Was ist angemessen?
Einzelwirtschaftliche Überlegungen zur Abgeordnetenentschädigung

Zum 1. Juli 2024 steigt die monatliche Vergütung der Bundestagsabgeordneten auf 11.227 EUR. Dieser Beitrag vergleicht die Festsetzung mit einer marktwirtschaftlichen Transaktion und diskutiert den Begriff der „angemessenen Entschädigung“ aus ökonomischer Perspektive im Allgemeinen sowie der subjektiven Werttheorie im Besonderen.

Die Abgeordnetenentschädigung gerät von Zeit zu Zeit in den Blickwinkel der Öffentlichkeit (vgl. o.V. 2024), wobei meist über ihre Höhe diskutiert wird. Die monatliche Entschädigung der Bundestagsabgeordneten erfährt eine jährliche Anpassung und orientiert sich dabei an der Nominallohnentwicklung, die das Statistische Bundesamt ermittelt (vgl. § 11 Abs. 4 Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestags (AbgG)). Nun ist es wieder soweit. Für die Vertreter der Bürger erhöhen sich die monatlichen Bezüge ab dem 1. Juli 2024 um 635,50 Euro auf 11.227 Euro pro Monat (vgl. BT Drucks. 20/11298 vom 10.05.2024). Zusätzlich zu diesem Betrag erhalten die Abgeordneten gemäß § 12 AbgG eine Kostenpauschale, die die Amtsausstattung finanzieren soll. Aufgrund des haushaltspolitisch vergleichsweise geringen Einsparpotentials (siehe bereits Meyer 1998), kann eine Diskussion über die Höhe der Vergütung im Vergleich zu andern Berufsgruppen nur auf einer normativen Ebene geführt werden und soll an dieser Stelle unterbleiben. Vielmehr wollen wir die Bemessung der Entschädigung auf einer prozessualen Ebene diskutieren und aus einzelwirtschaftlicher Perspektive im Vergleich zur Preisfindung auf einem freien Markt würdigen. Hierbei wird der Versuch unternommen, einige ökonomische Gedanken in die Diskussion einzubringen, die an den Begriff der angemessenen Entschädigung anknüpfen. Insofern orientiert sich die Analyse an früheren Ideen (vgl. z.B. Determann 1997; Meyer 1998; von Arnim 1998; Follert 2018a, 2020a), die sich gegen eine einheitliche Alimentation – die insbesondere für Personen mit geringen Opportunitätskosten einen hohen Anreiz darstellt, eine Abgeordnetenlaufbahn anzustreben (vgl. bereits Weber 1919; von Arnim 1998) – und für eine Entschädigung i.S. einer Kompensation des entgangenen Nutzens einer Erwerbsalternative, aussprechen. Darüber hinaus wird das Adjektiv angemessen vom Standpunkt der subjektiven Werttheorie aus beleuchtet und es wird der Frage nachgegangen, wie eine Annäherung der Politikervergütung an den Mechanismus der freien Preisfindung im Wege einer subjektiven Bewertung durch die Marktteilnehmer erreicht werden kann.

Ökonomische Analyse

Gem. Art 48 Abs. 3 Satz 1 GG haben „[d]ie Abgeordneten Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung.“ Im ersten Halbsatz sind zwei Merkmale von Interesse. Gemäß dem Wortlaut des Gesetzes handelt es sich um eine Entschädigung, was aus ökonomischer Perspektive als Opportunitätskosten i.S. des entgangenen Ertrags einer alternativen Tätigkeit interpretiert werden kann (andere Ansicht BVerfG vom 05.11.1975, 2 BvR 193/74; eine Abkehr vom Alimentationsprinzip ermöglicht hingegen BVerfG vom 30.09.1987, 2 BvR 933/82). Die jeweilige Opportunität ist bereits von Bedeutung, weil die wirtschaftliche sowie die betriebstechnische Abkömmlichkeit eine Voraussetzung darstellt, sich politisch zu betätigen, was die berufliche Zusammensetzung des Parlaments erklären kann (vgl. Weber 1919). Daraus könnte gefolgert werden, dass eine gleiche Vergütung i.S. einer Alimentation die Zugangshürden zum Parlament senkt. Die Festlegung einer gleichen und mit Blick auf die Anreize optimalen Vergütung stellt in der Praxis ein erhebliches Problem dar (vgl. Meyer 1998). Die Anreizwirkung einer echten Entschädigung, also einer Vergütung anhand der Opportunitätskosten, ist insbesondere für den oberen Teil des Einkommensspektrums leicht ersichtlich und erscheint aus ökonomischer Sicht als adäquates Instrument (vgl. z.B. Meyer 1998).

Die Entschädigung muss zudem „angemessen“ sein, was einen unbestimmten Rechtsbegriff darstellt, der eine Auslegung erfordert. Die Angemessenheit ist im deutschen Recht nicht unbekannt. Die subjektive Auslegung des Begriffs wird beispielsweise bei der Bewertung von Unternehmensanteilen zum Zwecke der Abfindungsbemessung bei gesellschaftsrechtlichen Strukturmaßnahmen (vgl. bereits Matschke 1979; ferner statt vieler Follert 2020b) oder der Vergütung von Arbeitnehmererfindungen (vgl. Follert 2017, 2018b) diskutiert. Diese ökonomische Interpretation wird im Folgenden auf die hier diskutierte „angemessene Entschädigung“ übertragen. In einer freien Tauschsituation würden Transaktionspartner einen Preis als angemessen erachten, der ihre jeweiligen Konzessionsgrenzen respektiert. Derjenige der seine Dienste – hier verstanden im ökonomischen Sinne, während Abgeordnete de jure im Vergleich zum Beamten freilich keinen Dienst leisten (vgl. Art 38 Abs. 1 GG; Meyer 1998) – anbietet, wird also jede Vergütung akzeptieren, die seinen Mindestpreis – der Grenzpreis, zu dem er hinsichtlich des Angebots gerade indifferent ist – nicht unterschreitet. Für denjenigen, der die Leistung nachfragt, gilt, dass jede Vergütung akzeptabel ist, die seine maximale Zahlungsbereitschaft nicht übersteigt. Die Vergütung für die Erbringung einer Dienstleistung auf einem freien Markt folgt somit einer subjektiven Bewertung durch die potentiellen Vertragspartner. Die Angemessenheit der Tauschbeziehung i.S. einer ökonomischen Verbesserung tritt durch die Handlung selbst zu Tage (vgl. Mises 1998). Die Angemessenheit lässt sich insofern nicht objektivieren, weshalb in der Literatur zurecht bemängelt wird, dass das Abstellen auf vergleichbare Berufe eine „Scheinobjektivierung“ (Meyer 1998, S. 335; ferner Fischer 1995) bedeute.

Im Kontext der Vergütungsbemessung eines Abgeordneten auf einem hypothetischen freien Markt, auf dem er seine Dienstleistung anbietet, die vom Wähler nachgefragt wird, würde sich die Mindestvergütung aus Sicht des Kandidaten im Sinne einer an den individuellen Opportunitätskosten ausgerichteten Entschädigung im Hinblick auf die zum Zeitpunkt der Wahl realisierbare beste Alternative ergeben. Jede Vergütung, die diese Grenze nicht unterschreitet, wäre angemessen, da sie den Kandidaten im Vergleich zur Alternativhandlung ökonomisch nicht schlechterstellte. Nun ist die Verhandlung über die Vergütung jedoch bekanntlich nicht Teil des Wahlprozesses. Stattdessen gibt § 11 Abs. 1 S. 1 AbgG den Vergleichsmaßstab vor: „Die monatliche Entschädigung eines Mitglieds des Deutschen Bundestages orientiert sich an den Bezügen eines Richters an einem obersten Gerichtshof des Bundes […]“. Ausgangspunkt der Entschädigungsbestimmung ist somit nicht die konkrete und realisierbare Opportunität, sondern eine hypothetische. Ob das Amt des Bundesrichters oder eine vergleichbare Tätigkeit überhaupt Bestandteil des individuellen Möglichkeitsraums des jeweiligen Abgeordneten ist, hängt schließlich nicht zuletzt von seinem Humankapital ab.

Dass durch den Begriff Entschädigung lediglich der Abgeordnete fokussiert wird, ist nicht überraschend. Eine in einem freien Verhandlungsprozess ausgehandelte Vergütung würde ebenso den Nutzen für den Nachfrager berücksichtigen. Ein Preis würde sich im Wege der Verhandlung zwischen den Konzessionsgrenzen der Transaktionspartner finden. In einem solchen Fall würde auch eine inputorientierte Argumentation, die auf die Arbeitsbelastung abstellt (vgl. BVerfG vom 05.11.1975 2 BvR 193/74), keine Bedeutung erlangen. Aus ökonomischer Sicht kann somit festgehalten werden, dass die Mindestentschädigung dem Grenzpreis des Abgeordneten entspricht. Erhält er also eine Zahlung, bei der er aus monetärer Sicht gerade indifferent hinsichtlich seiner Kandidatur ist, stellt er sich wirtschaftlich nicht schlechter, sodass alle Werte, die diese Grenze nicht unterschreiten, als angemessen gelten.

An dieser Stelle ist auch auf weitere Einkommensbestandteile des Abgeordneten hinzuweisen. Neben den genannten materiellen Komponenten und etwaigen Nebeneinkünften dürften die meisten Abgeordneten einen erheblichen immateriellen Nutzen aus einer Erweiterung ihres Möglichkeitsraums durch das Mandat erzielen. Durch den Aufbau von Human- und insbesondere Sozialkapital steigen die Opportunitätskosten zum Ende der Legislaturperiode stark an. Nach Aufgabe des Mandats kann das aufgebaute Netzwerk genutzt werden, um Projekte zu realisieren, die vor der Wahl noch nicht Bestandteil des Entscheidungsfelds waren.

Diskussion und Schlussfolgerungen

Vorschläge abseits der etablierten Wege werden naturgemäß mit einer gewissen Skepsis betrachtet, was jedoch für den sich anschließenden Diskussionsprozess essentiell ist. Insbesondere aus Sicht anderer Disziplinen, wie der Politik- oder der Rechtswissenschaft, werden ökonomische Vorschläge nicht selten als unrealistisch angesehen. Oftmals wird angeführt, sie würden gegen grundlegende Prinzipien – bspw. den Gleichheitssatz (vgl. BVerfG vom 05.11.1975, 2 BvR 193/74) verstoßen. Im konkreten Fall könnte kritisiert werden, dass eine unterschiedliche Behandlung der Mandatsträger nicht möglich sei – gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Dem ist indes entgegenzuhalten, dass die Aufgabenbeschreibung zwar gleich sein mag, die Erfüllung jedoch in hohem Maße von den individuellen Kompetenzen und dem Anstrengungsniveau abhängt. In einer freien Transaktion unter unvollständiger Information würden die Nachfrager nach der Dienstleistung einem Anbieter, der eine höhere Kompetenz signalisiert, ebenfalls einen anderen Wert beimessen und die Zahlungsbereitschaft entsprechend anpassen. Dass innerhalb eines Kollektivs verschiedene Kompetenzen anzutreffen sind, die den jeweiligen Beitrag eines Teammitglieds zum Gesamterfolg bestimmen, gilt für jedes Fußballteam und ebenso dürfte es für ein Legislativorgan gelten (vgl. Follert 2020a). Zudem ist es auch innerhalb der öffentlichen Sphäre üblich, dass die individuelle Erfahrungsstufe sich in der Entlohnung widerspiegelt.

Ferner ist es naheliegend zu argumentieren, dass Bezieher niedriger Einkommen, in der Hausarbeit Tätige oder Studenten einen geringeren Anreiz zur Kandidatur hätten als einkommensstarke Individuen. Die bisherige Alimentationsregelung sollte gerade gewährleisten, dass nicht ausschließlich vermögende Personen für die Politik leben können (Weber 1919). Hier ist jedoch nochmals zu betonen, dass auch Individuen mit niedrigen Opportunitätskosten im Vergleich zu ihrer bisherigen Einkommenssituation ökonomisch nicht schlechter gestellt würden. Zugleich haben Sie jedoch die Möglichkeit, einen erheblichen nichtmateriellen Nutzen zu konsumieren, der ihr Einkommen in späteren Perioden erhöht. Die Strukturen innerhalb des Parteiensystems lassen zudem vermuten, dass zeitliche Ressourcen gegenwärtig im Vergleich zu monetären Ressourcen begünstigt werden.

Aus der einfachen ökonomischen Analyse lassen sich mehrere Vorschläge ableiten:

  1. Die Entschädigung zu Beginn der ersten Legislatur orientiert sich nicht an einer hypothetischen Opportunität, sondern an einer für den individuellen Abgeordneten im Zeitpunkt der Kandidatur realistischen Alternativtätigkeit. Hierzu könnte beispielsweise ein fünfjähriger Durchschnittswert aus den Einkünften aus selbständiger und nichtselbständiger Arbeit vor der Kandidatur als Näherung dienen (vgl. Follert 2020a). Ein Berufseinsteiger, der sein Humankapital einem Markttest unterzogen hat, könnte ein vertragliches Angebot als Referenzwert ansetzen. Dass der Einzug ins Parlament für vier Jahre eine natürliche Befristung beinhaltet, sollte grundsätzlich bereits entsprechend der Risikoeinstellung in das Kalkül des Abgeordneten einfließen. Es ist dennoch denkbar, den berechneten Mittelwert um einen bestimmten Betrag zu erhöhen, um dieses Risiko zu vergüten. Der Aufschlag sollte zudem so hoch sein, dass das Merkmal der „Unabhängigkeit“ (Art 48 Abs. 3 Satz 1 HS. 2 GG) erfüllt ist.
  2. Durch den Aufbau von weiterem Human- und Sozialkapital steigen im Verlauf der Legislatur die Opportunitätskosten. Basierend auf dem Ausgangswert könnte also ein gestaffelter Anstieg der Entschädigung die verbesserten Alternativen abbilden und insofern die (subjektive) Angemessenheit wahren.
  3. Im Rahmen der repräsentativen Demokratie, in der sich der Bürger durch den Abgeordneten vertreten lässt, kommt es zu einer Besonderheit, die im Vergleich zur Agenturbeziehung in der Kapitalgesellschaft bemerkenswert ist (vgl. Follert 2018a). Durch den Gesetzgebungsprozess sind es die Abgeordneten selbst, die über ihre Entschädigung bestimmen, denn das Abgeordnetengesetz wird selbstverständlich auch durch die Legislative verabschiedet. Ebenso wird eine Änderung der Regelungen nur dann möglich sein, wenn die Abgeordneten wiederum im Rahmen eines „Insichgeschäfts“ über ihre Belange abstimmen, weshalb die politische Durchsetzbarkeit mit Blick auf am persönlichen Nutzen orientierte Abgeordnete schwierig sein dürfte (vgl. von Arnim 1998). Insofern könnte die Entscheidung über eine Änderung der Abgeordnetenentschädigung in die Hände des Volks gelegt werden (so auch von Arnim 1998). Auch aus Sicht der Parlamentarier könnte sich hieraus ein Nutzen ergeben, denn eine solche Maßnahme könnte dazu beitragen, Vertrauen in die Demokratie zu stärken (vgl. Follert 2018a, 2020a, 2023).

Literatur

von Arnim, H. H. (1998). Reform der Abgeordnetenbezahlung. Bemerkungen zum Beitrag von Dirk Meyer. Politische Vierteljahresschrift 39(2), 345-348.

Determann, L. (1997). Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Entschädigung von Abgeordneten. Bayerische Verwaltungsblätter, 385-394.

Fischer, A. (1995): Abgeordnetendiäten und staatliche Fraktionsfinanzierung in den fünf neuen Bundesländern, Frankfurt am Main: Peter Lang.

Follert, F. (2017). Zur Zahlung einer angemessenen Vergütung nach § 9 ArbnErfG aus Sicht der Bewertungstheorie. Deutsches Steuerrecht 55(45), 2449-2455.

Follert, F. (2018a). Die Bürger-Politiker-Beziehung im Lichte der Neuen Politischen Ökonomie: Ein Diskussionsbeitrag. der moderne staat 11(1), 235-254.

Follert, F. (2018b). Zur Vergütung von Arbeitnehmererfindungen als ökonomisches Allokationsproblem: Ein spieltheoretischer Lösungsansatz. Die Unternehmung 72(4), 346-368.

Follert, F. (2020a). Improving the Relationship between Citizens and Politicians: Some Economic Remarks from an Agency-Theoretical Perspective. Munich Social Science Review 3, 171-184.

Follert, F. (2020b). Zur Unternehmensbewertung im Spruchverfahren aus interessentheoretischer Sicht. Wiesbaden: Springer Gabler.

Follert, F. (2023). Learning from corporate governance: First conceptualization of a liability for political decision-making. Kyklos 76(4), 809-826.

o.V. (2024). Abgeordnetendiäten steigen um sechs Prozent. Frankfurter Allgemeine Zeitung (online) vom 13.05.2024, abrufbar unter: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/abgeordnete-im-bundestag-diaeten-steigen-um-sechs-prozent-19717088.html.

Matschke, M. J. (1979). Funktionale Unternehmungsbewertung. Band II: Der Arbitriumwert der Unternehmung. Wiesbaden: Gabler.

Meyer, D. (1998). Abgeordnetenentschädigung – Ein Beitrag zur Rationalisierung der Diskussion aus ökonomischer Sicht. Politische Vierteljahresschrift 39(2), 329-344.

von Mises, L. (1998). Human Action. A Treatise in Economics. The Scholar’s Edition, Auburn: Mises Institute.

Weber, M. (1919). Politik als Beruf, in: Wissenschaft als Beruf / Politik als Beruf. Jubiläumsausgabe, herausgegeben von Wolfgang J. Mommsen und Wolfgang Schluchter, Tübingen: Mohr Siebeck 2020.

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