Das Internet und die sozialen Medien haben die Medienlandschaft radikal verändert. Hatte man zunächst geglaubt, dass dies die Gesellschaft weiter demokratisieren würde, so stellt man heute fest, dass die neue Medienlandschaft die Menschen bezüglich der Grundüberzeugungen einer liberalen und rechtsstaatlichen Demokratie entwurzelt. In die daraus entstehende Orientierungslosigkeit stoßen bewusst und aggressiv die Feinde der Demokratie im inneren ebenso wie im äußeren. Russland, China und auch die neue Trump-Administration in den USA versuchen aktiv, auf diesem Wege die liberalen und rechtsstaatlichen Demokratien in ihren Grundfesten zu erschüttern. Wir dürfen diesem Spiel nicht einfach untätig zusehen, sondern müssen aktiv darauf reagieren.
1 Der weltweite Rückzug der Demokratie
Die Zahl der liberalen Demokratien geht seit rund 15 Jahren weltweit zurück. Das Gleiche gilt für die Zahl jener Menschen, die das Glück haben, in einer solchen zu leben. Über die Frage, warum Demokratien nicht nur von außen, sondern gerade auch von innen zunehmend unter Druck geraten, ist inzwischen viel geschrieben worden. Regelmäßig steht dabei die Anziehungskraft populistischer Parteien und Politiker im Zentrum der Erklärungen. Dafür wird nicht zuletzt die radikale Veränderung des Medienkonsums hin zum Internet verantwortlich gemacht. Dort bilden sich Meinungsblasen, weil die Algorithmen erstens die Themen in ihrer Wahrnehmungsintensität verstärken, und weil sie zweitens die Menschen systematisch der jeweils passenden Meinungsblase zuordnen, so dass diese von der Konfrontation mit anderen Meinungen verschont bleiben, welche der Konsum traditioneller Medien zwangsläufig mit sich brachte.
Alles das ist bekannt und spielt zweifellos eine wichtige Rolle. Aber seit längerem bilden sich Meinungsblasen schon nicht mehr allein als Nebenwirkungen kommerziell konzipierter Algorithmen. Vielmehr versuchen Autokraten gezielt und massiv, die Meinungsbildung in den sozialen Medien zu manipulieren. Bis vor kurzem waren dies vor allem China und Russland. Aber mit der Trump-Administration und ihrem geistigen Umfeld ist inzwischen ein neuer Spieler hinzugekommen, der lautstark und gegen jede diplomatische Gepflogenheit die Werbetrommel zugunsten von Rechtspopulisten und Rechtsradikalen schlägt.
In diesem Zusammenhang ist der Auftritt von US-Vizepräsident J. D. Vance auf der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar 2025 zu sehen. Dort bekundete Vance Sorge um die europäischen Demokratien und diagnostizierte aus seiner Sicht bedenkliche Einschränkungen der Meinungsfreiheit in Europa. Dies verlief parallel zu den AfD-Wahlaufrufen von Elon Musk für die AfD sowie zu dessen Gespräch mit Alice Weidel auf seiner Plattform X. Dass Präsident Trump im eigenen Land zugleich alles daransetzt, nicht allein die Unabhängigkeit der Justiz, sondern auch die Meinungsfreiheit einzuschränken und dabei Meinungsgegner massiv einzuschüchtern, stört sie dabei nicht.
2 Von Putin fest im Blick: Rumänien und Georgien
Regelrecht im Konzert mit Putin ist schließlich die Einflussnahme auf die Präsidentenwahl in Rumänien zu sehen. Dort hatte Russland derart massiv in die öffentliche Meinungsbildung eingegriffen, dass der bis dahin politisch völlig unbedeutende prorussische Rechtsradikale Calin Georgescu die relative Mehrheit bei den Präsidentschaftswahlen von 2024 gewann. Der rumänische Verfassungsgerichtshof ordnete daraufhin eine Wahlwiederholung an. Der Hintergrund war, dass mehrere Tausend bisher inaktive Tiktok-Konten plötzlich Georgescu-Wahlwerbung verbreiteten, ein einziger Tiktok-Account über 300.000 € an Influencer gezahlt hatte und Georgescu hierzu falsche Angaben gemacht hatte, weshalb auch die Generalstaatsanwaltschaft gegen ihn ermittelt. Dabei geht es nicht zuletzt um Georgescus Kontakte zu einer dubiosen Person namens Horatiu Potra, der in großen Mengen Geld und Waffen sammelt und im Verdacht steht, Söldnermilizen im Kongo und anderswo zu betreiben. Georgescu, der einflussreiche Faschisten aus den 1930er Jahre zu seinen Vorbildern zählt, hatte gegen die Entscheidung des rumänischen Verfassungsgerichtshof beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geklagt, doch wurde die Klage abgewiesen, so dass nun für den 4. Mai 2025 die verordnete Wahlwiederholung wirksam wird, in der er als Kandidat inzwischen nicht einmal mehr zugelassen ist.
Nun sind die bisher regierenden Entscheidungsträger in Rumänien selbst nicht direkt als Vorbilder politischer Compliance aufgefallen, was dem ganzen Verfahren auch von dieser Seite her ein Geschmäckle verleiht. Umso mehr ist ein Vergleich mit einem anderen Staat interessant, in dem Russland eine nahezu identische Strategie wie in Rumänien verfolgt hat: in Georgien nämlich. Dort war die Konsequenz, dass die prorussische Partei „Georgischer Traum“ mit Irakli Kobachidse als Premierminister und dem im Hintergrund die Strippen ziehenden prorussischen Oligarchen Bidsina Iwanischwili im Zusammenhang mit offenkundiger Wahlmanipulationen die Parlamentswahl von 2024 gewonnen hatte. Als einziges Verfassungsorgan versuchte die seinerzeitige georgische Präsidentin Salome Surabischwili, sich dem Treiben entgegenzustellen, wurde aber in der Präsidentschaftswahl im Dezember 2024 abgewählt, nachdem die Oppositionsparteien die Präsidentschaftswahl boykottiert hatten, wobei sie ohnehin machtlos gegen die Mehrheit gewesen wäre, welche die Wahlmanipulation mit russischer Unterstützung dem Georgischen Traum beschert hatte. Seither hat eine mit dem kriminellen Milieu verbandelte und von Russland massiv unterstützte georgische Regierung, welche in beiderlei Hinsicht an den rumänischen Präsidentschaftskandidaten Georgescu erinnert, freies Spiel in ihrem stramm antiwestlichen und antidemokratischen Kurs, welcher inzwischen bis ins Detail der schrittweisen Autokratisierung Russlands gleicht. Im Augenblick sieht alles danach aus, dass Georgien denselben Weg in die Diktatur gehen wird wie Putins Russland.
Der Vergleich von Rumänien und Georgien zeigt: Georgien ist bis auf weiteres für die liberale und rechtsstaatliche Demokratie verloren (auch wenn man die Hoffnung nicht aufgeben darf). Rumänien ist es dagegen vorerst nicht. Zugleich entsprach aber das Prozedere in Rumänien selbst wiederum nicht dem, was man von einem liberalen Rechtsstaat erwarten muss. Dies wirft die Frage auf, ob und wie wir uns gegen die Angriffe auf die Demokratie erwehren können, ohne selbst dazu den Rahmen der rechtsstaatlichen Demokratie zu verlassen.
Diese Frage wird zunehmend dringlich, weil China und vor allem Putins Russland immer aggressiver jene Strategie verfolgen, welche sie mit Erfolg in Georgien und vorerst ohne Erfolg in Rumänien verfolgt haben: die liberalen Demokratien zu destabilisieren und damit ihre neo-imperialen Ziele zu verfolgen. Das gilt künftig möglicherweise auch für die USA, denn auch Vance und Musk haben die rumänische Abwehrstrategie massiv und lautstark zugunsten des rechtsradikalen Georgescu zu diskreditieren versucht, während sie gegen das russische Vorgehen in Rumänien offenbar ebenso wenig einzuwenden hatten wie gegen jenes in Georgien, wohl aber gegen die Entscheidung des rumänischen Verfassungsgerichtshofs. In jedem Falle führen uns das rumänische ebenso wie das georgische Beispiel vor Augen, wie externe Feinde der Demokratie mit Hilfe der sozialen Medien massiven Einfluss auf die Wahlausgänge in den liberalen und rechtsstaatlichen Demokratien mit der Folge zunehmender Destabilisierung ausüben können.
3 Meinungsbildung damals und heute
Vor dem beschriebenen Hintergrund dürfte es sich lohnen, noch einmal ganz grundsätzlich über die Prozesse der öffentlichen Meinungsbildung in unseren liberalen Demokratien in den Zeiten der sozialen Medien nachzudenken. Dabei kommt man an einer unangenehmen Einsicht nicht vorbei. Sie lautet: Die öffentliche Meinungsbildung hat mit oder ohne soziale Medien mit Rationalität leider nicht viel zu tun. Das wissen wir aufgrund von theoretischen Erkenntnissen ebenso wie aufgrund empirischer Beobachtung. Die individuelle Wahlentscheidung ist für den Ausgang einer Wahl fast völlig unbedeutend, und das Wissen darum lässt sich auch durch noch so gutgemeinte, aber doch kontrafaktische Behauptungen nicht aus der Welt schaffen. Dieser bekannte Umstand, in Verbindung mit allerlei epidemisch wirkenden Peer-Effekten auf der Basis von vordergründig perfekt einleuchtenden Mythen, Denkfehlern und Verschwörungstheorien kann leicht ein Umfeld schaffen, in dem auch gebildete und intelligente Menschen unerschütterlich zu ihrem Glauben an die absonderlichsten Dinge stehen.
Das wäre alles noch nicht schlimm, wenn daraus keine Wahlentscheidungen folgten. Und selbst das wäre vielleicht noch beherrschbar, wenn sich diese Wahlentscheidungen im Rahmen unseres demokratischen Rechtsstaats bewegten, wie es jahrzehntelang der Fall war. Aber heute werden die Grenzen dieses Rahmens zunehmend ausgetestet, und zwar mit freundlicher Unterstützung der Autokraten in Moskau, Peking und leider auch von Trump und seinen Getreuen in Washington. Tatsächlich gab es Zeiten, in denen alle diese Dinge bestenfalls ein Schattendasein fristeten, obwohl sich die öffentliche Meinungsbildung damals auf nicht weniger irrationalem Verhalten gründete, weil doch die Menschen keine grundsätzlich anderen waren als heute. Für die meisten westlichen Länder war dies die Zeit zwischen dem Zweiten Weltkrieg und dem Aufkommen der sozialen Medien. Aufgrund des sehr unterschiedlichen Medienumfelds hielten sich seinerzeit die Auswirkungen irrationalen Verhaltens im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozessen in einem Rahmen, der insgesamt sogar integrierend wirkte.
Man mochte an wirre Verschwörungen glauben, und das taten damals wie heute nicht wenige. Aber die Quellen der Informationen, aus denen sie schöpfen konnten – seien es Radio, Fernsehen, Printmedien, Parteien und Politiker oder auch Lobbyisten – waren fast alle institutionell eingebunden in den Grundkonsens der liberalen und rechtsstaatlichen Demokratie. Alle Informationen gingen deshalb durch diesen Filter, bevor sie bei den Bürgern ankamen, und zwar mit dem Ergebnis, dass sie immer auch eine wichtige Information mittransportierten: nämlich die Information darüber, was im Sinne des demokratischen und rechtsstaatlichen Grundkonsens akzeptabel ist und was nicht.
Technisch gesehen, erzeugten die Informationsprozesse auf diese Weise Peer-Effekte mit dynamisch stabilen Gleichgewichten innerhalb des Grundkonsens der liberalen Demokratie. Dies konnte selbst dann funktionieren, wenn erhebliche Teile der Bevölkerung alles andere als eine rationale Meinungsbildung vollzogen und viele gar an wilde Verschwörungstheorien glaubten. Fast alle von ihnen fanden sich am Ende doch immer wieder Rahmen des Grundkonsens der rechtsstaatlichen Demokratie wieder.
Hierzu gehörte auch, dass jeder junge Schüler in Deutschland lernte – und im Wesentlichen auch akzeptierte –, dass Qualitätsjournalismus mit einer mindestens leidlich guten regionalen Tageszeitung anfängt und zum Beispiel in einem bekannten überregionalen Boulevardblatt eher nicht anzutreffen war – und das unabhängig davon, ob man das Boulevardblatt las oder nicht (wenn man das tat, dann übrigens sowieso nur wegen des Sportteils…). Dagegen geben heute über 50 Prozent der Jungwähler zwischen 16 und 24 Jahren an, Tiktok als Hauptinformationsquelle zu nutzen, und es erscheint nicht so, als ob ihnen deren fehlende Eignung in einer dem Boulevardblatt vergleichbaren Weise bewusst oder gar peinlich wäre. Zugleich sind die sozialen Bindungen an Parteien weitgehend verlorengegangen, welche mit dem jeweils eigenen sozialen Umfeld einmal assoziiert waren. Schließlich gibt es in den sozialen Medien nichts, was mit der beschriebenen Filterfunktion vergleichbar wäre. Letzteres erweiterte zunächst den Raum für individuell variierende Meinungen und schien insoweit sogar ein Gewinn für die Demokratie zu sein. Doch hat sich die Aussicht auf einen solchen Gewinn sehr weitgehend als Illusion erwiesen. Stattdessen hat der erweiterte Raum vor allem eines erzeugt: Orientierungslosigkeit.
Diese Orientierungslosigkeit verwischte in den Augen der Bürger die Grenzen des Rahmens der liberalen und rechtsstaatlichen Demokratie, was mit einem verbreiteten Verlust der Fähigkeit einherging, zu unterscheiden zwischen solchen Politikern und Parteien, die sich innerhalb dieses Rahmens bewegen, und solchen, die dies nicht tun. Im Ergebnis finden wir eine Perspektive des anything goes, und zwar gleichermaßen im Bereich der Informationsquellen und im Bereich politischer Parteien oder Amtsträger. Technisch gesehen hat dies die Fähigkeit des medialen Umfelds zerstört, zuverlässig ein dynamisch stabiles Gleichgewicht der Peer-Effekte zu etablieren, welches sich im Grundkonsens der liberalen Demokratie befindet. Stattdessen erlaubt es erstens erratische Sprünge von Teilgruppen der Bevölkerung in solche Gleichgewichte, welche weit jenseits des liberalen und demokratischen Grundkonsens liegen und sich, einmal etabliert, als ebenso dynamisch stabil erweisen können wie jene, die zuvor im demokratischen Grundkonsens lagen. Zweitens eröffnet es den Gegnern der liberalen Demokratie vielfältige Möglichkeiten, durch gezielte Manipulation des medialen Meinungsbildungsprozesses auf den Wechsel auf solche Gleichgewichte hinzuarbeiten. Genau das tun Putin und die anderen Autokraten, und das verschafft ihnen freien Durchgang bis tief hinein in den Maschinenraum demokratischer Resilienz.
4 Was tun?
Das alles ist Grund genug, diesem bedrohlichen Treiben nicht weiter untätig zuzuschauen. Aber was könnten wir tun? Zunächst einmal scheint es durchaus angebracht, ungeachtet bestehender Regeln über die Frage nachzudenken, was einer liberalen Demokratie unter den neuen Bedingungen Widerstandskraft gegenüber den Angriffen der antiliberalen Demokratiefeinde verleihen kann. Hierzu halten wir fest: Es sind drei Gruppen, die im Zusammenhang mit den beschriebenen Prozessen von Bedeutung sind: erstens die Medienanbieter als diejenigen, die einerseits Informationen anbieten, damit andererseits aber auch durch Manipulation zur Desorientierung und Destabilisierung beitragen können; zweitens die Bürger als Nachfrager von Politik; und drittens die Politiker und Parteien als Anbieter politischer Programme und Prozesse.
Was die Medienanbieter angeht, so lässt sich die – scheinbar – heile Welt der Vergangenheit wohl nicht mehr zurückholen. Die persönliche Meinungsfreiheit außerhalb der Medienschaffenden, Politiker und Lobbyisten war vor dem Erscheinen der sozialen Medien im Wesentlichen auf die freie Meinungsäußerung im privaten Kreis beschränkt. Wer darüber hinaus öffentlich wahrgenommen werden wollte, musste durch den Filter der Verlage oder Medienanstalten gehen, welche ihrerseits größtenteils in den Grundkonsens über den Rahmen der liberalen Demokratie eingebunden waren. In Internet und speziell in den sozialen Medien gibt es einen solchen Filter nicht mehr. In welcher Form man auch immer daran denken mag, einen solchen in den Weiten des Cyberspace doch wieder einzuführen, erzeugt nicht allein jenen Vorwurf der Zensur, den Vance in München schon geäußert hatte – das könnte man ja aushalten. Vielmehr erzeugt er auch unkontrollierbare Ausweichreaktionen, die sich dem Zugriff jedweder Filter entziehen. Effektiv verhindern lässt sich letzteres nur in Autokratien.
Der Versuch, die Nachfrager nach Politik wieder in jene sozialen Bindungen hineinzuzwängen, wie sie vor dem Erscheinen der sozialen Medien einmal existiert hatten, erscheint ebenfalls weitgehend zwecklos. Auch hier liegt zurecht der Vorwurf mangelnder Demokratie nahe. Zwar hat es Vorschläge wie jenen des amerikanischen Philosophen Jason Brennan gegeben, wonach das Wahlrecht an eine zuvor nachzuweisende Qualifikation zu binden sei. Aber selbst, wenn man einen solchen Vorschlag grundsätzlich ernstnehmen wollte, scheitert er allein schon daran, dass eine qualifizierte Bildung keineswegs davor schützt, an absonderliche Theorien und Verschwörungen zu glauben.
Dann bleiben schließlich noch die Anbieter von Politik. Rechtlich gilt hier das passive Wahlrecht unserer Verfassung ganz analog zum aktiven, und zwar weitgehend unabhängig von der Qualifikation oder der Verfassungstreue. Hier könnte man ansetzen, denn das unbeschränkte aktive Wahlrecht hat für die Demokratie am Ende wohl doch eine größere Bedeutung als das passive. Mit Blick auf die Verfassungstreue von Parteien gibt es zwar durchaus Grenzen, denn Parteien können verboten werden. Aber die Hürden dafür sind sehr hoch, und dafür gibt es einerseits gute Gründe. Andererseits sollten die geschilderten Entwicklungen Anlass genug zum Nachdenken darüber sein, ob es nicht auch gute Gründe dafür gibt, diese Hürden tiefer zu hängen. Ebenso könnte es Anlass genug sein, über eine notwendige und womöglich durchaus strenge Prüfung der nachhaltigen Verfassungstreue von Personen nachzudenken, die sich für politische Ämter in der Legislative oder der Exekutive bewerben. Jeder Arzt, jeder Pilot und jeder Gasinstallateur muss ganz selbstverständlich eine Qualifikation nachweisen, welche weitgehend ausschließt, dass die betreffende Person zum Sicherheitsrisiko wird. Ganz analog ist ein politischer Amtsträger, dessen Absicht es ist, unsere freie Ordnung abzuschaffen, auch ein Sicherheitsrisiko.
Eine solche Argumentation pauschal unter Verweis auf das passive Wahlrecht zurückzuweisen, wäre daher voreilig. Denn es wirft die Frage auf, ob es wirklich verfassungsrechtlich geboten sein kann, dass wir uns von gesichert rechtsextremen Feinden unserer liberalen und rechtsstaatlichen Demokratie wie Björn Höcke und Maximilian Krah und ihren Freunden aus der militanten Neonaziszene mit dem erklärten Ziel auf dem Kopf herumtanzen lassen müssen, die Grundlagen unseres demokratischen Grundkonsens wegzuspülen. Schließlich wirft es die Frage auf, ob es sein kann, dass wir unter Verweis auf das nahezu unbeschränkte passive Wahlrecht zur Untätigkeit verdammt sind gegenüber einer Partei, die in weiten Teilen als gesicherter Feind ebenjener Verfassung Sperrminoritäten und in absehbarer Zeit vermutlich auch absolute Mehrheiten missbrauchen wird, um unser Land zu lähmen, den Aufbau unserer gerade existenziell wichtigen Verteidigungsfähigkeit zu blockieren, uns womöglich eines Tages aus der EU und der NATO zu katapultieren und schließlich auf den derzeitigen georgischen Pfad zu setzen.
Gewiss, man kann immer damit argumentieren, dass es sich auch dann um demokratisch bestimmte Sperrminoriten oder gar um absolute Mehrheiten handelt. Aber hier scheinen altbekannte Grenzen dessen auf, was in einem demokratischen Rechtsstaat per Mehrheit bestimmt werden darf und was nicht. Prominent kennen wir dabei das ganze Spektrum der relativen, absoluten und qualifizierten Mehrheiten sowie der Rechtsvorschriften unseres Grundgesetzes mit Ewigkeitsklausel. Hier wird auch nicht immer einfach alles nach Belieben akzeptiert, weil eine wie immer definierte Mehrheit dies gerade will. So funktioniert eine rechtsstaatliche Demokratie aus gutem Grunde nicht. Es sind daher auch nicht zufällig die Populisten, die uns weismachen wollen, dass in der Demokratie allein das Mehrheitsprinzip gültig sein dürfe. In Wirklichkeit ist es aber so, dass der demokratische Rechtsstaat von einem ausgewogenen Verhältnis von Mehrheits- und Rechtsstaatsprinzip lebt, und das erzeugt gelegentlich auch einen Konflikt zwischen beiden Prinzipien.
Es ist gewiss mit erheblichen Problemen verbunden, Verfahren zu finden, nach denen die substanzielle Verfassungstreue von Parteien und Personen effektiv und in hinreichend engen Grenzen geprüft werden kann, ohne dabei das Demokratieprinzip und damit den grundsätzlich freien Zugang zur Bewerbung um öffentliche Ämter zu beschränken. Aber es befriedigt auch nicht, dass wir im Namen des grundsätzlich freien Zugangs zu öffentlichen Ämtern vor allem jenen Personen und Parteien den Weg ebnen, die nichts anderes im Sinn haben als ebenjene liberale und rechtsstaatliche Demokratie zu zerstören, die sie an die Macht bringt. In Rumänien ist ein solcher Versuch gerade verhindert worden – allerdings mit einem Hintergrund, der selbst Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit aufkommen lässt. Dennoch hat dieses Land eine gute Chance, sich weiterhin in Richtung auf einen stabilen und liberalen demokratischen Rechtsstaat hinzubewegen. In Georgien hat man nichts gegen die Demokratiefeinde getan, was dann selbst rechtsstaatlich fragwürdig hätte erscheinen können. Aber gerade das hat den Weg in eine düstere Zukunft geebnet. Es muss noch einen dritten Weg geben, und wir tun gut daran, nach ihm zu suchen.
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