Was macht man mit Produkten, die man im eigenen Land nicht los wird? Man exportiert sie ins Ausland. Auf dieses Konzept, mit dem die deutsche Industrie seit langem so erfolgreich ist, hat sich jetzt offenbar auch der Bundeswirtschaftsminister besonnen.
Zum Rettungspaket für Griechenland, das auf dem Euro-Sondergipfel am 21. Juli 2011 beschlossen wurde, gehören auch Maßnahmen zur Revitalisierung der Wettbewerbsfähigkeit des Landes. Eine Schlüsselrolle kommt dabei dem Anlocken ausländischer Investoren zu, denn sie haben in der Regel nicht nur Investitionskapital im Gepäck, sondern auch moderne Technologien und effiziente Unternehmensstrukturen. Zudem bringen sie den frischen Wind des Wettbewerbs mit, der auch den alteingesessenen Inlandsunternehmen gut tun dürfte.
Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler hat dazu jetzt eine „Investitionskonferenz“ einberufen, an dem über zwanzig deutsche Wirtschaftsverbände teilnehmen. Zu deren Enttäuschung winkt Rösler allerdings nicht mit Subventionen für deutsche Investitionen in Griechenland, sondern möchte sich auf die dortigen Rahmenbedingungen für Auslandsinvestitionen konzentrieren. Das ist grundsätzlich der richtige Ansatz, denn ausländische Hilfen zur Verbesserung der griechischen Wettbewerbsfähigkeit würden wirkungslos versickern, solange die Bedingungen vor Ort eher investitionsfeindlich sind. Die Frage ist aber, ob die Bedingungen überhaupt von außen beeinflusst werden können oder ob hier nicht ganz allein die griechische Seite gefordert ist.
Die deutschen Wirtschaftsverbände selbst geben als wichtigstes Investitionshemmnis die Kreditrationierung in Griechenland an. Überzeugend daran ist, dass griechische Banken sich derzeit tatsächlich schwer tun mit der Kreditvergabe, da ihnen die liquiden Mittel fehlen. Weniger überzeugend ist dagegen, dass dies nicht nur griechische, sondern auch deutsche Investoren vor Probleme stellen soll. Wer seiner Hausbank ein überzeugendes Investitionsprojekt präsentieren kann, dürfte mit einer Kreditfinanzierung aus Deutschland auch dann kein Problem haben, wenn das Projekt in Griechenland angesiedelt ist. Es gibt keinen Grund, die bestehenden Programme der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) oder der Europäischen Investitionsbank (EIB) auf Kosten der Steuerzahler mit Sonderprogrammen für Griechenland aufzustocken.
Als weiteren Ansatzpunkt zur Verbesserung der Investitionsbedingungen geben Wirtschaftsminister und Wirtschaftsverbände die „Verbesserung der Verwaltungsstrukturen“ und die „Erhöhung der Rechtssicherheit“ an. Im Klartext geht es dabei nicht nur um die Entrümpelung von Genehmigungsprozeduren, sondern auch und gerade um die Bekämpfung von Korruption. Dies ist ohne Zweifel ein wichtiges Anliegen, doch der geneigte Beobachter fragt sich auch hier, wie dieses Problem denn von außen gelöst werden soll. Es wird nicht viel mehr möglich sein, als die Probleme in diesem Bereich möglichst deutlich anzusprechen und ansonsten auf die Reformbereitschaft der griechischen Gesellschaft zu vertrauen.
Als international vorbildlich gilt das deutsche System der dualen Berufsausbildung. Vermutlich stünde die griechische Wirtschaft besser da, wenn sie sich auf ein ähnliches System stützen könnte. Doch ein solches System lässt sich nicht einfach dadurch etablieren, indem man pensionierte deutsche Gewerbelehrer nach Griechenland entsendet, wie auf der Investitionskonferenz vereinbart. Solange die komplementäre Infrastruktur fehlt, werden die Lehrer aus Deutschland wenig ausrichten können, zumal sie meist wohl nicht einmal die dortige Landessprache beherrschen.
Rösler möchte nicht nur pensionierte Gewerbelehrer, sondern auch pensionierte Treuhand-Mitarbeiter nach Griechenland entsenden, um bei den geplanten Privatisierungen mitzuhelfen. Genau wie bei den Gewerbelehrern wären die Kosten eines solchen Hilfsprogramms gering – der Nutzen aber wohl auch. All den bisher angesprochenen Maßnahmen ist gemeinsam, dass sie zwar wenig ausrichten können, aber zumindest in die ordnungspolitisch richtige Richtung gehen.
Aufs ordnungspolitische Glatteis begibt sich der Bundeswirtschaftsminister dagegen mit dem geplanten Ausloten der konkreten Investitionsmöglichkeiten in den verschiedenen Branchen. Ob die Tatsache, dass in Griechenland die Sonne scheint, tatsächlich ausreicht, um dieses Land zu einem leistungsfähigen Exporteur erneuerbarer Energien zu machen, sollten doch lieber private Investoren entscheiden, die mit ihrem eigenen Geld haften. Auch die vom Wirtschaftsminister identifizierten lohnenden Investitionen in den Tourismus klingen zunächst einmal plausibel, doch auf diese Idee könnten private Investoren wohl auch ohne staatliche Ratschläge kommen. Die Identifikation der Telekommunikation und der Infrastruktur als lohnende Bereiche für Auslandsinvestitionen dürfte wohl in erster Linie Reflex des tatsächlichen Engagements deutscher Investoren sein, während der von Rösler empfohlene Investitionsschwerpunkt Gesundheitswesen möglicherweise seine eigene politische Vergangenheit wiederspiegelt.
Insgesamt sollte sich der Bundeswirtschaftsminister aus der Benennung konkreter Investitionsbereiche möglichst heraushalten, zumal sein zentrales Anliegen, den Griechen die Grundlagen deutscher Ordnungspolitik nahezubringen, auf diese Weise eher verwischt würde.
Das vermutlich größte Investitionshemmnis kommt aber in der Agenda der Investitionskonferenz des Wirtschaftsministers gar nicht vor. Der griechische Staat hat sich in der Vergangenheit wiederholt als zahlungsunwillig bis an den Rand des Vertragsbruchs gezeigt, wodurch das Vertrauen internationaler Investoren nachhaltig beschädigt worden sein dürfte. Hohe Wellen schlug beispielsweise der Fall Hellenic Shipyards – bis vor kurzem noch eine Tochtergesellschaft von Thyssen-Krupp. Der deutsche Konzern hatte diese Werft erworben, um die Auflagen zum „local content“, die an den Liefervertrag über vier Unterseeboote geknüpft waren, erfüllen zu können.
Das erste dieser Schiffe wurde auf der zu Thyssen-Krupp gehörenden Werft in Kiel pünktlich fertiggestellt, und der Bau der drei übrigen Schiffe wurde vereinbarungsgemäß bei Hellenic Shipyards in Angriff genommen. Doch dann wollte die griechische Regierung von dem Vertrag offenbar nichts mehr wissen. Sie verweigerte die Abnahme des in Kiel fertiggestellten Schiffs mit Hinweisen auf zahlreiche technische Mängel, die in Branchenkreisen als an den Haaren herbeigezogen galten. Zusätzlich ließ sie den Weiterbau der drei in Griechenland zu fertigenden Schiffe stoppen. Erst als die deutsche Bundesregierung im Zuge der Verhandlungen um den Euro-Rettungsschirm Druck auf Athen ausübte, wurden das fertiggestellte Unterseeboot abgenommen und die seit dem Jahr 2006 ausstehenden Zahlungsverpflichtungen in Höhe von rund einer halben Milliarde Euro beglichen. Thyssen-Krupp hatte daraufhin verständlicherweise die Freude an seiner griechischen Tochter verloren. Doch selbst dem Verkauf der Hellenic Shipyards an den arabischen Schiffbauer Abu Dhabi Mar legte die griechische Regierung bürokratische Steine in den Weg, mit denen sie versuchte, die geschlossenen Verträge nachträglich noch zu ihren Gunsten zu verändern.
Der Fall Hellenic Shipyards ist kein Einzelfall. So lieferte das Unternehmen Krauss-Maffei im Jahr 2008 einhundert Panzer vom Typ Leopard an Griechenland aus, bekam aber nur zwanzig von ihnen bezahlt. Als Begründung wurden ebenfalls vermeintliche technische Mängel ins Feld geführt. Um eine Begleichung der ausstehenden Rechnungen in Höhe 480 Millionen Euro zu erreichen, musste sich auch hier die Bundesregierung einschalten.
Angesichts solcher Erfahrungen erscheint es fraglich, ob ausländische Investoren in der näheren Zukunft tatsächlich wieder zu größeren Engagements in Griechenland bereit sein werden. Das Land wird die Revitalisierung seiner Wirtschaft womöglich ohne nennenswerte Unterstützung durch Auslandsinvestoren hinbekommen müssen. Und Herr Rösler wird sich wohl doch in Deutschland nach Interessenten für seine Ordnungspolitik umschauen müssen.
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Ein entscheidender Faktor ist wohl wirklich die Rechtssicherheit. Hier wäre die erste Aufgabe aber, die Ordnungspolitik nach Brüssel zu exportieren. Würden die europäischen Rechtsstandards auch in Griechenland vollständig durchgesetzt, wäre schon viel für die Investitionsbereitschaft gewonnen. So wäre es zum Beispiel dringend geboten, eine schnelle Nachfolgeregelung für die bestehenden Investitionsschutzverträge Griechenlands mit den anderen europäischen Ländern zu finden. Brüssel und Straßburg lassen sich viel zu lange Zeit, die Kompetenz haben sie schon Ende 2009 mit dem Lissabon-Vertrag erhalten. Ohne Rechtssicherheit wird kein Geld fließen. Investitionsschutzverträge sind seit vielen Jahrzehnten ein bewährtes Element zur Herstellung dieser Rechtssicherheit.
Ordnungspolitik ist die Illusion mittels Politik Ordnung zu schaffen.