Europäischer Stromhandel (3)
Wetterabhängiger Billigstrom als deutsche Energiestrategie?

Deutschland verzichtet seit Mitte April auf wertvollen Strom, der auch bei Dunkelflauten verfügbar war. Stattdessen setzt es auf wetterabhängigen Billigstrom. Diese Strategie hat Wohlfahrtskosten.

Der europäische Strommarkt ist großartig! Er ist so organisiert, dass Deutschland Strom dann importiert, wenn der Import kostengünstiger ist, als den Strom im eigenen Land zu produzieren. Auf diese Weise trägt der europäische Strommarkt dazu bei, die Wohlfahrt unter Berücksichtigung politischer Entscheidungen und bestehenden Produktionsbedingungen zu maximieren. Anders ausgedrückt, ermöglicht der europäische Strommarkt, potenzielle Wohlfahrtsverluste aufgrund energiepolitischer Entscheidungen zu minimieren.

Hochpreisstrom wird importiert, Billigstrom wird exportiert

Seit April importiert Deutschland mehr Strom, als es exportiert, was eine Umkehrung der bisherigen Situation darstellt. Bei seinen Stromexporten erzielt Deutschland niedrigere Preise im Vergleich zu den Preisen beim Stromimport. Daraus resultiert ein stattliches Nettoexportdefizit, das sich von April bis September auf etwas mehr als 2.5 Milliarden Euro belief. Pointiert und einfach formuliert: Deutschland kauft Hochpreisstrom im Ausland ein, exportiert eigenen Billigstrom und die gekaufte Menge an Hochpreisstrom ist seit Mitte April größer als die verkaufte Menge an Billigstrom. Daraus resultiert offensichtlich ein Defizit in der Stromhandelsbilanz.

Nun ist dieses neue Defizit, auch wenn es mehrere Milliarden Euro beträgt, nicht unmittelbar mit einem Wohlfahrtsverlust für die deutschen Bürger gleichzusetzen. Wenn die inländische Stromnachfrage größer als das inländische Angebot ist, kann es günstiger sein, Hochpreisstrom aus dem Ausland zu beziehen. Denn man will Strom ja nicht noch teurer, oft dreckiger und gesundheitsschädlicher selbst erzeugen, etwa durch zusätzliche Kohleverstromung. Daher ist es gut, wenn das Ausland vergleichsweise billigeren und saubereren Hochpreisstrom liefert.

„Nur“ ein Defizit oder doch ein Wohlfahrtsverlust?

Wohlfahrtsverluste entstehen nicht dadurch, dass wertvolle Produkte teuer importiert werden, wie eben ausländischer Strom nach Deutschland. Weil der europäische Stromhandel funktioniert, entstehen Wohlfahrtsverluste auch nicht durch den Stromhandel. Ganz im Gegenteil: Der europäische Strommarkt dient der Wohlfahrtsmaximierung zu jedem Handelszeitpunkt, wie Christoph Maurer auf diesem Blog kürzlich hervorragend beschrieben hat. Insofern sind mögliche Wohlfahrtsverluste im Regelfall auf Änderungen der Produktionsbedingungen zurückzuführen, die oft durch politische Entscheidungen herbeigeführt werden.

Würde man die Stilllegung der funktionsfähigen Produktionsanlagen für deutsche Oberklassewagen politisch verordnen, wäre der damit verbundene Wohlfahrtsverlust für jedermann klar. Die Produktionsanlagen könnten dann nicht mehr genutzt werden, um die von den Konsumenten hoch geschätzten, gern genutzten und insofern wertvollen Oberklassewagen zu produzieren.

Ähnlich verhält es sich, wenn Stromerzeugungsanlagen abgeschaltet werden, die auch dann nutzbar sind, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Strom selbst wird von den Stromkonsumenten auch bei Dunkelflaute nachgefragt und wertgeschätzt. Entzieht man den Bürgern diesen Strom, weil man die Kraftwerke stilllegt, führt dies zu einem Wohlfahrtsverlust. Dieser Wohlfahrtsverlust würde teilweise wie folgt sichtbar: Es würde weniger Strom exportiert, da weniger inländischer Strom produziert wird. Der durchschnittliche Importpreis würde relativ zum Exportpreis etwas steigen, da bei Dunkelflaute nun tendenziell mehr importiert wird. Die Stromkunden in Deutschland würden dank des europäischen Strommarkts zwar etwas mehr teureren Strom aus dem Ausland als vor der Abschaltung nutzen, aber immer noch oft günstigeren, als durch die Eigenerzeugung aus alternativer, wetterunabhängiger Kohleverstromung. Der europäischen Strommarkt reduziert damit die Wohlfahrtsverluste der politischen Abschaltungsentscheidung. Ein zuvor vorhandener Nettoexportüberschuss würde geringer ausfallen, eventuell würde ein Nettoexportdefizit entstehen. Genau das beobachten wir seit der Abschaltung der funktionsfähigen deutschen Kernkraftwerke. Diese Abschaltung hat zu realen Wohlfahrtsverlusten geführt. Ein Teil der Wohlfahrtsverluste wurde durch geringere Stromexporte mit niedrigen Exportpreisen und höhere Stromimporte mit hohe Importpreisen sichtbar. Das aktuelle Defizit in der Stromhandelsbilanz spiegelt die Wohlfahrtsverluste für jedermann gut ablesbar wider. Im Falle der Abschaltung der deutschen Kernkraftwerke ist das Defizit also ein Indikator für den entstandenen Wohlfahrtsverlust, nicht seine Ursache. Ursache ist die politische Entscheidung der Abschaltung.

Das Defizit selbst wird natürlich auch von weiteren Faktoren bestimmt, die nicht direkt mit dem entstandenen Wohlfahrtsverlust zu tun haben. Würden im Ausland neue Stromerzeugungsanlagen gebaut, die auch bei Dunkelflaute Strom liefern, ergibt sich für Deutschland ein kleiner Wohlfahrtsgewinn, selbst wenn das Handelsbilanzdefizit dadurch noch negativer werden könnte. Umgekehrt ist es möglich, dass ein weiterer subventionierter Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland dazu führt, dass Deutschland bald wieder mehr Strom exportiert als importiert. Da Strom aus Erneuerbaren aber wetterabhängig und nicht immer verfügbar ist, dürfte Deutschland noch längerfristig teuer importieren und billig exportieren.

Deutsche Energiestrategie: Wetterabhängiger Billigstrom

Strom ist für Haushalte und Industrie als Stromkonsumenten dann wertvoll, wenn sie ihn gerade brauchen. Am liebsten wäre den Stromkonsumenten, wenn Strom genau dann auch billig ist. Besonders wertvoller Strom ist jener, der flexibel und billig genau dann produziert werden kann, wenn er nachgefragt wird. Billigstrom ist also schon mal gut, aber noch nicht wirklich gut genug, denn er sollte auch jederzeit möglichst billig sein.

Deutschland setzt auf wetterabhängigen Billigstrom. Einmal installierte Windkraft- und Photovoltaikanlagen liefern bei gutem Wetter billigen Strom, was zu diesem Zeitpunkt im Regelfall großartig ist. Nachts fällt Photovoltaik aus, bei Flaute steht die Windkraftanlage. Aber natürlich wollen Bürger und Industrie auch bei Dunkelheit und Flaute Strom. Und wenn es in Deutschland Nacht ist, ist es im Rest Europas nicht Tag, so dass Photovoltaik aus dem Ausland nicht einspringen kann, wenn Photovoltaik in Deutschland wegen Dunkelheit ausfällt. Ebenso enden Windflauten nicht direkt an der deutschen Grenze. Neben Windkraft- und Solaranalagen braucht es also massive Backup-Lösungen im Sinne von flexibel einsetzbaren Kraftwerken oder Stromspeichern – beides ist derzeit nicht billig und jedenfalls oft teurer als noch laufende Kernkraftwerke im Ausland. Die deutsche Energiestrategie des wetterabhängigen Billigstrom hat also jetzt und auch in Zukunft noch ein ordentliches Preisschild für Stromkonsumenten und Steuerzahler. Und mit Blick auf die Umwelt und Gesundheit muss man ehrlich sagen: Im Gegensatz zum wetterabhängigen deutschen Billigstrom wird der wetterunabhängige deutsche Strom tendenziell teuer, dreckig und gesundheitsschädlich produziert, u.a. durch Kohleverstromung.

Schließlich müssen auch die hohen Subventionen für wetterabhängigen Billigstrom aus erneuerbaren Energien als Belastung der deutschen Energiestrategie für Steuerzahler und Konsumenten berücksichtig werden. Diese Belastungen sind hoch. Dabei ist es aber richtig und wichtig, darauf hinzuweisen, dass manche andere Länder die Kernenergie stark subventionieren und weiter subventionieren wollen. Doch es gibt einen wichtigen Unterschied: Deutschland subventioniert wetterabhängigen Strom, während die anderen Strom subventionieren, der auch da ist, wenn das Wetter nicht mitspielt. Beide Subventionen sind sehr kritisch zu sehen! Aber die deutschen Subventionen sind dabei kritischer, weil Strom subventioniert wird, der weniger wertvoll ist, weil er einfach nicht immer da sein kann, wenn er gebraucht wird. Ein Festhalten an der Strategie von subventioniertem, wetterabhängigen Billigstrom wird dementsprechend immer teurer, wenig vorbildlich und vergleichsweise wohlfahrtsschädlich.

Zitierempfehlung: David Stadelmann (2023): Wetterabhängiger Billigstrom als deutsche Energiestrategie? in: Wirtschaftliche Freiheit, online: https://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=34946.

Blog-Beiträge zu „Europäischer Stromhandel“:

David Stadelmann (2023): Edler ausländischer Strom, unethischer deutscher Strom?

Christoph Maurer (2023): Warum Deutschland vom europäischen Stromhandel profitiert

David Stadelmann
Letzte Artikel von David Stadelmann (Alle anzeigen)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert