Sollten bestimmte wissenschaftliche Zeitschriften verboten werden?Einige ordnungsökonomische Anmerkungen zur Diskussion um sog. „Predatory Journals“

In der wissenschaftlichen Gemeinschaft wird seit längerer Zeit über als problematisch wahrgenommene Entwicklungen auf dem Markt für wissenschaftliche Zeitschriftenpublikationen diskutiert. Jüngst wurde die Liste der sogenannten „Predatory Journals“ um 422 Zeitschriften des MDPI-Verlags (Multidisciplinary Digital Publishing Institute) erweitert. Der Verlag weist in seinem aktuellen Jahresbericht (https://www.mdpi.com/annual-report-2022/) alleine für das Jahr 2022 44 Millionen Artikeldownloads aus. Insgesamt wurden laut Aussage des MDPI inzwischen über 1 Millionen Beiträge publiziert. In den letzten Jahren konnte MDPI damit zu den großen Marktteilnehmern aufschließen (Müller 2022). Maßgebliches Charakteristikum dieses Verlags – und dies gilt sicherlich auch für andere Verlage, die ein vergleichbares Geschäftsmodell verfolgen (wie beispielsweise Frontiers Media) – sind vergleichsweise kurze Zeitspannen zwischen Einreichung und Publikation (5-6 Wochen gemäß Jahresbericht https://www.mdpi.com/annual-report-2022/) und niedrigere Ablehnungsquoten als bei traditionellen wissenschaftlichen Zeitschriften.

Wir wollen hier nicht auf die in praxi kaum mögliche, aber zur abschließenden Beurteilung innerhalb der Scientific Community notwendige trennscharfe Abgrenzung zwischen Fake-Zeitschriften und den Zeitschriften der angesprochenen Verlage eingehen. Letztere haben z.T. sehr renommierte Herausgeber. Man denke etwa an die MDPI-Zeitschrift Economies, deren „Editor-in-Chief“ Ralf Fendel (WHU – Otto Beisheim School of Management) ist,  der von den „Associate Editors“ Stephen Hall (University of Leicester), Geoffrey Hodgson (Loughborough University London) und Joachim Wagner (Leuphana Universität Lüneburg) umrahmt wird (https://www.mdpi.com/journal/economies/editors). Gleiches gilt beispielsweise für die MDPI-Zeitschrift Games, deren „Editor-in Chief“ Ulrich Berger (WU Wien) ist (https://www.mdpi.com/journal/games/editors).

Verschiedene Stimmen (z. B. Beall 2016) fordern von den Akteuren des Wissenschaftsbetriebs wie etwa den Wissenschaftlern selbst, den Universitäten, den Bibliotheken und den einschlägigen Datenbanken (z. B. Scopus oder Thomson Reuters Web of Science) derartige Predatory Journals zu sanktionieren. Wir wollen hier allerdings diskutieren, ob ein staatliches Verbot derartiger Journals aus ordnungsökonomischer Perspektive gerechtfertigt werden kann.

Charakteristika des Markts für wissenschaftliche Publikationen

Die Karriere von Wissenschaftler hängt zunehmend von Veröffentlichungen in hochrangigen internationalen Zeitschriften, dem Besuch internationaler Konferenzen und der nachgewiesenen Fähigkeit zur Einwerbung externer Fördermittel ab (hierzu z.B. Rapp, Olbrich & Follert 2019; Frey, Briviba & Scheidegger 2021; Daumann, Follert & Wassermann 2023). In vielen Disziplinen orientieren sich die Berufungskommissionen bei der Besetzung von Professuren an Kennziffern zur Messung der individuellen Forschungsstärke. Gleichzeitig wird die Qualität der Publikationen nicht mehr nur anhand des Erkenntnisbeitrags, sondern heuristisch über den Ort der Veröffentlichung beurteilt. Dabei existiert inzwischen eine Fülle an Kennzahlen, die die Qualität einer Zeitschrift – Monographien haben inzwischen nur noch in wenigen Disziplinen akademische Bedeutung – beurteilen sollen; zum einen finden hier subjektive, d.h. befragungsbasierte und zum anderen zitationsbasierte Metriken Anwendung Ranglisten (zu den „Ranking Games“ siehe z.B. Osterloh & Frey 2014). Diese Ausrichtung erzeugt eine hohe Nachfrage nach Veröffentlichungsslots in den entsprechenden wissenschaftlichen Fachzeitschriften.

Letztere haben in der Regel ein Herausgebergremium, das sich durch Kooptation zusammensetzt und das – sofern ein Manuskript den grundlegenden wissenschaftlichen Anforderungen hinsichtlich Rigorosität sowie den grundsätzlichen Kriterien der jeweiligen Zeitschrift entspricht – zur Begutachtung auf externe Gutachter (sog. Peer Review-Verfahren, hierzu beispielsweise Osterloh & Frey 2020) zurückgreift. Der Einreichungsprozeß verläuft dabei regelmäßig so, daß Forscher ihre Beiträge bei einer Zeitschrift einreichen und bestätigen, daß sie dieses Manuskript nicht gleichzeitig bei einer anderen Zeitschrift eingereicht haben. Der geschäftsführende Herausgeber oder einer seiner Vertreter entscheidet dann, ob er den Beitrag in den Begutachtungsprozeß gibt oder als nicht geeignet für die Zeitschrift (desk rejection) zurückweist. Sofern der Beitrag in den Begutachtungsprozeß gelangt, wird er normalerweise in einem Doppeltblind-Verfahren (die Gutachter wissen nicht, wer die Autoren sind, und die Autoren wissen nicht, wer die Gutachter sind) begutachtet. Diese Gutachter lehnen entweder den Beitrag als zu stark mit Mängeln behaftet ab oder fordern die Autoren auf, ihr Manuskript zu überarbeiten und bei der Einreichung des überabeiteten Aufsatzes die entsprechenden Überarbeitungen kenntlich zu machen. Oftmals wird in Abhängigkeit von der Menge an geforderten Überarbeitungen zwischen verschiedenen Stufen differenziert (minor revision vs. major revision). In der Folge kann der Beitrag angenommen, abgelehnt oder mit neuen Überarbeitungsauflagen zurückgesandt werden. Bedenkt man, dass ein Gutachter – der dies ehrenamtlich macht – in aller Regel zwischen zwei und drei Monate Zeit erhält und eine Überarbeitung oftmals nochmals dieselbe Zeit in Anspruch nimmt, kann eine derartige Prozedur oftmals mehr als ein Jahr in Anspruch nehmen. Wird der Beitrag schließlich doch abgelehnt, sind die Autoren gezwungen, den Beitrag, sofern sie ihn veröffentlichen wollen, bei einer anderen Zeitschrift einzureichen. Nun wiederholt sich das beschriebene Procedere. Sowohl die Herausgeber einer Zeitschrift als auch die Gutachter haben erheblich Verhaltensspielräume und es ist – wenn man davon ausgeht, dass Individuen grundsätzlich eigennützig handeln – vorstellbar, daß diese Spieleräume genutzt werden, um eigene Zielsetzungen zu realisieren.

Als weitere Akteursgruppe treten die Verlage in Erscheinung. Das Geschäftsmodell der Verlage besteht darin, eine Plattform anzubieten, auf die die Leser der Fachzeitschriften und die Bibliotheken meist gegen Entgelt zugreifen können. Zudem signalisiert der Verlag mit seiner Reputation eine gewisse Qualität der bei ihm erscheinenden Publikationen. Der Input der Fachzeitschriften wird dem Verlag überwiegend ohne große eigene Kosten zur Verfügung gestellt, denn sowohl die Wissenschaftler, die die Beiträge verfassen, als auch die Herausgeber sowie die Wissenschaftler, die die Gutachten schreiben, erhalten grundsätzlich keine Entlohnung vom entsprechenden Verlag. Die Position des Herausgebers sowie des Gutachters für renommierte Zeitschriften ist jedoch mit Reputationsnutzen und dem Aufbau eines für die Karriere essentiellen Netzwerks verbunden. Es ist erstaunlich, daß Wissenschaftler, die ihre Aufsätze einreichen, dem Verlag das Verwertungsrecht an ihrem geistigen Eigentum übertragen müssen, damit der Artikel in den Publikations(prüfungs)prozeß gelangen kann. Möchten die Forscher, daß ihr Beitrag im Falle der Publikation nicht nur den Abonnenten der Zeitschrift, sondern öffentlich zugänglich gemacht wird (open access), müssen sie regelmäßig einen vierstelligen Betrag – die Höhe variiert von Verlag zu Verlag – entrichten. Durch dieses Geschäftsmodell können große Verlage, die allenfalls noch die Transformation des finalen Beitrags in das Layout der Zeitschrift übernehmen – auch hierbei wenden die Autoren wieder Zeit auf, um die nicht selten fehlerbehaftete Umsetzung zu überprüfen – erhebliche Gewinnmargen in diesem Geschäft verzeichnen können.

Diese Gewinnaussichten und die gestiegene Nachfrage – die durch die teilweise selbstgeschaffenen Rahmenbedingungen der wissenschaftlichen Community vorangetrieben wird – haben verschiedene andere Verlage angezogen, die meist auf Basis von open access-Modellen (sog. gold open access) den Wissenschaftlern eine vergleichsweise schnelle und teilweise auch neutralere Veröffentlichungsmöglichkeit bieten. Neutraler sind diese Verlage in dem Sinne, daß sie die Zielsetzungen des Herausgebergremiums – z.B. die Förderung der eigenen akademischen Schule bzw. Denkrichtung – in den traditionellen Fachzeitschriften stärker durch monetäre Ziel ersetzen. Hieraus kann grundsätzlich abgeleitet werden, daß diese Verlage in ihren Zeitschriften möglicherweise weniger dogmatisch agieren, wenn es z.B. um Beiträge jenseits der inhaltlichen Hauptströmung geht.

Nun haben freilich die Herausgeber der etablierten Zeitschriften und selbstverständlich auch die großen Verlage ein nachvollziehbares Interesse, diese Konkurrenz zu unterbinden. Für erstere bedeutet das Auftreten weiterer Zeitschriften abseits der etablierten und durch die Usancen der wissenschaftlichen Gemeinschaft regulierten Journale eine Erosion der Marktmacht. Für die Verlage ergibt sich daraus eine Gefährdung ihres gegenwärtig noch lukrativen Geschäftsmodells, das mit primär durch andere Akteure weitgehend kostenlos bereitgestellten Produktionsfaktoren Output erzielt.

Die Erstellung von Listen mit sog. Predatory Journals ist nun ein Instrument, das eingesetzt wird, um den Markteintritt dieser „Newcomer“ abzuwehren, indem versucht wird, ihre Reputation, was in diesem Zusammenhang von erheblicher Bedeutung ist, zu schädigen. Gleichzeitig werden auch die entsprechend gelisteten Verlage versuchen, Lobbyismus in ihrem Sinne zu betreiben. Freilich darf dabei nicht vergessen werden, daß manche in diesen Verlagen veröffentlichen Journals, die in der wissenschaftlichen Community etablierten Qualitätsstandards (z.B. ordentliches Peer Review-Verfahren mit mindestens zwei Gutachtern) nicht erfüllen.

Ordnungsökonomische Einordnung

Sind jedoch Gründe gegeben, die für ein Verbot – vielleicht sogar ein gesetzliches – bestimmter Zeitschriften sprechen? Wir wollen dieser Frage aus ordnungsökonomischer Sicht nachgehen. Hierzu soll die Frage der Schutzbedürftigkeit einzelner Marktteilnehmer diskutiert werden.

Zum einen könnten sich Wissenschaftler, die in Journals mit zweifelhafter Qualität veröffentlichen, als schutzbedürftig erweisen. Unterstellt man den Wissenschaftlern rationales Verhalten, dann werden sie die erwarteten Kosten und den Nutzen einer Veröffentlichung in einem entsprechenden Journal abwägen. Wissenschaftler treffen täglich Entscheidungen über den Publikationsort auf Basis bestimmter Charakteristika, etwa dem inhaltlichen Schwerpunkt, dem Ranking der Zeitschrift, dem Herausgebergremium oder der durchschnittlichen Begutachtungsdauer. Warum sollten sie also völlig unbedacht in zweifelhaften Zeitschriften publizieren wollen? So wären eventuell auftretende Reputationsverluste mit einer beschleunigten Veröffentlichung und mit zusätzlich auftretenden Publikationskosten ins Verhältnis zu setzen. Ein Schutzbedürfnis der Wissenschaftler ist nur schwer erkennbar, da davon ausgegangen werden kann, daß jeder Wissenschaftler die Zusammenhänge und damit auch die Konsequenzen seines Handelns abschätzen kann. Allenfalls könnte diskutiert werden, dass junge Wissenschaftler, z.B. Doktoranden, schutzbedürftig seien, weil sie die Usancen des Systems noch nicht hinreichend genau kennen, um die beruflichen Konsequenzen einer solchen Entscheidung abschätzen zu können. Allerdings dürfte wohl jede verantwortungsvolle Doktormutter und jeder verantwortungsvolle Doktorvater hierauf achten und entsprechend beraten.

Auch die Herausgeber und die Verlage sind aus marktwirtschaftlicher Sicht nicht schutzbedürftig; vielmehr entsteht durch neue Zeitschriften – zunächst einmal unabhängig von deren Qualität – Wettbewerb, der die Marktmacht dieser beiden Gruppen erodieren läßt.

Nun läßt sich möglicherweise argumentieren, dass auf einer anderen Ebene der Marktbetrachtung, die Öffentlichkeit als Nachfrager der Forschungsergebnisse auftritt, so daß sich die Frage anschließt, ob derartige Entwicklungen das Wissenschaftssystem als ganzes und dabei insbesondere seine Glaubwürdigkeit bedrohen. Durch Veröffentlichungen, die kein ordnungsgemäßes Begutachtungsverfahren durchlaufen haben, könnten deren vermeintliche Forschungserkenntnisse das Handeln unbeteiligter Dritter (wie etwa der Politik, der Bürger oder anderer Wissenschaftler oder Unternehmen) beeinflussen. Verfolgt man diesen Gedankenstrang konsequent weiter, dann gelangt man zur grundsätzlichen Problematik eines Verbotes von Fake-News, was in letzter Konsequenz eine Beschneidung der Press- und Meinungsfreiheit zur Folge haben könnte (siehe hierzu Follert, Daumann, & Block 2023). Auch hier dürfte sich zeigen, daß der rationale Akteur die Qualität der Quelle, aus der er seine Informationen bzw. die Forschungserkenntnisse erhält, bei seiner Entscheidung in Betrachtung ziehen wird. Daß Menschen im allgemeinen kognitiven Verzerrungen unterliegen können, ist aber ein generelles Problem, daß beispielsweise auch bei der Interpretation von Forschungsergebnissen, die auf rigorose Weise ermittelt wurden, auftreten kann.

Als ordnungsökonomischer Sicht ist also ein Handlungsbedarf zu verneinen. Im Wettbewerb der Verlage bzw. Fachzeitschriften werden diejenigen, die von minderer Qualität sind, ausgesondert werden, da es für die Wissenschaftler zunehmend uninteressant wird, in diesen Publikationsorganen zu veröffentlichen. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, daß eine Veröffentlichung in diesen Zeitschriften nicht den gewünschten oder gar einen negativen Effekt bei einem Berufungsverfahren nach sich ziehen kann.

Das Grundproblem ist dabei die zunehmende Metrisierung des Forschungsoutputs; so wird nahezu ausschließlich auf Kennziffern und kaum auf die Inhalte der Veröffentlichungen geschaut. Eine Orientierung an den tatsächlichen Inhalten im Wissenschaftsbetrieb würde das Problem minderwertiger Zeitschriften sofort lösen. Insofern wäre es wünschenswert, wenn die Qualität der Beiträge nicht vor allem auf Grundlage des Publikationsorts beurteilt würde.

Quellen

Beall, J. (2016). Ban predators from the scientific record. Nature 534, 326. https://doi.org/10.1038/534326a

Daumann, F., Follert, F. & Wassermann, A. (2023). The Road to Hell Is Paved with Good Intentions: Modeling Grant Competition between Universities. Economies 11(3), 81.

Follert, F., Block, W.E. & Daumann, F. (2023). Uprise of the Shrinking Violets: Cancel Culture in Media. Procesos de Mercado, zur Veröffentlichung angenommen.

Frey, B.S., Briviba, A. & Scheidegger, F. (2021). Publikationsdruck in der Betriebswirtschaftslehre? Eine empirische Untersuchung. Forschung, 100-105.

Müller, H. (2022), Der MDPI-Verlag – Wolf im Schafspelz?, Zugriff am 13. März 2023 unter: https://www.laborjournal.de/rubric/hintergrund/hg/hg_22_06_03.php

Osterloh, M., & Frey, B.S. (2015). Ranking Games. Evaluation Review 39, 102-129.

Osterloh, M. & Frey, B.S. (2020). How to avoid borrowed plumes in academia. Research Policy 49, 103831.

Rapp, D.J., Olbrich, M. & Follert, F. (2019). Zur Internationalisierung der Rechnungswesenforschung im deutschsprachigen Raum – Eine Analyse von AAA- und EAA-Jahreskonferenzen 1998-2015. Schmalenbachs Zeitschrift für betriebs­wirtschaftliche Forschung 71, 79-105.

Frank Daumann und Florian Follert

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