Beklagenswert geringe ökonomische Ambitionen
Die deutsche Energiewende hat den hohen Anspruch, ambitionierte Klimaziele zu verwirklichen und zugleich als internationales Vorbild auf dem Weg zur Klimaneutralität zu dienen. Nun sind ambitionierte nationale Klimaziele angesichts der mittlerweile deutlich erkennbaren Dringlichkeit einer raschen und konsequenten Abkehr aller globalen Akteure von fossilen Energiesystemen sehr wohl gerechtfertigt. Doch um als internationales Vorbild dienen zu können, müsste Deutschland diese Ziele unter ebenso ambitionierten Nebenbedingungen, allen voran dem Erhalt der volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der sozialen Ausgewogenheit der Klimapolitik, erreichen. Diese Nebenbedingungen finden aber eine viel zu geringe Beachtung. Zwar wird hierzulande mittlerweile – anders als in der Frühzeit der verteilungspolitisch höchst problematischen bevorzugten Förderung von Photovoltaik- und Windkraftanlagen für die Stromerzeugung – der sozialen Ausgewogenheit der Klimapolitik eine hohe Aufmerksamkeit zuteil.
Dies gilt jedoch keineswegs im gleichen Maße für die Anforderung, beim Umstieg auf Klimaneutralität eine möglichst hohe volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu erhalten. Eine hohe Wirtschaftskraft ist allein schon deswegen unverzichtbar, weil nur leistungsstarke und profitabel wirtschaftende Unternehmen in Deutschland und Europa dafür sorgen, dass diese Volkswirtschaften einen ersthaften Beitrag zur globalen Energiewende leisten können. Denn woher sollen die neuen technologischen Lösungen sonst kommen, die künftig gebraucht werden – wie beispielsweise kostengünstige Technologien zur Entnahme von Treibhausgasen aus der Atmosphäre, sog. negative Emissionen, und deren Speicherung und Weiterverwendung – wenn nicht von Unternehmen, die sich im marktlichen Wettbewerb durchsetzen?
Wirtschaftskraft mag zwar in großen Teilen unserer Gesellschaft keine nennenswerte Beachtung mehr finden, denn unser materieller Lebensstandard ist im historischen wie im länderübergreifenden Vergleich nahezu beispiellos hoch. Zudem scheint das Bewusstsein dafür, dass dieser Wohlstand in jedem Jahr von neuem zu erarbeiten ist, vielfach verloren gegangen zu sein. Aber in vielen anderen Volkswirtschaften, die zum Teil unser Wohlstandsniveau bei weitem nicht erreichen, dürfte man sich wundern, welch geringe Beachtung die deutsche Klimapolitik dem sparsamen Umgang mit volkswirtschaftlichen Ressourcen zu schenken bereit ist, siehe beispielsweise Wall Street Journal (2019).
Um es klar zu sagen: Dass die Transformation zwangsläufig den Einsatz volkswirtschaftlicher Ressourcen erfordern wird, die erheblich über den Ressourceneinsatz für die bisherige Art und Weise des Wirtschaftens hinausgehen, ist keineswegs problematisch. Denn diese Umstellung dient ja dazu, möglicherweise höhere Kosten abzuwenden, die ohne die Transformation zur Klimaneutralität sowohl von den aktuellen als auch von den nachfolgenden Generationen zu schultern wären. Die Transformation ist also vollkommen gerechtfertigt. Zu kritisieren ist es jedoch, wenn dabei volkswirtschaftliche Ressourcen verschwendet werden, die dann an anderer Stelle fehlen. Doch genau das geschieht, wenn statt auf das Entdeckungsverfahren des Wettbewerbs auf Märkten auf politische Detailsteuerung gesetzt wird.
Bemerkenswert bescheidene ökologische Fortschritte
Marktwirtschaftlichen Prinzipien wenig Beachtung zu schenken, führt nicht nur zu unnötig hohen Einbußen beim künftigen materiellen Lebensstandard. Auch die Energiewende selbst kommt nicht so recht vom Fleck, wenn das enorme Innovationspotenzial privatwirtschaftlicher Aktivität nicht hinreichend genutzt wird. Nüchtern betrachtet ist die deutsche Energiewende bislang überwiegend lediglich eine Stromwende: So wurden die erneuerbaren Energien vor allem im Stromerzeugungssektor massiv ausgebaut. Im Ergebnis übersteigen nun die regenerativen Stromerzeugungskapazitäten die Leistung aller konventionellen Kraftwerke. Das ist beachtlich. Aber da elektrische Leistung etwas ganz anderes ist als elektrische Arbeit in Form von Stromerzeugung, tragen die Erneuerbaren immer noch weniger als die Hälfte zur Stromproduktion in Deutschland bei.
Dieses Missverhältnis verdeutlicht, welch hohe Ineffizienz bei diesem mit immens hohen Kosten verbunden Ausbau der Erneuerbaren in Kauf genommen wurde. So belief sich die Summe aller Vergütungen nach dem Erneuerbaren-Energie-Gesetz (EEG), mit denen die Einspeisung von grünem Strom ins öffentliche Netz belohnt wird, zwischen 2000 und 2021 auf rund 192 Mrd. Euro (Netzwerktransparenz.de 2022). Nach einer konservativen Schätzung von Andor, Frondel und Vance (2017) dürfte die Förderung grünen Stroms in den kommenden zwanzig Jahren weitere rund 400 Mrd. Euro kosten, da die Einspeisevergütungen in der Regel für 20 Jahre in unveränderter Höhe gewährt werden. Insgesamt beziffert bspw. die dena-Leitstudie die zusätzlichen Kapitalkosten für eine erfolgreiche Energiewende bis 2050 auf 1,1 bis 1,9 Billionen Euro (dena 2018).
Im Gegensatz zu diesen hohen Kosten nehmen sich die ökologischen Erfolge der auf diese Weise betriebenen Energiewende bescheiden aus: Aufgrund des bereits existierenden Emissionshandels kann der Ausbau der Erneuerbaren nicht die gewünschten Klimaschutzwirkungen entfalten. Denn dadurch werden keine weiteren Einsparungen an Kohlendioxid (CO2) erzielt, die über jenes Maß hinausgehen, das bereits durch den Emissionshandel erreicht wird (BMWA 2004: 8). Kaum besser fällt die Bilanz aus, wenn man die Anteile der Erneuerbaren am Primärenergieverbrauch betrachtet. Dieser Anteil belief sich im Jahr 2021 auf nur 15,9 % (AGEB 2022). Den größten Beitrag hierzu steuerte die Biomasse bei, die einen Anteil am Primärenergieverbrauch von 7,4 % hatte, mithin knapp die Hälfte des Anteils der Erneuerbaren am Primärenergieverbrauch ausmachte.
Die lange Zeit hoch subventionierte Photovoltaik (Frondel, Schmidt, Vance 2014) brachte es im Jahr 2021 hingegen lediglich auf einen Anteil am Primärenergieverbrauch von 1,5 %, die Windkraft hatte einen Anteil von 3,4 % (AGEB 2022). Die Stromerzeugung hat nun einmal lediglich einen Anteil von rund 20 % am Primärenergieverbrauch, die Sektoren Verkehr und Wärme, die bislang kaum Erneuerbare nutzen, deutlich mehr. Selbst wenn Strom zu 100 % regenerativ produziert würde, bliebe der Erneuerbaren-Anteil am Primärenergieverbrauch daher überschaubar. Es ist somit offensichtlich, dass die für das Jahr 2045 angestrebte Nettotreibhausgasneutralität nicht allein mit Hilfe des Ausbaus der Erneuerbaren in Deutschland — mangels geringer Potentiale der übrigen Regenerativen vornehmlich Photovoltaik und Windkraft — erreicht werden kann.
Beunruhigend uneinsichtige Politikanpassungen
Ein nüchterner Blick auf das Verhältnis von hohen Ausbaukosten und bescheidener Klimawirkung – sowie auf die vergleichsweise geringe Energiedichte von Wind und Sonneneinstrahlung würde nahelegen, dass die deutsche Klimapolitik nach einer alternativen Strategie sucht. Und doch behält Deutschland den eingeschlagenen Weg, die Energiewende weitgehend auf den Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugungskapazitäten zu verengen, nicht nur bei, sondern erhöht gemessen an den verschärften Erneuerbaren-Zielen sogar massiv das Tempo. So wurde das ursprüngliche Ziel eines Erneuerbaren-Anteils am Stromverbrauch von 65 % im Jahr 2030 auf einen Anteil von 80 % erhöht. Bereits im Jahr 2035 soll die Stromversorgung nahezu vollständig auf erneuerbaren Energien beruhen. Dabei täte eine grundlegende Neubesinnung gut.
Startpunkt könnte die Einsicht sein, dass in der langen Geschichte der Nutzung von Energie weniger energiedichte Energiequellen regelmäßig von solchen mit höherer Energiedichte und größerer „Benutzerfreundlichkeit“ abgelöst wurden. Diese Historie begann mit Holz, wurde nach der industriellen Revolution mit Kohle fortgeführt, bevor die extensive Nutzung der beiden fossilen Brennstoffe mit den höchsten Energiedichten, Erdöl und Erdgas, begann. So hat Erdgas mit 55 MegaJoule (MJ)/kg die höchste Energiedichte aller fossilen Brennstoffe, vor Benzin mit einer Energiedichte von 46 MJ/kg. Zum Vergleich: Holz hat eine Energiedichte von 16 MJ/kg, Lithium-Ionen-Batterien, eine der effektivsten Möglichkeiten grünen Strom zu speichern, haben lediglich eine Energiedichte von 0,5 MJ/kg, also etwa um den Faktor 100 niedriger als die von Benzin.
Dessen ungeachtet entwickelt Deutschland immer ambitioniertere Ausbaupläne, um das 80-Prozent-Erneuerbaren-Ziel zu erreichen (BMWK 2022). So soll die Windkraftkapazität auf See von 7,8 Gigawatt (GW) im Jahr 2021 auf mindestens 30 GW im Jahr 2030 ausgebaut werden. Die Windkraft an Land soll bis dahin eine Kapazität von 115 GW haben (2021: etwa 63 GW), indem die Ausbauraten auf 10 GW pro Jahr gesteigert werden. Doch selbst im Rekordjahr 2017 wurde mit einem Zubau von 4,9 GW nur knapp die Hälfte davon erreicht. Noch weitaus ambitionierter beim PV-Ausbau: Bis 2030 sollen PV-Anlagen im Umfang von 215 GW installiert sein (2021: 59,4 GW). Dazu sollen jährlich bis zu 22 GW zugebaut werden. Das wäre etwa das Dreifache des bislang höchsten jährlichen Zubaus von knapp 8 GW in den Boomjahren 2010 bis 2012.
Darüber hinaus erzwingt die angestrebte Vervielfachung der Erneuerbaren-Kapazitäten aufgrund der Volatilität der Erzeugung grünen Stroms und dauerhaft fehlender wirtschaftlicher Speichermöglichkeiten zur Überbrückung von windarmen Phasen im Winter (Dunkelflauten) das parallele Vorhalten eines konventionellen Kraftwerkparks in etwa der heutigen Größenordnung (Schwarz 2022). Der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung hatte neue Erdgaskraftwerke als sogenannte Brückentechnologie vorgesehen. Bereits vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine waren die Anreize, in neue Erdgaskraftwerke zu investieren, aber gering, schließlich würden sie spätestens bei Erreichen des 80-Prozent-Ziels weitgehend zur Untätigkeit verdammt sein. Infolge des Ausfalls kostengünstigen russischen Erdgases sind diese Anreize nun noch weiter gesunken.
Besseren Strategiemix verfolgen
Aber gibt es denn überhaupt eine Alternative? Ja, die gibt es. Ein besserer energiepolitischer Strategiemix bestünde in einem Dreiklang. So bleibt erstens der Ausbau der heimischen PV- und Windkapazitäten zwar durchaus wichtig. Aber: Nach Jahrzehnten der Subventionierung mittels EEG-Einspeisevergütungen könnten die Erneuerbaren bei den aktuell hohen Strompreisen dem Markt überlassen und das EEG abgeschafft werden. Würde die Politik darauf verzichten, ineffiziente Anlagen an schlechten Standorten ohne Rücksicht auf die Kosten zu fördern, würden finanzielle Mittel eingespart, die nicht zuletzt für die Forschung und Entwicklung sämtlicher Energie- und Speichertechnologien genutzt werden könnten. Hierin sollte Deutschland eine Vorreiterrolle übernehmen, nicht bei der flächendeckenden Verbreitung ineffizienter Stromerzeugungstechnologien.
Zweitens wird Deutschland ein Energieimportland bleiben, auch und gerade dann, wenn ein klimaneutrales Energiesystem etabliert werden soll. Künftig müssen allerdings beim Import fossile durch grüne Energieträger ersetzt werden, allen voran durch grünen Wasserstoff. Die Infrastruktur für deren Einfuhr und Verteilung muss jetzt aufgebaut, Partnerschaften mit sonnen- und windreichen Partnerländern müssen jetzt geschmiedet werden.
Drittens könnte ein Bekenntnis zur technologieoffenen Nutzung alternativer heimischer Energiequellen die Situation weiter entschärfen. Es mag einer lautstarken Minderheit nicht gefallen, aber es erscheint durchaus angezeigt, zumindest die Sinnhaftigkeit des Verbots von heimischer Gasförderung durch das Fracking unkonventioneller Erdgasvorkommen und der unterirdischen Speicherung von Kohlendioxid zu hinterfragen. Würde sich Deutschland auf einen solchen Strategiemix besinnen, würde das Ausland wohl mit weniger Befremden auf die deutsche Energiewende schauen und sie sich möglicherweise sogar zum Vorbild nehmen.
Quellen:
AGEB (2022) Energieverbrauch in Deutschland im Jahr 2021. Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen. https://ag-energiebilanzen.de/wp-content/uploads/2022/03/AGEB_Jahresbericht2020_20220325_dt.pdf
Andor, M., Frondel, M., Vance C. (2017) Germany’s Energiewende: A tale of increasing costs and decreasing willingness-to-pay. Energy Journal 38, Special Issue #1 – Renewables and Diversification in Heavily Energy Subsidized Economics: 211-228.
BMWA (2004) Zur Förderung erneuerbarer Energien, Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, Berlin. Dokumentation Nr. 534.
BMWK (2022) Überblickspapier Osterpaket. Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, 6.4.2022. https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/Energie/0406_ueberblickspapier_osterpaket.pdf?__blob=publicationFile&v=12
dena (2012) dena-Leitstudie Integrierte Energiewende. Deutsche Energie-Agentur, Berlin. https://www.dena.de/fileadmin/dena/Dokumente/Pdf/9261_dena-Leitstudie_Integrierte_Energiewende_lang.pdf
Frondel, M., Schmidt, C. M., Vance, C. (2014) Revisiting Germany’s Solar Cell Promotion: An Unfolding Disaster. Economic Analysis and Policy 44 (1), 3-13.
Netzwerktransparenz.de (2022). EEG-Jahresabrechnungen. Internetplattform der Übertragungsnetzbetreiber. www.netztransparenz.de/EEG/Jahresabrechnungen.
Schwarz, H. (2022) Green-Washing hilft dem Klima nicht. Trend — Magazin für Soziale Marktwirtschaft 44 (4), 20-23.
Wall Street Journal (2019) World’s Dumbest Energy Policy. https://www.wsj.com/articles/worlds-dumbest-energy-policy-11548807424
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