Wie sinnvoll ist der Ökonomie-Nobelpreis?

Wieder ist der „Nobelpreis“ für Wirtschaftswissenschaften verkündet worden, und wieder ist die Aufregung groß. Ausgezeichnet wurden ausgerechnet Vertreter einer Makroökonomie „rationaler Erwartungen“, die Paul Krugman (Preisträger 2008) als “spectacularly useless at best, and positively harmful at worst“ (http://www.economist.com/node/14030288) bezeichnet hat.

Ich kann nicht darüber richten, ob Thomas Sargent und Christopher Sims den Preis, gerade jetzt, „verdient“ haben (vgl. etwa Olaf Storbeck für eine sehr bissige, aber bedenkenswerte Polemik http://blog.handelsblatt.com/handelsblog/2011/10/11/nobelpreis-fur-das-ancien-regime/ und Tyler Cowen für eine eher positive Würdigung http://marginalrevolution.com/marginalrevolution/2011/10/thomas-sargent-nobel-laureate.html). Es geht mir um die grundsätzliche Frage, ob ein „Ökonomie-Nobelpreis“ für die Wirtschaftswissenschaften und ihre Wirkung auf die Öffentlichkeit und Politik überhaupt insgesamt sinnvoll ist oder ob er nicht besser abgeschafft gehört. Ich will vor allem drei Nobelpreis-skeptische Argumente diskutieren:

a) Ökonomik ist eine Sozialwissenschaft, in der „Leistung“ und „Fortschritt“ schwer zu bewerten sind,

b) der Preis verstärkt die Pfadabhängigkeit von Modeerscheinungen oder eines tradierten „mainstream“-Denkens in der Ökonomik,

c) der Preis verleitet zu einer Anmaßung bzw. Zumutung von Allwissenheit der Preisträger.

Welcher Preis wofür?

Die einfachste Antwort auf die Frage „wie sinnvoll ist ein Ökonomie-Nobelpreis?“ ist die, dass dieser gar nicht erst abgeschafft werden muss, weil es ihn nie gab. Der Ökonomie-Preis wurde nicht vom Erfinder des Dynamits gestiftet, sondern von der schwedischen Reichsbank und heißt deshalb auch korrekterweise „Preis für Wirtschaftswissenschaften der schwedischen Reichsbank im Gedenken an Alfred Nobel“. Alfred Nobel (1833-1896) selbst konnte sich nicht mehr gegen den erst seit 1969 vergebenen Preis in seinem Namen wehren. Einige seiner Erben taten dies aber und verweisen etwa auf einen Brief, in dem Nobel schreibt „ich habe keine Wirtschafts-Ausbildung und hasse sie von Herzen“ (http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/nobelpreis-der-wirtschafts-nobelpreis-ist-eine-umstrittene-auszeichnung-1191876.html).

Auch wenn es damit keinen „echten“ Ökonomie-Nobelpreis gibt, folgt das Prozedere doch weitgehend dem für die Preise für Medizin, Chemie und Physik. Es geht hinsichtlich der Wissenschaften in Nobels Testament (http://profmokeur.ca/chemie/?var1=http://profmokeur.ca/chemie/nobelge.htm) um die jeweils „bedeutendsten Entdeckungen oder Erfindungen“, die „der Menschheit den größten Nutzen erbracht haben“, also um neue Erkenntnisse, die einigermaßen unzweifelhaft einen wissenschaftlichen „Fortschritt“ herbeigeführt haben. An dieser Stelle könnte ein Disput um große Fragen beginnen, wie: „gibt es wirklich ,Fortschritt“˜ in der Ökonomik?“,  „sind in den Sozialwissenschaften die gleichen Bewährungs- und Fortschrittskriterien anwendbar wie in den experimentellen Naturwissenschaften oder der Medizin?“, „ist Poppers Falsifikationskriterium auf komplexe Phänomene spontaner Ordnungen als Ergebnisse menschlichen Handelns (aber nicht menschlichen Entwurfs) überhaupt anwendbar?“, sollte die Ökonomik überhaupt anstreben, eine „zweite Physik“ (http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=689) zu sein? – und Vieles mehr. Ich will hier nun nicht das übergroße Fass eines wirklichen „Methodenstreits“ oder „Streits der Fakultäten“ aufmachen (allein zur Frage „is there progress in economics“ empfehle ich über 400 Seiten in Boehm u.a. 2002[1]).

Zurück zum Nobelpreis. Den wollte schon Nobel schließlich auch für Literatur und Frieden vergeben. Gibt es „Fortschritt“ (oder nur „Fortschreiten“, „Entwicklung“, „Differenzierung“ Max Weber 1913 http://www.gleichsatz.de/b-u-t/begin/web52.html) in der Literatur? Sicher sind hier die Kriterien noch unsicherer als bei den Natur- oder Sozialwissenschaften. Romanschreiben oder Friedenstiften sind keine Wissenschaft. Aber es sind wichtige Bereicherungen und Sicherungen unseres Lebens. Ökonomik nimmt eine Stellung zwischen den beiden Nobelpreis-Kategorien ein. Sie ist eine spezielle Art der wissenschaftlichen „Literatur“ oder „Rhetorik“ (McCloskey http://www.deirdremccloskey.com/docs/pdf/Article_110.pdf), die den „typischen“ Menschen, seine subjektiven Erwartungen und seine Interaktion mit anderen Menschen zum Inhalt hat (oder bei allen soeben genobelten VAR-Analysen wenigstens im Hintergrund haben sollte). Ökonomik ist eine Literatur, die theoretisch und empirisch – wie keine andere Wissenschaft – zeigen kann, wie über freiwilligen Tausch und (preis-) signalgeordnete Kommunikation unter allgemeinen Regeln gerechten Verhaltens die Marktwirtschaft der Freiheit und dem Frieden dient (Über den „kapitalistischen Frieden“, s. Weede). Insofern kann ökonomische „Literatur“ mit Instrumenten einer Erfahrungswissenschaft auch dem „Frieden“ dienen oder dem Menschen „großen Nutzen“ (Nobel) bringen.

Nobelpreis als Verstärker des pfadabhängigen mainstream?

1974 wurde der „Ökonomie-Nobelpreis“ geteilt – zwischen Gunnar Myrdal und Friedrich von Hayek. Beide fühlten sich persönlich geehrt, waren aber einer Abschaffung des Preises zugeneigt. Myrdal etwa protestierte dagegen, dass „reaktionäre“ Ökonomen wie Hayek und später auch noch Milton Friedman (1976) von der Schwedischen Akademie ausgezeichnet wurden (s. http://www.samuelbrittan.co.uk/text172_p.html). Hayek (http://www.nobelprize.org/nobel_prizes/economics/laureates/1974/hayek-speech.html?print=1) erklärte beim Festbankett, dass er, wäre zuvor gefragt worden, ob es diesen Preis geben sollte, entschieden dagegen votiert hätte. Hayek nannte als ersten Grund seine Befürchtung, ein solcher Preis könnte den momentan modernen „mainstream“ der Wirtschaftswissenschaften weiter vertiefen und somit den offenen Wettbewerb der Ideen als „Entdeckungsverfahren“ durch elitäre Urteile von oben verzerren.

Hayek selbst freilich sah diesen Verdacht durch seine eigene völlig unerwartete Ehrung vorübergehend ausgeräumt. Er war 1974 seitens der neoklassischen Ökonomie fast völlig vergessen und hatte diese (wie sie sich seit den 1930er Jahren entwickelte) fast völlig verlassen. Dass er in den Debatten mit den Walrasianischen Sozialisten (1935-1937) durchweg und mit Keynes und den Keynesianern  (1931-heute) weitgehend entscheidende Argumente vorbrachte, wäre heute vielleicht nur einem kleinen Kreis von Ideenhistorikern bekannt, hätte es diesen Preis nicht gegeben. Man darf vielleicht von Glück reden, dass die Schwedische Akademie nicht, wie dies Alfred Nobel einst verlangte, die wissenschaftlichen Fortschritte nur des gerade vergangenen Jahres prämierte.

Assar Lindbeck, der das Preisgericht lange leitete, hebt vielmehr „originality“, „impact on scientific work“ und „practical importance“ hervor (http://www.nobelprize.org/nobel_prizes/economics/articles/lindbeck/)[2]. So konnte es auch geschehen, dass etwa Ronald Coase für “the nature of the firm“ (1937) erst fast 60 Jahre später ausgezeichnet wurde. Überhaupt scheint die Betonung der Kriterien von Assar Lindbeck (vor allem: Originalität und praktische Bedeutung) wissenschaftsinternen Selbstverstärkung des „mainstream“ gelegentlich wenigstens kleine Hürden und kurze Denkpausen aufzuerlegen. Viele überraschende Preisverleihungen haben auch Leistungen jenseits des mainstream prämiert. Ich denke etwa an Douglass North, James Buchanan, Amartya Sen oder Elinor Ostrom: „Ordnungsökonomen“ im modernen Sinn (vgl. Goldschmidt u.a. http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftswissen/wissenschaftsdebatte-was-ist-und-was-kann-ordnungsoekonomik-1818053.html)!

Wenn der Nobelpreis also einem dreifachen Zweck dient: Würdigung schon fast ideenhistorischer vergangener Leistungen, Ermutigung für künftige Arbeiten, und Lenkung der Aufmerksamkeit auf Arbeiten mit „praktischer Bedeutung“, so finden sich sicher nicht jedes Jahr Preisträger, die alle drei Kriterien gleichermaßen erfüllen. Insgesamt erscheint mir aber in dieser dreifachen Hinsicht der Nobelpreis als wertvollerer Indikator und Motivator als etwa der aktuelle social science citation index oder stark „mainstream“- und „short-term“ lastige rankings von Zeitungen oder Universitäten.

Nobelpreis als Anmaßung und Zumutung von Wissen?

Auch wenn man die beiden erstgenannten Gründe für eine Abschaffung des Ökonomie-Nobelpreises („keine echte Wissenschaft“, „mainstream-Vertiefer“) für wenig stichhaltig hält, bleibt der letzte Einwand. Den hat von Hayek (http://www.nobelprize.org/nobel_prizes/economics/laureates/1974/hayek-speech.html?print=1) in seiner Tischrede zur königlichen Zeremonie 1974 so geäußert:

„that the Nobel Price confers on an individual an authority which in economics no man ought to possess. This does not matter in the natural sciences. Here the influence by an individual is chiefly an influence on his fellow experts, and they will soon cut him down if he exceeds his competence. But the influence of the economist that mainly matters is an influence over laymen, politicians, journalists, civil servants and the public generally. There is no reason why a man who has made a distinctive contribution to economic science should be omnicompetent on all problems of society – as the press tends to treat him till in the end he may be persuaded to believe … I am not sure that it is desirable to strengthen the influence of a few individual economists by such a ceremonial and eye-catching recognition of achievements, perhaps pf the distant past. I am therefore almost inclined to suggest that you require from your laureates an oath of humility, a sort of Hippocratic oath, never to exceed in public pronouncements the limits of their competence“.

Nun wird die Schwedische Akademie sicher keinem Preisträger ernsthaft einen solchen Eid abverlangen – und nicht alle würden ihn glaubwürdig ablegen können. Aber Hayeks (und Keynes“˜) Argument, dass gerade auch die Ideen von Ökonomen „in the long term“ vielleicht sogar mehr als partikuläre Interessen einen potentiell ebenso günstigen wie schädlichen Einfluss auf Politik, Presse und öffentliche Meinung haben, spricht für Vorsicht. Die „Anmaßung von Wissen“ (Hayeks Nobelpreisrede 1974 http://www.nobelprize.org/nobel_prizes/economics/laureates/1974/hayek-lecture.html) ist gefährlich – für die Ökonomik selbst, aber auch für die von ihr inspirierte Politik, Finanzwelt oder Andere. Und dies nicht nur, wenn Andere der „genobelten“ Ökonomik blind und in allem vertrauen, sondern auch, wenn sie auf zentrale Einsichten der Ökonomik blind in eigener Anmaßung verzichten. Die aktuelle(n) Krise(n) und der aktuelle Nobelpreis liefern hierfür diskutierbare Beispiele.

Fazit

Ich habe versucht, drei Argumente gegen einen Ökonomie-Nobelpreis „kurz“ zu diskutieren. Erst habe ich angedeutet, dass die Stellung der Ökonomik zwischen den weichen Disziplinen (wenn es denn überhaupt welche sind) „Literatur“ oder „Frieden“ und den „harten“ Naturwissenschaften eigentlich ganz passend ist. Dann habe ich argumentiert, dass der Nobelpreis innerhalb der Ökonomik nicht notwendig ein Moden- oder mainstream- Verstärker ist, sondern immerhin besser als die im Wissenschaftsbetrieb selbst generierten Standards geeignet ist, die Vielfalt origineller, schulbildender und praktisch wertvoller Forschung herauszuheben. Schließlich blieb das Argument der Anmaßung oder Zumutung von Wissen bzw. das Problem, innerhalb einer meinungsbildenden Kaste einzelne Wenige zu „nobeln“.

Gibt es einen „gerechten (Nobel-) Preis“ jenseits von freien, offenen, wettbewerblichen Märkten? Noch so eine fundamentale und fast schon rhetorische Frage, über die man viel schreiben könnte (über Preise im Sinne von „awards“ als extrinsische, aber nichtpekuniäre Anreize oder Kompensationen hat Bruno Frey in verschiedenen, bzw. mehreren, Publikationen geschrieben, etwa: Frey http://www.bsfrey.ch/articles/458_07.pdf). Sicher nicht! Aber das ist noch kein hinreichender Grund, den Preis abzuschaffen. Solange der „Nobel-Preis“ die historische, aktuelle und potentielle Vielfalt ökonomischer Forschung besser erfasst als übliche wissenschaftsinterne Selektionskriterien; wenn er sich gar zu einem Preis für sozialwissenschaftliche Forschung generell entwickeln könnte; und wenn er dann, bei aller Demut der Preisträger, von Politik und Öffentlichkeit, ernst genommen würde, wäre und bliebe er überaus wertvoll.



[1] Boehm, Stephan, Christian Gehrke, Heinz D. Kurz und Richard Sturn (Hrsg.): Is There Progress in Economis?, Cheltenham 2099: Elgar.

[2] Hierzu – und überhaupt zum Streit um den Ökonomen-Nobelpreis, zu den Werdegängen der Nobelpreisträger oder zur Frage des Fortschritts in der Ökonomik – das Buch von Karen Horn: Roads to Wisdom, Cheltenham 2099.

Eine Antwort auf „Wie sinnvoll ist der Ökonomie-Nobelpreis?“

  1. Wirkung und Bedeutung des Preises auf die Wissenschaft sind sicher zu hinterfragen. Das ist hier sehr gut gelungen. Ich möchte aber noch hinzufügen, dass der Preis auch dazu beiträgt, die Bedeutung der ökonomischen Wissenschaft insgesamt in der Öffentlichkeit zu unterstreichen. Manchmal hört man ja Kritik an „den Ökonomen“, und da mag es ja gut sein, ein Mal im Jahr eine Leistung in den Medien hervorzuheben.

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