Weiterbildung im Urlaub – warum denn nicht?

Der Hauptgeschäftsführer des DIHK Wansleben hat eine Diskussion angestoßen, die deshalb notwendig ist, weil viele sie so brisant finden: Die Arbeitnehmer in Deutschland sollten überlegen, ob sie nicht einen Teil ihrer Urlaubs- und Freizeit in Weiterbildung investieren. Dahinter steht die neueste EU-Statistik, daß Deutschland mit 40 Tagen im Jahr nach Schweden auf dem zweiten Platz in der europäischen Urlaubs- und Feiertagsliga liegt (EU-Durchschnitt: 33,7) und zugleich bei der Jahresarbeitszeit (1659 Stunden) zu den Schlußlichtern zählt. Hinzu kommt, daß im Bereich des DIHK nur etwa ein Viertel aller Absolventen an einer Weiterbildungsprüfung teilnehmen.

Es war zu erwarten, daß alle Sozialfunktionäre in Gewerkschaften und politischen Parteien sich reflexhaft empört zeigen. Und diejenigen Politiker, die aus Wiederwahlgründen die politische Korrektheit und den Medianwähler im Auge haben, aber gleichwohl dem DIHK insgeheim recht geben, sind leise und gehen lieber in Deckung.

Acht Thesen zu Wanslebens Aussage biete ich an:

1. Freizeit ist Konsum, dagegen sind Bildung und Weiterbildung Investitionen. Investitionen in die eigenen Fähigkeiten, also in eigene Kenntnisse und Fertigkeiten, in eigenes Humanvermögen. Zum Teil sind es auch Reinvestitionen, die dazu dienen, daß man die einmal erworbenen, aber teilweise verlorenen Kenntnisse und Fähigkeiten wieder auffrischt, also den Stand des Humanvermögens nicht absenken läßt.

2. Konsum ist gegenwartsorientiert, Investitionen sind zukunftsorientiert. Durch Konsum verbrauche ich mein Einkommen und Vermögen jetzt, durch Investionen will ich mein Einkommen und Vermögen später erhöhen, indem ich heute auf Konsum verzichte. Wer viel Freizeit und also Konsum wünscht, hat eine hohe Gegenwartpräferenz und verzichtet lieber auf mögliche Einkommens- und Vermögenssteigerungen in der Zukunft. Wer dagegen viel investiert und also heute auf Konsum verzichtet, weil er sich weiterbildet, hat eine hohe Zukunftspräferenz, die auf spätere Verbesserungen seiner Lebenssituation ausgerichtet ist.

3. In der Mixtur zwischen Gegenwarts- und Zukunftspräferenz sind die Menschen auf dieser Welt sehr unterschiedlich gestrickt. Querschnittsanalysen zeigen, daß zum Beispiel die Nordamerikaner eine im Durchschnitt höhere Gegenwartspräferenz als die Europäer haben und diese wiederum eine höhere gegenüber den Asiaten zum Beispiel in Japan, Indien und China. Aber innerhalb der Länder, also auch in Deutschland, sind Gegenwarts- und Zukunftsorientierung der Menschen natürlich auch sehr unterschiedlich. Deshalb wollen die einen mehr Freizeit heute, die anderen mehr Arbeitsstunden und Einkommen, dafür weniger Freizeit und wiederum andere mehr Weiterbildung und weniger Freizeit heute, dafür höhere Löhne – und vielleicht auch mehr Freizeit – morgen.

4. Alles unterschiedliche Präferenzen. Und deshalb paßt es grundsätzlich nicht, wenn Gewerkschafter und Arbeitgeberfunktionäre durch Flächentarifverträge etwas gleichmachen wollen, was ungleich ist. Oder wenn Gewerkschafter und Politiker – angeblich im Namen aller Arbeitnehmer – den DIHK-Vorschlag für alle gleichermaßen ablehnen. Sie sind dazu auch gar nicht legitimiert, denn es steht ja jedem Arbeitnehmer frei, innerhalb seiner freien bezahlten 40 Tage selbst zwischen Gegenwartskonsum und Zukunftsinvestition zu entscheiden, zwischen Freizeit und Weiterbildung, zwischen Nur-Erholung und Auch-Anstrengung.

5. Aber warum denn eigentlich Weiterbildung in der Freizeit und nicht während der Arbeitszeit? Nun, diese Frage stellt sich eigentlich gar nicht, aber der internationale Statistikvergleich ist es ja, der den primären Aufhänger dieser Diskussion liefert: Weil die Deutschen signifikant weniger arbeiten als fast alle Europäer (und Arbeitnehmer außerhalb Europas), liegt es nahe, die Zusatzstunden der Freizeit in Deutschland, die über (fast) alle bezahlten Freizeiten außerhalb Deutschlands hinausgehen, als besonderes zeitliches Weiterbildungspotential in den Fokus zu nehmen.

6. Allerdings: Auch die Unternehmen haben ein Eigeninteresse an der Weiterbildung ihrer Arbeitnehmer, sie beklagen ja selbst den zunehmenden Facharbeitermangel. Deshalb steht es außer Frage, daß Weiterbildung auch und insbesondere in den Betrieben während der Arbeitszeit stattfinden muß. Denn auch für die Betriebe lohnt es sich, in das Humanvermögen ihrer Mitarbeiter zu investieren. Unternehmen, die dies vernachlässigen, werden im internationalen Standortwettbewerb zurückfallen und verlieren die Zukunft.

7. Nicht nur Unternehmen, sondern auch die Mitarbeiter selbst stehen im Wettbewerb. Nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern auch gegenüber den Indern und Chinesen, die zunehmend auf den internationalen Arbeitsmärkten als Konkurrenten präsent sind. Wer mehr in sein eigenes Humanvermögen investiert, verschafft sich einen Wettbewerbsvorteil gegenüber denen, die dies nicht tun. Die Tatsache, daß die Arbeitslosigkeit besonders hoch und andauernd ist bei den weniger qualifizierten Menschen, zeigt doch, daß die beste Immunisierungsstrategie gegen Arbeitslosigkeit in der Bildung und Weiterbildung von Humanvermögen liegt. Diejenigen Mitarbeiter, die neben der Betriebszeit auch noch ihre bezahlte Freizeit nutzen, um ihre Fähigkeiten auszubauen, haben arbeitsmarktpolitisch also eher die Nase vorn als diejenigen, die sich diesbezüglich nichts über die betriebliche Weiterbildung hinaus einfallen lassen.

8. Individuelle Weiterbildung, die sich nicht den Gleichheitspostulaten der Sozialfunktionäre für weniger Arbeit und mehr Freizeit für alle unterordnet und sich nicht auf den im internationalen Vergleich so üppigen deutschen Zeitbudgets bezahlter Nichtarbeit ausruht, bedeutet mehr Zukunftsorientierung im Wettbewerb um bessere Beschäftigungschancen, sicherere Jobs und höhere Einkommen in einer sich dynamisch ändernden Arbeitswelt. Mehr will der DIHK-Vorschlag wohl gar nicht sagen, aber ganz bestimmt auch nicht weniger.

Eine Antwort auf „Weiterbildung im Urlaub – warum denn nicht?“

  1. Ich empfehle die Lektüre von „My Job went to India and all I got is this lousy book“ – in manchen Unis – in denen jemand aufgewacht ist – steht das in der Bibliothek.

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