Die öffentliche Diskussion und die Wirtschaftsteile der Tageszeitungen scheinen derzeit nur zwei Themen zu kennen – die Verschuldungsproblematik im südlichen Euroraum nebst Irland sowie die nun vorerst gelöste (oder besser verschobene) Schuldenkrise der USA. Dabei wird leicht vergessen, dass auch wir in Deutschland ein Schuldenproblem haben – und zwar in größerer Dimension als das derzeit auf dem Papier stehende in Griechenland. Die Rede ist von den impliziten Schulden in den sozialen Sicherungssystemen und den Pensionslasten der Beamtenschaft.
Ein Teil dieser impliziten Lasten wird durch die unzureichende bzw. nicht-nachhaltige Finanzierung der Sozialen Pflegeversicherung verursacht. Als jüngster Pfeiler der sozialen Sicherung in Deutschland 1995 nach dem Umlageverfahren eingeführt, fehlen ihr bereits heute Reserven von rund 900 Milliarden Euro oder ca. 37 Prozent des Bruttoinlandprodukts, um das Leistungsniveau bei gegebenem Beitragssatz von 1,95 Prozent (2,20 Prozent für Kinderlose) real konstant zu halten (Quelle: Stiftung Marktwirtschaft). Wenn wir aber trotzdem das Leistungsniveau für die immer zunehmenden Pflegefälle aufrecht erhalten wollen, obwohl wir eben keine Rücklagen von 900 Milliarden im System haben, so bedeutet dies schlichtweg steigende Beitragssätze. Die Abbildung zeigt dabei die Dimensionen auf:
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Dabei ist eine genaue Projektion schwierig, weswegen zwei Szenarien unterschieden werden.
SZENARIO A folgt dabei der oben verwendeten Argumentation des real konstanten Leistungsniveaus. Der geneigte Kenner des elften Sozialgesetzbuches mag hier einwenden, dass in den Paragraphen 36 ff. nominale Geldbeträge genannt sind, jedoch sieht der Gesetzgeber ab 2014 eine stetige Überprüfung („Dynamisierung“ §30, SGB XI) in Dreijahresschritten vor. Somit ist ein einfaches „Kleinwachsen“ der Pflegeversicherung unwahrscheinlich und eine Anpassung an das allgemeine Wachstum zielführend, zumal es in §30 heißt „…dabei ist sicherzustellen, dass der Anstieg der Leistungsbeträge nicht höher ausfällt als die Bruttolohnentwicklung im gleichen Zeitraum.“
SZENARIO B bricht mit diesem Satz und geht sogar von einem um ein Prozentpunkt stärkeren Wachstum der Pflegeleistungen als in der Gesamtwirtschaft aus. Die Gründe können dabei vielfältig sein. Zum einen ist im Pflegesektor die auf Baumol und Bowen (1966) zurückgehende Kostenkrankheit beobachtbar. Während die Löhne im Pflegesektor gemäß der allgemeinen Lohnentwicklung wachsen, steht dieser Kostensteigerung kein Rationalisierungspotential gegenüber. Zum anderen kann es aufgrund der Demografie Deutschlands und anhaltender Trends wie etwa einer steigenden Frauenerwerbstätigkeit oder einer wachsenden Single-Gesellschaft zu einer Veränderung des Pflegemix kommen. Dabei wird die relativ günstige ambulante Pflege durch Angehörige (bislang meist Töchter oder Ehefrauen) vermehrt substituiert durch teurere ambulante professionelle Pflege oder gar durch noch kostspieligere stationäre Pflege.
Welches Szenario nun auch immer zutreffen mag, ohne einschneidende Reformen sehen wir uns mit mindestens einer Verdoppelung, eher aber einer Verdreifachung des allgemeinen Beitragssatzes zur Pflegeversicherung konfrontiert. Prinzipiell hat dies der Gesetzgeber auch erkannt, doch wie man derzeit in den Tageszeitungen lesen kann, wird auch wieder eine Verschiebung der für den Herbst geplanten Vorstellung einer umfassenden Reform der Sozialen Pflegeversicherung diskutiert. Dabei liegt die notwendige Stoßrichtung einer solchen Reform klar auf der Hand: Wir brauchen mehr Eigenverantwortung und Kapitaldeckung in der Pflege und sollten den Geburtsfehler von 1995, die Pflege im Umlageverfahren abzusichern, so klein wie nur möglich halten.
Dabei führen naturgemäß mehrere Wege nach Rom. Ein Einfrieren des Beitragssatzes und damit ein langfristiges Absenken des realen Leistungsniveaus ist sicherlich ein aus bürokratischer Sicht guter Vorschlag. Allerdings birgt er die Gefahr, dass zukünftige Regierungen, wie bei der Gesetzlichen Krankenversicherung bereits geschehen, auf die Idee eines Auftauens kommen könnten. Zudem gilt es die private Vorsorge zu organisieren. Wirklich liberale Geister könnten zwar hier auf die Rationalität der Haushalte setzen, wahrscheinlicher ist aber leider wieder eine Form einer vom Steuerzahler geförderten Pflegevorsorge.
Ein anderer Weg wäre die Einführung einer Karenzzeit. So könnte man das durchschnittliche Pflegerisiko privatisieren und die Soziale Pflegeversicherung wäre nur noch für die „Hochrisiken“, also diejenigen Fälle mit einer überdurchschnittlichen Pflegedauer zuständig. Diese Hochrisikoversicherung kann dann auch weiterhin in der Umlage stattfinden, auch wenn natürlich 1995 eine fast vollständige Kapitaldeckung das sinnvollste gewesen wäre.
Welchen Weg – und leider gibt es dabei auch ein paar Irrwege wie eine Ausweitung des Umlageverfahrens à la Bürgerpflegeversicherung – die Politik geht, ist sicherlich keine rein ökonomische, sondern eine gesellschaftliche Frage. Im Sinne zukünftiger Generationen wäre es aber wünschenswert, wenn es wirklich einen heißen Herbst für die Pflegeversicherung geben würde und nicht wieder nur ein laues Reformlüftchen.
Literatur:
Baumol, William J. und William G. Bowen (1966), Performing Arts: The Economic Dilemma, New York: The Twentieth Century Fund.
- Gesundheitspolitik am Scheideweg - 21. November 2013
- Der King bzw. die Queen of Beamtenversorgung - 8. September 2013
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