Markt und Moral (3)Warum wir nicht nicht handeln könnenEine Replik

Zunächst ganz vorweg: Ich begrüße die Diskussion sehr, denn wir brauchen mehr davon. Nicht nur ganz generell, sondern auch in freiheitlich denkenden und ordoliberalen Kreisen. Insofern begrüße ich die Veröffentlichung meines Beitrags in diesem Blog, als auch den (erwartungsgemäß kritischen) Kommentar von Joachim Weimann. Gerade wenn wir dort, wo vermutlich andere Meinungen herrschen, sachlich argumentieren, werden Diskussionen spannend und (hoffentlich) auch fruchtbar.

Was ich mit Herrn Weimann teile: Erstens – und hier beruht der Vorwurf des Markt-Bashings sicherlich auf einem Missverständnis – betreibe ich gerade kein Markt-Bashing, sondern mache Märkte stark. Auch ich würde mir mehr Markt in Hinblick auf die CO2-Emissionen wünschen, also einen passenden Ordnungsrahmen. Das findet sich auch so im Text:

„Natürlich wäre es besser, wenn ein Emissionshandel global auch für den Luftverkehr (und am besten gleich sektorübergreifend) etabliert würde. Solange diese first-best Lösung aber politisch noch in weiter Ferne liegt, sind wir gezwungen uns zu verhalten. Und zwar im Hier und Jetzt.“

Ein ordnungspolitischer Rahmen, der die externen Effekte hinreichend internalisiert und damit das soziale Dilemma löst, wäre die beste Lösung. Dieser saubere ordnungspolitische Ansatz würde das Individuum von der (ungünstigen) Pflicht zur moralischen Abwägung befreien. Ich kenne kaum jemanden, der sich dies nicht wünscht. Und natürlich bedeutet dies zweitens, dass die Berechnung auf Basis von CO2-Äquivalenten sinnvoll ist. Zwar bleiben dann immer noch Probleme mit dem Fliegen (wie wir beide erläutern), aber der Fortschritt wäre immens. Auch stimme ich drittens mit Herrn Weimann überein, dass die Etablierung eines CO2-Preises unabdingbar ist, und zwar global und sektorübergreifend. Ich denke, auch hier sind wir überein.

Nur: Das Problem ist – leider! – anders gelagert, und das führt zu meinem Argument. Denn erstens ist das CO2-Problem ein globales Umweltproblem, das wir nicht alleine werden lösen können, und eine effektive globale Lösung ist auf absehbare Zeit nicht in Sicht. Und zweitens spielt der Zeitaspekt in Bezug auf die Erderwärmung eine kritische Rolle, wir können also nicht ständig auf morgen oder irgendwelche Innovationen warten. Dies bedeutet: Solange wir keinen ausreichenden Ordnungsrahmen in Hinblick auf die globale CO2-Problematik haben, sind wir als Individuum gezwungen zu handeln, und zwar jetzt. Es nützt einfach nichts, auf andere zu zeigen oder auf fehlende oder falsche Anreize hinzuweisen. Es ist so, dass wir im Hier und Jetzt – wie ich schreibe – „nicht nicht handeln“ können.

Und dies bedeutet, dass wir in Hinblick auf unsere täglichen Konsumentscheidungen – wenn wir wissen, dass der Ordnungsrahmen nicht gut ist – gezwungen sind abzuwägen, welche Folgen mit unserem individuellen Konsum einhergehen. Das ist letztendlich eine moralische Abwägung, ob wir das wollen oder nicht. Und in der Tat ist der Luftverkehr nicht das einzige Beispiel, es ließe sich auch anwenden auf andere klassische Themenbereiche, wie bspw. den Konsum von Fleisch, wenn die Produktion mit großem Tierleid einhergeht. Der Luftverkehr ist daher nicht geschickt gewählt, sondern exemplarisch in seiner Klarheit: Während wir individuell bei anderen kritische Konsumfeldern relativ wenig Handlungsspielraum haben (bspw. Lieferkettenproblematik in der Textilwirtschaft, Kreislaufproblematik im Bereich Elektroschrott), ist das beim Tierwohl und beim Fliegen eben anders. Hier lässt sich nicht nur relativ leicht erkennen, dass das eigenen Handeln negative externe Effekte verursacht, es stehen auch (imperfekte) Substitute bereit. Und: Das Ausmaß des Effekts ist enorm. Denn die Auswirkungen dieser einzelnen Konsumentscheidung sind in Hinblick auf die Klimawirkung so immens wie keine andere individuelle Konsumentscheidung des täglichen Alltags. Wenn die als mit dem 1,5 Grad-Ziel verträgliche durchschnittliche CO2 Emissionen pro Kopf und Weltbürgerin bei 1 – 1,5 Tonnen CO2 liegt (BMUV 2023; Atmosfair 2023; wir können diese Zahl auch verdoppelt, es spielt in Hinblick auf das Argument letztendlich keine Rolle, so eindeutig ist der Effekt) bei gegenwärtig durchschnittlichen CO2-Emissionen pro Kopf in Deutschland von 10-11 Tonnen (Umweltbundesamt 2023) und ein Flug Berlin – New York hin und zurück ca. 2,5 Tonnen CO2 verursacht[1], dann muss man gar nicht um die Details der Berechnungen und Nachkommastellen feilschen um zu erkennen, welche Klimawirkung diese einzelne Handlung hat.

Dies bringt den Zwang zum ethischen Handeln und zur moralischen Abwägung der eigenen Konsumentscheidung mit sich, ob es uns nun gefällt oder nicht. Denn selbst wenn ich mich bedingungslos für unbegrenzten Konsum trotz des unzureichenden Ordnungsrahmens entscheiden sollte, weil ich das richtig – oder vielleicht doch einfach nur bequem? – finde: Ich habe dann eine moralische Entscheidung getroffen und mich positioniert, wegdenken lassen sich die Konsequenzen nicht. Ich plädiere dafür, sich dieser Entscheidung zu stellen, auch wenn es anstrengend ist und niemand von uns dabei perfekt sein wird. Es ist besser es ernsthaft zu versuchen, als die Probleme schlicht zu ignorieren. Sowohl individuell, als vielleicht auch stärker in der Ökonomik als Disziplin (indem wir uns beispielsweise wieder zur Philosophie hin öffnen).

Meine Überschrift ist bewusst etwas provokativ gewählt. Selbstverständlich sind wir als Ökonomen (und natürlich auch Ökonominnen) geschult, Kosten und Nutzen miteinander in Abwägung zu bringen. Ich fokussiere in meinem Beitrag alleine auf die Kosten. Dies nicht, weil ich den Nutzen ignoriere, sondern um das Problem deutlich herauszuarbeiten. Insofern ist die Überschrift auch etwas überspitzt, denn die Entscheidung zu Fliegen ist eine Kosten-Nutzen-Abwägung, die vielleicht auch ab und an auch zu Gunsten des Fliegens ausfallen darf.

Es macht aber einen Unterschied, ob ich das Fliegen als etwas Kosten verursachendes ansehe, das ich in Ausnahmefällen rechtfertige, anstatt es als Standard anzusehen, weil ich die externen Kosten schlicht ignoriere. Natürlich bringt das Reisen einen großen Nutzen, nicht nur für das einzelne Individuum, sondern auch durch mögliche positive externe Effekte. Aber erstens heißt Reisen nicht notwendigerweise Fliegen. Zweitens können die positiven externen Effekte sehr begrenzt sein, ich empfehle einen Blick auf die Hotspots des Partytourismus. Und drittens müssen wir vorsichtig vor Beliebigkeit sein: Niemand möchte sich als liberal eingestellter Mensch anmaßen zu beurteilen, wie einzelne Individuen diese individuellen Kosten-Nutzen-Abwägungen zu treffen haben. Das ist die große Stärke unserer Disziplin. Aber gleichzeitig kann es auch eine Schwäche sein. Denn wenn der methodologische Individualismus so in den Alltag übersetzt wird, dass man postuliert über die Konsequenz des eigenen Handelns nicht mehr nachdenken zu müssen, weil „der Markt die Anreize setzt“ (und dabei ignoriert, dass der Ordnungsrahmen nicht stimmt und die Anreize fehlleiten) und sich gleichzeitig ein nahezu beliebig hoher subjektiver Nutzen durch das Fliegen proklamieren lässt (und man die bekannten negativen externen Effekte in der Abwägung ignoriert), dann ist die Entscheidung vielleicht einfach nur falsch. Und zwar aufgrund der sozialen Probleme, die mit dieser Entscheidung einhergehen.

Und genau so ist das „Warum wir nicht fliegen sollten“ gemeint: Als Aufruf, stärker über das Marktversagen und die Konsequenz des eigenen Handelns im Marktversagen nachzudenken – und entsprechend abgewogene Entscheidungen zu treffen. Dies darf durchaus auch in Verzicht, ein Umdenken und das Ändern von Gewohnheiten münden. Das ist anstrengend. Aber diese Diskussion zu führen ist nicht nur sinnvoll, sondern angesichts des Klimawandels auch notwendig.

Quellen:

Atmosfair (2023). „Klimaverträgliches Jahresbudget“, online unter https://www.atmosfair.de/de/gruenreisen/persoenliches_klimabudget/.

BMUV (2023). „Kohlenstoffdioxid-Fußabdruck pro Kopf in Deutschland“, online unter https://www.bmuv.de/media/kohlenstoffdioxid-fussabdruck-pro-kopf-in-deutschland.

Umweltbundesamt (2023). „CO2-Rechner“, online unter https://uba.co2-rechner.de/de_DE/.


[1]     Dieser Wert ergibt sich aus 16 Stunden Flugdauer (Quelle: www.flugdauer-berechnen.de) unter Verwendung des CO2-Rechners des Umweltbundesamts (https://uba.co2-rechner.de/de_DE/) bei Eingabe von 16 Stunden „Flugreisen Transkontinental“ im Vergleich zur Angabe von Null Stunden dort. Der sich ergebende Wert von 2,75 Tonnen CO2 wurde im Text abgerundet.

Blog-Beiträge zum Thema:

Joachim Weimann: Markt und Moral (2). Warum wir doch fliegen können

Andreas Polk: Markt und Moral (1). Warum wir nicht fliegen sollten

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