Deutschland importiert mittlerweile mehr Strom, als es exportiert. Dabei importiert es wertvollen Hochpreisstrom und exportiert wetterabhängigen Billigstrom. Teilweise möchte man deutschen Billigstrom nicht einmal geschenkt haben.
Seit Mitte April dieses Jahres importiert Deutschland mehr Strom als es exportiert. Manch einer wundert sich darüber. Seit Jahren wird viel Geld in den massiven Ausbau von erneuerbaren Energien durch Sonne und Wind gesteckt, die besonders wettbewerbsfähig sein sollen. Umso mehr sorgt die Wende vom Stromexporteur zum Stromimporteur für Diskussion. Diese ist jedoch fehlgeleitet, da sie vor allem auf die Menge an Strom fokussiert, also auf Kilowattstunden, die zu gewissen Zeiten importiert und zu anderen exportiert werden. Solange der internationale Stromfluss konstant gewährleistet ist, zählt für die Wohlfahrt der Bürger aber vor allem der Wert des Stroms.
Billigstrom exportieren, Hochpreisstrom importieren
Um den Wert zu bestimmen, braucht man einen Preis. Die Strompreise auf dem Großhandelsmarkt sind ein Indikator für den Wert, den die Stromverbraucher der letzten noch verfügbaren Einheit Strom, d.h. der letzten noch verfügbaren Kilowattstunde im Netz, beimessen. Da Strom für den Verbraucher einfach Strom ist – egal, ob er aus inländischer oder ausländischer Produktion stammt – ist der Preis im Grunde das zentrale Kriterium für die Wertbestimmung. Der Durchschnittspreis für importierten Strom aus dem Ausland liegt gemäß der Strommarktdatenplattform SMARD der Bundesnetzagentur deutlich über dem Durchschnittspreis für exportierten Strom. So Deutscher Strom fließt zu niedrigen Preisen ins Ausland, während ausländischer Strom zu hohen Preisen nach Deutschland fließt. Da zudem weniger Strom exportiert als importiert wird, entsteht ein Defizit zu Lasten Deutschlands.
Was sind die Gründe für die Wende Deutschlands zum Stromimporteur? Natürlich die fortschreitende Energiewende mit der nunmehr erfolgten Abschaltung der Kernenergie! In Deutschland wird nicht genau dann viel Strom produziert, wenn dessen Wert hoch wäre. Stattdessen wird produziert, wenn das Wetter passt. Zu Zeiten geringer Stromproduktion – sei es durch Dunkelheit oder Flaute – kann es zu hohen Preisen kommen. Strom ist dann besonders wertvoll. Zu Zeiten hoher Wind- und Solarstromproduktion aber geringer Nachfrage sind die Preise niedrig und Strom ist wenig wert. Dann wird sozusagen deutscher Billigstrom produziert.
Die Prognostizierbarkeit von Dunkelheit und Flauten können ausländische Stromproduzenten mit flexibel steuerbaren Kraftwerken gezielt nutzen: Sie produzieren mehr, wenn die Preise hoch sind. Gedrosselt wird die Produktion, wenn die Preise niedrig sind. Damit zielen sie darauf, dann zu produzieren, wenn Strom wertvoll ist. Sie nutzen dabei die deutsche Energiewende nicht aus. Vielmehr schaffen durch ihr Verhalten einen Wert, weil sie dann liefern, wenn Strom besonders nachgefragt wird und in Deutschland das Wetter nicht mitspielt. Als besonders wertvoll erweisen sich dabei Pumpspeicherkraftwerke, etwa in Norwegen, Österreich oder der Schweiz. In Stauseen erfährt der deutsche Billigstrom aus Wind- und Photovoltaik Strom eine regelrechte Veredelung, bevor er als edler Hochpreisstrom nach Deutschland zurückfließt. Aber auch ausländische Kernkraftwerke sind gut steuerbar, jedenfalls klar besser steuerbar als Sonne und Wind. Ausländische Kernkraftwerke sind dank der deutschen Energiewende mehr wert geworden und dürften daher noch lange weiterlaufen.
Überspitzt formuliert macht Deutschland mit der Energiewende Folgendes: Es stellt die Produktion von wertvollem Strom ab, und setzt auf mit Steuergeld subventionierten Billigstrom. Die Elektrifizierung der Wirtschaft erfordert immer mehr Strom, weshalb Deutschland mehr und mehr wertvollen Hochpreisstrom aus dem Ausland importieren muss. Gleichzeitig verdirbt es sich selbst die Exportpreise durch den subventionierten Zubau an schwer steuerbarer, wetterabhängiger Stromproduktion.
Günstiger Strom für Verbraucher?
Es liegt auf der Hand, dass man im Stromhandel keine Gewinne erzielen kann, wenn man Strom teuer einkauft/importiert und billig verkauft/exportiert. Aber könnten nicht die einheimischen Stromverbraucher von deutschem Billigstrom profitieren?
So wie die Wohlfahrt von Lebensmittelkonsumenten hoch ist, wenn ein qualitativ hochwertiges Lebensmittelangebot günstig ist, wäre die Wohlfahrt der Stromkonsumenten besonders hoch, wenn der Strompreis niedrig ist. Nur schwankt der Strompreis aufgrund des Zusammenspiels von Angebot und Nachfrage innerhalb von Minuten, Stunden und Tagen stärker als andere Preise. Und eine qualitativ hochwertige Stromproduktion bedeutet, dass die Versorgung jede Sekunde gewährleistet sein muss.
An einem winterlich kalten, dunklen Montagmorgen um 7:30 Uhr ohne Wind ist das deutsche Stromangebot gering. Aber genau dann wäre Strom viel wert, weil er viel nachgefragt wird. Die Preise sind zum Leidwesen der Stromverbraucher zu diesem Zeitpunkt hoch. An einem windigen, sonnigen Frühlingswochenende um 15:00 Uhr ist das Angebot an deutschem Strom dagegen hoch, aber er ist wenig wert, weil er nur wenig nachgefragt wird. Die Strompreise sind dann niedrig, ohne das besonderes viele Verbraucher davon profitieren.
Deutscher Billigstrom ist eben von Sonne und Wind abhängig und daher nicht immer günstig, wenn er gebraucht wird. Er ist oft teuer, nämlich bei Dunkelheit oder Flaute. Das ist für Stromverbraucher nicht ideal. Sie wollen dauerhaft und zu jedem Zeitpunkt möglichst niedrige Strompreise und nicht nur dann, wenn sie ohnehin wenig Strom brauchen.
Wenn der Billigstrom unethisch wird
Sonne für Photovoltaik und Wind für Windenergie kennen keine Moral. Doch die Wetterabhängigkeit der deutschen Stromerzeugung führt zeitweise zu einer Überproduktion von Strom. Überproduktion kann sich in negativen Preisen äußern. Derzeit sind negative Preise glücklicherweise noch selten. Es ist jedoch davon auszugehen, dass weitere Investitionen in Solar- und Windenergie vermehrt zu negativen Preisen führen könnten.
Negative Preise bedeuten, dass man den deutschen Billigstrom nicht einmal geschenkt will. Der Wert, den die Stromverbraucher der letzten noch im Netz verfügbaren Einheit beimessen, ist dann negativ. Sozusagen verursacht zu viel Strom ein Leid. Im Strommarkt muss das Leid der deutschen Überproduktion ausgeglichen werden: Negative Strompreise entsprechen einer Entschädigung für diejenigen, die bereit sind, noch Strom zu verbrauchen, um das Netz stabil zu halten.
Negative Strompreise bedeuten Verschwendung damit einen Wohlfahrtsverlust: Die Stromerzeugung selbst ist mit Kosten verbunden – Wind- und Solaranlagen verschleißen oder müssen gewartet werden. Bei negativen Preisen wollen die inländischen und ausländischen Stromverbraucher den Strom aber nicht nur nicht, sie müssen sogar für den Verbrauch bezahlt werden. Das Zuviel an deutschen Strom muss quasi zerstört werden. Bei negativen Preisen ist Strom insofern unethisch: Strom wird unter Aufwendung von Ressourcen, also mit Kosten, produziert. Das Zuviel an Strom muss leidvoll verbraucht werden und die Verbraucher müssen noch dafür bezahlt werden.
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Und was ist mit den heimischen Kohle- und Gaskraftwerken? Die könnten auch Strom produzieren. Insbesondere wenn der importierte Strom teurer als der Strom aus diesen Kraftwerken wäre, würde sich das anbieten.
Seltsam. Französischer Atomstrom ist doch so billig. Wieso also importieren wir Höchstpreisstrom? Irgendetwas kann da nicht stimmen. Es ist so/ Wir könnten soviel Strom produzieren, dass wir keinen Strom importieren müssten. Da aber importieren billiger ist, wird importiert. So macht das jeder. Ausser Frankreich in den letzten Jahren. Da gab es keine Kapazität, selbst zu produzieren. Da MUSSTE importiert werden. Kleiner, aber feiner Unterschied.
In 2022 hat Deutschland etwa 62 TWh Strom importiert und 36 TWh exportiert. Der Marktwert des Importstroms betrug im Mittel 276 €/MWh. Exportiert wurde bei deutlich geringeren Preisen, nämlich im Mittel mit 202 €/MWh. Während der 70 Stunden mit negativen Strompreisen in 2022 waren die deutschen Stromerzeuger gezwungen, 840 GWh auszuführen; die Einfuhr betrug dagegen nur 70 GWh. Wirtschaftlich spielen diese Verluste in 2022 vielleicht keine große Rolle. Anders ist es mit dem grenzüberschreitenden Stromhandel insgesamt. Der mittlere Strompreis betrug in 2022 235 €/MWh. 70% des Exports erfolgen bei Preisen unterhalb des Preis-Mittelwerts. Beim Import ist die Preisgestaltung ausgeglichen. Was den „Flatterstrom“ (H-W Sinn) angeht, so entspricht der Marktwert der Jahresproduktion von Wind und Sonne 190 €/MWh, liegt also deutlich unter dem Mittelwert. Der regelbare Strom aus den fossilen Quellen liegt mit 262 €/MWh deutlich über dem mittleren Preis. Der grenzüberschreitende Stromhandel Deutschlands kann sich nicht am Marktangebot orientieren. Der Strompreis korreliert negativ mit der Erzeugung durch Wind und Sonne und positiv mit der durch fossile Techniken. Er orientiert sich also am Angebot aus den vorrangig stromeinspeisenden Quellen und am Verbrauch, der sich im Zuschalten von regelbaren Quellen manifestiert. Wie erwartet sind die Preis-Korrelationen negativ im Falle von Export und positiv im Falle von Import, also nicht bedarfsbestimmter Export im Vergleich zu erforderlichem Import.
Es ist bemerkenswert, wie ihr es schafft, komplexe wirtschaftliche Themen so klar und prägnant zu erklären. Der Artikel hat nicht nur meinen Horizont erweitert, sondern auch dazu angeregt, über die ethischen Aspekte des Wettbewerbs in der Wirtschaft nachzudenken.
Eure Plattform bietet einen wertvollen Raum für reflektierte und konstruktive Debatten. Ich freue mich schon auf weitere Beiträge und Diskussionen, die in Zukunft folgen werden.