Deutschlandticket – Top oder Flop?

„Deutschlandticket bedeutet Freiheit“ titelte die Lobbyorganisation Allianz pro Schiene anlässlich des einjährigen Jubiläums dieses neuen Ticketformats. Und der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) sprach von einem revolutionären Angebot, das die Art und Weise, wie wir reisen, nachhaltig verändert habe.

Verständlicherweise müssen die Platzhirsche und Lobbyisten der Branche das vor einem Jahr eingeführte 49-Euro-Ticket, mit dem der Nahverkehr in ganz Deutschland per Flatrate zugänglich ist, loben. Es werden lediglich Missstände hinsichtlich des „Finanzgeschachers“ zwischen Bund und Ländern wegen des Ausgleichs der Mindereinnahmen angeprangert und Forderungen nach einer gesicherten zukünftigen Finanzierung, nach weiteren Fortschritten z.B. bei Jobticketangeboten und nach einer generellen Verbesserung und Stärkung des Angebots für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) erhoben. Zum Teil durchaus kritisch war demgegenüber die Resonanz zum einjährigen Jubiläum in vielen Medien. So (über-)titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung „Kleiner Preis – große Probleme“ [ Deutschlandticket: Wo die Probleme ein Jahr nach der Einführung liegen (faz.net) ] und für einen Kommentator der „Welt“ war das Deutschlandticket sogar ein „teurer Flop“ [ https://www.welt.de/debatte/kommentare/article251263654/Deutschlandticket-ist-ein-teurer-Flop-Das-Geld-waere-woanders-besser-angelegt.html ]. Es kamen sogar „Experten“ zu Wort, die ein 29-Euro-Ticket für alles verlangten (Fernverkehr, Nahverkehr und letzte Meile) [ Interview: Wie das Deutschlandticket zum Klimaticket werden kann (riffreporter.de) ]. Bei so viel Kritik und gleichzeitigen Forderungen nach „Freier Fahrt“ (für freiere Bürger) lohnt ein genauerer Blick auf die Fakten, um die Bedeutung des Deutschlandtickets aus verkehrs-, klima- und sozialpolitischer Sicht einzuordnen.

Aktuell 12,5 Mio. Deutschlandticket-Kunden

Hinsichtlich der Nutzung und der verkehrlichen Wirkungen des 49-Euro-Tickets sind zwangsläufig die Daten der Marktforschung des VDV bzw. der Deutschen Bahn einschlägig. Nach deren Angaben gab es im Jahr 2023 durchschnittlich 11,2 Mio. Deutschlandticket-Abos. 20 Mio. Menschen haben mindestens einmal ein solches Ticket besessen, was umgekehrt bedeutet, dass sehr viele es ausprobiert, aber nicht wieder oder durchgehend gekauft haben. Aktuell besitzen rund 12,5 Mio. Menschen ein solches Ticket. Laut eigener Aussage des VDV ist ein großer Teil des Potentials für ein Standard-Ticket zu 49 Euro bereits ausgeschöpft, d.h. ein weiteres starkes Kundenwachstum ist nicht zu erwarten, insbesondere wenn der Preis für das Ticket in Zukunft steigen sollte.

Die Menschen kaufen das Deutschlandticket vor allem wegen seiner deutschlandweiten Gültigkeit und seines niedrigen Preises. Die Besitzquote ist laut Marktforschung unter den Jüngeren, den traditionellen ÖPNV-Nutzern (Heavy User) und in Metropolen höher; nur 21 % der Käufer stammen aus dem ländlichen Raum. Je weniger urban der Wohnort der Befragten ist und je seltener der ÖPNV genutzt wird, desto öfter wird ein schlechtes ÖPNV-Angebot als Nichtkauf- oder Kündigungsgrund genannt.

Folgt man den Ergebnissen der Marktforschung des VDV, ist das Deutschlandticket auch dahingehend ein Erfolg, dass die Benutzer des Deutschlandtickets öfter mit öffentlichen Verkehrsmitteln und dabei längere Strecken fahren. Demnach gibt jeder zweite Besitzer an, den ÖPNV seit Erwerb des Tickets häufiger zu nutzen als zuvor. Mit dem Deutschlandticket werden zudem mehr Fahrten mit einer Distanz größer als 30 km unternommen, insbesondere mit Regionalzügen. Entsprechend finden 16 % aller Fahrten verbundübergreifend statt.

Verlagerungs- und Klimaeffekte überschaubar

Wichtiger als die Frage der absoluten Nutzungshäufigkeit ist die Größenordnung möglicher Verlagerungseffekte. Die Verlagerung vom motorisierten Individualverkehr auf den öffentlichen Verkehr ist ja ein zentrales verkehrspolitisches Ziel. Diesbezüglich sind die Ergebnisse aber eher bescheiden. Es wird geschätzt, dass 13 % der Fahrten mit dem Deutschlandticket induziert sind, d.h. ohne seine Existenz nicht stattgefunden hätten. 12 % wurden von anderen Verkehrsmitteln verlagert, wobei etwas mehr als die Hälfte (58%) dieser Fahrten ansonsten mit dem Auto stattgefunden hätten; beim großen Rest der Fahrten wird jetzt nur ein anderes Ticket genutzt. Aus diesen Zahlen lassen sich auch mögliche CO2-Einsparungen durch das Ticket ableiten, die der VDV mit auf das Jahr 2023 hochgerechneten 1,3 Mio. t angibt.

Von der Branche wird zudem darauf hingewiesen, dass mit dem Deutschlandticket ein Schub in Richtung Digitalisierung ausgelöst wurde, der in Zukunft maßgeblich zur Effizienzsteigerung des Ticketings beitragen kann. Außerdem wurde dem Fahrgasteinbruch infolge der Corona-Pandemie zumindest entgegengewirkt.

Auch wenn teilweise ansehnliche Zahlen zu den quantitativen Resultaten der Einführung des Deutschlandtickets genannt werden, bleibt die Frage offen, ob es sich um einen „Erfolg“ oder einen „Flop“ handelt, denn dies lässt sich nur mit Bezug zu den politischen Zielen und geeigneten Benchmarks beantworten. So hilft z.B. der Blick auf die schiere Kundenzahl des Deutschlandtickets nicht weiter. Dies ist Denken in der Logik sozialistischer Planerfüllung und reine Tonnenideologie ohne jeglichen Effizienzmaßstab hinsichtlich der Verwendung öffentlicher Mittel. Der zusätzliche Subventionsbedarf aufgrund des Tickets wurde ja auf 3 Mrd. Euro p. a. geschätzt, hälftig zu tragen von Bund und Ländern.

Auch die Aussage, dass jeder zweite Deutschland-Ticket Besitzer den ÖPNV (fast) täglich bzw. seit Erwerb des Tickets häufiger nutze, ist noch kein Erfolgsausweis, da „häufiger“ eine quantitativ im Wesentlichen unpräzise Kategorie darstellt und zudem kein Vergleichsmaßstab hinsichtlich des verkehrsökonomischen Effizienzanspruch existiert bzw. keine klaren verkehrspolitischen Ziele gesetzt wurden. Es fehlt bisher insbesondere an einer gesamthaften Nutzen-Kosten-Analyse bzw. Kosten-Wirksamkeitsanalyse dieser milliardenschweren verkehrspolitischen Subvention; eine Betrachtung hinsichtlich der Reduktion von CO2-Emissionen kann dieses Defizit nicht wirklich kompensieren.

Unklare politische Zielvorstellungen

Zudem ist es leider auch ein Jahr nach der Einführung des Deutschlandtickets noch nicht klar,

  • ob es sich dabei um eine verkehrspolitische oder primär um eine sozialpolitische Maßnahme handelt, die durch billigeren ÖPNV soziale Teilhabe und Mobilität ermöglichen soll;
  • oder tatsächlich um Klimapolitik geht. Dann scheinen die Verlagerungswirkungen und Emissionsminderungen sehr, sehr teuer erkauft;
  • oder die Tarifvereinfachung an sich das Ziel der Reform ist? Dies ist sicherlich gelungen, aber mit erheblichen Kollateralschäden verknüpft.

Grundsätzlich macht es keinen Sinn, ÖPNV einfach nur billig zu machen. Das widerspricht auch dem Selbstverständnis der ÖPNV-Unternehmen, die eine ordentliche Leistung abliefern wollen, welche dann vom Staat einfach ubiquitär zu einer Flatrate angeboten wird. Sie wollen eigentlich keine „Subventionsjunkies“ sein, werden aber zwangsläufig dazu gemacht, denn für den allein aufgrund der zusätzlichen Nachfrage durch das Deutschlandticket notwendigen Kapazitätsaufbau im ÖPNV fehlen bereits die Mittel – auch angesichts der rasant steigenden Kosten für Personal und Energie. Die geht nur über zusätzliche öffentliche Gelder, über die im Rahmen des sogenannten Ausbau- und Modernisierungspakts diskutiert wird. Aus verkehrsökonomischer Sicht stellt sich dann die Frage, ob wir über die aktuell schätzungsweise 25 Mrd. Euro p.a. weitere Milliardensubventionen in ein System hineingeben wollen, in dem die Mittelverwendung schon heute nicht mehr wirksam überwacht werden kann und der Verlagerungseffekt gering ist.

Klimapolitisch wenig effektiv und ineffizient

Klimapolitisch ist das Deutschlandticket zudem eine „Nullnummer“. Lediglich 5,8 % der Abonnenten waren im Jahresdurchschnitt Systemeinsteiger (ÖPNV-Neukunden), der Rest entfällt auf Abo- und Zeitkarteninhaber oder Bartarif-Umsteiger. Zwar nutzen auch diese den ÖPNV häufiger als vorher, dies hat aber nur geringe Wirkungen auf die CO2-Emissionsbilanz, da es sich vor allem um Mitnahmeeffekte handelt. Diskutiert wird z.B. eine starke Zunahme im Freizeitverkehr mit Regionalzügen besonders am Wochenende. Das ist nicht zwangsläufig die gewünschte Verlagerung von der Straße auf die Schiene, falls solche Ausflüge ohne Deutschlandticket nicht stattgefunden hätten. Wenn laut VDV-Schätzungen 7,4 % der Deutschlandticket-Fahrten vorher mit dem Pkw durchgeführt wurden, dürfte das CO2-Einsparpotenzial bei unter 1 Mio t. p.a. liegen; niemand weiß aber aktuell Genaueres, da die Berechnungsgrundlagen nicht im Detail offengelegt werden und die Rechnungen allesamt auf Ergebnissen einer Marktforschung beruhen. Die CO2-Vermeidungskosten sind in jedem Fall prohibitiv. Auch wenn man die vom VDV angegebenen 1,3 Mio. t CO2-Einsparung p. a. annimmt, kommt man bei dem oben genannten jährlichen Zusatzbedarf von 3 Mrd. Euro auf Vermeidungskosten von 2.300 Euro je t CO2.

Positiv anzumerken ist dagegen, dass die Tarifvereinfachung gelungen ist; einfacher als mit einer bundesweit geltenden Flatrate geht es ja nicht. Das Deutschlandticket hat sicher  auch der Digitalisierung des Ticketing im ÖPNV einen Schub gegeben. Allerdings hat man mangels qualifizierter und ausreichender Vorbereitung auch erhebliche Kollateralschäden produziert. Dies betrifft nicht nur die Implosion eigentlich ökonomisch sinnvoller und anreizkompatibler Tarifstrukturen bei vielen ÖPNV-Anbietern, sondern ganz besonders auch das System der Einnahmenaufteilung zwischen den Playern, das auch ein Jahr nach der Einführung des Tickets noch nicht geklärt ist. Hier gibt es Stand heute noch systematische Anreize, die Einnahmen aus dem Deutschlandticket-Verkauf einfach einzubehalten und die Tickets nicht zentral zu melden, da die Branche insgesamt noch unter dem Corona-Schutzschirm steht. Es fehlen einheitliche Verfahren und Regeln der Einnahmenaufteilung sowie eine aktive und kompetente Clearingstelle. Außerdem beklagt die Branche zahlreiche Betrugsfälle, da die Kontrollprozesse noch nicht ausreichend funktionieren. Das sagt nur niemand öffentlich.

Gießkannensubvention für Speckgürtel-Bewohner

Insgesamt erscheint es plausibel, dass das Deutschlandticket insbesondere ein Angebot für Metropolen und Ballungsräume und bisherige ÖPNV-Nutzer ist, also denen, die schon immer ein gutes Angebot des ÖV nutzen konnten, einen billigen Zugang per Flatrate ermöglicht. Ein billiges Ticket nutzt jedoch wenig, wenn das ÖPNV-Angebot nicht wirklich konkurrenzfähig ist, wie häufig in ländlichen Räumen. Außerdem produziert die „Flatrate“ zu hohe Streuverluste. Es ist zugespitzt formuliert eine Gießkannensubvention für die Pendler der Mittelschicht im Speckgürtel der Metropolen. Dass die Besitzquote sich nicht zwischen Gering- und Vielverdienern unterscheidet, wie der VDV feststellt, manifestiert die Schieflage, denn es macht sozialpolitisch wenig Sinn, den ÖPNV für Universitätprofessorinnen und Krankenpfleger gleich billig zu machen. Eine sozialpolitische Förderung könnte stattdessen beim Subjekt ansetzen, während aus verkehrspolitischer Sicht der Ausbau des Angebots und der Infrastruktur an erster Stelle stehen sollte.

So hilft das Deutschlandticket letztlich weder dem Klima noch den tatsächlich in ihrer Mobilität Eingeschränkten. Ein bisschen Verkehrsverlagerung und Systemvereinfachung wird mit sehr viel Geld herbeisubventioniert. Wenn dieses Projekt „verkehrspolitisch der bisher größte Erfolg der Ampelkoalition ist, wie die Allianz pro Schiene schreibt, steht es wohl schlecht um deren Verkehrspolitik.

Zitiervorschlag:

Alexander Eisenkopf: Deutschlandticket – Top oder Flop? 19. Mai 2024 https://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=36880

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