Nach vorläufigen Berechnungen gingen die Treibhausgasemissionen in Deutschland im Jahr 2023 um rund 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück. Dennoch kritisierte der Expertenrat für Klimafragen, dass der Verkehrssektor weit von seinem Klimaschutzziel entfernt sei und fordert schnelle Maßnahmen vom Verkehrsministerium. Diese Forderung wird dem globalen Treibhausgasproblem nicht gerecht, wie dieser Beitrag erläutert.
Gute Nachrichten aus dem Umweltbundesamt (UBA 2024): Die Treibhausgasemissionen sind in Deutschland laut vorläufiger UBA-Datenanalyse im vergangenen Jahr 2023 massiv gesunken, gegenüber 2022 um rund 10 Prozent, auf 674 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente (Abbildung 1). Das ist der niedrigste Stand seit der Wiedervereinigung. Die Verringerung der Emissionen um 76 Millionen Tonnen innerhalb eines Jahres ist höchst beachtlich: Selbst im Corona-Jahr 2020 sind die Emissionen lediglich um 65 Millionen Tonnen zurückgegangen. Die laut Klimaschutzgesetz für das Jahr 2023 erlaubte Treibhausgasemissionsmenge von 722 Millionen Tonnen wurde um knapp 7 Prozent unterschritten.
Seit 1990 verringerten sich Deutschlands Emissionen um etwa 46 Prozent, von 1251 auf 674 Millionen Tonnen. Damit ist Deutschland allerdings noch immer weit von seinem äußerst ambitionierten Klimaziel von 438 Millionen Tonnen für das Jahr 2030 entfernt (Abbildung 1): In den bis dahin verbleibenden wenigen Jahren sollen die Treibhausgasemissionen so stark gesenkt werden, dass sie 2030 um 65 Prozent niedriger liegen als 1990.
Das würde bedeuten, dass die Emissionen in den 7 Jahren bis 2030 um jahresdurchschnittlich knapp 34 Millionen Tonnen verringert werden müssten, wenn man das besonders tiefe Niveau des Jahres 2023 von 674 Millionen Tonnen zugrunde legt. Eine durchschnittliche Emissionsreduktion um knapp 34 Millionen Tonnen pro Jahr ist deutlich anspruchsvoller als die jahresdurchschnittliche Verringerung seit der Finanzkrise 2008. Hinzu kommt, dass die Emissionen bei einer wirtschaftlichen Erholung gegenüber dem Jahr 2023 eher wieder etwas steigen dürften. Deutschlands Emissionsminderungsziel von 65 Prozent für 2030 ist daher nach wie vor äußerst ambitioniert.
Der beachtliche Emissionsrückgang um etwas über 10 Prozent im Jahr 2023 ist allerdings nicht nur Grund zur Freude. So hat der Expertenrat für Klimafragen (2024), das aus fünf Mitgliedern bestehende Kontrollgremium zur Bewertung der Klimaschutzprogramme und der Einhaltung der im Klimaschutzgesetz festgelegten sektor- und jahresspezifischen Emissionsziele, zu Recht kritisiert, dass die Einsparungen weniger das Ergebnis einer stringenten und wirksamen Klimaschutzpolitik seien, als das Resultat milden Winters und vor allem der anhaltenden wirtschaftlichen Schwäche, insbesondere des starken Produktionsrückgangs in der energieintensiven Industrie. Die Produktionsschwäche hat zu einem Emissionsrückgang der Industrie um rund 13 Millionen Tonnen geführt (Abbildung 1).
Darüber hinaus hat der Expertenrat moniert, dass der Sektor Verkehr zum wiederholten Male seine im Klimaschutzgesetz festgelegten Ziele deutlich verfehlt hat. So hat der Verkehrssektor statt der gesetzlich erlaubten 134 Millionen Tonnen etwa 146 Millionen Tonnen emittiert (Abbildung 1). Der Expertenrat forderte daher auf Basis der bis vor kurzem noch geltenden Fassung des Klimaschutzgesetzes schnelle Maßnahmen vom Verkehrsministerium.
Derartige Forderungen, die selbstverständlich vor dem Hintergrund der Funktion des Rates zu sehen sind, sind aus zahlreichen Gründen fehlgeleitet. So ist erstens zu kritisieren, dass die im Klimaschutzgesetz genannten sektoralen Ziele der unvermeidlichen Unsicherheit, die mit jeder Datengrundlage verbunden ist, in keiner Weise gerecht werden, weil sie ohne jegliche Toleranz formuliert sind. Infolgedessen müsste beispielsweise für den Gebäudesektor, der nach der vorläufigen UBA-Analyse die zulässige Jahreshöchstmenge um etwas mehr als 1 Million Tonnen überschritten hat, nach der bisherigen Fassung des Klimaschutzgesetzes ein Sofortprogramm zur Senkung der Emissionen in diesem Sektor vorgelegt werden.
Dieser Schlussfolgerung wollte sich auch der Expertenrat nicht anschließen, da er betont, dass das Ergebnis einer knappen Zielverfehlung im Gebäudesektor wegen der sehr früh erfolgten Datenanalyse des UBA mit einer hohen Unsicherheit verbunden ist. Das könnte sich bei verbesserter Datenlage möglicherweise als Irrtum herausstellen. Weil aber auch mit mehr Zeit bei der Auswertung der Daten niemals jegliche Datenunsicherheit beseitigt werden kann, hätten die sektoralen Klimaziele niemals in dieser Absolutheit formuliert werden dürfen, wie sie sich ohne jegliche Toleranz im Klimaschutzgesetz wiederfinden.
Zweitens: Selbst wenn keinerlei Datenunsicherheit bestehen würde, stellt sich die Frage, ob bei einer knappen Zielverfehlung in einem Sektor, wie etwa um etwa 1 Million Tonnen im Gebäudesektor, welche im Vergleich zu den Emissionen des Gebäudesektors von 111 Millionen Tonnen im Jahr 2022 (Abbildung 1) eine Abweichung um weniger als 1 Prozent bedeutet, ein voraussichtlich kostenintensives Sofortprogramm auferlegt werden sollte, ohne zu honorieren, dass der Gebäudesektor die Emissionen innerhalb eines Jahres um stattliche 9 Millionen Tonnen gesenkt hat (Abbildung 1) und damit auf dem richtigen Weg ist. Dabei dürfte es wohl niemanden sonst auf der Welt bekümmern, dass Deutschland sein für den Gebäudesektor für das Jahr 2023 selbstgesetztes Ziel womöglich knapp verfehlt hat, während sich Deutschlands Treibhausgasemissionen insgesamt um mehr als 10 Prozent innerhalb eines Jahres verringerten.
Im Übrigen ist festzustellen, dass dieser Sektor gemessen an den im Klimaschutzgesetz genannten Emissionsziel für den Gebäudesektor von 102 Millionen Tonnen für das Jahr 2023 nach den vorläufigen Zahlen des Umweltbundesamtes sein im Klimaschutzgesetz stehendes Ziel in Wahrheit ziemlich exakt erreicht hätte. Dass das Umweltbundesamt zum Ergebnis einer leichten Zielverfehlung um etwa eine Million Tonnen kommt, liegt daran, dass das Amt die zulässige Emissionsmenge für den Sektor Gebäude wegen seiner Zielverfehlungen in den Vorjahren gegenüber der im Klimaschutzgesetz genannten Zielmenge um rund eine Million Tonnen nach unten angepasst hat — eine Anpassung, die nach dem im Klimaschutzgesetz festgelegten Ausgleichsmechanismus (§4 Absatz 3 KSG) erfolgte. Wenngleich diese Vorgehensweise durch das Klimaschutzgesetz legitimiert ist, verwundert es sehr, dass es zwar einen intertemporalen Ausgleichsmechanismus für die einzelnen Sektoren gibt, bei dem neben Zielverfehlungen auch das Übertreffen von Zielen angerechnet wird, es aber bislang keinen Ausgleichsmechanismus über Sektoren hinweg gab.
Drittens: Mit den im Klimaschutzgesetz festgelegten sektorspezifischen Zielen wird die Tatsache ignoriert, dass es für das Klima gleichgültig ist, an welchem Ort in der Welt und in welchem Sektor die Treibhausgasemissionen entstehen. Zielverfehlungen in einem Sektor sollten daher nicht aktionistische — und damit in der Regel teure — Sofortprogramme in diesem Sektor zur Folge haben, erst recht nicht, wenn die fehlenden Emissionsminderungen durch andere Sektoren bei weitem wettgemacht werden können. So wird die Zielverfehlung des Verkehrssektors um rund 13 Millionen Tonnen durch die Senkung der gesamten Emissionen in Deutschland um über 10 Prozent, zu der die Energiewirtschaft mit einem Emissionsrückgang von 52 Millionen Tonnen innerhalb eines Jahres den größten Beitrag geleistet hat (Abbildung 1), weit mehr als ausgeglichen.
Dieser Ausgleich, der in der Energiewirtschaft auf die nach dem Abflauen des Energiepreisschocks und der stark gesunkenen Erdgaspreise auf einen Rückgang der Kohleverstromung, nicht zuletzt aber auf eine deutlich schwächere Stromnachfrage der energieintensiven Industrie zurückzuführen ist, hat Deutschland in Form einer schwächelnden Wirtschaft sehr viel Geld gekostet, aber immerhin eine ordentliche Umweltdividende in Form stark gesunkener Emissionen beschert. Aus ökonomischer Perspektive drängt sich vor diesem Hintergrund die Frage auf, warum dem säumigen Verkehrssektor unter Inkaufnahme möglicherweise hoher zusätzlicher Kosten dennoch innerhalb eines Jahres ein Sofortmaßnahmenpaket auferlegt werden sollte?
Dieser durch die ursprüngliche Fassung des Klimaschutzgesetzes auferlegte Zwang ist durch die Novellierung des Klimaschutzgesetzes, die der Bundesrat am 17. Mai 2024 gebilligt hat, vernünftigerweise abgewendet worden: In einer dem Klimaproblem angemesseneren Vorgehensweise wird die kleinteilige Vorgabe jährlicher Sektorziele ersetzt durch eine mehrjährige, in die Zukunft gerichtete Gesamtbetrachtung, bei der die Minderleistungen einzelner Sektoren, etwa der des Verkehrs, durch stärkere Emissionsminderungen in anderen Sektoren ausgeglichen werden können (Bundesregierung 2024): „Im Fokus steht nun, ob der Treibhausgasausstoß insgesamt reduziert wird, unabhängig davon, in welchem Bereich die Treibhausgase entstehen“.
Diese Novellierung des Klimaschutzgesetzes ist angesichts der bekanntermaßen hohen Emissionsvermeidungskosten in den beiden Sektoren Gebäude und Verkehr sehr zu begrüßen, schließlich ist der Kauf emissionsarmer Pkw mit hohen Kosten verbunden, erst recht aber der Einbau emissionsarmer Heizungssysteme, vor allem einer Wärmepumpe, und noch viel mehr das Dämmen eines energetisch unsanierten Altbaus. Deshalb erfordern besonders die Sanierung und energetische Ertüchtigung des Gebäudebestands sehr viel Zeit — Zeit, die man wegen des fortschreitenden Klimawandels angeblich nicht hat.
Doch das ist ein Trugschluss: Bringt die Politik mit teuren Emissionsvermeidungsmaßnahmen wie dem faktischen Verbot des Einbaus neuer Öl- und Gasheizungen die Bevölkerung gegen sich auf, wird die deutsche Wärmewende weltweit wohl kaum als ein Vorbild angesehen, dem andere Länder nacheifern werden. Die Politik verursacht so immens hohe Kosten (Frondel, Quitzau 2023), die die Gesellschaft in Deutschland zu tragen hat, erweist sich aber als wenig förderlich für die Reduzierung der Emissionen im globalen Maßstab.
Doch allein auf die Senkung der Treibhausgasemissionen im globalen Maßstab kommt es an, nicht auf Emissionsminderungserfolge in Europa, geschweige denn in Deutschland oder gar im deutschen Verkehrssektor. Ohne eine weltweite Koordination der Emissionsminderungsanstrengungen (Ockenfels, Schmidt 2019), möglicherweise durch ein internationales Abkommen zur Etablierung eines einheitlichen Preises für Treibhausgasemissionen, dienen jegliche nationalen, sektoralen und individuellen Anstrengungen allein der Beruhigung des nationalen bzw. des eigenen Gewissens. Daher sehen Ockenfels und Schmidt (2019) die höchste Priorität für die deutsche Politik, ihre Bemühungen zur Einbettung der nationalen und europäischen Klimapolitik in eine wirksame globale Klimapolitik zu intensivieren.
Referenzen:
Bundesregierung (2024) Klimaschutzgesetz und Klimaschutzprogramm: Ein Plan fürs Klima. 17. Mai 2024. https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/tipps-fuer-verbraucher/klimaschutzgesetz-2197410
Expertenrat für Klimafragen (2024) Prüfbericht zur Berechnung der deutschen Treibhausgasemissionen für das Jahr 2023. Prüfung und Bewertung der Emissionsdaten gemäß § 12 Abs. 1 Bundes-Klimaschutzgesetz. https://www.expertenrat-klima.de
Frondel, M., Quitzau, J. (2023) Ökologischer Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft: Kosten und Nutzen. Berenberg. https://www.berenberg.de/uploads/web/Press/Press-Releases/2023/2023-09_Berenberg_Studie_Klimawandel.pdf.
Ockenfels, A., Schmidt, C. M. (2019) Die Mutter aller Kooperationsprobleme. Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 68(2): 122–130
UBA (2024) KSG-Sektoren 1990-2023. Treibhausgas-Emissionen (tausend Tonnen CO2-äquivalent). Umweltbundesamt, Dessau. https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/treibhausgas-emissionen.