Westliche Länder zeigen massive Spaltung und ein Anwachsen politischer Ränder. Weltwirtschaftlich verstärkt sich die Blockbildung. Vieles erinnert an die Umbrüche vor rund hundert Jahren.
Aktuelle Entwicklungen wecken ungute Erinnerungen an die Vergangenheit. Westliche Länder zeigen massive Spaltungstendenzen und ein Anwachsen der politischen Ränder. Geopolitisch stehen die Zeichen auf zunehmender Konfrontation und Ablehnung globaler Ordnungsprinzipien. Weltwirtschaftlich verstärkt sich der Trend zur bipolaren Blockbildung. Vieles erinnert an die radikalen Umbrüche vor rund hundert Jahren. Hat die Welt das Echo der Geschichte überhört?
Politische Fragilität und radikale Ränder
Wer 2024 auf die Politik in Deutschland blickt, wird vielfach an die Umbruchjahre zu Anfang des letzten Jahrhunderts erinnert. Ehemals große und staatstragende Parteien (wie die SPD) sind bis zur Unkenntlichkeit verzwergt. Die regierende Dreiparteienkoalition (Ampel), erst vor 2 ½ Jahren angetreten mit dem Anspruch auf „Fortschritt“, hat kaum mehr Stimmen hinter sich als die größte Oppositionspartei (CDU). Offensichtlich ist die politische Mitte seit Jahren massiv geschrumpft. Gleichzeitig sind die politischen Ränder deutlich erstarkt, speziell auf der rechten Seite. Dort hat mit der AFD eine Partei, die als „gesichert rechtsextrem“ gilt, ihre Stimmenanteile in nur wenigen Jahren mehr als verdoppelt. Gleichzeitig bietet Deutschland offenbar perfekte Bedingungen zur Neugründung exotischer Parteien, wie etwa „BSW“ um die linke Grenzgängerin Sahra Wagenknecht oder die „Werteunion“ um den umstrittenen Ex-Verfassungsschutzpräsidenten Maaßen.
Verglichen mit der politischen Lage noch vor wenigen Jahren zeigt Deutschland derzeit also eine beunruhigende Fragilität. All das erinnert an die unruhige, äußerst brisante und politisch folgenschwere Zeit der Weimarer Republik und deren Ende in den frühen 1930er-Jahren. Auch diese Phase war durch Fragilität, undemokratische Umtriebe und zunehmenden Nationalismus geprägt. Das Ende dieser Geschichte ist bekannt und sollte abschrecken. Insofern sind die starken Demonstrationen „pro Demokratie“ in Deutschland derzeit ein sehr ermutigendes Zeichen.
Struktureller Rechtsruck und Selbstdemontage politischer Systeme
Doch die grundlegende Entwicklung ist nicht auf Deutschland beschränkt. Sehr ähnliche Tendenzen zeigen sich in anderen europäischen Ländern wie Frankreich, den Niederlanden, Österreich oder Italien. Gemeinsamer Nenner ist stets ein gesellschaftlicher und politischer „Rechtsruck“, der bürgerliche Parteien schwächt und neue Kräfte am rechten Rand des politischen Spektrums hervorbringt oder verstärkt. Dieser strukturelle „Drall nach rechts“ zeichnet sich auch für die diesjährigen Europawahlen bereits deutlich ab. Noch beunruhigender scheint der Blick in die USA, wo eine Wiederwahl des Autokraten Donald Trump droht, getragen von einer Welle nationalistischer Nostalgie und rechtskonservativer Demokratieverdrossenheit (vgl. Abb. 1).
Besonders erschreckend: Für seine zweite Amtszeit droht Trump bereits einen Rückzug der USA aus NATO und anderen globalen Ordnungssystemen an; zugleich zielt Trump erkennbar auf einen Umbau der USA in eine Art feudaler Präsidialdiktatur. Ausgehend von der westlichen Führungsmacht USA beginnt damit ein gefährlicher Prozess: Die freiwillige und selbstzerstörerische Demontage politischer Systeme und globaler Strukturen. Zumindest im Ansatz erinnert dies an einige der schlimmsten politischen Fehler im frühen vorigen Jahrhundert.
Plumper Populismus und politische Trolle
Die zunehmende Erosion westlicher Demokratien wird begleitet von einer Renaissance populistischer Narrative. Plumpe Demagogie, oftmals gestützt auf politisch-technologische Propagandakonzepte, bestimmt seit Jahren in vielen westlichen Demokratien den politischen Diskurs. Ohne raffinierte Polit-Kampagnen in sozialen Medien, basierend auf „Fake News“ und speziellen „Trollfabriken“, wären wohl weder 2016 der BREXIT noch 2017 die Wahl des Anarcho-Populisten Trump in den USA passiert. Die Faktenlage dazu ist unter dem Stichwort Cambridge Analytica seit Jahren bekannt.
Dennoch geht die Realität erheblich weiter und tiefer: Populistische Narrative lassen sich zwar über soziale Medien und digitale Echokammern relativ einfach verbreiten, doch sie benötigen zuvor einen Nährboden. Mit anderen Worten: Die politische Grundstimmung in einer Bevölkerung muss durch Enttäuschung, Verbitterung und oftmals auch Wut auf Regierungen und Eliten gekennzeichnet sein.
Genau diese Voraussetzungen haben viele westliche Länder seit 20 Jahren geschaffen oder zumindest zugelassen. Wachsende soziökonomische Belastungen und legitime Abstiegsängste breiter Bevölkerungsgruppen wurden von der etablierten Politik nicht hinreichend adressiert. Bestes Beispiel sind die USA, wo der harte Kern wütender Trump-Wähler seit Jahren die politische Elite regelrecht verdammt. Damit wird klar: Populismus ist für das aktuelle Umfeld politischer Fragilität zwar ein wichtiger Trendverstärker, resultiert aber meist aus vorherigen Fehlern der politischen Eliten.
Speziell beim Blick in die USA fällt ein wichtiges Detail auf: Dort scheinen, wie vor hundert Jahren in Deutschland, neben Arbeitern auch viele wohlhabende Unternehmer gezielt auf den Polit-Anarchisten Donald Trump zu setzen. Dieser soll mehr Freiheit für „Big Business“ schaffen und einen als hinderlich empfundenen Staat zerschlagen („Deconstruction“). Ähnlich wie im historischen Präzedenzfall scheint dieses Kalkül gefährlich fehlgeleitet und könnte sich als folgenschwer erweisen. Das Echo der Geschichte lässt grüßen!
Weltwirtschaftliche Entkopplung und „Bifurkation“
Auch auf globaler Ebene entfalten sich derzeit beunruhigende Trends, die an die Weltwirtschaft vor rund hundert Jahren erinnern: Damals wurde eine kurze Blütezeit der Globalisierung beendet durch den Ersten Weltkrieg, der im alten Europa schwere wirtschaftliche Verwerfungen hinterließ. Innerhalb weniger Jahre wurde Deutschland von Hyperinflation (1923), Hitler-Putsch (1923) und nachfolgender Weltwirtschaftskrise (1929) erschüttert. Nach einem kurzen Intermezzo, den „goldenen Zwanzigern“ (Mitte bis Ende der 1920er-Jahre), folgte eine lange Phase globaler Konflikte (Zweiter Weltkrieg, Kalter Krieg). Entsprechend war die Zeit bis Mitte des 20. Jahrhunderts durch Kriegswirtschaft, Deglobalisierung und globale Blockbildung geprägt. Erst in den frühen 1980er Jahren begann wieder eine neue Phase zunehmender Globalisierung, die sich zuletzt immer deutlicher ihrem Ende zuneigt (vgl. Abb. 2).
Das aktuelle Bild der Weltwirtschaft ist durch zunehmende Abgrenzung der großen Wirtschaftsblöcke geprägt, ausgelöst vom intensiven Großmachtkonflikt zwischen den USA und China. Angefangen vom Streit um Computerchips über Versuche einer Abgrenzung von China bis zum russischen Gaslieferstopp nach Europa haben sich viele globale Transaktionsnetze und etablierte Lieferketten innerhalb weniger Jahre drastisch verändert. Immer deutlicher formieren sich daraus eine „westliche“ und eine „östliche“ Hemisphäre, die sich misstrauisch-konfrontativ gegenüberstehen.
Diese zunehmende Fragmentierung der Weltwirtschaft ist vor allem politisch bedingt und hat sich bereits seit einigen Jahren klar angekündigt. Neue Schlagworte wie Immunisierung, Resilienz, „Friend Shoring“ und „Derisking“ beschreiben nur unvollkommen die tektonischen Veränderungen im Maschinenraum des Welthandels. Dessen Aufspaltung in zwei weitgehend voneinander getrennte Hemisphären – bekannt als „Bifurkation“ – steht zwar erst am Anfang, dürfte aber in kommenden Jahren weiter zunehmen. Denn: Der Systemkonflikt um globale Hegemonie zwischen der alten Weltmacht USA und der aufstrebenden Großmacht China wird intensiver und hat vorerst keine schnelle Lösung. Die drohende Wiederwahl von Donald Trump als US-Präsident dürfte diesen Trend noch weiter beschleunigen und könnte (erneut) zur Zuspitzung globaler Konflikte sowie einer massiven Erosion und Disruption globaler Handelssysteme führen.
Damit zeichnet sich ein Szenario ab, das am ehesten mit der Hochphase des kalten Krieges (1950er-/ 1960er-Jahre) vergleichbar ist. Auch hier warnt das Echo der Geschichte sehr klar vor dem Risiko zunehmender Blockbildung und drohender militärischer Konfrontation (Stichwort Kuba-Krise).
Geopolitische Konfrontation und Umbau der globalen Ordnung
Offensichtlich steht die kommende Dekade stark unter dem Einfluss globaler Spannungen und geopolitischer Risiken. Der Großmachtkonflikt zwischen USA und China bleibt dabei vorerst bestimmend. Speziell das latente Eskalationspotential um Taiwan, von China offiziell als „abtrünnige Provinz“ bezeichnet und zuletzt immer stärker bedrängt, könnte leicht zu einer militärischen Konfrontation der beiden Großmächte führen (vgl. Abb. 3).
Neben diesem dominanten Konflikt bilden sich jedoch bereits weitere Kraftlinien heraus, die das weitere Weltbild stark prägen werden. Dazu zählt einerseits die neue „Autokratische Achse“, ein zunehmend engeres Bündnis zwischen den globalen „Schurkenstaaten“ Russland, Iran und Nordkorea, das sich explizit gegen die USA und den Westen richtet und von China unterstützt wird. Andererseits distanziert sich auch der „Globale Süden“ zunehmend von westlichen Denkmustern, erkennbar am selbstbewussten Auftreten von Mittelmächten wie Saudi-Arabien, Brasilien oder Türkei (aber auch an der jüngsten Serie von Militärputschen in Afrika). Hinzu kommt in Kürze noch das Risikoszenario einer zweiten Trump-Präsidentschaft („Trump reloaded“), das die Welt erneut mit einer erratisch und obstruktiv agierenden Supermacht USA konfrontieren würde.
Besonders bizarr ist, dass sowohl Donald Trump als auch Chinas Staatschef Xi Jinping aktive Pläne für einen Umbau der globalen Ordnung verfolgen. China will die USA als führende Weltmacht ablösen, während Trump die USA sowohl stärken als auch aus multinationalen Ordnungssystemen „befreien“ will. Trotz unterschiedlicher Ziele richten sich beide Pläne gegen die Interessen des Westens, speziell Europas. Trumps jüngste Drohungen – Rückzug der USA aus der NATO und Ermutigung von Russlands Diktator Putin zum Angriff auf säumige NATO-Mitglieder – machen diesen Punkt sehr deutlich.
Schwierigere Zeiten für Unternehmer und Investoren
Zusammenfassend zeichnet sich ein zunehmend chaotisches Weltbild ab, in dem statt der Stärke des Rechts immer mehr das Recht des Stärkeren gilt. Nach einer langen Phase relativer Stabilität scheint sich die bisherige Weltordnung aufzulösen – immer stärker treten Risse, Verwerfungen und offene Bruchlinien hervor. Künftige Historiker könnten geneigt sein, genau diese Zeit als Beginn eines großen Umbruchs zu deuten. Der scheinbar anachronistische Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine („Zeitenwende“) scheint diesen Punkt ebenso zu bestätigen wie die Tatsache, dass die Front dieses Kriegs viele Beobachter an die Schützengräben des Ersten Weltkriegs erinnert. Erschreckend sind – bei all diesen Punkten – die zahlreichen historischen Parallelen, die derzeit als „Echo der Geschichte“ klar hervortreten.
Für Unternehmer und globale Investoren bedeutet das skizzierte Umfeld in kommenden Jahren erhöhte geopolitische Risiken. Einfache Anlagekonzepte und statisches Anlageverhalten dürften mittelfristig unter Druck kommen. Stattdessen empfiehlt es sich, bei allen strategischen Anlageüberlegungen eine explizit geopolitische Perspektive einzunehmen. Die nächsten Jahre belohnen wohl weder naiven Idealismus noch blinde Extrapolation. Zumindest ist dies die Botschaft aus dem „Echo der Geschichte“.
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