Die Volkswirtschaftslehre hat vor einigen Jahrzehnten einen kleinen Umbruch erlebt, als Public Choice — die ökonomische Theorie der Politik — auftauchte. Politische Entscheidungen sind nun selbst Gegenstand der ökonomischen Analyse und nicht mehr einfach in den Datenkranz verbannt. Das ist die eine Seite.
Die andere Seite ist, daß man sich inzwischen durchaus den Vorwurf rührender Naivität gefallen lassen muß, wenn man wirtschaftspolitische Ratschläge gibt ohne dabei zu berücksichtigen, wie deren Realisierung die Anreize der politischen Entscheidungsträger verändert. Ganz besonders gilt dies natürlich für Vorschläge, die unmittelbar die Spielregeln, den Ordnungsrahmen verändern.
Es sollte für jedermann offensichtlich sein, daß Eurobonds die Spielregeln ganz massiv verändern würden. Die Argumente sind so bekannt wie schlüssig: Die Informations- und Anreizwirkung differenzierter Zinsniveaus für unterschiedliche Länder fällt weg, Anreize zu solider nationaler Finanzpolitik werden noch mehr reduziert. Wir erinnern uns: Die Schuldenparty wurde verursacht durch Niedrigzinsen für Südländer, und die gab es wegen des — leider zutreffenden — Glaubens der Finanzmärkte daran, daß es im Zweifelsfall schon einen Bailout geben würde.
Nun soll dieses einheitliche Niedrigzinsniveau also institutionalisiert werden. Das bedeutet, daß in noch größerem Umfang als bisher Markt durch Hierarchie ersetzt werden müßte, wenn man einen Fortgang der Schuldenparty verhindern möchte. Eine Schuldenbremse für alle Euro-Staaten und eine europäische Wirtschaftsregierung wären da ein Anfang.
Als Pessimist, und welcher Ordnungsökonom ist das nicht in diesen Zeiten, kann man also die Ergebnisse des jüngsten Merkozy-Gipfels auch so interpretieren, daß die Absage an Eurobonds nur vorläufig und fadenscheinig ist, daß im Gegenteil erst einmal an den institutionellen Voraussetzungen für Eurobonds gearbeitet wird. Wenn diese dann da sind, dann schauen wir mal was noch kommt.
Was bedeutet es nun, wenn Markt durch Hierarchie ersetzt wird? Natürlich wäre es übertrieben zu behaupten, daß die Kontrolle der Politik durch den Finanzmarkt immer reibungslos funktioniert. Die einzelnen Gegenbeispiele sind wohlbekannt. Man kann aber wohl mit Fug und Recht behaupten, daß die hierarchische Kontrolle der Politik mit weit höherer Wahrscheinlichkeit in einem Desaster endet. Erinnert sich noch jemand an den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt?
Europa hat ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. Nach den Erfahrungen der letzten Jahre kann eigentlich niemand so gutgläubig sein, daß er Brüssel die Durchsetzung einer soliden Finanzpolitik in den Nationalstaaten unter einem Eurobond-Regime zutraut. Das wird nicht passieren. Stattdessen wird der fiskalische Konsolidierungsdruck der Problemländer nachlassen, die Schuldenparty weitergehen.
So ist man dann doch erstaunt, wenn man liest, daß Robert von Heusinger in der Frankfurter Rundschau argumentiert, daß das Zinsniveau von Eurobonds sich auf dem deutschen Niveau einpendeln wird, für Deutschland also gar keine Mehrkosten entstehen werden. Er macht, völlig klischeehaft, den Fehler, den schon Generationen keynesianischer Saldenmechaniker gemacht haben und blendet die politischen Anreizprobleme einfach aus.
Eurobonds werden für Deutschland sehr teuer. Es mag sein, daß es erstmal auf einem niedrigen Zinsniveau losgeht, hinreichenden und überschießenden Optimismus der Anleger vorausgesetzt. Aber der Vertrauensverlust in die noch zu schaffenden Institutionen wird eher früher als später einsetzen, wenn die Schuldenstandsquoten der üblichen Verdächtigen sich wieder eher verschlechtern als verbessern. Denn eines ist sicher: die neuen europäischen Spielregeln werden so dysfunktional wie die alten. Mindestens.
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Sehr geehrter Herr Schnellenbach,
ich sehe es ähnlich wie Sie. Die größte Gefahr sind und bleiben die Politiker mit ihren allzuoft falschen Entscheidungen. Ökonomische Gesetzmäßigkeiten werden ignoriert oder ausgehebelt. Die Politik bürdet den nachfolgenden Generationen monetäre Lasten auf, die so schwerwiegend und lähmend sein werden, dass die Lösung der Endlagerproblematik der Kernbrennelemente dagegen ein Kinderspiel sein wird. Der Wohlstand in diesem Lande scheint einigen zu Kopf zu steigen. Denn seit einiger Zeit wird der Wohlstand hierzulande verzockt, mit dem Ausstieg aus der Kernenergie und der Diskussion um die „Sozialisierung der Schulden in der EWU“.
Insbesondere wenn Juristen wie Gysi oder Sozialpädagogen wie Trittin sich zu Euro-Bonds äußern kann ich einfach nur mit dem Kopf schütteln. So viel geballte ökonomische Inkompetenz darf über die Zukunft unseres Landes debattieren und mitbestimmen…Ich bin besorgt über die Zukunft meines Heimatlandes. Wann merkt endlich die Politik, dass sie das Problem ist, und nicht die Ratingagenturen und Spekulanten?
Ich bin mir nicht sicher, ob die Grundidee von Ordnungspolitik nicht bereits ein gewisses Maß an „Naivität“ in Bezug auf die Möglichkeit impliziert, wirtschaftliche Rahmenordnungen zu etablieren, die funktionsfähige Märkte ermöglichen. Ordnungspolitik und völliger Staatsskeptizismus passen nach meiner Einschätzung logisch nicht zusammen. Im Gegensatz zu radikaleren liberalen Entwürfen, hat sich die Ordnungspolitik ja immer eher leicht damit getan, die Möglichkeit von Marktversagen einzugestehen und pragmatisch (und auch unter Berücksichtigung politökonomischer Erkenntnisse) Institutionen zu entwerfen, die den verschiedenen Formen von Marktversagen entgegenwirken. Das ist doch eigentlich kaum bestreitbar für Bereiche wie Wettbewerbspolitik, Umweltpolitik und Bildungspolitik. Nach meiner Auffassung ist vor allem das Prinzip „Nicht mehr Staat als unbedingt notwendig“ konstituierend für den Ordoliberalismus, denn es leitet sich aus dem Prinzip ab, so viel Entscheidungsfreiheit wie irgend möglich den Individuen einer Gesellschaft zu einzuräumen.
Das führt natürlich zu der Frage, wieviel Staat in einer bestimmten Problemsituation „unbedingt notwendig“ ist. Aus wissenschaftstheoretischer Sicht kann man eine Reihe von Gründen dafür finden, dass eine sichere Antwort auf Frage dieser Art nicht immer möglich ist. Wenn wir mit den anderen Erfahrungswissenschaften unterstellen, dass es nur eine exogen gegebene Realität gibt, dann ist zwar klar, dass es nur eine Wahrheit über diese Realität geben kann. Das Problem ist aber, dass wir uns nie sicher sein können, ob die empirischen Sätze, die wir über diese Realität formulieren, bereits dieser Wahrheit entsprechen. Denn unsere empirischen Sätze setzen sowohl Einschätzungen über die in einer bestimmten Situation gegebenen empirischen Fakten voraus als auch Einschätzungen über den empirischen Bewährungsgrad der Theorien, mit denen wir die Fakten interpretieren. Vereinfacht formuliert: Niemand kann für sich beanspruchen, die Wahrheit gepachtet zu haben. Wir tun alle gut daran, die Möglichkeit nie ganz auszuschließen, dass unsere eigenen Einschätzungen sich am Ende als falsch und andere Einschätzungen sich als richtig erweisen. Ich wäre im Moment ausgesprochen erleichtert, mir würde jemand nachweisen, dass meine Interpretation der in Tabelle „Szenarien für den Bankrott der GIPSI-Staaten“ gegebenen Zahlen falsch ist. Zur Anreizwirkung der Zinsdifferenz zwischen Blue- und Red-Bonds ist, denke ich, das Notwendige schon gesagt worden. Man kann daran, so weit ich sehe, kritisieren, dass nach der ursprünglichen Konzeption von Delpla/Weizäcker die Differenz eher zu groß als zu klein ausfallen wird. Aber so weit sind wir in der Diskussion ja nicht vorangekommen.