Im Nachgang der Finanzmarktkrise hat sich herausgestellt, dass die Genossenschaftsbanken in den vergangenen Monaten Marktanteile in allen wichtigen Segmenten gewonnen haben und gute Geschäftsergebnisse vorlegen konnten. Wie die Sparkassen auch bekommen sie von den Bankkunden beste Vertrauenswerte attestiert. Diese Entwicklung legt es nahe, das Geschäftsmodell der Genossenschaftsbanken näher zu beleuchten und nach den Ursachen seiner Wettbewerbsfähigkeit zu fragen.
Kooperatives Geschäftsmodell
Genossenschaftsbanken – Volksbanken, Raiffeisenbanken, Sparda-Banken, PSD Banken und einige andere – sind Teil des genossenschaftlichen FinanzVerbundes, eines Unternehmensnetzwerkes. Zwei Zentralbanken, Anbieter und Produzenten für Finanzprodukte wie Wertpapiere, Versicherungen, Ratenkredite und Bausparprodukte, zahlreiche Dienstleister für IT und andere Services sowie weitere Unternehmen und Verbände arbeiten in diesem Finanznetzwerk zusammen. Auf diese Weise entsteht eine besondere Struktur der Wertschöpfungskette, an deren Ende die Genossenschaftsbanken ihren Kunden Finanzdienstleistungen anbieten, die von Verbundpartnern entwickelt und produziert wurden. Von Spezialunternehmen entwickelte Prozesse und Dienstleistungen ermöglichen effiziente Strukturen der Leistungserstellung. Im Laufe der Jahrzehnte (die Wurzeln dieses Finanzverbundes liegen über 150 Jahre zurück) hat sich eine komplexe und differenzierte Arbeitsteilung herausgebildet, deren Intensivierung weiter fortschreitet.
Effizienzvorteile
Der genossenschaftliche Finanzverbund ist ein Wertschöpfungsnetzwerk mit einer besonderen Governance, auf die im Weiteren noch einzugehen ist. Zuerst stellt sich die Frage, auf welche Weise die Kooperationsrente – der Mehrwert durch die Zusammenarbeit – geschaffen wird. Verkürzt entsteht die Kooperationsrente durch die Kombination von Effizienzvorteilen in statischer und dynamischer Ausprägung und den Anreizvorteilen einer dezentralen kundennahen Verankerung. Das genossenschaftliche Finanznetzwerk ist „von unten nach oben“ entstanden, also dezentral organisiert. Die Genossenschaftsbanken haben sich ihre Spezialunternehmen geschaffen, sind bezüglich Verfügungsrechten, Finanzierungsverpflichtungen und Gewinnaneignungsrechten ihre Mütter. Bei den Effizienzvorteilen treten die Nutzung von economies of scale und scope in der Produktion und Produktentwicklung in den Vordergrund. Zahlreiche Outsourcingaktivitäten von Backoffice-Transaktionen sind ebenso zu nennen wie eine kostenorientierte Entwicklung von unternehmensgrenzenüberschreitenden Prozessen in Produktion und Vertrieb, Clearingleistungen im Zahlungsverkehr und Auslandstransaktionen. In qualitativer Hinsicht ist die Präferenzgerechtigkeit durch diversifizierte Produkt- und Leistungskombinationen zu nennen. Seit jeher waren die Risikovorteile von Bedeutung, die durch eine netzwerkeigene und gemeinsam finanzierte Sicherungseinrichtung gewährleistet werden. Die Genossenschaftsbanken tragen sie mit risikodifferenzierten Beiträgen. Im Gegenzug wird ihre Existenz gesichert (Institutssicherung). Einlagen und Inhaberschuldverschreibungen bei Genossenschaftsbanken sind also vollständig (ohne Obergrenze) geschützt. Es ist ein markantes Element der Governance des genossenschaftlichen Finanznetzwerkes, dass Genossenschaftsbanken insolvenzgeschützt sind. Im Zuge der Finanzmarktkrise wurde in keiner Phase staatliche Finanzhilfe in Anspruch genommen. Es ist evident, dass auch diese Art der Risikovorsorge durch die Nutzung von Größenvorteilen möglich wird, eine besondere Risikogovernance.
Anreizvorteile
Während die bisher skizzierten ökonomischen Mechanismen, die die Entstehung einer Kooperationsrente ermöglichen, vorwiegend durch Zentral- und Spezialunternehmen sichergestellt werden, tritt nun die Kombination mit den dezentral agierenden Genossenschaftsbanken in den Vordergrund. Die 1156 Genossenschaftsbanken weisen tendenziell kleine bis mittlere Geschäftsgrößen auf, sind also mittelständische Organisationen, die jedoch Zugriff auf die Größe des Netzwerkes haben. An ihnen liegt es, dezentrale Informationen über die Präferenzen der Kunden zu nutzen und überwiegend Transaktionen mit mittelständischen Geschäftskunden durchzuführen. Dies führt dazu, dass die lokale und regionale Dimension der Transaktionen im Vordergrund steht. Es ist damit verbunden, dass die involvierten Risiken besser eingeschätzt werden können. Nicht nur die Informationsasymmetrien zwischen Bank und Kunden sind weniger stark ausgeprägt als bei vielen Banktransaktionen der größeren Privatbanken und Sparkassen, sondern es ist einfacher Bindung aufzubauen und die Kommunikation zu pflegen, wenn die Transaktionspartner in der Lage sind sich persönlich einzuschätzen. Aus diesen Gegebenheiten einer dezentralen Netzwerkstruktur folgen Anreizvorteile, die in Kombination mit den Effizienzvorteilen, die genossenschaftliche Kooperationsrente entstehen lassen. Wird jeder der beiden Vorteile isoliert betrachtet, wäre zu seiner Schaffung kein Netzwerk erforderlich. Das Geschäftsmodell besteht also in den skizzierten Netzwerkstrukturen.
Genossenschaftliche Governance
Dezentral organisierte Netzwerke müssen keine genossenschaftlichen Verbünde sein. Also stellt sich nun allmählich die Frage, worin die Besonderheiten einer genossenschaftlichen Governance bestehen, die diesen Finanzverbund auszeichnen. Sie beruht auf der ökonomischen Kooperationslogik, sprich Unternehmen oder Personen arbeiten zusammen, wenn sie auf diese Weise ihre einzelwirtschaftlichen Ziele besser erreichen können als bei autonomen Aktivitäten. Genossenschaften sind also keine paternalistischen Modelle der Fremdhilfe oder Transferökonomik, sondern privatwirtschaftliche Organisationen mit Gewinnzielsetzung. Eine manchmal festzustellende „Genossenschaftsromantik“ in der Analyse ist völlig unangebracht. Genossenschaftsbanken, die dezentralen Partner im genossenschaftlichen FinanzVerbund, sind seinerzeit als Institutionen der Selbsthilfe entstanden. Auch sie sind Netzwerke, gegründet von ihren Eigentümern. Hier ist nicht der Raum, um im Detail auf diese institutionellen Innovationen des 19. Jahrhunderts einzugehen. Die konstituierenden Merkmale der genossenschaftlichen Governance sind jedoch seither unverändert. Im Kern wirkt eine Akteursidentität. Die Eigentümer der Genossenschaftsbanken sind ihre Kunden und treffen in ihrer Gesamtheit die grundlegenden Entscheidungen, die die strategischen Weichenstellungen der Banken beinhalten. Von diesen eigenen Entscheidungen werden sie als Bankkunden direkt betroffen, haben also dafür Verantwortung zu übernehmen. Es liegt also Anreizkonsistenz vor. Daran ändert auch nichts, dass nicht alle Kunden von Genossenschaftsbanken heute auch Mitglieder, also Eigentümer, sein müssen. Eine Besonderheit besteht darin, dass jedes Mitglied unabhängig von Kapitalanteilen eine Stimme hat. Daher werden Genossenschaften häufig auch als demokratische Kooperationsmodelle bezeichnet. Dies sollte jedoch nicht mit gelebter Basisdemokratie verwechselt werden: Demokratische Entscheidungsfindung muss effizient sein. Dies ist mit großen Herausforderungen für die entscheidungsvorbereitenden Gremien verbunden.
MemberValue
Die Aufgabe von Genossenschaftsbaken besteht darin, ihre Eigentümer zu fördern, sie also wirtschaftlich zu unterstützen. Dieser „Förderauftrag“ der in §1 des Genossenschaftsgesetztes niedergeschrieben ist, ist eine Vokabel, die nicht selbsterklärend ist und einen größeren Kommunikationsaufwand beinhaltet. Ich spreche daher vom genossenschaftlichen MemberValue, der Kooperationsrente, die den Mitgliedern durch die Zusammenarbeit entsteht. Dieser MemberValue kommt den Eigentümern auf dreifache Art und Weise zugute: Der unmittelbare MemberValue entsteht aus der Leistungsbeziehung, Bankdienstlistungen mit definierter Qualität und Konditionen. Er korrespondiert also mit der Kundeneigenschaft. Der mittelbare MemberValue entspricht der ausgeschütteten Verzinsung des eingebrachten Kapitals, der Dividende. Er korrespondiert mit der Eigentümereigenschaft. Der nachhaltige MemberValue entspricht einem Optionsnutzen der Kooperation und korrespondiert mit Investitionen in Kooperationsinfrastrukturen, z. B. in die Sicherungseinrichtung des genossenschaftlichen FinanzVerbundes. Die Orientierung am MemberValue entspricht der Orientierung am ShareholderValue einer börsennotierten Aktiengesellschaft. Die strategische Orientierung an wertschaffenden Aktivitäten bildet die gemeinsame Klammer. Hingegen zeichnet sich der MemberValue dadurch aus, dass die starken kurzfristigen Finanzmarkteffekte des ShareholderValues keine Bedeutung haben, da für Genossenschaftsanteile kein Markt besteht. Zusätzlich verhindert die genossenschaftliche Akteursidentität die einseitige Konzentration auf die Eigentümer. Die Disziplinierung des Vorsatndes erfolgt durch die Eigentümer direkt. Somit sind das genossenschaftliche Geschäftsmodell und seine spezielle Governance identifiziert: Ein dezentral organisiertes Netzwerk, dessen Kooperationsrente den Eigentümern aus drei Quellen zufließt. Weshalb soll dies vertrauensfördernd sein, wie sich in der Finanzmarktkrise herausgestellt hat?
Vertrauensanker
Alle Befragungen von Bankkunden zeigen, dass sie nach der Krise bestimmten Merkmalen, manchmal sogar bestimmten Werte, mehr Bedeutung schenken wollen als in der Vergangenheit. Zwar kann nicht selbstverständlich davon ausgegangen werden, dass dies einen permanenten Wandel darstellt. Dennoch sollte festgehalten werden, dass es sich dabei um Sicherheit und Stabilität, Langfristigkeit, Verlässlichkeit, Nähe und Möglichkeit zur Kontrolle handelt. Zusammengefasst wird Vertrauenswürdigkeit gefordert. Nun ist Vertrauen in ökonomischen Kategorien eine kostensenkende und sicherheitsfördernde Institution. Beides ist für Bankbeziehungen, in Banken und im Banksystem sowie für das gesamte Finanzsystem von großer Bedeutung, Nun wird vielfach beklagt, dass durch und in der Finanzmarktkrise das Vertrauen in die Banken verloren gegangen wäre, mit allen negativen Folgen. Wie kann sich Vertrauen bilden, wie kann es gefördert werden? Grundsätzlich sind zwei Wege möglich. Der erste besteht darin, die Handelnden und ihr Tun persönlich einschätzen zu können, Erfahrung mit ihnen gemacht zu haben, also ihre Vertrauenswürdigkeit. Dies erfordert Nähe. Also wird es häufig nicht möglich sein, Vertrauen kurzfristig aufzubauen. Menschen suchen daher in Angelegenheiten, die ihnen wichtig sind, einen Ersatz für die eigene Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit. Einen solchen Ersatz bezeichne ich als Vertrauensanker. Vertrauensanker können anonymisiertes Vertrauen ermöglichen, das losgelöst von einzelnen Menschen entstehen und bestehen kann, eine Art Organisations- oder Systemvertrauen. Ein konsistentes Geschäftsmodell, das auf Langfristigkeit, Selbsthilfe und Eigenverantwortung aufgebaut ist, kann ein solcher Vertrauensanker sein. Es entspricht dem genossenschaftlichen Geschäftsmodell und es entspricht den aktuell als wichtig eingeschätzten Werten. Zusätzlich kommen die Nähe vorwiegend lokal und regional orientierter Bankaktivitäten sowie persönliche Erfahrungen mit den Entscheidungsträgern hinzu. Sie verhindern es, dass sich Informationsasymmetrien großen Ausmasses aufbauen, wie sie im Kern der Finanzmarktkrise wirkten. Vor diesem Hintergrund ist es also nicht überraschend, dass Genossenschaftsbanken mit ihrem FinanzVerbund sich in der Finanzmarktkrise als sehr wettbewerbsfähig herausgestellt haben. Nun gilt es, an ihren komparativen Vorteilen festzuhalten, sie zu schärfen und sie entsprechend selbstbewusst zu kommunizieren.
„Vor diesem Hintergrund ist es also nicht überraschend, dass Genossenschaftsbanken mit ihrem FinanzVerbund sich in der Finanzmarktkrise als sehr wettbewerbsfähig herausgestellt haben.“
Unangenehme Überraschungen sind trotzdem nicht auszuschließen. Die sogenannten Stresstests belegen, dass die beiden genossenschaftlichen Spitzeninstitute aufgrund ihrer Staatspapierportfolios nicht besonders gut aussehen. Ihre „konservative“ Anlage könnte bei einer vorhersehbaren Wertberichtigung in Flammen stehen.
Und wie sieht es bei den großen Volksbanken aus? Ich fürchte: nicht besser!