Die deutsche Regierung hat ihre Hilfe und Garantien für den Finanzsektor als Option eingeführt. Durch den Optionscharakter der Hilfe signalisiert derjenige, der sie in Anspruch nimmt, eigene Schwäche. Das gibt den betroffenen Banken einen Anreiz, von Hilfsgesuchen so lange wie möglich Abstand und den Staat nicht leichtfertig in Anspruch zu nehmen. Es verurteilt die öffentlichen Garantien zugleich keineswegs zur Wirkungslosigkeit. Denn es ist bekannt, dass derjenige, der um Hilfe bittet, diese auch erhält.
Der bisherige Verzicht der deutschen Regierung darauf, es der Mafia nachzutun und „ein Geschenk, das man nicht ablehnen kann“, zu machen, erscheint als richtig. Die getroffene Maßnahme gefährdet das Ziel, den Finanzsektor zu stabilisieren nicht ungebührlich und wählt zugleich ein Mittel, das keinen Zwangs- bzw. Enteignungscharakter aufweist.
Die gegenwärtigen Pläne einer Enteignung der Besitzer der Hypo Real Estate bringen demgegenüber eine neue Qualität ins Spiel. Will man beurteilen, ob durch dieses Vorgehen fundamentale Grenzen überschritten werden, muss man die Grundsatzfrage nach der Natur der Eigentumsgarantien unserer Rechtsordnung aufwerfen. Mit der nachfolgenden „Robinsonade“ wird die Frage moralisch und politisch gestellt.
Reif für die Insel?
Nachdem Robinson Crusoe auf der Insel landet, hat er volle Kontrolle über deren Ressourcen. Obwohl er fürchtet, dass andere Menschen das Eiland besuchen könnten und auch Grund zu der Annahme hat, dass sich in der Vergangenheit zuweilen Fremde dort aufgehalten haben, fühlt er sich seines Besitzes sicher, solange er allein ist. Er ist zwar von natürlichen, nicht jedoch von sozialen Risiken bedroht.
Nachdem Robinson „Freitag“ von der Festtafel der Menschenfresser gerettet hat, lebt er in Gesellschaft. Obwohl Freitag sich unterwirft, indem er – wie in Daniel Defoes Roman „Robinson Crusoe“ geschildert – Crusoes Fuß auf seinen Nacken setzt, kann Crusoe sich aufgrund der Anwesenheit von Freitag seines Besitzes nicht mehr in gleicher Weise sicher sein wie zuvor. Wenn „Samstag“, „Sonntag“, „Montag“ und all die anderen auf der Insel ankommen, eröffnen sich weitere Chancen zur Zusammenarbeit, zu Arbeitsteilung und Tausch. Es entstehen aber auch zusätzliche Risiken, indem andere die Früchte der Arbeit ohne einvernehmliche Tauschübereinkommen einfach an sich nehmen könnten. Als Resultat von Unsicherheit und Vertrauensmangel werden zuwenig Ressourcen produktiv und zuviel Ressourcen dafür aufgewendet, entweder die eigenen Besitztümer gegen andere zu verteidigen oder sich die Besitztümer anderer anzueignen.
Zwar können Menschen ohne Staat und Rechtsordnung de facto Ressourcen besitzen. Aber solange der Besitz nicht durch eine öffentliche Rechtsordnung und diese durch ein staatliches Gewaltmonopol garantiert wird, fehlt es an Sicherheit des Besitzes. Wenn die Größe einer Gesellschaft über die sogenannter „primitiver“ Stämme hinausgeht, können die Stabilität des Besitzes, die Möglichkeit diesen einvernehmlich zu übertragen und die Garantie, dass entsprechende Verträge in der Zukunft durchzusetzen sind, nicht gewährleistet werden.
Reif für den Staat?
Ohne die drei genannten Elemente kann keine komplexe Gesellschaft mit einer entwickelten Arbeitsteilung existieren. Die Annahme, dass nur mittels der Politik und ihrer Garantien stabiler Besitz existieren kann, wird jedoch häufig vorschnell gemacht. Komplexe gesellschaftliche Konventionen, die zu einer Rechtsordnung ohne Staat führen, können sich ohne Staat und Politik bilden und zu einem System von Besitz- und Verfügungsrechten führen, das einer stabilen Eigentumsordnung entspricht. Tatsache ist aber auch, dass de facto keine der heutigen Eigentumsordnungen auf einer gänzlich staats- und politikfreien Basis existiert. In allen entwickelten Ordnungen wird Eigentum öffentlich garantiert.
Auch das sogenannte „Privatrecht“ wird letztlich durch politische Institutionen in Art und Umfang definiert. Folgen wir der Logik, dass derjenige, der die Musik bezahlt, auch legitimiert ist zu bestimmen, was gespielt wird, dann darf der Souverän die Spielregeln der Privatrechtordnung einschließlich eines Konfiskationsvorbehaltes bestimmen. In anderen, eher staatsfernen Bereichen sehen wir ähnliches. Wir nehmen beispielsweise an, dass die Firma eBay die Regeln für Transaktionen, Angebote, Bewertungen etc. festlegen, verändern und mit Gebühren versehen darf. Ebenso darf auch der Staat vorgehen, wenn es um die Festlegung der Spielregeln für das Wirtschaftsleben in Form des „Privatrechts“ geht.
Allerdings trägt die Analogie zwischen dem Staat und eBay nicht völlig. Denn der Staat finanziert sich durch Zwangsabgaben und – verbunden damit – respektiert er den Besitz der Marktteilnehmer keineswegs vollständig. eBay hat und erhebt Ansprüche nur gegenüber demjenigen, der sich freiwillig auf diese Plattform begibt und nur derjenige, der am Spiel von eBay teilnehmen will, muss sich dessen Regeln beugen. Der Staat hingegen nimmt die Steuern ohne unsere Zustimmung und macht uns dafür das nicht-abweisbare Geschenk einer Durchsetzung von Rechts- und Spielregeln.
Die Kernfrage, ob der Staat nicht nur die Regeln bestimmen darf, unter denen wir uns selbst in freiwilliger Übereinkunft von unserem Besitz verbindlich trennen können oder ob er darüber hinaus auch den Besitz ohne Zustimmung nehmen darf, muss im Lichte des vorangehenden gesehen werden. Derjenige, der überhaupt einen Staat als legitim akzeptiert, hat damit dessen grundsätzliche Berechtigung zum Gebrauch einer Monopolmacht zur Beitragserhebung (Steuererhebung) und zur Definition der Spielregeln auch der Eigentumsordnung anerkannt. Eine solche Eigentumsordnung kann auch den stillschweigenden Vorbehalt einer Enteignung enthalten.
Ob es rechtspolitisch jemals klug sein kann, den stillschweigenden Konfiskationsvorbehalt gegenüber öffentlich definierten Eigentumsrechten weit auszudeuten, muss allerdings stark bezweifelt werden. Eine etwaige Enteignung der Hypo Real Estate etwa, lässt sich zwar nicht als unter allen Umständen unzulässiger Schritt fassen. Aber er ist nur als ultima ratio zulässig. Er muss zudem rechtlich und moralisch unter der Einschränkung der Verhältnismäßigkeit stehen. Nur soweit ein Unternehmen ohne staatliche Eingriffe ohnehin in die Zahlungsunfähigkeit ginge und die noch verbleibenden Ansprüche der bisherigen Eigentümer, soweit vorhanden, als entschädigungsfähig respektiert werden, scheint die Verhältnismäßigkeit der Enteignung gegeben. Unter den gemachten Einschränkungen darf ohne ungebührlichen Systembruch zur Sicherung des Finanzsystems auch an eine Enteignung der Hypo real estate gedacht werden.
Steuern und Enteignungen
Gefährlicher als Einzelenteignungen erscheint ohnehin der stetige und stille konfiskatorische Zugriff auf gegenwärtigen oder künftigen Besitz der Bürger. Zwar trifft für denjenigen, der die öffentliche Durchsetzung der Rechtsordnung durch den gewaltmonopolistischen Staat überhaupt akzeptiert, die These, dass Steuern bereits eine Eigentumsverletzung darstellen, nicht zu. Dies ist einfach deshalb unzutreffend, weil es, wenn man Eigentum im Sinne eines öffentlich durchgesetzten Eigentums begreift, kein dem Staat und der öffentlichen Definition vorausgehendes garantiertes Eigentum geben kann. Das Eigentum wird als öffentlicher Schutz des privaten Besitzes eben nur unter Steuer- und anderen Vorbehalten gewährt (so wie an eBay nur teilnehmen kann, wer die Gebühren bezahlt und sich den Regeln beugt). Dennoch ist das, was im Prinzip unter dem Konzept des öffentlich durchgesetzten privaten Rechts und Eigentums denkbar ist, nur in engen Grenzen klug und moralisch akzeptabel.
Wenn etwa heutige Generationen öffentliche Schulden machen, dann beinhaltet das zukünftige Steuern. Man hat es mit einem immer höheren stillschweigenden Konfiskationsvorbehalt zu tun. Soweit jedenfalls die öffentlichen Schulden bedient werden und ihr Wachstum nicht durch erhöhtes Wirtschaftswachstum überkompensiert wird, laufen heutige Ausgabenprogramme auf eine Verwässerung des Wertes künftiger rechtlicher Garantien hinaus. Der Preis für die Möglichkeit, wirtschaftliche Werte in einer „Privatrechtsgesellschaft“ auf der Basis einer öffentlich garantierten Privatrechtsordnung zu schaffen, wird immer höher. Diejenigen, die sich sonst gern Gedanken über nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftens machen, sollten das auch hier tun. Wenn sie das tun, dann müssen sie angesichts der Defizite, die in den Haushalten insbesondere der westlichen Privatrechtsordnungen entstehen, zutiefst erschrecken.
In Deutschland können sie immerhin eine gewisse Hoffnung aus der Tatsache schöpfen, dass ein Verbot künftiger Defizite zumindest ins Auge gefasst wurde. Die Verlegung einer Implementierung des Gebots in die Zukunft erinnert zwar stark an den bekannten Seufzer des heiligen Augustinus „Herr gib mir Keuschheit, doch bitte nicht sogleich!“. Aber vielleicht werden wir ja tatsächlich in der Zukunft keusch werden (mag, um mit Anthony de Jasay im Bilde zu bleiben, der Schlüssel zum Keuschheitsgürtel auch am Bettpfosten hängen). Schauen wir hingegen nach Amerika, dann ist nicht einmal der Wunsch nach fiskalischer Keuschheit zu erkennen. Vergangene private Verschuldung ist von der neuen Regierung nahtlos in ein noch obszöneres Programm öffentlicher Verschuldung überführt worden. Leider werden wir alle diese Suppe mit auslöffeln müssen. Es wird schließlich zur Konfiskation von Geldvermögen durch gezielte Inflation kommen müssen, wenn nicht zu schlimmerem.
- Zum 13. August
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„Für und Wider“ - 16. Juni 2024 - Das Grundgesetz
Keuschheitsgürtel der Demokratie - 23. Mai 2024
„Folgen wir der Logik, dass derjenige, der die Musik bezahlt, auch legitimiert ist zu bestimmen, was gespielt wird, dann darf der Souverän die Spielregeln der Privatrechtordnung einschließlich eines Konfiskationsvorbehaltes bestimmen.“
Folgen wir diese Logik sind die Bürger diejenigen die bezahlen. Also sollten Sie Ihrer Logik nach bestimmen. Die Wahrheit ist aber die Bürger werden „beraubt“ wenn man es eng betrachtet. Egal wie man sonst zu Staat steht oder nicht Steuern sind eine Zwangsabgabe.
Ihre Argumentation bzgl. Besitz ist ziemlich einseitig. Und auch die Argumentation bzgl. des Gewaltmonopols.
Und was Sie ganz unterschlagen. Wer hat den Staat den „gezwungen“ Geld in die HRE zu stecken. Das hat er freiwillig getan, und damit fängt ja das Nachfolgende erst an. Erst warn es ein paar Milliarden dann weitaus mehr und ein Ende nicht unbedingt in Sicht.
Für meinen Teil gestehe ich dem Staat nicht ein sich derart „ungeniert“ mit meinem Geld an solchen Firmen zu beteiligen, nur dagegen habe ich keine Handhabe…..
Friedrich: Haben Sie etwa einen anderen Beitrag gelesen, oder worauf bezieht sich Ihre Kritik?
„Die gegenwärtigen Pläne einer Enteignung der Besitzer der Hypo Real Estate bringen demgegenüber eine neue Qualität ins Spiel. “
Wie kann man etwas enteignen, dass nichts mehr Wert ist. Der Restwert entsteht nur durch die staatlichen Bürgschaften. Die Dimension des ungerechten ist nicht das ein paar Aktionäre ihr Geld verlieren, sondern das die Bad Bank der Hypo Vereinsbank genau einen Tag nachdem diese für ihre Tochter nicht mehr Haften muss vom Staat gestützt wird. Ein Schelm wer Böses dabei denkt.
@Karin, Komisch ich dachte ich hätte Ihnen geantwortet. Ich habe einen Teil des folgenden Satzes
…
auch legitimiert ist zu bestimmen, was gespielt wird, dann darf der Souverän die Spielregeln der “
das mit dem Souverän überlesen.
Ich bleibe aber bei den Fragen. Wer hat den Staat gezwungen in die HRE zu investieren?
Ich will eigentlich weniger dazu Stellung nehmen, ob die Maßnahmen der Bundesregierung vernünftig und zielführend sind. Als einem ziemlich eingefleischten Staatsskeptiker geht es mir nur darum, dass wir Skeptiker uns das Leben nicht zu leicht machen. Wollen wir nicht gegen jegliche Form staatlicher Organisation auftreten, können wir nur mehr schwer mit prinzipiellen Argumenten, sondern nur noch mit prudentiellen gegen Staatseingriffe der besprochenen Art auftreten. Kurz: Enteignung ist womöglich kein moralischer und rechtlicher „Rechtsbruch“, aber vielleicht unklug.
„Unter den gemachten Einschränkungen darf ohne ungebührlichen Systembruch zur Sicherung des Finanzsystems auch an eine Enteignung der Hypo real estate gedacht werden.“
Jetzt werden ja Aktien gekauft um die HRE zu stützen. Für 3 Euro das Stück und das obwohl die HRE 1 Euro pro Stück Wert ist und das auch nur, weil sie mir Staatsgeldern gestützt wird.
In diesem Bezug von etwaiger Enteignung zu reden ist völlig falsch. Wie kann man etwas Enteignen, dass man eigentlich schon 100 mal gekauft hat? Wo diese „Bank“ wichtig zur Sicherung des Finanzsystems sein soll ist mir auch nicht klar. Ich habe bisher immer nur gelesen, dass es so ist und niemals warum. Vielleicht hat hier mal einer Quellen. Denn ich weiß nur das diese ach so wichtige Bank eine Bad Bank der Hypo Vereinsbank war. Genau einen Tag nachdem diese die Haftung für ihre Tochter verloren hat schrie sie nach Staatshilfe. Der Untersuchungsausschuss hängt.
Ansonsten war der Artikel nicht schlecht, aber die üblichen Floskeln sollte man raushalten.