Gastbeitrag
Wirtschaft ohne Wunder

Die Transformation der Wirtschaft hin zu CO2-Neutralität binnen einer Generation könnte ambitionierter kaum sein. Denn die bisherige Dominanz fossiler Energien hat einen einfachen Grund: Sie sind günstig zu haben, sofern von externen Effekten abgesehen wird. Auf sehr lange Sicht würde die Weltwirtschaft mit knapper und damit teurer werdenden fossilen Rohstoffen von allein auf andere Energieformen umsteigen. Damit gingen jedoch noch CO2-Emissionen einher, die aus klimapolitischen Gründen vermieden werden sollen. Entweder muss daher ein Großteil der fossilen Rohstoffe im Boden bleiben oder das bei ihrem Einsatz austretende CO2 abgeschieden werden (CCS).

Umso erstaunlicher klingt die Aussicht auf eine doppelte Dividende, wonach der politisch beschleunigte Dekarbonisierungsprozess ein „Wirtschaftswunder“ bescheren könne „mit Wachstumsraten wie in den 50er und 60er Jahren“ (Olaf Scholz). Diese Verheißung wird eine Illusion bleiben, denn das Wirtschaftsleben kennt keine Wunder. So zeigt sich in den damals hohen Wachstumsraten lediglich das Aufholen nach der Verwüstung im Zweiten Weltkrieg. Ein sofortiger Ausstieg aus fossilen Energien (Abschalten aller Kohlekraftwerke und Stopp der Öl- und Gasimporte) würde dieses Muster wohl replizieren. Allerdings ginge den hohen Wachstumsraten erneut ein ökonomischer Zusammenbruch voraus, und die Wirtschaftsleistung bliebe auf lange Zeit unter dem sonst möglichen Niveau. Ein gradueller Prozess vermeidet solche Brüche, lastet aber auf den Wachstumsraten.

Genährt wird die Hoffnung auf einen Wachstumsschub durch den hohen Investitionsbedarf. Führen denn hohe Investitionen nicht zu mehr Wachstum? Typischerweise schon, in diesem Fall aber nicht. Denn Dekarbonisierungsinvestitionen erweitern die Produktionskapazitäten nicht, sondern machen sie CO2-neutral. Damit wird der Kapitalstock nicht auf-, sondern umgebaut. Die Mittel dazu (Kapital, Arbeitskräfte) müssen von anderen Bereichen abgezogen werden. Die mit Dekarbonisierung befassten Branchen wachsen, allerdings zu Lasten der übrigen Wirtschaft. Robert Habeck verspricht sich davon ein „gigantisches Beschäftigungsprogramm“. In Zeiten von Arbeitskräftemangel ist genau das aber eine Wachstumsbremse. Denn es wird Arbeitszeit absorbiert, ohne dass dadurch mehr Energie produziert wird. Ähnliches gilt für Forschungs- und Entwicklungskapazität, die vermehrt auf Energieeffizienz ausgerichtet werden muss und somit für den Produktivitätsfortschritt an anderer Stelle fehlt.

Wirtschaftliches Wachstum bezeichnet die Zunahme des Produktionspotenzials (für heute und zukünftig konsumierbare Güter), daher wird aus der Dekarbonisierung keine neue Wachstumsstory. Mit der Obergrenze für CO2-Emissionen wird eine neue Restriktion im Wirtschaftsgeschehen eingezogen. Das mag in sehr langfristiger Perspektive (mit Blick auf Klimaeffekte) die Produktionsbedingungen verbessern, auf absehbare Zeit der kommenden Jahrzehnte wird es Wachstum kosten, weil Energie nicht mehr so leicht zu haben ist. Unmittelbar klar wird dies bei CCS-Projekten: Keine zusätzliche Produktionskapazität, nur mehr Produktionsaufwand.

Obwohl Wind und Sonne keine Rechnung schicken, wird Energie nicht billiger. Zwar sind die variablen Kosten vernachlässigbar, umso größer ist dafür der Kapitaleinsatz je Kilowattstunde. Anders als Wind und Sonne schicken die EE-Anlagenbauer sehr wohl Rechnungen. Und weder Windräder noch Solarpanele halten ewig, hinzu kommen neue Speicher und Netze. Gesamtwirtschaftlich zählen die Vollkosten des Energiesystems, daher kommt auch nach einem Dekarbonisierungskraftakt kein energetisches Schlaraffenland.

Wäre es anders, würden die privaten Akteure weltweit von sich aus auf diese Energieform umsteigen. Die Klimapolitik wäre dann nicht länger das „größte Koordinationsproblem der Menschheitsgeschichte“ (Axel Ockenfels). Weil die Erneuerbaren diesen Markttest nicht bestehen, leben wir nicht in dieser schönen neuen Welt.

Skurril mutet das industriepolitische Argument an, durch EE-Subventionen Technologievorsprünge erzielen zu wollen, die sich später in höhere Einkommen am Weltmarkt ummünzen lassen. Sollen Emissionsziele weltweit erreichbar sein, muss das dazu notwendige Wissen global skaliert werden. Andernfalls werden insbesondere Entwicklungsländer kaum an Bord kommen.

Gerade weil kein Wachstumswunder winkt, sollte Dekarbonisierung so günstig wie möglich herbeigeführt werden. CO2-Preise leisten genau das, industriepolitische Abenteuer mit Subventionen und Technologievorgaben sollte man sich hingegen ersparen. Für erfolgreiche Dekarbonisierung kommt es auf Effizienz und Innovationskraft an. Beides können Märkte besser als Bürokraten.

Hinweis: Der Kommentar erscheint als Leitartikel in Heft 7/8 (2023) der Fachzeitschrift WiSt.

Eine Antwort auf „Gastbeitrag
Wirtschaft ohne Wunder“

  1. CO2-Preise leisten das? Jetzt stehen riesige Subventionen für die energieintensive Wirtschaft bevor, weil die sich nämlich den hohen CO2-Preisen entziehen kann. Mir scheint der Ansatz mit den künstlichen Preisen nicht durchdacht zu sein und er erinnert mich an die DDR, wo man auch Preise politisch festsetzte.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert