Gastbeitrag
Besser Schuldenbremse als Schuldenberg, „Sondervermögen“ und Verschiebebahnhöfe

Verlässliche fiskalpolitische Regeln unterstützten die Glaubwürdigkeit einer Regierung bei der Haushaltsplanung und können zu soliden Staatsfinanzen führen. Wird die Schuldenbremse diesem Ziel noch gerecht?

In den 2010er Jahren gab es reichlich fiskalische Spielräume: Stetig steigende Steuereinnahmen, Niedrigzinsen sowie temporär günstigere demografische Bedingungen. Sie wurden jedoch kaum für Investitionen genutzt. Sondern hauptsächlich, um Leistungen des Wohlfahrtsstaates neu einzuführen oder auszubauen. Diejenigen, die damals mit Verweis auf die niedrigen Zinsen zusätzlich noch neue Schulden statt nachhaltigerer Prioritätensetzung forderten, rufen heute unverdrossen nach Krediten: Nun allerdings bei höheren Zinsen und schon jetzt einer Verzehnfachung der Kosten des staatlichen Schuldendienstes auf 40 Milliarden Euro pro Jahr. Überall werden „Bedarfe“ gesehen und Ausgaben kaum einmal auf Notwendigkeit und Wirksamkeit überprüft.

An gut gemeinten politischen Forderungen und teuren Vorschlägen zur „Abhilfe“, z.B. bei „Gerechtigkeitslücken“, besteht nie Mangel. Gerade die bequeme Beliebigkeit, mit der ständig nach frischem Geld – und damit neuen Belastungen zukünftiger Generationen – gerufen wird, belegt die Bedeutung – nicht die Entbehrlichkeit – der Schuldenbremse. Mit ihr wurde ein zentraler Mechanismus geschaffen, um langfristig Haushaltsdisziplin und nachhaltige Staatsfinanzen zu gewährleisten.

Die Schuldenbremse während Corona

Die getroffenen politischen Haushaltsentscheidungen während der Corona-Pandemie haben zu Grauzonen im Regelwerk der Schuldenbremse geführt. So wurde beispielsweise die Höhe und Dauer der Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung angehoben. Die Ausnahmeregelung wird schließlich in den Jahren 2020 bis 2022 genutzt und führt im höchsten Fall zu einer Mehrverschuldung von rund 276 Mrd. Euro. Auch die Buchungspraxis in Bezug auf die Sondervermögen und Kreditermächtigungen wurde verändert. Anstatt aufgenommene Kredite dem Haushaltsjahr zuzuschreiben, in welchem sie auch tatsächlich genutzt werden, sieht die neue gängige Praxis vor, sie dem Jahr des Beschlusses zuzurechnen. Legitimation und Nutzung der Kredite werden dadurch zeitlich voneinander getrennt. Während zu Beginn der Corona-Pandemie die fiskalische Ausgangslage mit niedriger Schuldenstandsquote und niedrigen Zinsen ausgesprochen günstig war, hat sich diese seitdem verschlechtert, da nicht nur die Steuereinnahmen langsamer wuchsen als ursprünglich angenommen, sondern auch die Belastung des Bundeshaushalts durch Zinszahlungen sprunghaft angestiegen ist. Der Übergang von der Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung, welche mit einer höheren Verschuldung einhergeht, zurück zur Einhaltung der Schuldenbremse, ist durch die gestiegenen Tilgungskosten zusätzlich erschwert.

Reformmöglichkeiten

Um die Tragfähigkeit der deutschen Staatsschulden auch zukünftig zu gewährleisten, besteht dringender Reformbedarf in Bezug auf das Regelwerk der Schuldenbremse, damit diese in die Lage versetzt wird, explizite Staatsverschuldung nicht nur zu begrenzen, sondern auch abzubauen. So kann sichergestellt werden, dass der Staat auch bei zukünftigen Krisen in der Lage ist, mit fiskalpolitischen Mitteln angemessen zu reagieren. Folgende Aspekte könnten – natürlich neben dem Einhalten der Schuldenbremse – im Vordergrund stehen:

  • Eine Möglichkeit, die Schuldenbremse wirksamer zu gestalten, ist die flexiblere phasenweise Anhebung der strukturellen Verschuldung in Krisenzeiten. Dadurch können Anreize zu derzeit praktizierten kreativen Buchführungsmethoden abgebaut und politische Diskussionen über die Fortführung der Ausnahmesituation eingehegt werden. Diese Flexibilisierung darf jedoch keine Aushebelung des Normalzustands der Schuldenbremse über mehrere Jahre nach sich ziehen. Insbesondere sollte bei einsetzender konjunktureller Erholung die Höhe der über die Regelgrenzen hinausgehenden Schuldenaufnahme wieder reduziert werden. Eine solche zeitliche Erhöhung der strukturellen Verschuldung bedarf einer Grundgesetzänderung, die jedoch präzise gestaltet werden sollte, damit es nicht zu einer generellen Aufweichung der Schuldenbremse kommt.
  • Zudem könnten in konjunkturell guten Zeiten gezielt Rücklagen für die Übergangszeit nach einer Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung gebildet werden. Ein solches Vorgehen könnte jedoch zu Fehlanreizen in der Haushaltsplanung führen, was beispielsweise das Volumen und die Verwendung der Staatsausgaben binnen eines Haushaltsjahres betrifft. Darum sollte die Inanspruchnahme der Rücklagen durch in der Schuldenbremse eindeutig definierte Regelungen kontrolliert werden.
  • Im Hinblick auf die Produktionslückenschätzung, die für die Konjunkturkomponente als Kernstück der Schuldenbremse zentral ist, sollte auf modernere wissenschaftliche Verfahren zurückgegriffen werden, die gewährleisten, dass insbesondere auch der demografischen Entwicklung Rechnung getragen wird.

Neben der Schuldenbremse selbst kann Staatsverschuldung in Deutschland auch durch weitere Stellschrauben verringert werden. Durch höhere Steuereinnahmen oder gesunkene Staatsausgaben sinkt die Notwendigkeit der staatlichen Kreditaufnahme. Angesichts der aktuellen Steuerquote sowie staatlichen Ausgaben auf Rekordniveau, sollte letzteres in den Blick genommen werden. Diese Faktoren werden in Deutschland sowohl von der demografischen Entwicklung als auch der Höhe der Beschäftigung beeinflusst. Daher können Reformen, die beispielsweise das Renteneintrittsalter anheben und dadurch die Beschäftigung erhöhen, die Staatsverschuldung begrenzen. Ebenso kann die Verminderung von steuerbasierten Subventionen sowie von Sozialausgaben den Staatshaushalt deutlich entlasten.

Fazit

Nicht zuletzt ist allein aus polit-ökonomischer Perspektive eine Rückkehr zur haushaltspolitischen Normalität dringend geboten. Sollte sich die Schuldenbremse – unabhängig von akuten Krisensituationen – zum Spielball politischer Ausgabenwünsche entwickeln, kann sie ihrem ursprünglichen Zweck nicht mehr gerecht werden. Daher sollte die Politik der Verlockung, beispielsweise der Kreditermächtigungen des Wirtschaftsstabilisierungsfonds für eine Subventionierung des Industriestrompreises zu missbrauchen, widerstehen und zu einer nachhaltigen, glaubwürdigen und transparenten Haushaltspolitik zurückkehren.

Hinweis: Eine ausführliche Studie zu diesem Thema findet sich in der Reihe Argumente zu Marktwirtschaft und Politik der Stiftung Marktwirtschaft.

Sina Drechsler und Tobias Kohlstruck
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