In Konjunkturgesprächen rund um den Maschinen- und Anlagenbau kommen regelmäßig zwei Fragen hoch: Erstens, in welcher Phase der Konjunktur befindet sich die Branche aktuell? Zweitens, welche Teilbranchen sind Vorreiter, welche Nachzügler im Zyklus? Mit dem VDMA Konjunkturmonitor wird im Folgenden ein Ansatz vorgestellt, mit dem wissenschaftlich fundiert und gleichzeitig praxisnah Antworten auf diese beiden Fragen gegeben werden können. Die Grundlagen sind dabei der klassische Zyklus und der Wachstumszyklus.
1. Einleitung
Die kollektive Tal- und Bergfahrt der deutschen Wirtschaft in den Jahren 2009 und 2010 darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass wohl kaum eine andere Branche regelmäßig so ausgeprägten konjunkturellen Ausschlägen unterworfen ist wie der Maschinen- und Anlagenbau. Der Takt für die reinrassige Investitionsgüterindustrie wird vorgegeben von den weltweiten Ausrüstungsinvestitionen, deren Käufer sehr sensibel auf Änderungen des wirtschaftlichen und politischen Umfeldes oder auch nur Stimmungseintrübungen und -aufhellungen reagieren. Als außerordentlich heterogener, mit allen Wirtschaftsbereichen liefermäßig verflochtener Ausrüster müssen die einzelnen Teilbranchen zudem höchst unterschiedlichen nachfrage- und angebotsseitigen Veränderungen Rechnung tragen, und das auf Grund der überdurchschnittlich hohen Exportabhängigkeit nicht nur national, sondern weltweit. Die Verortung des Maschinen- und Anlagenbaus im Allgemeinen in den Konjunkturzyklus sowie die Gruppierung der unterschiedlichen Teilbranchen in Früh- und Spätzykliker hat folgerichtig in den Unternehmen, bei Branchengesprächen und im Verband einen hohen Stellenwert.
2. Zur Messung von Konjunkturschwankungen
In Ermangelung einer einheitlichen Definition von Konjunktur gibt es unterschiedliche Ansätze, diese zu messen. Im Folgenden werden zwei Konjunktur-Konzepte aufgegriffen: der klassische Konjunkturzyklus und der Wachstumszyklus. Beim klassischen Zyklus werden Schwankungen der Wirtschaftstätigkeit in Veränderungen von absoluten Niveaugrößen betrachtet: Im Aufschwung sind die Wachstumsraten positiv, im Abschwung negativ. Wenn die wirtschaftliche Aktivität im Trend zunimmt, dauern Aufschwungphasen typischerweise länger als Abschwungphasen (vgl. Nierhaus/Sturm, 2003, S. 8). Eine Verlangsamung der Konjunktur wird nicht als konjunktureller Rückgang gewertet, solange (aufgrund eines stark ansteigenden Trends) die Wachstumsrate noch positiv ist. Bei diesem Konzept erfolgt eine konjunkturelle Einteilung typischerweise in die Phasen „Rezession“ (negative Wachstumsrate) und „keine Rezession“ (vgl. van Ruth, 2010, S. 8).
Abbildung 1: Klassischer Konjunkturzyklus und Wachstumszyklus
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Beim Wachstumszyklus werden hingegen Abweichungen der Wirtschaftstätigkeit vom „Potenzialoutput“ betrachtet: Im Aufschwung ist die Wachstumsrate größer als die des Potenzials, im Abschwung ist sie geringer. Maßstab ist beim Wachstumszyklus also letztendlich die Kapazitätsauslastung. Befindet sich der Output unter dem Produktionspotenzial, liegt Unterauslastung vor, liegt er über dem Potenzial herrscht Überauslastung. Das Konzept des Wachstumszyklus unterstellt implizit, dass sich der Trend von der Konjunktur trennen lässt. Die Trennung dieser nicht beobachtbaren Komponenten kann jedoch mit unterschiedlichen Ansätzen erfolgen. Je nach Wahl des Verfahrens kann somit eine andere Konjunktur resultieren. Mit dem Wachstumszyklus lässt sich eine Einteilung in die Phasen Aufschwung, Boom, Rezession und Abschwung vornehmen.
Auch die Datierung der Wendepunkte unterscheidet sich je nach Konzept: Wird die Konjunktur idealtypisch als Sinusschwingung um einen linearen Trend dargestellt, liegen die oberen Wendepunkte von Wachstumszyklen vor denen der klassischen Zyklen. Die unteren Wendepunkte von Wachstumszyklen laufen hingegen denen des klassischen Zyklus nach (vgl. Abb. 1) (vgl. Nierhaus/Sturm, 2003, S. 8). Hat man sich für ein Zykluskonzept entschieden, besteht noch die Schwierigkeit, die konjunkturellen Wendepunkte zu ermitteln. Im idealtypischen Fall einer Sinusschwingung wäre dies kein Problem. De facto ist man jedoch mit teils starken Volatilitäten konfrontiert, und weder Zykluslänge noch Amplitude sind in aufeinanderfolgenden Zyklen identisch. Auch deshalb findet man in der Praxis sehr unterschiedliche Vorgehensweisen zur Bestimmung von Konjunkturphasen.
Eine sehr einfache Methode ist die sog. „technische Rezession“. Von ihr spricht man, wenn in einer Volkswirtschaft das (preis- und saisonbereinigte) Bruttoinlandsprodukt in mindestens zwei aufeinanderfolgenden Quartalen zurückgeht. Berücksichtigt wird hier jedoch nicht die Stärke des Rückgangs, und eine Deklaration kann naturgemäß erst erfolgen, wenn die zweimal in Folge zurückgegangenen Quartalsdaten vorliegen (vgl. Oltmanns, 2009, S. 963f.). In den USA ermittelt das Business Cycle Dating Committee am National Bureau of Economic Research (NBER) die konjunkturellen Wendepunkte der Wirtschaft. Die involvierten Wissenschaftler deklarieren eine Rezession, wenn die Aktivität über die gesamte Wirtschaft deutlich und für mehr als nur einige Monate zurückgeht. Die Datierung erfolgt hier mit einer großen zeitlichen Verzögerung von bis zu zwei Jahren.
Basierend auf der NBER-Methodologie wurde von Bry und Boschan eine Prozedur entwickelt, die in einem mehrstufigen Verfahren anhand von festgelegten Kriterien konjunkturelle Wendepunkte datiert. So muss ein Konjunkturzyklus mindestens 15 Monate lang sein, damit er als ein solcher anerkannt wird, und Aufschwung sowie Abschwung müssen jeweils mindestens fünf Monate andauern. Auch mit diesem Verfahren kann am aktuellen Rand keine Aussage über die konjunkturelle Phase getroffen werden. (vgl. Lucke, 1996, S. 7f.). Während die genannten Methoden auf dem klassischen Konjunkturzyklus basieren, stützt sich das Konzept des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung auf den Wachstumszyklus. Der Sachverständigenrat schätzt mit Hilfe einer gesamtwirtschaftlichen Produktionsfunktion das Produktionspotenzial bzw. die Output-Lücke. Nach diesem Konzept setzt eine ausgeprägte konjunkturelle Schwächephase ein, wenn die relative Output-Lücke (also die prozentuale Abweichung des Bruttoinlandsprodukts vom Produktionspotenzial) um mindestens zwei Drittel der jeweiligen Potenzialwachstumsrate zurückgeht und gleichzeitig die aktuelle Output-Lücke negativ ist. Dieses Kriterium bezieht sich jedoch auf Jahresdaten, eignet sich also ebenfalls nicht für eine Analyse der konjunkturellen Lage am aktuellen Rand (vgl. Oltmanns, S. 964).
Mit Hilfe des sog. Konjunkturmonitors wird hingegen mit relativ einfachen Mitteln versucht, auch am aktuellen Rand eine Aussage über die konjunkturelle Lage und Entwicklung zu treffen. Wir haben uns deshalb dieses Konzeptes angenommen und möchten es im Folgenden etwas detaillierter erläutern.
3. Das Konstrukt des VDMA Konjunkturmonitors
Der VDMA nutzt das Konstrukt des Konjunkturmonitors in Anlehnung an das Vorgehen des Statistischen Bundesamtes (vgl. Statistisches Bundesamt, 2008), um für den deutschen Maschinenbau eine zumindest ungefähre Einschätzung zu geben, in welcher konjunkturellen Phase sich der Maschinenbau insgesamt sowie die einzelnen Fachzweige, gemessen am Auftragseingang, befinden. Der Konjunkturmonitor wurde ursprünglich vom Statistischen Zentralamt der Niederlande entwickelt. Er wird regelmäßig unter der Bezeichnung „Business Cycle Tracer“ bzw. „Conjunktuurklok“ veröffentlicht. Zielsetzung ist, eine zeitnahe Indikation der wirtschaftlichen Lage zu geben und ökonomische Beziehungen aufzuzeigen. Hierfür werden verschiedene makroökonomische Indikatoren in einem Streudiagramm abgebildet. Die Verteilung der Indikatoren gibt dabei eine Indikation von Lage und Richtung der Konjunktur.
Der Konjunkturmonitor verwendet als Konzept den Wachstumszyklus. Die Abweichungen der Trend-Konjunktur-Komponente vom langfristigen Trend werden somit als Konjunkturschwankungen interpretiert. Zur Ermittlung der Trend-Konjunktur-Komponente (auch „glatte Komponente“) wird die Originalreihe, hier der Auftragseingang des deutschen Maschinenbaus (vgl. Abb. 2), von Saison- und Kalendereinflüssen sowie von irregulären Schwankungen bereinigt. Dies geschieht nach dem Vorgehen des niederländischen Amtes mittels des Saisonbereinigungsverfahrens Census X-12-ARIMA des U.S. Bureau of the Census (das Statistische Bundesamt verwendet hierfür abweichend das Verfahren BV4.1).
Abbildung 2: Auftragseingang im deutschen Maschinenbau
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Die resultierende Trend-Konjunktur-Komponente ist wiederum Basis für die Berechnung des langfristigen Trends. Dieser wird mit Hilfe eines Hodrick-Prescott-Filters ermittelt. In Anlehnung an das Statistische Bundesamt und das Statistische Zentralamt der Niederlande wird hierfür ein sehr hoher Glättungsparameter von λ=1.000.000 verwendet (üblich ist für Monatsdaten ein Wert von λ=14.400). Dieser hohe Wert basiert auf einer Studie der Niederländischen Zentralbank, wonach ein starrer Trend realistischer ist bzw. bessere Eigenschaften aufweist. Er bewirkt weniger „Mini-Zyklen“ und reagiert relativ unempfindlich auf neu hinzukommende Beobachtungswerte (reduziertes Endpunkt-Problem) (vgl. van Ruth/Schouten/Wekker, 2005, S. 22 u. S. 26). Wäre im Beispiel der langfristige Trend des Auftragseingangs des Maschinenbaus mittels eines Standard-Hodrick-Prescott-Filters berechnet worden, würde er am aktuellen Rand auf dem Niveau vom Herbst 2003 liegen. Dies wäre kein realistisches Abbild der Entwicklung des Produktionspotenzials. Durch die starre Variante verhält sich die Anpassung deutlich träger. Der Trend ist hierdurch nur leicht zurückgegangen und liegt aktuell auf dem Niveau vom Frühjahr 2008.
Hinweis: Die Langfassung dieses Beitrages können Sie in der aktuellen Ausgabe der WiSt (02/2011) nachlesen.
Michael Werner arbeitet als Referent in der Abteilung Volkswirtschaft und Statistik des VDMA in Frankfurt/Main. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit sind ökonometrische Analysen und Prognosen.
- Der Chefvolkswirt
Maschinen- und Anlagenbau im Konjunkturzyklus - 25. März 2011
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Maschinen- und Anlagenbau im Konjunkturzyklus“