Sollten Sie, lieber Blog-Leser, im Jahr 2011 Ihren 47. Geburtstag feiern, dann kann man Ihnen nur gratulieren: Denn von nun an geht’s bergauf. Gerade haben Sie das mieseste, freudloseste Jahr Ihres Lebens hinter sich. Jetzt kann es nur besser werden. Wie, das haben Sie noch gar nicht gemerkt. Dann schauen Sie sich doch einmal diese Kurve an, die der britische „Economist“ gerade in seiner Jahresendausgabe gedruckt hat.
Die Lebenszufriedenheit gemessen über den Lebenszyklus verläuft U-förmig. Oder anders gesagt: In jungen Jahren sind die Leute optimistisch und guten Mutes. Dann, in der Mitte des Lebens, nimmt der Stress zu und mit ihm die Unlust. Die Erfahrung der sogenannten Midlife-Crisis hat das immer schon geahnt. Das bleibt aber nicht immer so. Mit 47 Jahren da fängt dass Leben erst richtig an (nicht erst mit 66, wie Udo Jürgens meint). Dann kehrt der Trend sich um und Ausgeglichenheit kehrt ein. Diese Erkenntnis ist der neueste Hit, den die psychoökonomischen Glücksforscher (eine Lieblingsbeschäftigung von Ökonomen) derzeit herum reichen. Tröstlich ist es allemal für alle: Denn alle werden wir ja älter.
Intuitiv würden die meisten Menschen die Kurve vermutlich linear fallend von links nach rechts zeichnen. Schon der römiosche Schriftsteller Terenz meinte: Senectus ipsa morbus est. Das Alter ist an sich schon eine Krankheit. Auch diese Lebensweisheit holen die heutigen Glücksforscher ein: Fragt man eine Kohorte von 30jährigen und eine Kohorte von 70jährigen, welche der beiden Gruppen sie am glücklichsten schätzen, tippen beide Kohorten auf die Dreißigjährigen. Beide teilen offenbar den verbreiteten Jugendwahn. Lässt man dagegen beide Gruppen auf einer Skala von 1 bis 10 in kurzen Abständen abtragen, wie zufrieden sie sich jetzt aktuell fühlen, dann schneiden die 70jährigen gemäß eigener Einschätzung besser ab als die 30jährigen gemäß ihrer Selbsteinschätzung.
Diesen Widerspruch zwischen allgemeinem Glücksempfinden und täglicher Zufriedenheit aufgedeckt und aufgelöst zu haben, ist einer der großen Einsichten der neueren Glücksforschung, die wir dem Altmeister Daniel Kahneman verdanken. Das Standardbeispiel sind Kinder. Gefragt, ob Kinder glücklich machen, antwortet eine große Mehrheit von Eltern mit Ja. Aufgefordert, die eigene Zufriedenheit mit den Kindern auf der Zehnerskala Tag für Tag abzutragen, geben die Leute dann freilich zu, dass die nervenden kleinen (oder adoleszenten) Balgen alles andere als große Glücksbringer sind. Machen Kinder also nun glücklich oder nicht? Die Lösung heißt: Generell bereichern sie die Sinnerfülltheit des Lebens, auch wenn sie im Alltag viel Ärger bringen (und ihr Glückspotential für ihre Eltern am besten entfalten, wenn sie aus dem Haus sind).
Entscheidend ist gemäß der Persönlichkeitstheorie von Kahneman die Unterscheidung zwischen einem Erfahrungsselbst und einem Erinnerungsselbst. Wir erleben Dinge anders als wir sie erinnern. Unser Erinnerungsspeicher behält vor allem das jeweilige Ende einer Sequenz im Gedächtnis: Ein Urlaub mag noch so schön gewesen sein, hat es an den letzten Tagen aber geregnet, werden wir das Ganze unter „verunglückt“ ablegen. Das mag man als ungerecht ansehen, aber so sind wir halt. Viele weitere Beispiele kann man sich dazu auf einem unterhaltsamen Kahneman-Video ansehen.
Mit der Unterscheidung zwischen Erfahrungs- und Erinnerungsselbst wird man wohl auch den Widerspruch zwischen einer erinnerten Verklärung der Jugend und einer erfahrenen Selbstzufriedenheit im Alter (also wohlgemerkt alles, was nach dem 47. Geburtstag kommt!), erklären können. Wir erinnern uns als junge Helden (die wir natürlich nie waren) und unterschlagen die Altersgelassenheit, aus der heraus der über Fünfzigjährige weiß: Du kannst es nicht allen Leuten zu jeder Zeit recht machen.
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