Die soziale Marktwirtschaft kann Wohlstand für alle schaffen, wird jedoch häufig von politischen Entscheidungsträgern untergraben. Um dies zu verhindern, braucht es mehr Wettbewerb in der Politik.
Soziale Marktwirtschaft als gesellschaftliches und wirtschaftliches Leitbild gilt heute als nahezu selbstverständlich. Man könnte sogar das Wörtchen „öko“ hinzufügen. Niemand ist ernsthaft gegen „öko“ und „sozial“, insbesondere, wenn man sich beides dank Marktwirtschaft leisten kann.
Doch die soziale Marktwirtschaft ist weit mehr als eine modische Wortkombination. Sie vereinigt heute drei Zieldimensionen, die den Bürgern wichtig sind: gute materielle Lebensbedingungen bei wirksamem sozialen Ausgleich und dem Erhalt der Umwelt. Ihre Leistung besteht nicht darin, dass sie diese drei Ziele anstrebt, sondern wie sie die inhärenten Zielkonflikte angeht und löst.
Aber viele naheliegende und für die politischen Entscheidungsträger attraktive Maßnahmen zur kurzfristigen Förderung von Wirtschaft, Sozialem und Umwelt drohen längerfristig das Fundament der sozialen Marktwirtschaft zu untergraben. Deshalb braucht es für robustere politische Institutionen, die den Entscheidungsträgern Anreize geben, die Ziele mit marktwirtschaftlichen Instrumenten anzugehen.
Natürliche Zielkonflikte
Die Sozial- und Umweltziele sind oft typische öffentliche Güte. Der persönliche Einsatz für eine sozial gerechte Gesellschaft und die Umwelt ist mit Kosten verbunden, die Nutzen davon kommen der Allgemeinheit zugute. Deshalb liefert der Markt allein den gewünschten sozialen Ausgleich und Umweltschutz nicht. Zugleich sind soziale Sicherheit und der Erhalt der Umwelt nicht gratis. Die Kosten dieser beiden Ziele äußern sich unter anderem in materiell eingeschränkteren Lebensbedingungen. Die Zielkonflikte sind offensichtlich, denn man kann einen Euro nur einmal ausgeben.
Damit die Kosten der Zielerreichung möglichst klein bleiben, braucht es kluge Politik. Gute Lösungsansätze sind oft marktlich inspiriert. Bei staatlichem Engagement im Sozialbereich ist direkte Hilfe in Form von Umverteilung über Steuern oft zielführender als Eingriffe durch Mindestlöhne oder Mietpreisregulierungen. Genau so ist im Umweltbereich das Setzen von Preisanreizen im Regelfall besser als das Regulieren mit Geboten und Verboten. Grundsätzlich geht es dabei immer um Kostenwahrheit. In der Sozialpolitik soll Kostenwahrheit möglichst durch Hilfe für das Individuum geschaffen werden, in der Umweltpolitik durch Bepreisung umweltschädigender Aktivitäten.
Kostenwahrheit ist aus zwei Gründen zentral: Erstens gibt sie den Individuen Anreize, die gesellschaftlichen Kosten ihres Tuns bei ihren wirtschaftlichen Handlungen zu berücksichtigen und schränkt die Handlungsfreiheit weniger ein als Gebote und Verbote. Zweitens – und das wird oft vernachlässigt – gibt sie den Individuen Anreizen, die Kosten ihres Tuns bei ihren politischen Aktivitäten zu berücksichtigen. Wer die von ihm verursachen Kosten nicht selbst trägt, stellt weit übertriebene Ansprüche an die Politik.
Untergrabung der Ziele
Doch die systematische Vereinigung der Dimensionen Wirtschaft, Soziales und Umwelt birgt ernste Gefahren für die soziale Marktwirtschaft insgesamt. Wirtschaft, Soziales und Umwelt stehen nicht nur im Zielkonflikt zueinander. Vielmehr hat jede Dimension für sich zerstörerische Sprengkraft.
In der Sozial- und Umweltpolitik drohen Anreize gesetzt werden, die die Marktwirtschaft untergraben. So möchten viele Menschen eine „gerechte“ Einkommensverteilung. Diese entsteht nicht von selbst und wäre Staatsaufgabe. Viele politische Parteien interpretieren den Wunsch der Bevölkerung als Auftrag zur Einkommensumverteilung. Allerdings hat die Geschichte immer wieder massives Politikversagen bei Umverteilungsmaßnahmen aufgezeigt. Das liegt mitunter daran, dass große Umverteilungsströme für das Soziale auf der Geber- und der Empfängerseite systematisch Anreize zur Verfälschung der Einkommenssituation sowie der eigenen Bedürfnisse setzen.
Ähnlich bietet die Umweltpolitik riesiges Potential, das von einzelnen Industrien für Subventionen oder für sie nützliche Marktregulierungen missbraucht werden kann. Und manche Bürger wollen zwar Grünstrom aus der Steckdose, blockieren aber Hochspannungsleitungen durch ihre Gemeinden.
In der Politik bestehen Anreize insbesondere dann viel Sozial- und Umweltpolitik zu betreiben, wenn die Kosten nicht sofort, sondern erst in Zukunft anfallen. Die verzerrte Vertretung gegenwärtiger und zukünftiger Interessen durch Organisierbarkeit und Politikerinteressen gefährdet durch schwer einlösbare Wahlversprechen und Verschuldung die materiellen Lebensbedingungen der Zukunft.
Robustes institutionelles Fundament Entscheidend
Von einer gelungenen Vereinigung der Dimensionen Wirtschaft, Soziales und Umwelt unter Berücksichtigung der natürlichen Zielkonflikte profitieren alle. Doch groß sind die Anreize aller Entscheidungsträger, auf Kosten der Allgemeinheit die eigenen Ziele zu verfolgen. Die dauernde Untergrabung der sozialen Marktwirtschaft ist nicht erstaunlich, denn in der Politik agieren nur Menschen. Sie verfolgen zwar möglicherweise das Gemeinwohl, aber eben auch ihr eigenes Wohl sowie die ihnen besonders nahestehenden Interessen, seien diese von Unternehmen, NGOs, Aktivisten oder ihres engen Wählerklientels.
Die soziale Marktwirtschaft ermöglicht Wohlstand für alle, wenn die Politik die richtigen Anreize hat. Zentral dafür sind wettbewerbliche Rahmenbedingungen in der Politik. Wettbewerb in Märkten bringt Produzenten näher zu den Wünschen der Konsumenten, vermag Innovation zu stimulieren, womit nachhaltige Sozial- und Umweltpolitik ebenfalls einfacher wird. Ähnlich führen wettbewerbliche Rahmenbedingungen in der Politik dazu, dass die eigentlichen Kunden der Politik, die Bürgerinnen und Bürger, stärker in den Vordergrund rücken und neue Politikideen entwickelt werden.
Mehr Wettbewerb in der Politik ist auf vielfältige Weise realisierbar: Föderalismus und Dezentralisierung fördern den Wettbewerb zwischen den Gebietskörperschaften und den verschiedenen Staatsebenen. Mehr Wettbewerb zwischen Ländern und auch innerhalb der Europäischen Union erlaubt Vergleiche und die Übernahme guter Politiklösungen. Wettbewerb in der repräsentativen Demokratie kann durch den Ausbau der Direktwahlen von Politiker sowie getrennter Wahlen für die Legislative und Exekutive gestärkt werden. Instrumente der Bürgerbeteiligung helfen, bestehende politische Machtkartelle zu sprengen und schaffen gleichzeitig Informationen über die Anliegen der Bürger.
All diese Elemente bilden bereits ein gewisses institutionelles Fundament für die Zukunft der sozialen Marktwirtschaft. Dieses Fundament muss aber noch robuster werden, damit sich alle Entscheidungsträger im politischen Wettbewerb stärker und dauerhafter an den Zielen der Bürger ausrichten.
Eine gekürzte und modifizierte Version dieses Textes erscheint in Heft 2 (2024) der Fachzeitschrift WiSt – Wirtschaftswissenschaftliches Studium.
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