Spanien, die viertgrößte Volkswirtschaft im Euroraum, ist vom einstigen Wirtschaftswunderland in der Europäischen Union (EU) in der zweiten Hälfte der 1990er und ersten Hälfte der 2000er zu einem Sorgenkind heute geworden. Lange Zeit hatte die spanische Wirtschaft durch Wirtschaftsdynamik geglänzt. Jetzt droht auf unbestimmte Zeit eine Wachstumsschwäche.
Hausgemachte Fehlentwicklungen
Wie anderswo hat auch in Spanien die globale Finanz- und Wirtschaftskrise markante Bremsspuren in der wirtschaftlichen Aktivität hinterlassen. Aber die globale Krise war in Spanien nicht der Auslöser für die eingetretene Stockung. Die spanische Krise ist in erster Linie selbstverursacht und nicht zuletzt der Ausweis von Politikversagen.
Seit Anfang des vergangenen Jahrzehnts war die Wirtschaft von einem starken Bauboom und einer kräftigen Expansion des privaten Verbrauchs angetrieben worden. Die sozialistische Regierung unter José Luis RodrÃguez Zapatero, die nach den Parlamentswahlen im März 2004 die Amtsgeschäfte übernahm, lies die Dinge laufen und setzte mit einer verschwenderischen Ausgabenpolitik des Staates noch einen drauf. Dabei hatte der damals frisch gekürte Ministerpräsident in seiner ersten Regierungserklärung einen Wechsel im Wachstumsmodell der spanischen Wirtschaft angekündigt – weg vom Bausektor und privatem Konsum als Wachstumstreiber und hin zu technologieorientierten Aktivitäten. Es sollte, wie man heute weiß, das erste von zahllosen wirtschaftspolitischen Ankündigungen sein, die Zapatero in seiner inzwischen fast siebenjährigen Amtszeit nicht eingehalten hat. Dies musste zu einem Verlust an Glaubwürdigkeit an den Finanzmärkten – und jetzt auch bis in weite Kreise der Gesellschaft hinein – führen.
Hintergrund der sich aufbauenden Fehlentwicklung war der mit dem Eintritt in den Euroraum im Jahre 1999 verbundene drastische Rückgang der langfristigen Zinsen im Lande – von Sätzen deutlich über 10% auf das vom deutschen Kapitalmarkt determinierte Niveau in der Größenordnung von 3%. In einem gemeinsamen Währungsraum differieren die nationalen Zinssätze nur noch nach Maßgabe der von Anlegern evtl. geforderten Risikoprämie. Bei Spanien waren dies zunächst, dank der kräftigen Wirtschaftsdynamik, nur wenige Zehntel. Da gleichzeitig in Spanien die Inflationsrate höher war als im EWU-Durchschnitt – zum einen wegen des wirtschaftlichen Anpassungsprozesses („Balassa-Samuelson-Effekt“), zum anderen als Folge übermäßig steigender Lohnstückkosten, kam es zu einer mehrjährigen Phase negativer Realzinsen. Negative Realzinsen erzeugen stets starke Anreize zur Verschuldung bei Häuslebauern und Konsumenten und zur hemmungslosen Hypotheken- und Kreditvergabe seitens der Geldinstitute. Angesichts kräftig steigender Preise (zeitweilig mit zweistelligen Jahresraten) für Wohneigentum rechneten sich alle reich. Das Sparen wurde in den Hintergrund gedrängt. Die Kapitalzufuhr aus dem Ausland, besonders aus Deutschland, würde es schon richten, hieß es landauf landab. Das Leistungsbilanzdefizit stieg auf ein historisches Rekordniveau (2008: 9,5 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt). So kam es zu einer unglaublichen Immobilienpreisblase und einen wahren Konsumrausch bei den privaten Haushalten, alles auf Pump finanziert. Das Schuldenproblem in Spanien ist daher nicht nur ein Problem des Staates – das gesamtstaatliche Haushaltsdefizit stieg 2009 auf 11,1 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (der höchste Wert seit der amtlichen Aufzeichnung von Haushaltsstatistiken, beginnend in 1850) und war 2010 mit 9,5 Prozent immer noch extrem hoch. Auch der Privatsektor hat sich übernommen.
Jede spekulative Übertreibung bei Vermögenswerten findet früher oder später, sobald die Erwartungen an den Märkten kippen, ein jähes Ende. So platze auch die Immobilienpreisblase in Spanien in 2007, als die Zinsen infolge geldpolitischer Entscheidungen der EZB anzogen. Der Immobilienmarkt brach so zusammen, als sei er auf Sand gebaut worden. Der Bestand an leerstehenden Wohnungen ist extrem hoch. Für jede Wohnung, die nicht gebaut wird, gehen direkt 1,7 Arbeitsplätze und indirekt weitere 7 Arbeitsplätze verloren. Damit ist ein Teil der in jüngster Zeit so rasant gestiegenen Arbeitslosigkeit – auf über 20 Prozent der Erwerbstätigen, der mit Abstand höchsten Rate im Euroraum – erklärt, zumal das Ganze eine allgemeine Abwärtsspirale auslöste, von der zahlreiche Wirtschaftsbereiche erfasst wurden – von der Automobilindustrie über das Verkehrsgewerbe bis zum Hotel- und Gaststättengewerbe. Die Banken, besonders die Sparkassen, die sich bei der Baufinanzierung sehr und lässig engagiert hatten – bis Ende 2009 waren die Bankkredite an die Baubranche auf rund 40 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt angestiegen (im Vergleich zu weniger als 10 Prozent in Deutschland) -, stöhnen unter der Last der vielen notleidend gewordenen Kredite und der vielen Immobilien, die jetzt als Aktiva in ihren Bilanzen auftauchen und auf Anordnung der spanischen Zentralnotenbank zu hohen Wertberichtigungen zwingen. Die strenge spanische Bankenregulierung (Anfang der 1980er Jahre nach einer Bankenkrise eingeführt) hatte zwar die spanischen Geldinstitute vor riskante Engagements auf dem komplexen Verbriefungsmarkt geschützt (weil verboten) und damit auch vor den direkten Auswirkungen der globalen Finanzmarktkrise; aber die Regulierung war nicht darauf ausgerichtet, eine Spekulationswelle im Bausektor wie die erlebte zu verhindern oder wenigstens rechtzeitig abzumildern.
Ökonomen in Spanien und im Ausland haben das Ungemach kommen sehen und die Regierung gedrängt, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Ihre Warnungen und Ratschläge stießen bei den Regierenden jedoch auf taube Ohren. Anfang 2007 prophezeite Zapatero öffentlich, dass Spanien bis 2010 Deutschland im Pro-Kopf-Einkommen überholen werde, zuvor natürlich Italien und Frankreich (sic). Als die Konjunkturforscher im Laufe des Jahres 2007 ihre kurz- und mittelfristigen Wachstumsprognosen deutlich nach unten revidierten, blieb die Regierung trotzig bei ihren zuversichtlichen Vorhersagen. Wer von einer sich aufbauenden Wirtschaftskrise sprach, wurde vom Ministerpräsidenten öffentlich der Panikmache geziehen und als Anti-Patriot abgestempelt. Um im April 2008 mit einer relativen Mehrheit wiedergewählt zu werden, reichten Wunschdenken und Polemik wohl. Um aber auf den Märkten Vertrauen in die Zukunft zu erzeugen, ist eine Politik, bei der sich die wirtschaftspolitisch Verantwortlichen mit der Wahrnehmung der Wirklichkeit so schwer tun, nun einmal ungeeignet. Im Jahre 2009 ist die gesamtwirtschaftliche Produktion um 3,7 Prozent geschrumpft, in 2010 um 0,3 Prozent. Für 2011 wird allgemein ein nur kleiner Anstieg erwartet, vielleicht um einen halben Prozentpunkt; nur die Regierung verheißt ein solidere Erholung (+1,3 Prozent). Die Arbeitslosigkeit wird auf einem sehr hohem Niveau, rund 20 Prozent der Erwerbstätigen, verharren, konzentriert auf Jugendarbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit.
Die gegenwärtige Regierung ist Teil des Problems, das die spanische Wirtschaft (und mit ihr der Euroraum) hat. Dem spanischen Ministerpräsidenten fehlt, anders als seinen Vorgängern González und Aznar, das Grundverständnis dafür, wie Wirtschaft funktioniert. Dass die Rückkehr zu einem stetigen Wachstumspfad nur durch eine langfristig ausgerichtete, in sich schlüssige Wirtschaftspolitik und nur mit adäquaten Anreizen für unternehmerische Investitionen und die Leistungsbereitschaft des Einzelnen möglich ist, das versteht Zapatero nicht. Es interessiert ihn auch nicht wirklich. Wichtiger als die Ökonomie ist für ihn, die spanische Gesellschaft im Sinne sozialistsicher Fortschrittsideen zu verändern und den Sozialstaat auszubauen, ohne auf kontraproduktive Anreizwirkungen zu achten und schon gar nicht auf die fiskalischen Kosten (die sich auf jährlich zig-Milliarden akkumuliert haben). Da er im Parlament auf die Unterstützung kleinerer, nationalistischer Parteien angewiesen ist, wurde die Haushaltspolitik der letzten Jahre das zufällige Ergebnis des Feilschens mit den regionalen Nationalisten.
Disziplinierung durch die Finanzmärkte und die EU
Es kam, wie es kommen musste, wenn eine Regierung mit der wichtigsten Trumpfkarte, die sie im Zeitalter der globalisierten Wirtschaft ziehen kann, die der Glaubwürdigkeit, so fahrlässig umgeht. Die wirtschaftliche Entwicklung einfach schönreden, das geht auf Dauer nicht; die Strukturprobleme der Wirtschaft aussitzen, auch nicht. Das Schuldenniveau als im europäischen Vergleich günstig darzustellen, ist wenig hilfreich. Es trifft zwar zu, dass die Schuldenstandsquote Spaniens mit derzeit 64,4 Prozent niedriger ist als im Durchschnitt des Euroraum und auch in Deutschland; aber sie ist eben in den vergangenen zwei Jahren um 20 Prozentpunkte gestiegen. Eine solche Schuldendynamik muss Sorgen auslösen. Tatsächlich verlangen seit 2010 die Anleger an den Finanzmärkten deutliche Risikoaufschläge auf die Zinsen neu emittierter Anleihen des spanischen Staates. Im Vergleich zum Referenzzins im Euroraum, dem deutscher zehnjähriger Bundesanleihen, ist der Zinsspread im vergangenen Quartal auf 250 Basispunkte angestiegen. Dies ist zwar nicht so dramatisch wie in Griechenland (920 Basispunkte) und Irland (630 Basispunkte). Doch auch in Spanien belasten die erhöhten Refinanzierungskosten den Staatshaushalt mittlerweile derart mit Zinslasten, das ein Weitermachen wie bisher, einschließlich den Weg in die weitere Verschuldung zu gehen, nicht mehr funktioniert.
Auf dem EU-Sondergipfel Anfang Mai 2010, bei dem das Rettungspaket für Griechenland formell verabschiedet und ein Rettungsschirm für den Euroraum als Ganzem konzipiert wurden, haben die Staats- und Regierungschefs Zapatero zur Ordnung gerufen. Auch aus den USA und China wurde Druck ausgeübt. Zapatero musste sich verpflichten, den Staatshaushalt zu sanieren und bis zum Jahre 2013 die maximale Neuverschuldung auf 3 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt zurückzuführen (Maastricht-Kriterium). Das bedeutete u.a. eine komplette Abkehr von bisherigen Kurs der sozialpolitischen Wohltaten samt Personalabbau und Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst sowie einer Nullrunde bei den Renten in 2011; tatsächlich lassen sich nur so die öffentlichen Ausgaben unter Kontrolle bringen. Die Einnahmeseite wurde die Streichung von Steuervergünstigungen und Erhöhung spezifischer Steuern und Abgaben gestärkt, ergänzend zur Anhebung der Mehrwertsteuer ab 1. Juli 2010 (beim Normalsatz um zwei Prozentpunkte auf 18 Prozent, beim ermäßigten Satz um einen Punkt auf 8 Prozent), die schon zuvor beschlossen worden war. Im Jahre 2011 soll damit das gesamtstaatliche Haushaltsdefizit auf 6 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt sinken. Dabei unterstellt die Regierung eine Wachstumsrate von 1,3 Prozent und eine Erhöhung der Erwerbstätigkeit um 0,3 %; Die Prognosen unabhängiger spanischer Analysten und der internationalen Organisationen sind viel zurückhaltender. Entsprechend wird bestenfalls mit einer Senkung des Staatsdefizits auf 6,5 Prozent gerechnet. Wie auch immer, die Bevölkerung muss sich auf eine fühlbare Minderung des Lebensstandards einstellen. Die führenden Gewerkschaften haben bereits angekündigt, nach dem Generalstreik Ende September einen weiteren im kommenden Februar als Protest gegen die neue Regierungspolitik folgen zu lassen. Infolgedessen bleibt Spanien im Euroraum ein Wackelkandidat.
Niemand weiß, wie es ab 2012 weitergehen soll. Einen mehrjährigen Fahrplan für die Haushaltskonsolidierung aufzustellen, wie dies in Deutschland praktiziert wird, vermag diese spanische Regierung nicht. Am 22. Mai 2011 finden im Land sämtliche Kommunalwahlen statt, in Verbindung mit den meisten (13 von 17) Wahlen in die Regionalparlamente (unseren Landtagswahlen vergleichbar). Allen aktuellen Umfragen zufolge, werden die Sozialisten landesweit ein Wahldebakel erleben – nicht eigentlich wegen des eingeschlagenen Sparkurses als solchem, sondern hauptsächlich deshalb, weil vielen Spaniern dämmert, dass sie von Zapatero jahrelang belogen worden sind. Zapatero entschuldigt sich nicht und tut so, als habe er stets alles im Griff. Die nicht enden wollenden Spekulationen über vorgezogene Neuwahlen zum nationalen Parlament lassen ihn ebenso kalt wie die selbst in der sozialistischen Partei hinter vorgehaltener Hand gestellte Frage, ob er der adäquate Spitzenkandidat sein würde.
Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, das A und O
Damit Spanien nicht zu eine Belastung für den Euroraum wird, müssen zwei Bedingungen vorliegen: zum einen, die Entschlossenheit der Regierung bei der Durchführung überfälliger grundlegender Strukturreformen (Arbeitsmarkt, Energiewirtschaft, Rentenversicherung, Sparkassensektor, regulatorischer Wirrwarr zwischen den Autonomen Regionen, sprachlicher Chauvinismus in Katalonien u.a.), ohne die eine Wiedergewinnung der früheren Wirtschaftsdynamik unmöglich sein wird; zum anderen, die Haushaltskonsolidierung ohne Wenn und Aber – aus Effizienzgründen mit dem Schwerpunkt auf der Ausgabenseite (bei den konsumtiven, nicht bei den investiven Ausgaben). Hier sind Zweifel nicht unbegründet. Die Regierungserklärungen von Zapatero und die seiner Wirtschafts- und Finanzministerin, Elena Salgado, vor dem Parlament erwecken den Eindruck, dass der von außen eingeforderte wirtschaftspolitische Kurswechsel nur mit Widerwillen betrieben wird. Beide machen Deutschland und namentlich Bundeskanzlerin Merkel unter dem Rubrum „deutscher nationaler Egoismus und fehlende Solidarität mit finanzwirtschaftlich angeschlagenen Ländern“ dafür verantwortlich, dass Spanien im Fadenkreuz der internationalen Finanzmärkte steht. Infolgedessen ist dieser Regierung auch künftig jede Art von Aktionismus und Hin und Her zuzutrauen. Immerhin ist mit dem europäischen Rettungsschirm das Tor für ineffiziente Verhaltensanreize (Moral Hazard) weit aufgestoßen worden. Da kann man in der Haushaltspolitik, wenn es wahltaktisch opportun erscheint, schon mal eine fünf gerade sein lassen. Damit generiert die Wirtschaftspolitik Unsicherheit. Unsicherheit wirkt wie eine Steuer auf die wirtschaftliche Aktivität, nährt den Investitionsattentismus, verlangsamt den Strukturwandel und ist letztlich beschäftigungsfeindlich. Die internationalen Rating-Agenturen werden unter diesen Umständen nicht gerade milde gestimmt.
Wenn, allerdings nur wenn, die Wirtschaftspolitik ökonomische Effizienz und soziale Garantien neu austariert kann sie die Grundlagen für eine Revitalisierung der Wirtschaft festigen, und zwar auf der Zeitschiene (es gelingt schneller) und auf der Achse der Produktion und Beschäftigung (der Wachstumsspielraum wird größer). Das Land hat aber noch eine steinige Wegstrecke bis zur Gesundung vor sich. Mit Zapatero an der Spitze der Regierung wird das nicht gelingen. Er hat jedweden Kredit bei zu vielen Marktteilnehmern verspielt, im Inland wie im Ausland.
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