Teamorder im Hochleistungssport

Auch wenn die Formel 1 aktuell pausiert – das nächste Rennen findet am 29.08.2010 in Belgien statt –, werden die Ereignisse des Großen Preises von Deutschland die Teams wie auch die Medien weiter beschäftigen: Ferrari-Pilot Massa wurde in Führung liegend per Funk dazu aufgefordert, seinen Teamkollegen Alonso überholen zu lassen. In der Königsklasse des Motorsports sind derartige Absprachen (Teamorder) innerhalb einer Mannschaft derzeit verboten. Neben einer Geldstrafe in Höhe von 100.000 EUR drohen dem Rennstall nun weitere Strafen, über die der FIA-Weltrat Anfang September berät.

Ereignisse wie das in Hockenheim lassen die Diskussion um die Auswirkungen interner Absprachen im Profi-Sport nun wieder aufflammen. Bei einer derartigen Diskussion ist jedoch zunächst zwischen Individual- und Teamsportarten zu unterscheiden. Letztere wie bspw. Fußball oder Handball zeichnen sich gerade dadurch aus, dass innerhalb einer Mannschaft kooperiert wird, um einen Gegner zu besiegen. Im Falle von Individualsportarten ist per Definition jeder Athlet alleine für seine Leistung verantwortlich. Beispiele lassen sich u. a. in der Leichtathletik (Wurfdisziplinen etc.) finden. Neben diesen beiden Polen können weiterhin Hybridformen wie der Radsport ausgemacht werden. So kann der Titel eines Tour de France-Siegers nur an einen einzelnen Sportler vergeben werden, was für eine Individualsportart spricht, er wird bei seiner Fahrt jedoch von einem Team unterstützt („Wasserträger“, Helfer). Automobilrennen, bei denen mehrere Fahrer einem Team angehören, fallen prinzipiell ebenfalls in die Gruppe der Hybridformen. Das Beispiel des Radsports zeigt indes, dass Absprachen bzw. eine klare Hierarchie nicht in allen Sportarten verboten sind bzw. durch die Konsumenten abgelehnt werden.

Im Wesentlichen lassen sich drei mögliche, negative Auswirkungen von Teamabsprachen auf den Sport identifizieren: (i) der Verlust sportlicher Integrität, (ii) Probleme bei der Produktion des Gutes „Spannung“ sowie (iii) mögliche negative Auswirkungen auf den Markt für Sportwetten.

Ad (i): Im Sport treten nach herrschender Meinung mehrere Athleten bzw. Mannschaften gegeneinander an, von denen der bzw. die beste den Sieg erringt. Abweichungen von dieser Regel werden gesellschaftlich nicht anerkannt; man spricht in diesem Fall von einem „unverdienten“ oder „geschenkten“ Triumph. Wenn durch Absprachen bzw. Weisungen der Teamleitung wie im Falle Ferraris der mögliche Sieg durch einen der Aktiven selbst und bewusst abgegeben wird, so kann dies als unredlicher Wettkampf aufgefasst werden und damit den Werten des Sports, die ihm gesellschaftlich zugeschrieben werden, widersprechen. Die Vorbildfunktion (Fairness, Akzeptieren von Niederlagen) könnte in letzter Instanz in Frage gestellt werden. Sofern wirtschaftliche Gründe für die Absprachen verantwortlich sind, können Kritiker dieses Vorgehens begründet von einer endgültigen Kommerzialisierung des Sports sprechen.

Ad (ii): Zu den zentralen Qualitätsmerkmalen moderner sportlicher Wettkämpfe gehört das Spannungsmoment. Dies gilt für einzelne Spiele (Unsicherheit des Ausgangs) ebenso wie für eine vollständige Saison (competitive balance). Durch öffentlich bekannte und explizite Absprachen kann diese Spannung reduziert werden, was zu einem Attraktivitätsverlust des Wettbewerbs führt. Die Unsicherheit des Ausgangs bzw. die langfristige Ausgeglichenheit einer Liga (Turniers) ist allerdings ein Kollektivgut. Demnach wäre von einem möglichen Rückgang des öffentlichen Interesses nicht nur das Team betroffen, das die Absprachen vornimmt, sondern eine große Gruppe von Athleten, die somit einen negativen externen Effekt der Produktion ausgesetzt ist.

Ad (iii): Schließlich können implizite wie explizite Absprachen zu Verzerrungen auf dem Wettmarkt führen. So ist es denkbar, dass Wetten auf bestimmte Ergebnisse nicht mehr angeboten werden, da öffentlich bekannte Teamorder bestimmte Ergebnisse verhindern oder zumindest ihre Eintrittswahrscheinlichkeit verringern. Sofern Fernando Alonso als Favorit auf den Weltmeistertitel gilt, wäre ein Sieg seines Teamkollegen Massa nur dann möglich, wenn der Spanier entweder ausgeschieden oder aber weit hinter seinem Teamkollegen plaziert ist. Ein Rennausgang, bei dem Massa vor einem Zweitplazierten Alonso siegt, ist de facto unmöglich. In Extremfällen könnte dies sogar zum vollständigen Rückzug von Sportwettanbietern aus einzelnen Wettbewerben bzw. Disziplinen kommen.

Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage nach der Notwendigkeit einer staatlichen Intervention auf.

Das erste Argument kann eine derartige Intervention nicht rechtfertigen, da es nicht Aufgabe des Staates sein kann, die Integrität sportlicher Wettbewerbe sicherzustellen, um auf diese Weise die Qualität dieser Unterhaltungsdienstleistung zu erhöhen. Zudem ist (i) die Zusammenarbeit mehrerer Akteure auch in einer Vielzahl vermeintlicher Individualsportarten elementarer Bestandteil und (ii) dürfte es äußerst schwerfallen, eine Abgrenzung zwischen reinen Individualsportarten, Teamsportarten und den angesprochenen Hybridformen vorzunehmen: Inwieweit unterscheidet sich ein Radrennen vom Motorsportrennen? In beiden Fällen sollte es möglich sein, daß im Vorfeld der Saison ein Aktiver als Mannschaftskapitän ausgewählt wird, dem alle anderen Teammitglieder zur Unterstützung verpflichtet sind. Ein Verlust an Wettkampforientierung in der Form, daß nicht immer der beste Athlet eines Tages gewinnt, würde in diesem Fall durch eine gesteigerte Mannschaftsorientierung ausgeglichen, die ebenfalls einen gesellschaftlichen Wert darstellt.

In Bezug auf einen möglichen Attraktivitätsverlust sind die Konsumenten bzw. deren Vorstellungen zu hinterfragen. So ist das notwendige Maß an Unsicherheit als Einflußgröße auf die Nachfrage bis heute umstritten. Bereits in der Vergangenheit hat sich gezeigt, daß Veranstalter und Verbände bereit sind, Regeländerungen zu implementieren, sofern diese die Vermarktung vereinfachen und das Produkt „Hochleistungssport“ attraktiver gestalten. Zweifellos werden die Verantwortlichen auch bereit sein, Teamorder zu verbieten, sofern die Konsumenten entsprechende Präferenzen hegen. Eine Verallgemeinerung für eine Vielzahl von Sportarten ist an dieser Stelle jedoch nicht möglich; stattdessen muß für jede Disziplin eine individuelle Prüfung vorgenommen werden. Eine staatliche Intervention kann somit dieses Argument auch nicht rechtfertigen, zumal subsidiäre Lösungen durch den Veranstalter oder den Verband möglich sind.

Für einen Verband oder den Veranstalter gibt es kaum Anreize, Teamorder wegen möglicher negativer Effekte auf den Wettmarkt zu unterbinden. Eine Ausnahme mag vorliegen, sofern ein privater Wettanbieter bspw. als Sponsor tätig ist. Aus staatlicher Perspektive kann der Wettmarkt schon heute als streng reguliert gelten. Durch Absprachen innerhalb eines Teams besteht praktisch nur die Gefahr eines verringerten Angebots. Da es sich bei Sportwetten jedoch wohl kaum um ein meritorisches Gut handelt, läßt sich auch hieraus keine Notwendigkeit eines staatlichen Eingriffs ableiten.

Insgesamt ist somit die vermeintliche Problematik durch die Veranstalter oder die betreffenden Sportverbände zu lösen; ein Bedarf an staatlicher Intervention ist hierbei nicht erkennbar!

Freilich stößt die Umsetzung eines Verbots von teaminternen Absprachen auf große Schwierigkeiten: Den Fehler, einen Fahrer per Funk dazu aufzufordern, sich überholen zu lassen, wird in Zukunft sicherlich kein professioneller Rennstall mehr begehen. Stattdessen werden andere Mittel und Wege gefunden werden, Absprachen im Wettkampf umzusetzen.

Frank Daumann

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