I.
Diakonie, Caritas, Deutsches Rotes Kreuz & Co. sind eine riesengroße Branche: Von rund 1,5 Millionen hauptamtlich Beschäftigten und einem geschätzten Jahresumsatz von 55 Milliarden Euro ist die Rede. Allein die Zahl der Arbeitsplätze bei den großen Fünf der Mildtätigkeit hat sich seit 1970 mehr als verdreifacht. Ganz genau weiß das niemand, denn die Branche weigert sich beharrlich, ihre Zahlen offen zu legen. Konzernbilanzen sucht man vergebens.
Man braucht kein Prophet zu sein, um zu wissen: Das Wachstumspotential der Branche ist längst nicht erschöpft. Im Gegenteil: Alternde Gesellschaften, der Fortschritt in der Medizin und die Unsterblichkeitssehnsucht der Menschen bürgern dafür, dass Krankenhäuser, Pflegeheime und Betreuungseinrichtungen als Dienstleistungen von den Menschen in steigendem Maße nachgefragt werden. So lange Gesundheit und langes Leben auf der Liste der Präferenzen der Menschen ganz oben stehen, wird es dafür auch eine wachsende Zahlungsbereitschaft geben. Das haben private Krankenhausbetreiber (Rhön, Sana etc.) längst erkannt und drängen aktiv in den Markt, während die gemeinnützige Industrie von Caritas & Co. seit Jahren über schwindende Ressourcen und versiegende Finanzierungsquellen klagen.
Es ist merkwürdig, dass eine Wachstumsbranche im Dienstleistungsmarkt – der Klassiker für „Produkte“, die nicht von der Globalisierung bedroht sind, weil sie nur hierzulande „an Frau und Mann“ erbracht werden können – im chaotischen Niemandsland intransparenter Dunkelheit ihr Leben fristet: organisiert zwischen Schwarzarbeit und steuerlich privilegierter Gemeinnützigkeit und korporatistisch beherrscht von einem Oligopol einiger wohlfahrtspflegender Institutionen. Denn die Ratio würde eigentlich verlangen, dass solch personenbezogene Dienstleistungen ein Musterbeispiel einer marktwirtschaftlich organisierten Zukunftsbranche reicher Gesellschaften sein könnte.
II.
Die Wohltäterindustrie schweigt über ihre unternehmerischen Erfolge oder Misserfolge und redet stattdessen über ihren polittheologischen Auftrag. Um „Mitsorge für jeden Menschen, der in Not ist“, um „solidarisches Mitleiden“ gehe es beim Handeln der christlichen Wohlfahrtspflege und nicht (oder nur akzidentell) um Markt und Wettbewerb, heißt es in einem neueren Grundsatzaufsatz über die theologischen und ethischen Grundlagen der Branche. „Anwalt der Benachteiligten“ will man sein und dafür zuständig, „Solidarität in der Gesellschaft“ zu stiften. So steht es in einem „Argumentationspapier“ der Caritas.
Ich will zunächst der Frage nachgehen, welche Funktionen der „anwaltschaftliche Diskurs“ erfüllt. Schweigen und Reden stehen in einem präzisen Verweisungszusammenhang.
a. Das Führungspersonal der christlichen Wohltäterindustrie besteht bis heute zum überwiegenden Teil aus Pfarrern und Theologen. Allein ihre Herkunft verpflichtet sie, ihr Handeln theologisch-missionarisch-sozial und nicht unternehmerisch zu begründen. Man ist schließlich nicht Pfarrer geworden, nur um erfolgreich ein Unternehmen zu führen. Mehr noch: unternehmerisches Handeln ist im christlichen Kontext (bei aller Liebe zu Max Weber) nicht gut angesehen, zumindest wenn Pfarrer sich dort betätigen. Eher geht bekanntlich ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in den Himmel kommt (Markus 10,24). Dieser Bannstrahl zieht unweigerlich den Auftrag der Gemeinnützigkeit nach sich. Denn Gewinne zu machen verfällt per se dem Verdacht der Eigennützigkeit. Die Ideologie der Anwaltschaft ermöglicht somit einerseits, mehr oder weniger erfolgreich, effizient oder ineffizient karitative Einrichtungen zu führen und sich zugleich als Samariter der Nächstenliebe zu präsentieren. Der anwaltschaftliche Diskurs löst den Widerspruch zwischen marktwirtschaftlichem Handeln und christlichem Antikapitalismus sozialpsychologisch erträglich auf.
b. Der anwaltschaftliche Diskurs dient zugleich zur Legitimation des weit verbreiteten Wohlfahrtspaternalismus. Als Anwalt hält man sich dazu ermächtigt, für seine Mandanten tätig zu werden. Der Anwalt kennt dessen Bedürfnisse, häufig sogar besser als der Mandant, denn der ist ja schwach und braucht einen anderen, der ihm Stimme gibt. Anwaltschaft ist die Legitimationsstrategie für andere sprechen zu dürfen, sogar ohne sie gefragt haben zu müssen.
c. Anwaltschaft ermächtigt zur Inanspruchnahme der Umverteilungsmaschine des Sozialstaates. Dabei gibt sich die Theologie des „solidarischen Mitleidens“ im Gewande des Samariters, der barmherzig hilft, wo er Armut und Leiden erblickt. In Wirklichkeit sind die bevorzugten Objekte der Wohltäterindustrie aber nicht die Armen und Schwachen, sondern die Anspruchsberechtigen des Sozialstaates oder noch härter gesagt, jene, die es besonders gut verstehen, aus dem Sozialstaat Ansprüche für sich abzuleiten. Mehr noch: Die Ideologie der Anwaltschaft erteilt sich die Vollmacht, zur Finanzierung ihres Samaritertums die Allgemeinheit heranzuziehen, ohne diese dazu um Erlaubnis gefragt haben zu müssen. Und sie fühlt sich berechtigt, mit diesen Geldern den Transferemfpangsberechtigten des Sozialstaates ihre Dienste zukommen zu lassen.
d. Der anwaltschaftliche Diskurs erlaubt zugleich, sozialpolitische Forderungen zu Marketingzwecken zu nutzen, dies aber zugleich zu verschleiern. Wenn immer die Verbände die Kürzungen des Sozialstaates geißeln, dann tun sie das nicht nur im Namen der Nächstenliebe, sondern auch, um das finanzielle Wohlergehen ihrer eigenen Kindertagesstätten, Fortbildungshäuser und Beratungsdienste zu sichern. Die Wohlfahrtsindustrie lobt sich ganz offen dafür, die Einführung der Blümschen Pflegeversicherung erkämpft zu haben. Sie hat zugleich außerordentlich davon profitiert. Es überrascht vor diesem Hintergrund nicht, dass die Branche sich jetzt auch besonders stark macht für das von der Leyensche Krippenbauprogramm. Angebotsinduzierte Nachfragesteuerung nennen Ökonomen dieses Verfahren. Es ist vor allem aus dem Gesundheitswesen bekannt.
e. Schließlich dient die Anwaltschaft der Legitimation aller Privilegien der Wohltäterbranche. Wer Autos und Würstchen verkauft, hat keinen Anspruch auf Privilegien. Wer Anwalt der Armen ist und „solidarisches Mitleiden“ als Produkt vertreibt, hat dies schon. Ich zähle die Privilegien auf. Steuervorteile: Im Gegensatz zur privaten Konkurrenz sind die Wohlfahrtsverbände von einigen Steuern befreit. Sie zahlen weder Körperschaft- noch Gewerbe- oder Erbschaftsteuer. Zugleich gibt es Vergünstigungen bei der Umsatzsteuer. Nach Berechnungen des Hamburger Ökonomen Dirk Meyer errechnet sich allein aus der Körperschaft- und Gewerbesteuer ein Steuervorteil von jährlich 600 Millionen Euro. Zudem erhalten die Wohlfahrtsverbände exklusiv Bußgelder und Lotterieerlöse (Aktion Sorgenkind). Das benachteiligt freie Selbsthilfegruppen, private Anbieter und nicht organisierte Träger. Schließlich sind die Wohlfahrtsverbände auch nicht zur Zwangsmitgliedschaft in den örtlichen Kammern verpflichtet. Gratisressourcen: Wohlfahrtsverbände können nicht nur viele Ehrenamtliche und Freiwillige beschäftigen (eine Kostenentlastung von geschätzt 10 Milliarden Euro jährlich), sie setzen zudem in großem Stil Zivildienstleistende ein: eine Sondersteuer für junge wehrtaugliche Männer. Bezogen auf die von der Dienststelle zu finanzierenden Kosten, ergibt dies einen Kostenvorteil von fast 200 Prozent gegenüber der Konkurrenz. Dabei ist schon berücksichtigt, dass Zivis weniger produktiv sind als Hauptamtliche. Geldspenden: Das deutsche Spendenrecht ist nicht wettbewerbsneutral, sondern unterscheidet nach der Trägerschaft der Einrichtung. Gemeinnützigkeit wird vorausgesetzt. Für die Wohlfahrtsverbände bedeutet das eine vom Fiskus subventionierte Eigenfinanzierung.
Exkurs: Zum historischen Zusammenhang von karitativer Fürsorge und gesetzlicher Sozialversicherung.
Die Annäherung zwischen christlichem Samaritertum (Fürsorge) und deutschem Sozialstaat vollzog sich in mehreren Schritten. Noch im 19. Jahrhundert waren beide Bereiche – christliche Armenfürsorge und Bismarcksche Sozialversicherung (gSoz.Vers.) – getrennt. Die kollektive Organisation der Armenhilfe seit den Zeiten der Industrialisierung brauchte eine Zeitlang, bis ihr dämmerte, dass sie selbst vom Sozialversicherungsstaat profitieren könnte. Erinnert sei an den Kölner Sozialphilosophen Benedikt Schmittmann: „Die sozialen Hilfsquellen des Staates und die Gegenwartsaufgaben der katholischen Caritas“, Caritasverband Freiburg 1916: Schmittmann nimmt die freie Wohlfahrtspflege ins Gebet, weil diese noch viel zu wenig über die Hilfsmöglichkeiten der gesetzlichen Sozialversicherung informiert sei. Er ruft dazu auf, die Gelder der gSoz.Vers. mehr als bisher für die katholische Caritas in Anspruch zu nehmen.
Das kann man aus institutionen-soziolgischer Sicht geradezu genial nennen: Anzudocken an die Umverteilungsströme der gSoz.Vers. sicherte der Wohlfahrtspflege nicht nur Professionalisierung und dauerhaftes Überleben, es war zugleich die Quelle des gigantischen Wachstums einer Branche im 20. Jahrhundert, die zugleich nicht aufhörte, ihre Selbstbeschreibung im Modell des individuellen Samaritertums („solidarisches Mitleiden“) fortzuschreiben. Hellsichtig hat dies der ein oder andere der Wohlfahrtstheoretiker auch eingestanden: „Die Wege, die nun schon seit Jahrtausenden für die christliche Caritas zur Seele des Not leidenden Menschen führten: die materielle Nothilfe, Krankenpflege, Gesundheitsfürsorge etc. werden in zunehmendem Maße von den Sozialversicherungen ausgebaut und von ihr okkupiert. Ihre guten Leistungen hierbei sind unbestreitbar und angesichts der großen verfügbaren Geldmittel auch nicht verwunderlich…Liegt da die Befürchtung allzu fern, dass die Sozialversicherung auf den genannten Wegen zur Menschenseele der religiös orientierten Fürsorge das Wegerecht immer mehr beschneidet oder gar völlig nimmt?“ Das schreibt der Caritaswissenschaftler Heinrich Weber 1931. Weber ist sich der Verführung der „großen verfügbaren Geldmittel“ bewusst, der kaum zu widerstehen ist. Er benennt aber zugleich den hohen Preis der Anpassung an die Umverteilungsmaschine des modernen Sozialstaats: Die Aufgabe des selbstbewussten Bürgerstolzes.
III.
Der „anwaltschaftliche Diskurs“ kommt seit geraumer Zeit von mehreren Seiten unter Druck.
a. Wo immer es geht, treten private Wettbewerber in den Markt ein – trotz der Privilegierung der Wohltäterbranche. Sie zeigen häufig, dass sie besser können, was die Wohltäter als ihren USP beanspruchen. Das gilt insbesondere für den Markt der Krankenhäuser und der ambulanten Pflege.
b. Das EU-Wettbewerbsrecht geht zurecht davon aus, dass auch frei-gemeinnützige Einrichtungen, welche Dienstleistungen gegen Bezahlung anbieten, eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben und deshalb als Unternehmen im Sinne des EG-Wettbewerbsrechts angesehen werden müssen.
c. In die gleiche Kerbe schlägt ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzminister über die abgabenrechtlichen Privilegien gemeinnütziger Zwecke. Dort wird der Verzicht auf eine eigennützige Gewinnverwendung nicht als Legitimation der Gemeinnützigkeit komplett verworfen. Ökonomisch ist nämlich nicht nachzuvollziehen, warum der Verzicht auf Gewinnverwendung eine steuerliche Begünstigung nach sich ziehen soll. In einer marktwirtschaftlichen Ordnung sollte Gewinn nämlich nichts Anrüchiges sein, sondern Ausdruck einer nachfragegerechten Leistung. Eine steuerliche Förderung wird von den Wissenschaftlern nur zugelassen, wenn befürchtet werden muss, dass eine entsprechende Tätigkeit andernfalls nicht in ausreichendem Maße angeboten wird, sie aber Nutzen stiftet bei Dritten. Das setzt voraus, dass ein Kollektivgut privat bereitgestellt wird. Für die Dienste der Wohltäterindustrie trifft das m. E. nirgends zu.
d. Der Sozialstaat selbst ist in der Krise und deshalb schwach. Es empfiehlt sich schon für Starke nicht, sich an Schwache anzulehnen. Noch viel weniger empfiehlt es sich für selbst Schwache (wie die Wohlfahrtsindustrie), sich an den schwachen Sozialstaat anzulehnen. Es werden ewige defensive Rückzugsgefechte bleiben.
e. Theologisch gesehen sind Wohlfahrtspaternalismus und die angemaßte Verfügungsmacht über das Geld anderer Leute Geld nicht wirklich mit der Freiheit des Evangeliums in Einklang zu bringen.
Daraus könnte eine Neuausrichtung der Branche folgen:
a. Wenn Kirchen als Dienstleister am Markt auftreten, dann sollen sie sich offensiv dazu bekennen. Sie sollen sagen, was Christen zu bieten haben, wenn sie Kranke heilen, Alte betreuen und sich um Sterbende kümmern. Sie sollen sagen, was sie besser und anders machen als die Wettbewerber. Das „Christliche“ wechselt somit seine Funktion von der andere Interessen camouflierenden Ideologie der Anwaltschaft zur offen vertretenen Produktdifferenzierung. Kirchliche Dienstleister können dann stolz auf ihren Erfolg sein, ihren Gewinn offen ausweisen und in ihren Hauptversammlungen darüber entscheiden, wie sie ihn verwenden. Das befreit auch aus der (semantischen) Engführung christlicher Wohltätigkeit auf das Prekariat (Option für die Armen). Warum sollen nur die Armen Anspruch auf christliche Sorge haben. Warum kommen nicht alle Schichten und Klassen in den Genuss des christlichen Kultes, der christlichen Musik und der christlichen Bildung (Privatschulen). Aber die christliche Fürsorge und Nächstenliebe gibt es – gemäß der Ideologie der Anwaltschaft – nur für die Armen. Mit anderen Worten: Es geht um ein offensives unternehmerisches Konzept. Das christliche Proprium der Wohlfahrtspflege müsste seien Ort von der Legitimationsideolgie der Anwaltschaft verlagern in die Binnenprofilierung des Dienstleistungsangebots.
b. Das verlangt eine radikale Umstellung des Finanzierungskonzepts von der Objektförderung auf die Subjektförderung. Dies ist nicht nur theologisch, sondern auch finanzwissenschaftlich die überlegene Lösung: Denn Subjektförderung bürgt für eine effiziente Allokation von Ressourcen. Die Milliarden, welche heute umverteilend in die Wohltäterbranche fließen, kämen direkt bei den Betroffenen an, womit die Leistungsbedürftigen direkt das Angebot steuern könnten. Das bringt die Anbieter unter Effizienz- und Transparenzdruck und zwingt sie, ihre Qualität zu verbessern. Mehr noch: es ermöglicht den Subjekten, die Finanzierung ihrer Betreuungsbedürfnisse selbst in die Hand zu nehmen (über private Versicherungen, direkte Ersparnisse oder staatliche Transfers). Es schafft überhaupt erst einen Markt. Die Einwände, welche die klügeren Paternalisten gegen die Subjektförderung ins Feld führen, sind nicht wirklich triftig. Sie lauten asymmetrische Information und mangelnde Konsumentensouveränität. Doch abgesehen davon, dass die Dynamik des Marktes insgesamt auf ungleichen Informationen beruht (und der cleveren Nutzung von Informationsvorsprüngen) ließe sich dieser Mangel, wenn es ihn gäbe, leicht durch die Ausgabe von Vouchern beheben. Dann wäre sicher gestellt, dass das Transfergeld nicht für Zigaretten und Drogen und nur für die Beratung durch die Diakonie ausgegeben würde.
c. Die Konsequenzen dieses liberalen Modells seien abschließend genannt. Es gibt dann keinen Grund mehr für eine Anbindung der Löhne und Gehälter an das öffentliche Dienstrecht. Es braucht auch keine dritten oder vierten Wege. Es braucht einfach nur die Bereitschaft, Marktpreise als Einkommen zu zahlen. Denn die sind per definitionem gerecht. Zugleich gibt es überhaupt keinen Grund mehr für eine fiskalische oder sonstige Privilegierung der Wohlfahrtsverbände. Aber ist das schlimm? Sind Christen nicht ohnehin gegen Privilegien? Trauen Sie etwa ihrem Angebot zu wenig. Dabei wäre der Gewinn der Emanzipation m.E. erheblich. Christliche Dienstleister wären, befreit von staatlicher Nähe, aktiv als eigenständige Akteure im gesellschaftlichen Raum. Sozialpaternalismus wäre ersetzt durch die Anerkennung menschlicher Würde.
- Ordnungspolitische Denker heute (3)
Was wir von Wilhelm Röpke lernen sollten – und was lieber nicht. - 26. Januar 2014 - Über den Umgang mit Unsicherheit und Offenheit
Erfahrungen eines Wirtschaftsjournalisten nach fünf Jahren Finanz- und Wirtschaftskrise - 29. Oktober 2013 - Ungleichheit heute (15)
Ungleichheit und Gerechtigkeit: Was hat das miteinander zu tun? - 2. August 2013
Ich habe den Artikel auf unserem Blog verlinkt. Nur ein kleiner Hinweis auf einen witzigen Schreibfehler: ‚Musterbeispiel einer marktwirtschaftlich organisierten Zukunftsbrache‚ 😉
Danke. Sehr lesenswerter Beitrag. Hab einen Link einen Beitrag bezüglich des Artikels in meinem Blog aufgenommen. Leider scheint es hier kein Trackback-Support zu geben.
Ein schöner Artikel, ich hätte lediglich einen technischen Verbesserungsvorschlag: Bilder das nächste Mal im .gif, .png oder .jpeg-Format einbinden, da die Bitmap-Bilder doch ziemlich lange zum Laden brauchen…
Um es vorsichtig zu formulieren: Selbst über Tatsachenbehauptungen im Text kann man streiten; zudem wird der Umfang, in welchem mit suggestiven Formulierungen gearbeitet wird, dem Anspruch des Textes kaum gerecht. Das fängt schon in der Überschrift an: „Die heimlichen Geschäfte (…)“ Wo ist, bitte, die Heimlichkeit bei der Erbringung sozialer Dienstleistungen? In Satz 2 und 3 geht es gleich munter weiter: Die Zahl der Arbeitsplätze habe sich etwa verdreifacht, aber genaue Zahlen werden angeblich nicht herausgegeben. Wie passt das dazu, dass als Quelle für die gleich angefügte Grafik u.a. die Gesamtstatistik der BAGFW aus dem Jahr 2006 angegeben ist, in der die angeblich vermissten Zahlen detailliert aufgestellt sind? Dann folgt der Korporatismusvorwurf. Zum Korporatismus gehören bekanntlich immer drei: der Staat und zwei mit Repräsentationsmonopol ausgestattete Akteursgruppen, deren Zusammenarbeit institutionalisiert ist. Das passt auf das Verhältnis zwischen Staat und Tarifparteien, deren Zusammenarbeit bspw. in den Gremien der Sozialversicherungen institutionalisiert ist. Auf die gemeinnützige Wohlfahrtspflege passt es gerade nicht, weil es weder eine institutionalisierte Zusammenarbeit (allenfalls die regionalen Jugendhilfeausschüsse kämen als Beispiel überhaupt in Betracht, aber andere private Anbieter werden dort inzwischen ebenso beteiligt) noch ein Repräsentationsmonopol gibt. Das fehlende Repräsentationsmonopol wird übrigens u.a. vom IW aus Managementgesichtspunkten kritisiert. Dann folgt die Rede von „einem Oligopol“ einiger wohlfahrtspflegerischer Institutionen. Das würde dann stimmen, wenn die 98.837 Einrichtungen (Stand: 1.1.2004) durch die sechs Spitzenverbände der Wohlfahrtspflege betrieben würden. Das ist aber nicht der Fall. Träger der Einrichtungen sind vielmehr rechtlich selbständige Organisationen. So gehören dem DPWV Gesamtverband e.V. bspw. etwa 9.700 selbständigen Organisationen (wie der ASB, die Volkssolidarität, die DLRG, SOS Kinderdorf e.V., Pro Familia, die AIDS-Hilfe und viele andere mehr) an. Diese stehen untereinander ebenso im Wettbewerb wie mit bei anderen Wohlfahrtsverbänden organisierten Trägern und sie konkurrieren ebenso mit öffentlichen und privat-gewerblichen Trägern. Oligopole sehen anders aus. Was die Sozialanwaltschaft angeht, so wird so getan, als ob die Freie Wohlfahrtspflege nach dem Top-Down-Muster organisiert sei. Bei 34.900 Selbsthilfegruppen und zwischen zweieinhalb bis drei Millionen freiwillig Engagierten wird man aber nicht ernsthaft von einem rein betriebswirtschaftlichen Antrieb ausgehen wollen: Wenn z.B. vier engagierte Paare zusammen einen Verein gründen, der dann die KiTA „Rübezahl“ betreibt, oder Eltern sich Angebote für Kinder mit Behinderungen selbst aufbauen (so entstand etwa die Lebenshilfe), dann verwirklichen sie damit die Prinzipien von Selbsthilfe, Subsidiarität, Engagement, Gemeinsinn und auch der Übernahme unternehmerischer Eigenverantwortung. Nach meinem Verständnis von Liberalismus ist das lobenswert.
Dann zu den Subventionen. Im Artikel selbst wird auf die Zahl von 600 Millionen Euro sog. „Privilegien“ bei der Körperschaft- und Gewerbesteuer gesprochen. Bezogen auf die knapp 100.000 Einrichtungen macht das durchschnittlich etwa 6.000 Euro pro Einrichtung und Jahr an angeblichen Steuervorteilen aus. Gemessen bspw. an den angeblich 800 Millionen Euro, die Infineon allein für das Dresdner Werk an Subventionen bekommen hat, erscheinen die erwähnten 600 Millionen für die Freie Wohlfahrtspflege insgesamt schon der Höhe nach als eine moderate Subvention, die aber natürlich (und zu recht!) – wie alle Subventionen – rechtfertigungsbedürftig ist. Im Artikel heißt es dazu: „Im Gegensatz zur privaten Konkurrenz sind die Wohlfahrtsverbände von einigen Steuern befreit. Sie zahlen weder Körperschaft- noch Gewerbe- oder Erbschaftsteuer.“ Das suggeriert eine unbedingte Privilegierung, die es so nicht gibt. Die Abgabenordnung bietet die Grundlage für Einschränkungen oder Ausnahmen von der Steuerpflicht, die in den einzelnen Steuergesetzen konkretisiert werden. In § 64 Abs. 1 AO ist der Grundsatz der Wettbewerbsneutralität verankert. Wirtschaftliche Geschäftsbetriebe sind dabei uneingeschränkt steuerpflichtig. Ausnahmen gelten jedoch für Zweckbetriebe; diese müssen dafür jedoch Voraussetzungen erfüllen, die die Wettbewerbsfähigkeit empfindlich beeinträchtigen, beispielsweise bei der Rücklagenbildung. Wer den Gemeinnützigkeitsstatus als überwiegend vorteilhaft ansieht, dem steht es frei, das eigene Unternehmen den Restriktionen zu unterwerfen und dafür die Steuererleichterungen zu erhalten. Das dürfte für kein gewerbliches Unternehmen eine attraktive Option sein, weshalb es an der Zeit ist, dass gegebene Maß an Scheinheiligkeit aus der Debatte zu nehmen. Der Gemeinnützigkeitsstatus sollte gerade aus liberaler Perspektive verteidigt werden, folgt er doch den Grundsätzen von Staatssubstitution und Subsidiarität. Die private Erfüllung gemeinnütziger Zwecke entlastet den Staat von Gemeinwohlaufgaben. Die Erhebung und Nicht-Erhebung von Steuern kann dabei gleichermaßen dem Ziel der Erfüllung sozialer Aufgaben dienen. Das Gemeinnützigkeitsrecht ist zudem ein wichtiges Instrument des liberalen Rechtsstaates, die gesellschaftliche Autonomie zu schützen. Es war deshalb auch gerade nicht zufällig das liberale Bürgertum, welches die gemeinnützige Wohlfahrtspflege maßgeblich mit begründet und getragen hat, während etwa die Sozialdemokratie lange Zeit ein entschiedener Gegner der nicht-staatlichen Wohlfahrtspflege war. Würde der Status der Gemeinnützigkeit abgeschafft, so entfiele damit übrigens auch eine wesentliche Grundlage des Engagements der etwa zweieinhalb bis drei Millionen freiwillig engagierten Menschen. Niemand engagiert sich uneigennützig für gewinnorientierte Unternehmen. Vor allem in gemeinnützigen Organisationen, in denen durch staatliche Kontrollen sichergestellt ist, dass Einnahmen ausschließlich gemeinnützigen Zwecken dienen, engagieren sich Menschen aktiv. Und da sich auch künftig nicht alle gesellschaftlichen Tätigkeiten „rechnen“ werden, verbirgt sich hinter der Forderung nach einer Abschaffung des Gemeinnützigkeitsstatus nicht zuletzt ein monströses Verstaatlichungsprogramm. Ein Beispiel: Die KiTa, die nicht auch durch das Engagement der Eltern mit über Wasser gehalten werden kann, würde dann wahrscheinlich durch einen öffentlichen Träger ersetzt, der für die entsprechenden Leistungen mehr Personal beschäftigen müsste. Ist das ein Fortschritt?
Übrigens wird in dem Artikel richtigerweise darauf hingewiesen, dass das Europäische Wettbewerbsrecht die Gleichbehandlung von gewerblichen und gemeinnützigen Diensten – beide sind unterschiedslos Unternehmen im Sinne des Europarechts – vorschreibt und jegliche Begünstigung deshalb sehr eng definierten Voraussetzungen genügen muss. Diese Vorgaben gibt es seit 1957; etwa seit dem Europäischen Rat von Lissabon im Jahr 2000 werden sie gerade im Dienstleistungsbereich strikt angewandt. Weder der EuGH noch die Kommission haben in dieser Zeit in Deutschland eine nicht-gerechtfertigte Ungleichbehandlung von gemeinnützigen und gewerblichen Anbietern festgestellt.
Abschließend noch ein kleiner Hinweis: Im Artikel wird gefordert, die Objektförderung durch die Subjektförderung abzulösen. Nur: Die Objektförderung ist als Finanzierungsform längst zur Ausnahme geworden, was auch aus den im Artikel gebrauchten Grafiken hervorgeht. Und selbst in den Bereichen, wo es die Objektförderung noch gibt, wird sie nahezu ausnahmslos sowohl gewerblichen als auch gemeinnützigen Trägern gewährt. Im gesamten entgeltfinanzierten Bereich sind es dagegen längst die Betroffenen, die wählen, ob die identischen finanziellen Leistungen bspw. der Pflegeversicherung an einen öffentlichen, gemeinnützigen oder gewerblichen Dienstleister gehen sollen. Die gemeinnützigen sozialen Dienste brauchen deshalb keine Nachhilfe in wettbewerblicher Dienstleistungserbringung. Dieser Wettbewerb wird durch die Wohlfahrtspflege auch gerade nicht bekämpft, sondern gefördert. So wird die Einführung Persönlicher Budgets, mit denen die Betroffenen die Leistungen selbst einkaufen können, gerade von Wohlfahrtsverbänden unterstützt und vorangetrieben. Aber das passte wohl nicht ganz zur Argumentation…
Der Zweck der ganzen Angelegenheit wird offenbar, wenn man dem lesenswerten Blog „Wirtschaftliche Freiheit“ frönt, wo es der VWL-Professor Rainer Hank unternommen hat, die „heimlichen Gesächfte von Caritas, Diakonie & Co“ einer ökonomischen Analyse zu unterziehen:
Mehr unter dem Titel „Die Vergesellschafter e.V. oder Aktion Anwalt der Armen auf http://www.fdog.org oder http://euckenserbe.blogspot.com/.
Auf meiner Webseite http://www.tourismuspolitik.info finden sie eine Wettbeschwerde mit den Stellungnahmen aus Politik und Behörden. Hier können Sie am praktischen Beispiel aus dem Beherbergungsgewerbe die Argumentationen der Beteiligten verfolgen. Sie werden feststellen, dass gemeinnützige Berherbergungsbetriebe in einer wettbewerbsverzerrenden Steueroase agieren und dies immer schön unter dem Deckmantel des Gemeinwohls. Der Bundesrechnungshof, wie auch der wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums haben sich für die Abschaffung von Privilegien der Wohlfahrtsverbände ausgesprochen.