein, als manche Medien im Vorfeld dieser Sitzung erwartet haben, sollte aber in seiner praktischen Bedeutung nicht unterschätzt werden. Offensichtlich wird der Leidensdruck entgegen aller massiv eingesetzten Begründungsrhetorik der betroffenen Institutionen zu groß und mit ihm die Pathologien der Regulierung.

Unabgestimmte Parallelregulierung als zeitloses Problem

Wie so oft zeigt sich nämlich auch hier die Regulierung als System falsch oder gar nicht miteinander kommunizierender Röhren. Das betrifft nicht nur das parallele Beschleunigen und Bremsen des Immobiliensektors durch Förderungen einerseits und Erschwerungen andererseits, sondern auch die gegenseitige Ausbremsung nachbarschaftlicher Regelungen. So wird beispielsweise der Obmann des WKÖ-Fachverbandes der Immobilien- und Vermögenstreuhänder Gerald Gollenz zitiert:

„Aktuell führt dieses Dilemma dazu, dass alternativ etwa mit deutschen Banken, die nicht an diese Vorgaben gebunden sind, finanziert wird …“

(https://www.salzburg24.at/news/oesterreich/kritik-gegen-immokredit-vergabe-in-oesterreich-nimmt-zu-133849222)

Zwar liegen noch keine öffentlichen Befunde regulierungsbedingter Wohnimmobilienfinanzierungen in Deutschland durch österreichische Banken vor, doch ist dabei zu bedenken, dass die (vermeintlich ineffektiven) Restriktionen hierzulande erst seit Anfang dieses Monats vollständig zu erfüllen sind. Immerhin scheint man den Schuss in Österreich gehört zu haben, obwohl dort aus mehreren Gründen tatsächlich mehr Grund zur Einschränkung der Kreditvergabe geboten ist als bei uns. Sollte uns das nicht zu denken geben?

Wie auch immer: Der „sektorale Systemrisikopuffer“ der BaFin bringt jedenfalls aktuell mehr Schaden als Nutzen und es ist nicht absehbar, wann sich dies ändern sollte. Seine Aufrechterhaltung bei gleichzeitigem Hochfahren staatlicher Immobiliensubventionierung wäre ein neuer Höhepunkt des zeitlosen Problems unabgestimmter Parallelregulierung, denn die eingangs beschriebenen guten Zeiten sind bis auf Weiteres vorbei oder anders formuliert: Wir können uns solche Paradoxien nicht mehr leisten.

Ob sich diese Erkenntnis bei den zuständigen Entscheidungsgremien durchsetzt, darf indessen bezweifelt werden. Bevor es zu einer hinreichend abgestimmten Regulierung kommt, werden wir wohl eher ein „Sondervermögen Wohnimmobilienförderung“ erleben!

3 Antworten auf „Wohnungsknappheit, Immobilienfinanzierung und das Regulierungssystem nicht kommunizierender RöhrenParalleles Bremsen und Beschleunigen von Wohnimmobilienprojekten durch staatliche Institutionen

  1. Bei erneuerbaren Energien erleben wir das gleiche Phänomen sogar innerhalb der Bundesregierung: Auf der einen Seite will der Bundesminister für Wirtschaft und Klima den Ausbau der erneuerbaren Energien massiv fördern, vgl. https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2023/02/20230221-habeck-wir-mussen-produktionskapazitaten-fur-erneuerbare-energien-in-deutschland-und-europa-starken.html, auf der anderen werden ihre „Übergewinne“ abgeschöpft. Signal: „Macht mal Leute! Wir greifen Euch unter die Arme und, wenn die Sache gut läuft, holen wir uns das Ganze mit Zins und Zinseszins zurück!!“ Wäre ja auch noch schöner, wenn man mit einem Unternehmen mehr verdient als amtlich erlaubt!!!

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