Die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise hat in Deutschland in erster Linie die Industrie, den Außenhandel und die Unternehmens- und Vermögenseinkommen belastet. Durch die Beschäftigungssicherung konnten die Arbeitnehmerentgelte und der private Konsum weitgehend stabil gehalten werden. Hier sind die Krisenschäden bereits behoben.
Die globale Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise gerät allmählich aus dem Blickfeld. Wenn dieses Thema derzeit auftaucht, dann im Gefolge der Staatsschuldenprobleme. Es stellt sich die Frage, wo denn die Krise bisher am stärksten zugeschlagen hat und inwieweit die verschiedenen Krisenschäden schon wieder behoben sind. Dies ist eine erste Bestandsaufnahme. Langfristige Folgeschäden – etwa infolge der Staatsschulden – werden nicht berücksichtigt. Freilich ist dabei im Auge zu behalten, dass man sich noch nicht in allzu großer Sicherheit wiegen darf. Es gibt durchaus einige Risiken, die den Erholungsprozess noch beeinträchtigen können, so zum Beispiel wieder steigende Rohstoffpreise und damit inflationäre Gefahren, stark schwankende Wechselkurse und weitere Finanzmarktprobleme infolge der übermäßigen Staatsschulden, Überhitzungen und daraus resultierende Anpassungsprozesse in Schwellenländern wie China.
Für eine erste Bewertung der Krisenlasten in Deutschland kann der Zeitraum vom 3. Quartal 2008 bis zum 3. Quartal 2010 betrachtet werden. Letzteres markiert den aktuellsten Datenstand und im 3. Quartal 2008 kann der Beginn der Wirtschaftskrise in Deutschland konstatiert werden. Zwar startete die globale Finanzmarktkrise bereits im 3. Quartal 2007, das Bruttoinlandsprodukt stieg danach in Deutschland aber noch an, und erst im Winterhalbjahr 2008/2009 kam es zum bisher stärksten Wirtschaftseinbruch in Deutschland in den vergangenen 60 Jahren. Die Konzentration auf die dritten Quartale der jeweiligen Jahre ergibt sich aus dem zuletzt verfügbaren Datenstand und dem sich daraus ergebenden Vorjahresvergleich. Die Gesamtbewertung der Krisenlasten wird dadurch nicht verzerrt. Zur Bewertung der Krisenlasten bieten sich verschiedene Dimensionen an:
Industrie und Dienstleistungen: Das reale Bruttoinlandsprodukt erreichte in Deutschland im 3. Quartal 2010 fast schon wieder den Wert vom 3. Quartal 2008. Im Jahr 2011 dürfte die krisenbedingte gesamtwirtschaftliche Produktionslücke geschlossen werden. Das gilt aber noch nicht für die Industrie in Deutschland. Im 3. Quartal 2010 lag die reale Bruttowertschöpfung des Verarbeitenden Gewerbes noch um 8,5 Prozent unter dem Niveau vom 3. Quartal 2008 (Abb. 1). Dieser Wirtschaftsbereich war auch am stärksten von der Krise betroffen. Noch im 3. Quartal 2009 lag die Wirtschaftsleistung um 17,1 Prozent unter dem entsprechenden Vorjahreswert. Dagegen übertrafen die Dienstleistungsbereiche im 3. Quartal 2010 bereits das Wertschöpfungsniveau von vor der Krise (3. Quartal 2008) leicht. Auch der Baubereich litt vor dem Hintergrund der öffentlichen Baumaßnahmen im Rahmen der Konjunkturprogramme kaum unter der Krise.
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Fazit: Unter sektoralen Gesichtspunkten hatte die Industrie die größten Lasten zu tragen. Die Krisenschäden sind dort – im Gegensatz zum Service- und Baubereich – noch nicht behoben.
Exporte, Investitionen und Konsum: Da die Industrie in Deutschland vergleichsweise stark in die internationale Arbeitsteilung eingebunden ist, wurde sie durch die globale Wirtschaftskrise heftig getroffen. Der deutsche Außenhandel, der unter normalen Umständen zu fast 90 Prozent aus Industriewaren besteht, lag im 3. Quartal 2009 um 15,3 Prozent unter dem entsprechenden Vorjahreswert. Seitdem vollzog der Außenhandel eine wahre Aufholrallye (Abb. 2). Im 3. Quartal 2010 lagen die preisbereinigten deutschen Exporte nur noch um 1,3 Prozent unter dem Volumen vom 3. Quartal 2008. Damit wurden die starken Krisenschäden hier bereits weitgehend behoben. Die Bruttoanlageinvestitionen lagen im 3. Quartal 2010 noch um 2,3 Prozent unter dem Wert vom 3. Quartal 2008, allerdings auch schon wieder um 7 Prozent über dem Wert vom 3. Quartal 2009. Die Unternehmen sind also schon wieder gut dabei, auch das durch die Krise gerissene Investitionsloch zu stopfen. Dagegen lag der reale Konsum der privaten Haushalte im 3. Quartal 2010 bereits um 0,6 über dem Volumen vom 3. Quartal 2008. Zudem waren hier verglichen mit Außenhandel und Investitionen kaum Beeinträchtigungen durch die globale Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise zu beobachten.
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Fazit: Der private Konsum hat in Deutschland relativ wenig unter der Krise gelitten. In erster Linie hat die Krise den Export und die Investitionen belastet. Gleichwohl wurden dort aber bereits große Aufholschritte vollzogen.
Löhne und Gewinne: Der weitgehend stabile Konsum in Deutschland während der Krise kann wohl am besten mit der vergleichsweise stabilen Lage am Arbeitsmarkt und damit auch der Arbeitnehmerentgelte erklärt werden. Jedenfalls lag im 3. Quartal 2010 die Anzahl der Arbeitnehmer in Deutschland leicht über dem Niveau vom 3. Quartal 2008 – und erst Recht über dem vom 3. Quartal 2007. Durch den Einsatz von Kurzarbeit und die Nutzung von Arbeitszeitkonten wurden umfangreiche Anpassungen der Belegschaften an die zeitweise wegbrechende Produktion größtenteils vermieden. Damit haben sich auch die Arbeitseinkommen der Arbeitnehmer während der Krise relativ gut geschlagen (Abb. 3). Sie lagen im 3. Quartal 2009 nur um 0,2 Prozent unter dem entsprechenden Vorjahreswert und im 3. Quartal 2010 bereits um 2,9 Prozent über dem Wert vom 3. Quartal 2008. Dagegen sind die Unternehmens- und Vermögenseinkommen im Gefolge der Krise stark unter die Räder gekommen. Im 3. Quartal 2009 lagen die Kapitaleinkommen um 7,4 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Seitdem konnte aber auch hier wieder Boden gutgemacht werden und das Einkommensniveau vom 3. Quartal 2008 leicht übertroffen werden. Es reicht jedoch noch nicht für das Gewinnniveau vom 3. Quartal 2007.
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Fazit: Die Beschäftigungssicherung war zugleich Einkommens- und Konsumsicherung der privaten Haushalte in Deutschland. Beim Blick auf diese Größen waren die Krisenlasten bereits im 3. Quartal 2010 mehr als abgearbeitet. Dagegen kamen die Unternehmens- und Vermögenseinkommen – wie üblich in Rezessionen – kräftig unter Druck. Deren gegenwärtige Erholung muss vor dem Hintergrund dieser Anpassungslasten gesehen werden.
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